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Belehrungsfehler I: Der verdichtete Tatverdacht

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Heute machen wir mal einen „Belehrungstag“ mit zwei Entscheidungen, die zeigen, dass es auf die (richtige) Belehrung nicht nur in Kapitalstrafsachen ankommt, sondern die Frage eben auch in Feld-/Wald- und Wiesenfällen eine Rolle spielen kann. Zunächst in dem Zusammenhnag der Hinweis auf den OLG Nürnberg, Beschl. v. 04.07.2013 – 2 OLG Ss 113/13.

Da war mit dem Pkw des Angeklagten war ein Verkehrsunfall verursacht  worden. Der Fahrer hatte sich nach dem Verkehrsunfall unerlaubt entfernt. Der Angeklagte wird dann von der Polizei als der Halter des Pkw ermittelt und kurze Zeit nach dem Verkehrsunfall von einem Polizeibeamten aufgesucht. Dieser schildert dem Angeklagten, worum es geht, nämlich um einen angeblichen Unfall seines Fahrzeugs, und fragt ihn, wer soeben mit dem Fahrzeug unterwegs gewesen sei. Der Angeklagte räumt daraufhin die Fahrereigenschaft ein. In der Hauptverhandlung lässt sich der Angeklagte dann nicht zur Sache ein. Das AG vernimmt den Polizeibeamten und stellt aufgrund seiner Angaben die Fahrereigenschaft des Angeklagten zum Unfallzeitpunkt fest.

Die Sprungrevision hatte beim OLG Erfolg. Das OLG hat eine Belehrungspflicht des Polizeibeamten bejaht und, da er nicht belehrt hatte, ein Beweisverwertungsverbot angenommen:

„Vorliegend war es seitens des als Zeugen vernommenen Polizeibeamten ermessensfehlerhaft, den Angeklagten vor der Befragung nicht als Beschuldigten zu behandeln und entsprechend zu belehren. Der mögliche Täter war nicht mehr nur in einer nicht näher bestimmten Personengruppe zu suchen sondern der Tatverdacht hatte sich nach der Ermittlung des Angeklagten als Fahrzeughalter bereits auf ihn verdichtet, auch wenn grundsätzlich auch andere Personen als Nutzer des Fahrzeugs des Angeklagten in Betracht kommen (LG Koblenz NZV 2002, 422; AG Bayreuth NZV 2003, 202; Meyer-Goßner, StPO, 55. Auflage, Einleitung Rn. 78). Bei der Ausübung des Ermessens ist auch der gesetzliche Schutzzweck des § 136 Abs. 1 StPO zu berücksichtigen, dass durch die Belehrung gegenüber dem Beschuldigten eindeutig klargestellt werden soll, dass es ihm freisteht, keine Angaben zu machen. Dieses Belehrungsgebot will sicherstellen, dass der Beschuldigte vor der irrtümlichen Annahme einer Aussagepflicht bewahrt wird, zu der er möglicherweise durch die Konfrontation mit dem amtlichen Auskunftsverlangen veranlasst werden könnte (BGHSt 42, 139). Dieser Schutzzweck wird im vorliegenden Fall nur dann gewahrt, wenn der Halter des Kraftfahrzeugs vor seiner Befragung entsprechend belehrt wird.“

Wie gesagt: Belehrung ist eben auch in den Feld-, Wald- und Wiesenfällen von Bedeutung. Hat man als Verteidiger daran gedacht, muss man dann aber auch an den Widerspruch – spätestens in der Hauptverhandlung, dazu nachher mehr – denken (vgl. dazu Burhoff, Handbuch für die strafrechtliche Hauptverhandlung, 7. Aufl. 2013, Rn. 3491 ff.) und dann auch noch in der Revision ausreichend ausreichend vortragen. Dann ist alles gut 🙂 .

Ein kleiner Hinweis noch: An dem OLG-Beschluss freut mich, dass sich das OLG nicht von der etwas „spitzfindigen“ Betrachtungsweise der Generalstaatsanwaltschaft hat beeinflussen lassen. Denn die hatte beantragt, die Revision des Angeklagten als unbegründet zu verwerfen, da kein Beweisverwertungsverbot bestanden habe, da der Polizeibeamte den Angeklagten nicht gefragt habe, ob er, sondern wer soeben mit dem Fahrzeug gefahren sei (s. dazu allerdings auch OLG Zweibrücken StRR 2010, 468 = VRR 2010, 420 = zfs 2010, 589). Von der Art der Fragestellung soll also die Frage des Tatverdachts abhängen?

Der Rocker im Gerichtssaal/-Gerichtsgebäude, oder Kleiderordnung bei Gericht

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Das BVerfG meldet gerade mit seiner PM 25/2012 den BVerfG, Beschl. v. 14.03.2012 – 2 BvR 2405/11 zur (behaupteten) Beeinträchtigung  des Grundsatzes der Öffentlichkeit durch das Verbot des Trages von Motorradwesten im Gerichtsgebäude.

Das hatte der Präsident des LG in Zusammenhang mit einem Verfahren gegen Mitglieder des Hell Angels Club verboten. Der Angeklagte sah darin sein Recht auf ein faires Verfahren verletzt. Das BVerfG hat es jetzt anders gesehen:

Keine Verletzung des Öffentlichkeitsgrundsatzes sondern nur Festlegung von Zugangsmodalitäten.

Rosenmontag: Kamelle, Kamelle…

Für alle die, die gerade vom „Rosenmontagszuggucken“ zurück sind und überlegen, ob sie vielleicht wegen zu starkem „Kamellenbeschuss“ Schadensersatzklage erheben können/sollen/wollen, hier noch einmal der Hinweis auf das AG Köln, Urt. v. 07.01.2011 – 123 C 254/10. In diesem hat das AG einen Schadensersatzanspruch für eine Verletzung durch einen Schokoriegelwurf beim Rosenmontagszug verneint.

Ähnlich das AG Aachen, Urt. v. 10.11.2005, 13 C 250/05. Das AG Aachen geht davon aus, dass es allgemein bekannt sei, dass bei Karnevalsumzügen Gegenstände in die Zuschauermenge geworfen werden. Werde ein Zuschauer von einem solchen Gegenstand getroffen und dadurch verletzt, verwirkliche sich daher ein Risiko, in das der Zuschauer durch seine Teilnahme konkludent eingewilligt habe.

Die Akteneinsichtswelle – kommt sie allmählich bei den OLG an…?

Der Dauerbrenner „Akteneinsicht in die Bedienungsanleitung, ja und wenn ja, wie“ – allmählich kommt er bei den OLG an. Jedenfalls hatte sich jetzt das OLG Celle mit einer Akteneinsichtsfrage auseinanderzusetzen. Diese betraf allerdings noch nicht die Frage nach der Akteneinsicht in die Bedienungsanleitung bzw. das insoweit bestehende „Unterproblem“, auf welche Art und Weise Akteneinsicht zu gewähren ist. Dem OLG Celle, Beschl. v.13.01.2012 . 322 SsRs 420/11 lag ein Verfahren wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung zugrunde, in dem dem Betroffenen nicht Einsicht in die von dem Verkehrsverstoß gefertigte Videoaufzeichnung gewährt worden war (man fragt sich, warum eigentlich nicht). Die Verteidigerin hat das nach § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG als Versagung rechtlichen Gehörs gerügt und hatte damit – erwartungsgemäß – Erfolg. Dazu kurz und trocken das OLG:

Das Amtsgericht hat das Akteneinsichtsrecht und damit den Anspruch des Betroffenen auf rechtliches Gehör verletzt. Gegenstand des Akteneinsichtsrechts nach § 147 Abs. 1 StPO sind die dem Gericht vorliegenden oder ihm im Falle der Anklage gemäß § 199 Abs. 2 Satz 2 StPO vorzulegenden Akten. Das sind die von der Staatsanwaltschaft bzw. der Bußgeldbehörde nach objektiven Kriterien (vgl. § 160 Abs. 2 StPO) als entscheidungserheblich dem Gericht zu präsentierenden Unterlagen. Dazu gehört das gesamte vom ersten Zugriff an gesammelte Beweismaterial, einschließlich etwaiger Bild- und Tonaufnahmen, die gerade in dem gegen den Angeklagten gerichteten Ermittlungsverfahren angefallen sind (zuletzt BGH, Urteil vom 18.6.2009, 3 StR 89/09). Hierzu zählt namentlich eine Videoaufzeichnung des Betroffenen bzw. des von ihm geführten Fahrzeugs zum Nachweis eines Geschwindigkeitsverstoßes.

Nun, nichts knallig Neues, aber immerhin zeigt der Beschluss den Stellenwert des Akteneinsichtsrechts. Darauf kann man aufbauen.

Ende der Öffnungszeiten – bei Gericht

Gerichtsgebäude haben Öffnungszeiten, wie Ladenlokale usw. So weit, so gut. Alles kein Problem. Problematisch wird es nur bzw. kann es werden, wenn außerhalb der Öffnungszeiten verhandelt. Dann kann insbesondere in Straf- und Bußgeldsachen der Grundsatz der Öffentlichkeit (§ 169 GVG) tangiert so sein. So beim LG Lübeck. Dort hatte der Angeklagte in der Revision mit der Verfahrensrüge geltend gemacht, dass das LG „mindestens „in der Zeit von 15.30 Uhr bis zum Schluss der Verhandlung“ unter Ausschluss der Öffentlichkeit verhandelt [hat], weil der Haupteingang des Gerichts ab diesem Zeitpunkt verschlossen gewesen sei. Insbesondere die Urteilsverkündung sei in diesem Zeitraum erfolgt.“

Als Verteidiger bemerkt man Zugangsbeschränkungen nicht unbedingt. Hier war es nach den „Feststellungen“ im BGH, Beschl. v. 28.09.2011 – 5 StR 245/11 – so: „Der Verteidiger habe nach den Schlussvorträgen und dem letzten Wort des Angeklagten in der sich anschließenden Unterbrechung der Hauptverhandlung das Gerichtsgebäude durch den einzigen Zu- und Eingang verlassen. Er sei von Geschäftsstellenmitarbeiterinnen gewarnt worden, die Tür ins Schloss fallen zu lassen, weil sie sich von außen nicht öffnen lasse. Als er zum Gerichtsgebäude zurückgekehrt sei, habe er die Zugangstür verschlossen vorgefunden. Durch Klopfen und Gestikulieren habe er eine weibliche Person auf sich aufmerksam machen können, die ihn dann in das Gerichtsgebäude eingelassen habe; er selbst habe den übrigen Verfahrensbeteiligten kurz vor der Fortsetzung der Verhandlung Einlass gewährt.

Genutzt hat es der Revision allerdings nicht. Der BGH führt aus:

„Nach der Stellungnahme des Präsidenten des Landgerichts vom 7. April 2011 war der Zugangsbereich zum Gericht im Zeitpunkt der Hauptverhandlung aufgrund von Baumaßnahmen verlegt worden. Der Eingangsbereich war mit einer Klingel und Gegensprechanlage versehen. Die Öffnung erfolgte durch die Pförtnerloge. Die Öffnungszeiten waren aus Sicherheitsgründen bis 15.30 Uhr begrenzt. Die in der Pförtnerloge eingesetzten Personen hatten die Anweisung, die Öffentlichkeit trotz verschlossener Tür sicherzustellen, sofern öffentliche Sitzungen über 15.30 Uhr hinaus andauern oder stattfinden. Dies wurde dadurch erreicht, dass der zuständige Pförtner die Außentür für die Dauer der öffentlichen Sitzung im – 4Blick hatte, damit jederzeit Personen, die an einer stattfindenden öffentlichen Sitzung teilnehmen wollten, Einlass gewährt werden konnte.

Eine Verletzung des Öffentlichkeitsgrundsatzes (§ 338 Nr. 6 StPO) ist hierdurch von der Revision nicht hinreichend belegt. Die Hauptverhandlung war zum Zeitpunkt, als der Verteidiger bemerkte, dass die Zugangstür zum Gerichtsgebäude geschlossen war, bereits zum Zwecke der Urteilsberatung unterbrochen. Es ist von der Revision nicht dargetan, dass ein Einlass ab Unterbrechung der Hauptverhandlung nach 15.32 Uhr nicht mehr möglich war. Der Umstand, dass die Zugangstür, wenn sie geschlossen wurde, von außen nicht mehr ohne weiteres geöffnet werden konnte, begründet für sich allein keine Verletzung des Öffentlichkeitsgrundsatzes; hinzukommen muss, dass bei noch fortdauernden öffentlichen Sitzungen trotz der getroffenen Vorkehrungen ein Zugang zum Gerichtsgebäude tatsächlich nicht möglich war, im vorliegenden Fall etwa, dass nach Betätigung der vorhandenen Klingel Einlassbegehrenden die Eingangstür nicht geöffnet wurde. Derartiges wird von der Revision nicht vorgetragen.

Die Rüge wäre jedoch auch deshalb unbegründet, weil die Revision nicht darlegt, dass das Gericht etwaige tatsächliche Hindernisse, die eine Teilnahme der Öffentlichkeit an der Hauptverhandlung beeinträchtigten, bemerkt hat oder hätte bemerken müssen (vgl. BGH, Urteil vom 10. Juni 1966 – 4 StR 72/66, BGHSt 21, 72 mwN). Das Gericht konnte sich ohne gegenteilige Anzeichen darauf verlassen, dass der Einlass der Öffentlichkeit nach 15.30 Uhr zu noch andauernden Hauptverhandlungen durch Beachtung der Anweisung des Präsidenten des Landgerichts an die Bediensteten sichergestellt war.“

Aber: Ein Versuch war es wert.