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StPO II: Neues Beweismittel für die Wiederaufnahme?, oder: Zeuge kann nur per Video vernommen werden

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In der zweiten Entscheidung, dem OLG Zweibrücken, Beschl. v. 23.09.2024 – 1 Ws 274/23 – geht es noch einmal um die Wiederaufnahme (§§ 359 ff. StPO). Dazu hatte ich ja neulich schon ein paar Entscheidungen vorgestellt.

In dem OLG-Beschluss hat das OLG zur Eignung eines neuen Beweismittels im Sinne von § 359 Nr. 5 StPO Stellung genommen. Gestritten wird um die Eignung eines als Zeuge benannten früheren Mitangeklagten als neues Beweismittel, wenn der Zeuge in der Hauptverhandlung nicht unmittelbar, sondern lediglich per Videokonferenz vernommen werden kann. Das OLG hat die Eignung im Sinne von § 359 Nr. 5 StPO verneint, wenn die frühere, nunmehr teilweise widerrufene Einlassung durch gewichtige Indizien gestützt werden. Dazu das OLG:

„3. Dies allein reicht jedoch nicht aus. Die Zulässigkeit eines Wiederaufnahmeantrages setzt auch voraus, dass das Beweismittel geeignet ist, die Freisprechung oder die geringere Bestrafung des Beschwerdeführers herbeizuführen. Zu diesem Zweck hat sich die Prüfung nicht allein auf die Schlüssigkeit des Antragsvorbringens zu beschränken. Es ist vielmehr auch eine gewisse Wertung der Beweiskraft der angebotenen Beweismittel vorzunehmen (vgl. BGH, NJW 1977, 59 = JR 1977, 217; OLG Braunschweig, NStE Nr. 5 zu § 359 StPO = NStZ 1987, 377 (378); OLG Nürnberg, MDR 1964, 171; OLG Köln, NJW 1963, 967; KG, JR 1975, 166; Gössel, in: Löwe-Rosenberg, StPO, 24. Aufl., § 368 Rdnr. 22; KK-StPO/Tiemann, 9. Aufl. 2023, StPO § 368 Rn. 5). Denn um festzustellen, ob neue Beweismittel geeignet sind, eines der in § 359 Nr. 5 StPO genannten Ziele zu erreichen, ist zu prüfen, ob die Schuldfrage vom Standpunkt des erkennenden Gerichts anders entschieden worden wäre, wenn die neuen Beweismittel dem Gericht bekannt gewesen wären (vgl. Kleinknecht-Meyer, § 368 Rdnr. 9). Dabei sind sie zu dem gesamten Inhalt der Akten und den früheren Beweisergebnissen in Beziehung zu setzen (vgl. OLG Braunschweig, NStZ 1987, 377; KG, JR 1975, 166; Kleinknecht-Meyer, § 368 Rdnr. 9). Ist das Beweismittel ein Zeuge, so ist zu unterstellen, dass er so aussagen werde, wie es der Beschwerdeführer behauptet, nicht aber auch, dass die Tatsachen zutreffen, die der Zeuge bekunden soll (vgl. OLG Karlsruhe, OLGSt § 368 OLGSt S. 2; Gössel, in: Löwe-Rosenberg, § 368 Rdnr. 22; KK-StPO/Tiemann StPO § 368 Rn. 9; Paulus, in: KMR, StPO, § 368 Rdnr. 10). Gleiches ist anzunehmen, wenn das Geständnis eines Mitverurteilten nachträglich (teilweise) widerrufen wird. Der Wiederaufnahmegrund des § 359 Nr. 5 StPO zielt auf eine Erschütterung des den Urteilsfeststellungen zugrundeliegenden Beweisgebäudes in seiner Gesamtheit, weshalb eine Gesamtbetrachtung der Beweislage daher unabdingbar ist; der Normwortlaut legt die Zulässigkeit dieser Vorgehensweise nahe („in Verbindung mit den früher erhobenen Beweisen“) (MüKoStPO/Engländer/Zimmermann StPO § 368 Rn. 31).

Das Landgericht Kaiserslautern hat sich in dem Beschluss vom 30.10.2023 ausführlich mit der Vereinbarkeit des geänderten Aussageverhaltens des Mitverurteilten C. mit der im Übrigen aus dem Urteil des Landgerichts Koblenz und dem sonstigen Akteninhalt zu entnehmenden Beweislage auseinandergesetzt. Das Landgericht führt dazu wie folgt aus:

„Die insoweit getroffenen Feststellungen (im Einzelnen s. S. 50 ff. d. Urteils) begründen sich dabei nicht ausschließlich auf der geständigen Einlassung des damaligen Mitangeklagten C. Es ist der Verteidigung zwar zuzustimmen, dass die Feststellungen des Landgerichts Koblenz, soweit es die Abrede zwischen dem Antragsteller und seinem ehemaligen Mitangeklagten C. betrifft, unter anderem auf dessen geständiger Einlassung beruhen. Diese Einlassung wird jedoch durch zahlreiche Indizien gestützt, die mit der geänderten Aussage des ehemaligen Mitangeklagten C. gerade nicht in Einklang zu bringen wären. Diese Indizien bestätigen nicht nur die Feststellungen zu einer Scheinrechnungsabrede bereits ab Mai 2014 und den Umstand, dass den Rechnungen keine Leistungen zugrunde lagen, sondern auch den Umstand, dass der Antragsteller an seine Arbeitnehmer (Teil-)Schwarzlöhne auszahlte und in der Folge keine Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeträge zur Sozialversicherung leistete und sowohl die Lohn- als auch Umsatzsteuern hinterzog. Es ist deshalb unwahrscheinlich, dass allein das geänderte Aussageverhalten des ehemaligen Mitangeklagten C. zu Feststellungen des erkennenden Gerichts geführt hätte, die den beabsichtigten Teilfreispruch zur Folge hätten.

Dies ergibt sich aus Folgendem:….“

Die weiteren Einzelheiten zum konkreten Fall dann bitte selbst lesen.

Wiederaufnahme III: Begründetheit des Antrags, oder: Widerruf eines Geständnisses

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Und dann als dritte Entscheidung zur Wiederaufnahme hier der LG Essen, Beschl. v. 21.06.2024 –  31 NBs-10 Js 50/23-17/23. Es geht um die Begründetheit eines Wiederaufnahmeantrags. Über den Beschluss der LG Essen, mit dem der Antrag in dem Verfahren zugelassen worden ist, habe ich ja vorhin schon berichtet (vgl. Wiederaufnahme II: Widerruf eines Geständnisses, oder: Neues Beweismittel). Hier dann also jetzt die Entscheidung zur Begründetheit. Das LG hat den Wiederaufnahmeantrag als begründet angesehen:

„Die Kammer hat bereits mit Beschluss vom 01.08.2023 das Wiederaufnahmeverfahren zugelassen, da die Zulässigkeitsvoraussetzungen insoweit gegeben sind. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf den Inhalt des vorgenannten Beschlusses Bezug genommen.

Die Kammer hat sodann am 10.04.2024 einen Beweistermin durchgeführt und tatrelevante Zeugen vernommen. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf das Protokoll vom 10.04.2024 Bezug genommen. Im Rahmen der nach § 369 StPO durchgeführten Beweisaufnahme haben die vom Antragsteller vorgetragenen Wiederaufnahmetatsachen genügende Bestätigung gefunden. Hierbei ist eine hinreichende Wahrscheinlichkeit bzw. die konkrete Möglichkeit ausreichend, ein Vollbeweis, der jedweden vernünftigen Zweifel ausschließt, ist nicht erforderlich (vgl. Singelnstein in BeckOK StPO, 51 Edition, Stand: 01.04.2024, § 370 Rn. 3 m.w.N.). So liegt der Fall hier, da sich infolge der durchgeführten Beweisaufnahme konkrete Anhaltspunkte ergeben haben, die dafürsprechen, dass der Angeklagte zu Unrecht wegen des ihm vorgeworfenen Deliktes verurteilt worden ist.

Die abschließende Klärung bleibt letztlich der erneuerten Hauptverhandlung vorbehalten. Eine eigenständige Entscheidung der Kammer gemäß § 371 Abs. 2 StPO, wie der Angeklagte durch Schriftsatz seines Verteidigers vom 16.05.2024 anregte, ist der Kammer verwehrt, da hierzu die Zustimmung der Staatsanwaltschaft erforderlich ist, die allerdings weder zur Beweisaufnahme noch zur Anregung des Verteidigers vom 16.05.2024 Stellung genommen hat. Mithin muss die endgültige Klärung des Verfahrens der erneuerten Hauptverhandlung vorbehalten bleiben.

Eine Kostenentscheidung war vorliegend nicht zu treffen; erst aufgrund der neuen Hauptverhandlung wird über die Kosten des gesamten früheren Verfahrens zu entscheiden sein (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Auflage 2024, § 473 Rn. 37 m.w.N.).“

Vielleicht erfahren wir ja demnächst, was aus dem Verfahren geworden ist.

Wiederaufnahme II: Widerruf eines Geständnisses, oder: Neues Beweismittel

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Die zweite Entscheidung kommt vom LG Essen. Das hat im LG Essen, Beschl. v. 01.08.2023 – 31 NBs 13/23 – die Wiederaufnahme gegen ein Berufungsurteil des LG Dortmund zugelassen.

Folgender Sachverhalt: Dem Verurteilten ist in dem Verfahren zur Last gelegt worden, einen Menschen bedroht und in zwei Fällen eine Falschverdächtigung begangen zu haben. Hintergrund des Vorwurfs der Bedrohung ist, dass der Verurteilte am 19.05.2019 gegenüber dem JVHS pp. geäußert haben soll, dass er ihn und seine Familie „kalt machen“ werde.

In der Hauptverhandlung vor dem AG vom 25.02.2020 räumte der Verurteilte den Anklagevorwurf geständig ein, so dass er wegen Bedrohung und falscher Verdächtigung zu einer Gesamtgeldstrafe von 130 Tagessätzen zu je 10,- EUR verurteilt wurde. Eine weitergehende Beweisaufnahme fand nicht statt. Infolge von Berufungseinlegungen der Staatsanwaltschaft und des Verurteilten verhandelte die 45. Kleine Strafkammer des LG Dortmund die Sache am 17.03.2021. Während die Berufung der Staatsanwaltschaft bereits auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt war. beschränkte der Verurteilte seine Berufung in der Berufungshauptverhandlung ebenfalls auf den Rechtsfolgenausspruch. Im Folgenden gab der Verurteilte eine geständige Einlassung ab. Eine weitere Beweisaufnahme zur Sache fand nicht statt. Mit Urteil vom 17.03.2021 verwarf das LG die Berufung des Verurteilten und änderte aufgrund der Berufung der Staatsanwaltschaft das amtsgerichtliche Urteil im Rechtsfolgenausspruch dahingehend ab, dass der Verurteilte zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 6 Monaten verurteilt worden ist, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Das OLG Hamm hat die Revision des Angeklagten. soweit er wegen Bedrohung zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten mit Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt worden ist, verworfen. Im Übrigen wurde das landgerichtliche Urteil in Bezug auf die Verurteilung wegen falscher Verdächtigung und im Gesamtstrafenausspruch aufgehoben und das Verfahren bzgl. des Vorwurfs der falschen Verdächtigung nach § 354 Abs. 1 StPO eingestellt.

Mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 05.12.2022 hat der Verurteilte Zulassung der Wiederaufnahme des Verfahrens gegen das Berufungsurteil des Landgerichts Dortmund vom 17.03.2021  beantragt. Der Antrag wurde auf § 359 Nr. 5 StPO gestützt und unter Darlegung neuer Tatsachen und Beweismittel dargelegt, dass in der Sache — Verurteilung wegen Bedrohung —ein Freispruch zu erfolgen habe, da das ausgebrachte Geständnis unzutreffend und aus rein taktischen Erwägungen erfolgt sei und sich aus den Aussagen benannter, bislang nicht vernommener Zeugen ergebe, dass der Angeklagte die Tat nicht begangen habe. Der Antrag hatte Erfolg:

„1. Der Antrag auf Zulassung des Wiederaufnahmeverfahrens war stattzugeben.

Der Antrag ist gemäß der in § 366 StPO genannten Form eingebracht worden und benennt insbesondere § 359 Nr. 5 StPO als Wiederaufnahmegrund zugunsten des Angeklagten. Zudem sind die Beweismittel angegeben, die den Wiederaufnahmegrund belegen sollen. Diese sind derart hinreichend konkret bezeichnet worden_ so dass das Gericht sie beiziehen und für eine Beweisaufnahme nach § 369 Abs. 1 StPO verwenden kann. Das Ziel der Wiederaufnahme, einen Freispruch zu erlangen. ist legitim.

Zudem sind die Voraussetzungen des § 359 Nr. 5 StPO gegeben, da der Verurteilte Tatsachen und Beweismittel benennt. die als neu zu bewerten sind, und die geeignet sind, zu einem anderen Ergebnis in der Sache zu führen. Hierbei sind die Tatsachen und Beweismittel als neu zu bewerten, da diese bei der Überzeugungsbildung des erkennenden Gerichts nicht berücksichtigt worden sind. da die Feststellung zum Tatgeschehen sich allein auf der damaligen geständigen Einlassung des Verurteilten gründete, die nunmehr widerrufen wurde. Dahingehend sind die genannten Tatsachen und Beweismittel auch hinreichend geeignet, ggfs. zu einem Freispruch des Verurteilten zu führen. Der Verurteilte hat zudem im Rahmen seiner besonderen Darlegungspflicht dargelegt. dass er das Geständnis damals lediglich aus taktischen Erwägungen abgegeben habe. um eine Verurteilung zu einer in Rede stehenden vollstreckbaren Freiheitsstrafe durch das Berufungsgericht zu vermeiden. Dass das Geständnis hierbei vor dem Landgericht Dortmund im Rahmen einer Verständigung i_S.v. § 257c StPO abgegeben wurde, ist hierbei unerheblich, da die Verfahrensabsprache grundsätzlich keine Bindungswirkung entfaltet (vgl. hierzu Singelnstein in BeckOK StPO, 47. Edition, Stand: 01.04.2023, § 359 Rn. 37 m.w.N.). Zudem ist hierbei zu beachten, dass das damals abgegebene Geständnis des Angeklagten nicht im Hinblick auf die Richtigkeit überprüft worden ist. Die Kammer hat hierbei auch in den Blick genommen, dass der Verurteilte bereits vor dem Amtsgericht eine geständige Einlassung abgegeben hat, wozu er allerdings ebenfalls konkret dargelegt hat, dass dies allein auf Anraten seines Verteidigers erfolgt sei, um hierdurch eine Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe zu vermeiden.“

Wiederaufnahme I: Inhalt des Aufnahmeantrages, oder: Abweichung von einem früheren Geständnis

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Heute wende ich mich mal einer Thematik zu, mit der der Verteidiger nicht jeden Tag zu tun hat, und zwar dem Wiederaufnahmeverfahren. Dazu gibt es drei LG-Beschlüsse.

Ich starte mit dem LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 23.09.2024 – 12 Qs 42/24. Der Entscheidung liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Der Antragsteller ist iranischer Staatsangehöriger, der seit 2014 in Deutschland lebt. Nach Ablehnung seines Asylantrags ist er seit 20.01.2018 vollziehbar ausreisepflichtig. Am 12.03.2020 verurteilte ihn das AG wegen unerlaubten Aufenthalts ohne Pass im Zeitraum 05.02.-08.05.2019 zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten. Das Urteil ist seit 20.03.2020 rechtskräftig, die Strafe ist vollstreckt.

Mit Schriftsatz vom 20.01.2022 stellte der Verteidiger des Antragstellers für diesen einen Wiederaufnahmeantrag. Dieser war auf § 359 Nr. 5 StPO gestützt. Der Antragsteller hätte – was die neu vorgelegten Beweismittel belegen würden – bei der Beantragung eines iranischen Reisepasses eine Freiwilligkeits- oder Reueerklärung abgeben müssen. Das sei ihm nicht zumutbar gewesen. Das AG habe bei seinem Urteil den Umstand, dass die genannte Erklärung abzugeben gewesen wäre, nicht gekannt. Er sei geeignet, die Freisprechung des Antragstellers zu begründen.

Das AG verwarf den Wiederaufnahmeantrag mit Beschluss vom 08.08.2024 als unzulässig. Der Antrag sei bereits unzulässig, weil keine neuen Tatsachen oder Beweismittel vorgebracht worden seien. Ob seinerzeit eine Reueerklärung überhaupt erforderlich gewesen sei, sei streitig. Auch habe der Antragsteller keine Bemühungen entfaltet, einen neuen Pass zu erlangen.

Hiergegen legte der Verteidiger des Antragstellers sofortige Beschwerde ein, die keinen Erfolg hatte:

„Die sofortige Beschwerde ist statthaft (§ 372 Satz 1 StPO) und zulässig erhoben. Sie ist jedoch unbegründet, weil im Wiederaufnahmeantrag kein geeignetes (im Sinne von: ausreichendes) Beweismittel angeführt war, sodass das Amtsgericht ihn zu Recht gem. § 368 Abs. 1 StPO verworfen hat.

1. Die im Wiederaufnahmeantrag genannten und ihm in Kopie beigelegten Urkunden sind neu im Sinne des § 359 Nr. 5 StPO. Bei Urteilen sind solche Tatsachen und Beweismittel neu, die beim Abschluss der letzten mündlichen Verhandlung nicht in die Hauptverhandlung eingeführt und damit zum Verhandlungsgegenstand gemacht worden waren (LR-StPO/Schuster, 27. Aufl., § 359 Rn. 89). Unerheblich ist, ob der Verurteilte die geltend gemachten Tatsachen schon in der Hauptverhandlung gekannt hat und ob er sie bereits früher hätte beibringen können (OLG Frankfurt, Beschluss vom 10.05.1983 – 1 Ws 103/82, MDR 1984, 74). Hieran gemessen sind die vorgelegten Urkunden neu. Sie und die dort behandelten Inhalte (Notwendigkeit einer Freiwilligkeits- oder einer Reueerklärung beim Passantrag) waren nicht Gegenstand der Beweisaufnahme und des Urteils des Amtsgerichts Nürnberg.

2. Die Neuheit von Tatsachen oder Beweismitteln genügt nach § 359 Nr. 5 StPO allein aber noch nicht zur Wiederaufnahme. Die Vorschrift verlangt ferner, dass die neuen Tatsachen oder Beweismittel allein oder in Verbindung mit den früher erhobenen Beweisen geeignet sind, die Freisprechung des Verurteilten oder seine geringere Bestrafung aufgrund eines anderen und milderen Strafgesetzes zu begründen. Aus § 368 Abs. 1 StPO folgt weiter, dass das neue Beweismittel auf seine Eignung geprüft werden muss. Eine lediglich abstrakte Schlüssigkeitsprüfung der nova ist dem Gesetz nicht zu entnehmen und sie war auch vom historischen Gesetzgeber nicht beabsichtigt. Demgemäß muss der Antrag in bestimmten Fällen auch die Eignung des Beweismittels darlegen. Das gilt namentlich dann, wenn der Verurteilte nunmehr abweichend von einem früher abgegebenen Geständnis vorträgt. In diesem – hier einschlägigen – Fall muss er darlegen, warum er die Tat in der Hauptverhandlung der Wahrheit zuwider zugab und weshalb er das Geständnis nunmehr widerruft (BGH, Beschluss vom 07.07.1976 – StB 11/74, juris Rn. 11; Beschluss vom 14.06.1995 – StB 8/95, juris Rn. 4; vgl. weiter Meyer-Goßner/Schmitt/Schmitt, StPO, 67. Aufl., § 359 Rn. 47 m.w.N.).

Diesen Anforderungen genügt der Wiederaufnahmeantrag nicht.

a) Soweit die neu vorgelegten Urkunden die Relevanz von Freiwilligkeitserklärungen für einen Passantrag zum Gegenstand haben, worin erklärt wird, dass die den Pass begehrende Person freiwillig in den Iran reisen wolle, fehlt es von vornherein an der Eignung, damit einen Freispruch oder die Bestrafung nach einem milderen Gesetz herbeizuführen. Die vorgelegten Urkunden belegen für den anklagegegenständlichen Zeitraum die Relevanz einer Freiwilligkeitserklärungen für einen Passantrag gerade nicht. In dem undatierten Antragsformular des Münchener Generalkonsulats ist lediglich von der Erklärung der „Reue der Asylantragstellung“ die Rede. Für die Auskunft des Bundesministeriums des Innern vom 19.05.2020 gilt das Gleiche. Das Bayerische Landesamt für Asyl und Rückführungen erklärte in seiner Mitteilung vom 06.08.2020 ausdrücklich, dass bei der Beantragung eines iranischen Reisepasses die Vorlage einer Freiwilligkeitserklärung nicht notwendig sei; in seiner Information vom 16.03.2021 teilte das Landesamt lediglich etwas zur Reueerklärungen mit, nicht jedoch zu Freiwilligkeitserklärungen. Dem Schreiben des Auswärtigen Amtes an die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth vom 14.11.2019 (ebenso dessen Bericht vom 05.02.2021) ist zu entnehmen, dass dem Auswärtigen Amt die grundsätzliche Haltung Irans, Rückführungen seiner Staatsangehörigen nur bei Vorliegen einer Freiwilligkeitserklärung zu unterstützen, bekannt sei. Darum geht es hier aber nicht, sondern um die Frage der Erteilung eines Passes. Auf die Frage, ob der Zwang zur Abgabe einer Freiwilligkeitserklärung die Beantragung eines Passes unzumutbar machen könnte (dazu vgl. OLG Nürnberg, Urteil vom 16.01.2007 – 2 St OLG Ss 242/06, juris Rn. 56 ff.; BVerwG, Urteil vom 10.11.2009 – 1 C 19/08, juris Rn. 14 ff.), kommt es mithin nicht an.

b) Aber auch soweit die mögliche Erforderlichkeit einer Reueerklärung bei der Beantragung eines iranischen Passes aus den Urkunden hervorgeht, ist das zur Erreichung der in § 359 Nr. 5 StPO genannten Ziele nicht geeignet, weil es für sich und in Zusammenschau mit den bislang vorliegenden Beweismitteln betrachtet unzureichend ist. Denn auch dann wäre die Unzumutbarkeit der Passbeantragung nicht belegt.

aa) Grundsätzlich kann die Voraussetzung einer Reueerklärung zwar die Unzumutbarkeit einer Mitwirkung bei der Passbeschaffung begründen, jedenfalls wenn der Erklärende darin bedauert, seiner nationalen Pflicht nicht nachgekommen zu sein und erklärt, eine eventuell dafür verhängte Strafe zu akzeptieren (für eine eritreische Reueerklärung BVerwG, Urteil vom 11.10.2022 – 1 C 9/21, juris Rn. 17) bzw. wenn er sich dabei selbst einer Straftat bezichtigen müsste (BayObLG, Beschluss vom 26.03.2023 – 204 StRR 139/23, S. 6, n.v.). Dergleichen bringt der Wiederaufnahmeantrag aber nicht vor. In dem vorgelegten Formular des iranischen Generalkonsulats heißt es lediglich „…erkläre ich hiermit meine Reue der Asylantragstellung und beantrage die Ausstellung eines Reisepasses“. Der Wiederaufnahmeantrag legt nicht dar, dass darin die Selbstbezichtigung einer Straftat nach iranischem Recht läge, sondern führt lediglich aus, der Antragsteller könne eine solche Erklärung nicht abgeben, weil es ihm überhaupt nicht leidtue, einen Asylantrag in Deutschland gestellt zu haben (was nach dem Maßstab von OLG Nürnberg, Urteil vom 16.01.2007 – 2 St OLG Ss 242/06, juris Rn. 57, aber für die Unzumutbarkeit ausreichen sollte; zweifelhaft).

bb) Die Unzumutbarkeit eines Passantrags ist jedenfalls nicht hinreichend dargelegt: Im Prozess vor dem Amtsgericht Nürnberg gab die damalige Verteidigerin eine mit dem Antragsteller abgesprochene und von diesem ausdrücklich gebilligte Erklärung ab. Danach räume der Antragsteller den gegen ihn erhobenen Vorwurf ein. Er gehöre der Glaubensgemeinschaft der Bahai an, die im Iran verfolgt werde. Darüber habe er nicht sprechen wollen, was sicherlich eine Ursache für die Ablehnung gewesen sei. Er habe sich nicht richtig verhalten. Nach der Haftentlassung werde er mit Hilfe seines Sohnes, der hier lebe, und mit Hilfe der Anwälte versuchen, sich einen Pass zu beschaffen. Auf die Frage, warum sich seine Frau bereits einen Pass besorgt habe und er nicht, antwortete er, sie sei Muslimin, weshalb das möglich gewesen sei, er hingegen sei Bahai. Die in der Hauptverhandlung verlesene Niederschrift einer Vorsprache beim Ausländeramt der Stadt Nürnberg belegt, dass der Antragsteller dort am 04.01.2019 gesagt habe, er sei auch weiterhin nicht bereit, bei der Passbeschaffung mitzuwirken und werde nicht zur Botschaft fahren.

In diesen eigenen Angaben des Antragstellers spielte die Notwendigkeit, eine Reueerklärung abzugeben, keine für seine Verweigerungshaltung tragende Rolle; im Gegenteil war er damals offensichtlich bereit, einen iranischen Pass zu beantragen. Nunmehr beruft er sich allerdings darauf, dass die Beschaffung eines Passes deshalb nicht möglich gewesen sei, weil er eine Reueerklärung hätte abgeben müssen, und ihm dies nicht zumutbar gewesen sei. Denn er bereue es nicht, illegal aus dem Iran ausgereist zu sein und einen Asylantrag in Deutschland gestellt zu haben. Mit diesem neuen Vortrag setzt sich der Antragsteller in Widerspruch zu seinem früheren Geständnis und zu der – unter keine Einschränkungen gestellte – Ankündigung, es mithilfe seines Sohnes und der Anwälte zu versuchen, einen Pass zu erlangen. Dieser Widerspruch wird nicht aufgeklärt. Damit kann die nunmehr behauptete Unzumutbarkeit der Passbeschaffung nicht plausibel erklärt werden. Sie war aber erklärungsbedürftig, weil die Unzumutbarkeit keine rein objektive Gegebenheit darstellt, sondern zwingend auch an die subjektiven Maßstäbe des konkret Handelnden anknüpft, der in mehr oder weniger großem Maße bereit sein kann, bestimmte Erschwernisse hinzunehmen oder bestimmte Erklärungen abzugeben. Nach alldem kann nicht angenommen werden, dass im Jahr 2019 die Ablehnung der Abgabe einer Reueerklärung – sollte eine solche erforderlich gewesen sein – für das Unterlassen des Angeklagten leitend und ursächlich war.“

BVerfG I: VB gegen abgelehnte Wiederaufnahme, oder: Klatsche für GBA und OLG Frankfurt aus Karlsruhe

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Und dann auf die in 5. KW., und zwar mit zwei Entscheidungen des BVerfG.

Zunächst weise ich hin auf den  BVerfG, Beschl. v.  04.12.2023 – 2 BvR 1699/22. Auf den ist ja in der vergangenen Woche schon an verschiedenen Stellen hingewiesen worden. Es handelt sich um die (teilweise) erfolgreiche Verfassungsbeschwerde einer rechtskräftig verurteilten Frau gegen die Ablehnung einer Wiederaufnahme des Strafverfahrens durch das OLG Frankfurt am Main, und zwar durch den OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 08.07.2022 – 1 Ws 21/22.

Ich mache es mir mit der Sache einfach, vor allem auch weil der Beschluss des BVerfG so umfangreich ist, dass man ihn hier kaum vorstellen kann. Ich nehme also nur die Pressemitteilung des BVerfG und verweise im Übrigen auf den verlinkten Volltext der Entscheidung.

In der PM heißt es:

„Mit heute veröffentlichtem Beschluss hat die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts der Verfassungsbeschwerde einer wegen Mordes rechtskräftig Verurteilten teilweise stattgegeben. Diese wendet sich gegen die fachgerichtliche Ablehnung einer Wiederaufnahme des Strafverfahrens, nachdem der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) eine Verletzung der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) festgestellt hatte.

Das Recht auf ein faires Verfahren ist verletzt, wenn Zweifel an der Unparteilichkeit eines Gerichts durch objektive Kriterien begründet sind. War ein Richter mit der Tat in einem früheren Verfahren gegen andere Tatbeteiligte befasst, können sich solche Kriterien bereits aus dem früheren Urteil ergeben.

Die Beschwerdeführerin wurde wegen Mordes an ihrem damaligen Ehemann zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. An dem Urteil wirkte ein Richter mit, der auch schon an der Verurteilung des ehemaligen Lebensgefährten der Beschwerdeführerin wegen derselben Tat mitgewirkt hatte. Nachdem der EGMR aufgrund dieser Mitwirkung einen Konventionsverstoß festgestellt hatte, beantragte die Beschwerdeführerin die Wiederaufnahme des Strafverfahrens gegen sie. Das Landgericht lehnte dies ab. Das Oberlandesgericht wies die hiergegen erhobene sofortige Beschwerde als unbegründet zurück. Die Beschwerdeführerin habe nicht dargelegt, dass das Urteil auf dem Konventionsverstoß beruhe.

Das Oberlandesgericht hat den allgemeinen Justizgewährungsanspruch der Beschwerdeführerin aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz (GG) verletzt. Es stellt Anforderungen, die im Fall der Beschwerdeführerin unerfüllbar und unzumutbar sind. Damit erschwert es den Zugang zu einer erneuten Hauptverhandlung in einer Weise, die aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigen ist.

Die Sache wird an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.

Sachverhalt:

Der ehemalige Lebensgefährte der Beschwerdeführerin wurde 2011 wegen gemeinschaftlichen Mordes an ihrem damaligen Ehemann zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Am Urteil wirkte ein Richter als Berichterstatter mit, der im späteren Strafverfahren gegen die Beschwerdeführerin den Vorsitz führte.

Im Verfahren gegen die Beschwerdeführerin lehnte diese den Vorsitzenden Richter gestützt auf diesen Umstand wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Das Ausgangsgericht wies das Ablehnungsgesuch zurück und verurteilte die Beschwerdeführerin im April 2014 wegen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe. Hiergegen legte die Beschwerdeführerin – jeweils erfolglos – Revision zum Bundesgerichtshof und Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht ein.

Auf ihre daraufhin erhobene Individualbeschwerde stellte der EGMR wegen der Mitwirkung des Vorsitzenden Richters einen Konventionsverstoß fest. Zwar gebe es nach subjektiven Kriterien keine Anzeichen dafür, dass der Richter im Verfahren gegen die Beschwerdeführerin mit persönlicher Voreingenommenheit vorgegangen wäre. Allerdings seien ihre Zweifel, dass der am Urteil gegen ihren ehemaligen Lebensgefährten mitwirkende Richter bereits zu einer vorgefassten Meinung über ihre Schuld gelangt sei, aufgrund objektiver Kriterien gerechtfertigt. Das Ausgangsgericht habe in diesem früheren Urteil seine Feststellungen die Beschwerdeführerin betreffend als Tatsachen mit entsprechender rechtlicher Einordnung und nicht als reine Vermutungen dargestellt. Dies gehe über das hinaus, was notwendig gewesen sei, um die Tat ihres ehemaligen Lebensgefährten rechtlich einzustufen (EGMR, Urteil vom 16. Februar 2021, Nr. 1128/17).

Die Beschwerdeführerin beantragte daraufhin beim Landgericht die Wiederaufnahme des Strafverfahrens. Das Landgericht verwarf den Antrag als unzulässig. Die dagegen eingelegte sofortige Beschwerde verwarf das Oberlandesgericht mit angegriffenem Beschluss vom 8. Juli 2022 als unbegründet. Zur Begründung führte es unter anderem aus, dass nach dem Gesetzeswortlaut für eine Wiederaufnahme das Urteil auf dem Konventionsverstoß beruhen müsse. Es sei Aufgabe der Beschwerdeführerin, Anhaltspunkte dafür darzulegen, dass sich der Konventionsverstoß auf die Verurteilung ausgewirkt haben könne und ihre Verurteilung bei Beachtung der verletzten Konventionsnorm möglicherweise anders ausgefallen wäre. Der EGMR habe festgestellt, dass von der persönlichen Unparteilichkeit des Richters auszugehen sei. Auch vor diesem Hintergrund habe Vortrag dazu erfolgen müssen, aufgrund welcher Umstände davon auszugehen sei, dass das Urteil auf dem festgestellten Konventionsverstoß beruhe.

Wesentliche Erwägungen der Kammer:

Soweit sich die Verfassungsbeschwerde gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts richtet, ist sie zulässig und begründet. Das Oberlandesgericht hat den allgemeinen Justizgewährungsanspruch der Beschwerdeführerin (Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG) verletzt. Es stellt Anforderungen an die Darlegung, dass das Urteil auf dem festgestellten Konventionsverstoß beruhe, die im Fall der Beschwerdeführerin unerfüllbar und unzumutbar sind und damit den Zugang zu einer erneuten Hauptverhandlung in einer Weise erschweren, die aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigen ist.

  1. a) Das Oberlandesgericht fordert von der Beschwerdeführerin eine Darlegung dazu, dass sich im Urteil gegen sie Anhaltspunkte für eine Begründung der Besorgnis der Befangenheit finden. Es sei nicht Aufgabe des Wiederaufnahmegerichts zu untersuchen, ob in dem umfangreichen Urteil gegen sie Feststellungen getroffen oder im Rahmen der Beweiswürdigung Schlüsse gezogen wurden, die auf einer Voreingenommenheit beruhen könnten.

Hiermit verlangt das Oberlandesgericht Anhaltspunkte, die in einem Fall wie dem streitgegenständlichen nicht vorliegen können. Denn in einem Fall der Vorbefassung können sich aus dem späteren Urteil Zweifel an der Unparteilichkeit des Gerichts dann ergeben, wenn zum einen Indikatoren gegen die Unparteilichkeit vorliegen und zum anderen solche fehlen, die für sie sprechen. Nach der Rechtsprechung des EGMR spricht für die Unparteilichkeit, dass das im Folgeprozess ergangene Urteil keine Verweise oder Bezugnahmen auf die Feststellungen im früheren Urteil enthält. Umgekehrt spricht die Zitierung von Auszügen aus dem früheren Urteil in der späteren Rechtssache gegen die Unparteilichkeit. Fehlen – wie im vorliegenden Fall – im späteren Urteil gegen die Unparteilichkeit sprechende Gesichtspunkte, können gleichwohl objektiv begründete Zweifel an der Unparteilichkeit bestehen, wenn sich dies aus der Prüfung des früheren Urteils ergibt.

Wird für die Wiederaufnahme nach § 359 Nr. 6 Strafprozessordnung (StPO) dennoch gefordert, trotz der im Urteil des EGMR festgestellten Indikatoren für die Unparteilichkeit im späteren Urteil dem entgegenstehende gegen sie sprechende Anhaltspunkte in eben diesem Urteil darzulegen, wird Unmögliches verlangt. Denn beides schließt sich gegenseitig aus. Enthält ein Urteil keine Verweise oder Bezugnahmen auf Feststellungen im früheren Urteil und beruht es auf einer eigenständigen Beweiserhebung und Beweiswürdigung, können Auszüge aus dem früheren Urteil oder Bezugnahmen auf seine Feststellungen ohne eigene Beweiserhebung und Beweiswürdigung im späteren nicht enthalten sein. Jedenfalls ist eine solche Darlegung unzumutbar. Denn es ist nicht erkennbar, welche hiervon unabhängigen Anhaltspunkte gegen die Unparteilichkeit gemeint sein könnten, wenn die in der Rechtsprechung des EGMR entwickelten Indikatoren im späteren Urteil gerade nicht vorliegen.

In der Sache verkennt das Oberlandesgericht, dass der vom EGMR festgestellte Konventionsverstoß nicht darin liegt, dass (möglicherweise) ein tatsächlich voreingenommener Richter an dem gegen die Beschwerdeführerin geführten Verfahren und an der gegen sie ergangenen Entscheidung beteiligt war, sondern darin, dass ein Richter mitgewirkt hat, bezüglich dessen Unvoreingenommenheit bei objektiver Betrachtung aus Sicht der Beschwerdeführerin gerechtfertigte Zweifel bestanden. Dieser Konventionsverstoß wirkte sich bereits in der Einflussnahme dieses Richters im gegen die Beschwerdeführerin geführten Verfahren als solcher und nicht nur dann aus, wenn eine etwaige Voreingenommenheit in der Entscheidung ihren Niederschlag gefunden hätte.

b) Die vom Oberlandesgericht aufgestellten Anforderungen sind auch sachlich nicht gerechtfertigt.

Wegen der Bedeutung der Rechtskraft ist die Wiederaufnahme eines Strafverfahrens grundsätzlich nur unter engen Voraussetzungen möglich ist. Dies rechtfertigt jedoch keine Auslegung, durch die bestimmte Fälle, in denen ein Verstoß gegen die EMRK festgestellt wurde, schon dem Grunde nach von einer Wiederaufnahme gemäß § 359 Nr. 6 StPO ausgeschlossen sind. Das wäre indes die Folge der unerfüllbaren Darlegungsanforderungen der Fachgerichte. Sie lassen die Wiederaufnahme schon dem Grunde nach nicht zu, wenn im Fall der Vorbefassung eines Richters der EGMR einen Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 EMRK wegen objektiv begründeter Zweifel an der Unparteilichkeit des Gerichts allein auf Anhaltspunkte im früheren Urteil stützt.

Der Gesetzgeber hat mit § 359 Nr. 6 StPO die Möglichkeit zur Korrektur eines Verstoßes gegen die EMRK geschaffen. Das Beruhenserfordernis schließt dabei die Wiederaufnahme in den Fällen aus, in denen sich ein Konventionsverstoß nicht ausgewirkt hat. Dies darf aber nicht dazu führen, dass bestimmte, in der Rechtsprechung des EGMR anerkannte Konstellationen einer Verletzung der EMRK von vorneherein ausgeschlossen sind.

Andernfalls bestünde ein Wertungswiderspruch zu den verfassungsrechtlichen Anforderungen, die aus einer Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter gemäß Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG folgen. Verlangt Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, dass bei fehlerhafter Besetzung des Gerichts Strafurteile aufgehoben werden – was im Rahmen der Revision gemäß § 338 Nr. 3 StPO gerügt und gegebenenfalls erreicht werden kann –, kann eine gegen Art. 6 Abs. 1 EMRK verstoßende Besetzung des Gerichts nicht weniger schwer wiegen. Dies ist auch bei der Auslegung und Anwendung des § 359 Nr. 6 StPO zu berücksichtigen.“

Wenn man den Volltext liest, kann man nur sagen: Das haben das OLG Frankfurt am Main und auch der GBA aber ganz schön „einen auf den Deckel bekommen“. Der GBA fängt sich einen für die Forderung, dass habe vorgetragen werden müssen, dass „ein anderer Richter bei einer rational begründeten Entscheidungsfindung aufgrund der durchgeführten Hauptverhandlung auch zu einem anderen Ergebnis hätte gelangen können„. Das sieht das BVerfG als „unzumutbar“ an. Und das OLG darf lesen: „Das Oberlandesgericht stellt für den Wiederaufnahmeantrag Anforderungen an die Darlegung des Beruhens gemäß § 359 Nr. 6 StPO, die im Fall der Beschwerdeführerin unerfüllbar und unzumutbar sind, und erschweren damit den Zugang zu einer erneuten Hauptverhandlung in einer Weise, die aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigen ist. „