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Die Kuh ist vom Eis – Einspruchsverwerfung auch noch nach Aufhebung und Zurückverweisung

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Die Kuh ist vom Eis bzw. ein Streit in der oberlandesgerichtlichen Rechsprechung jetzt durch den BGH entschieden.Gestritten wurde nämlich zwischen den OLG, ob dann, wenn durch das Rechtsbeschwerdegericht nur der Rechtsfolgenausspruch eines Urteils mit den getroffenen Feststellungen aufgehoben worden ist und der Betroffene in der neuen Hauptverhandlung nicht erscheint, eine Verwerfung des Einspruchs nach § 74 Abs. 2 OWiG noch oder nicht (mehr) in Betracht kommt. Darum haben das OLG Celle und das OLG Hamm gestritten. Auf Vorlage des OLG Celle  hat der BGH die umstrittene Frage i.S. des vorlegenden OLG entschieden, und zwar wie folgt:

Das Amtsgericht hat den Einspruch des nicht vom persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung entbundenen und unentschuldigt ausgebliebenen Betroffenen auch dann nach § 74 Abs. 2 OWiG zu verwerfen, wenn das voraus-gegangene Sachurteil vom Rechtsbeschwerdegericht nur im Rechtsfolgenausspruch aufgehoben und die Sache im Umfang der Aufhebung zurückverwiesen worden war.

Das BGH bezieht sich im BGH, Beschl. v. 18.07.2012 – 4 StR 603/11 –  zur Begründung im Wesentlichen auf den Wortlaut des § 74 Abs. 2 OWiG. Der Eintritt der Teilrechtskraft des Schuldspruchs bei Aufhebung nur des Rechtsfolgenausspruchs durch das Rechtsbeschwerdegericht steht nach seiner Auffassung der Verwerfung des Einspruchs in der neuen Hauptverhandlung nicht entgegen. Kann man mit leben

Immer wieder schön (falsch) – der zu Unrecht abgelehnte Entbindungsantrag im Bußgeldverfahren

Die Verwerfungsurteile nach den §§ 73, 74 Abs. 2 OWiG sind m.E. häufig ein recht erfolgversprechender Weg zu einer erfolgreichen Rechtsbeschwerde. Denn hier kommt es häufig zur Aufhebung der amtsgerichtlichen Verwerfungsentscheidung und daraus resultierend zu Zeitgewinn für den Betroffenen, der im  straßenverkehrsrechtlichen Bußgeldverfahren im Hinblick auf eine Fahrverbotsentscheidung für den Betroffenen von entscheidender Bedeutung sein kann.

Die hohe Zahl von Aufhebungen wundert mich. Denn die Rechtslage ist klar: Wenn der Betroffene klar und unmissverständlich erklärt, dass er der Fahrer zum Vorfallszeitpunkt war und außerdem mitteilt, dass er mehr in der Hauptverhandlung nicht sagen wird, dann ist von seiner Anwesenheit in der Hauptverhandlung keine weitere Aufklärung zu erwarten. Er muss dann von seiner Anwesenheitspflicht entbunden werden. Alle Spekulationen des Amtsrichters, was darüber hinaus sein könnte, sind dann überflüssig. Warum die Amtsrichter das teilweise nicht sehen und meinen, sie könnten den Betroffenen in der Hauptverhandlung zu weiteren Angaben veranlassen/überreden, ist mir unverständlich. Das Ergebnis liegt dann jedoch i.d.R. auf der Hand: Es wird nicht entbunden, der Betroffene erscheint aber nicht, es wird verworfen, und: Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Als Beispiel dient hier dazu der OLG Karlsruhe, Beschl. v. 05.06.2012 – 2 (6) SsRs 279/12  AK 73/12:

Die Rüge ist auch begründet, denn das Amtsgericht hätte den Einspruch nicht durch Prozessurteil gemäß § 74 Abs. 2 OWiG verwerfen dürfen, sondern hätte zur Sache verhandeln und das Vorbringen des Betroffenen berücksichtigen müssen. Den Antrag, den Betroffenen von der Pflicht zum Erscheinen zu entbinden, durfte das Amtsgericht nicht ablehnen. Gemäß § 73 Abs. 2 01MG befreit das Gericht den Betroffenen auf dessen Antrag, wenn er sich zur Sache geäußert oder erklärt hat, dass er sich in der Hauptverhandlung nicht zur Sache äußern werde, und seine Anwesenheit zur Aufklärung wesentlicher Gesichtspunkte des Sachverhalts nicht erforderlich ist.

Der vertretungsbefugte Verteidiger des Betroffener hat für diesen die Erklärung abgegeben, der Betroffene sei der Fahrzeugführer gewesen, und hat mitgeteilt, der Betroffene werde weiter nichts sagen. Damit war unmissverständlich klargestellt, dass von der persönlichen Anwesenheit des Betroffenen im Hauptverhandlungstermin keinerlei weitergehende Aufklärung zu erwarten war, so dass die Spekulationen des Amtsgerichts, der Betroffene werde in der Hauptverhandlung vielleicht doch Angaben machen, jeder Substanz entbehren und keineswegs ge- eignet sind, das Erscheinen des Betroffenen zu erzwingen bzw. ein Urteil gemäß § 74 Abs. 2 OWiG zu rechtfertigen. Da somit die Voraussetzungen für eine Entbindung des Betroffenen von seiner Anwesenheitspflicht vorgelegen haben, war die Zurückweisung des dahingehenden Antrags und auch die darauf basierende Verwerfung des Einspruchs gegen den Bußgeldbescheid gemäß § 74 Abs. 2 OWiG rechtsfehlerhaft.

 Für den Verteidiger ist die Rechtsbeschwerde allerdings nicht so ganz einfach. Denn die Begründungsanforderungen an die zu erhebende Verfahrensrüge sind hoch.

Einspruchsverwerfung: Vor der Verwerfung musst du forschen

Auf die Kurzformel: Vor der Verwerfung des Einspruchs muss der Amtsrichter seiner Aufklärungspflicht hinsichtlich dews geltend gemachten Entschuldigungsgrundes nachgehen, lassen sich die Gründe des OLG Bamberg, Beschl. v. 28. 11. 2011 – 3 Ss OWi 1514/11 – zusammenfassen. Allerdings mit einer Einschränkung: Der Betroffene muss schon etwas zur Entschuldigung vortragen. Die Leitsätze der Entscheidung:

1. Die Regelung des § 74 II OWiG birgt nicht nur die Gefahr eines sachlich unrichtigen Urteils in sich, sondern auch, dass dem Betroffenen das rechtliche Gehör (Art. 103 I GG) entzo­gen wird. Der Begriff der ‚genügenden Entschuldigung’ darf deshalb nicht eng ausgelegt werden.

 2. Den Betroffenen trifft hinsichtlich des Ent­schuldi­gungsgrundes grundsätzlich keine Pflicht zur Glaubhaftmachung oder zum lücken­losen Nachweis. Das Gericht hat vielmehr, wenn ein konkreter Hinweis auf einen Entschuldigungsgrund vorliegt oder Zweifel an einer genügenden Entschuldigung bestehen, dem im Rahmen seiner Aufklärungspflicht – gegebenen­falls im Wege des Freibeweises – nachzugehen (Anschluss u.a. an BayObLGSt 1998, 79/82; 2001, 14/16; OLG Bamberg wistra 2007, 79 f.; NZV 2009, 303 f.; NZV 2011, 409 f.; OLG Braunschweig, Beschluss vom 25.03.2010 – 3 Ss [OWiZ) 37/10 [bei Juris]; KG DAR 2011, 146 f.).

 3. Die Nachforschungsverpflichtung des Gerichts ist andererseits nicht grenzenlos. Ihre Auslösung setzt (wenigstens) voraus, dass der Betroffene vor der Hauptverhandlung schlüssig einen Sachverhalt vorträgt, der geeignet ist, sein Aus­bleiben genügend zu entschuldigen (Anschluss u.a. an KG VRS 108, 110 ff.; OLG Bamberg OLGSt StPO § 329 Nr. 29 = DAR 2008, 217 [Ls]; BayObLGSt 1997, 145/147 f.; 1998, 79/81 f.).

 4. Legt der Betroffene eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vor, besteht regelmäßig ein konkreter Hinweis auf die Existenz eines berechtigten Entschuldigungsgrunds, sofern nicht Gründe dafür vorliegen, dass das Attest als erwiesen falsch oder sonst als offensichtlich unrichtig oder unzureichend anzusehen ist (Anschluss an OLG Hamm NZV 2011, 562 f.).

5. In der Vorlage des ärztlichen Attests durch den Betroffenen liegt regelmäßig zugleich die Entbindung des ausstellenden Arztes von seiner Schweigepflicht.

„Ich habe einen Beurkundungstermin“ – allein das rettet nicht vor einem Verwerfungsurteil

Gegen den Betroffenen, der als Rechtsanwalt und Notar tätig ist, ergeht ein Bußgeldbescheid. Dagegen wird Einspruch eingelegt. Das AG beraumt die Hauptverhandlung an. Der Betroffene beantragt Terminsverlegung und führt zur Begründung an, er habe als Notar an dem Tag der Hauptverhandlung einen Beurkundungstermin wahrzunehmen. Die daraufhin per Telefax an ihn gerichtete Anfrage des Gerichts vom 15. Februar 2011, darzulegen und zu belegen, wann der Beurkundungstermin vereinbart worden sei, ließ der Betroffene unbeantwortet.

Zum Hauptverhandlungstermin erscheint der Betroffene dann nicht. Der Einspruch wird verworfen. Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen hatte keinen Erfolg, was das OLG Hamm in OLG Hamm, Beschl. v. 15.12.2011 – III – 5 RBs 185/11 wie folgt begründet:

Der Betroffene hat – trotz Aufforderung durch das Gericht – nicht vorgetragen, wann der von ihm als Notar wahrzunehmende Beurkundungstermin vereinbart worden ist und ob dieser tatsächlich unaufschiebbar ist. Sein Vortrag stellt eine durch nichts belegte inhaltslose Behauptung der angeblichen beruflichen Verhinderung dar, so dass es nicht zu beanstanden ist, dass das  Amtsgericht den Beurkundungstermin nicht als genügende Entschuldigung für sein Fernbleiben anerkannt hat. Die öffentlich-rechtliche Verpflichtung, zu einem bestimmten Zeitpunkt vor Gericht zu erscheinen, geht der Wahrnehmung privater Angelegenheiten, zu denen auch die Berufsausübung gehört, grundsätzlich vor (vgl. OLG Hamm VRS 87, 138; Senge in KK, OWiG 2. Aufl., § 74 Rdn. 32 m. w. N.). Anders ist die Situation nur dann, wenn berufliche Belange unaufschiebbar und von so großem Gewicht sind, dass deren Zurückstellung für den Betroffenen mit gravierenden, insbesondere wirtschaftlichen Nachteilen verbunden wäre, so dass dem Betroffenen das Erscheinen zum Termin billigerweise nicht zugemutet werden kann. Derartige Umstände hat der Betroffene jedoch nicht dargelegt.“

OLG redet Tacheles – Grundkurs beim Verwerfungsurteil, oder: So nicht…

Gleich im ersten OWi-Beschluss des Jahres – 1 ssRs 1/12 – hat sich die Vorsitzende des 1. Strafsenats – Senat für Bußgeldsachen – des OLG Koblenz einen Amtsrichter zur Brust genommen. Offenbar kein Einzelfall seine dem OLG-Beschluss zugrunde liegenden Entscheidung, anders lassen sich die deutlichen Worte des OLG nicht erklären. Es geht im Grunde um eine „ausgeschriebene“, ganz einfache Frage, nämlich die nach den Voraussetzungen für ein Verwerfungsurteil nach § 74 Abs. 2 OWiG. Aber beim AG Linz hatte das OLG wohl dennoch Anlass zu einem kleinen Grundkurs zu den anstehenden Fragen, wenn es im OLG Koblenz, Beschl. v. 16.01.2012 – 1 SsRs 1/12 „ergänzend bemerkt“:

Ergänzend bemerkt der Senat, dass dem Bußgeldrichter des erkennenden Amtsgerichts offensichtlich die Bedeutung der §§ 73, 74 Abs. 2 OWiG nicht bewusst ist. Nach der Formulierung „Das persönliche Erscheinen war angeordnet“ in den Urteilsgründen ist zweifelhaft, ob dem Richter der Sinn der Neufassung des § 73 OWiG durch das OWiGÄndG vom 26. Januar 1998, gültig ab 1. März 1998 bekannt ist. Weiter scheint dem Richter nicht klar zu sein, dass die Entbindung des Betroffenen von der Anwesenheitspflicht nicht in seinem Ermessen liegt (vgl. auch Senatsentscheidung vom 17.11.2011, 1 SsRs 137/11), sondern anzuordnen ist, wenn die Voraussetzungen des § 73 Abs. 2 OWiG vorliegen (Göhler, a.a.O. § 73 Rdnr. 5). Offensichtlich meint der Richter auch — insoweit fehlerhaft (vgl. Senatsbeschluss vom 02.10.2003, 1 Ss 279/03, ZfSch 2004, 90) — eine Entscheidung nach § 74 Abs. 2 OWiG könne immer dann getroffen werden, wenn weder der entschuldigte oder unentschuldigte Betroffene noch der Verteidiger in der Hauptverhandlung erschienen sei. Nach § 74 Abs. 1 OWiG ist aber gegen den nicht erschienen Betroffenen, der von der Verpflichtung zum Erscheinen entbunden war, in seiner Abwesenheit zu verhandeln, auch wenn kein Verteidiger erschienen ist (Göhler, a.a.O., § 74 Rdnr. 9).

Vielleicht hilft es ja…