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StPO II: Verzögerung 6 Jahre, 11 Monate, 2 Wochen, oder: Für ein Verfahrenshindernis nicht langsam genug

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Und dann habe ich hier den BGH, Beschl. v. 17.01.2024 – 2 StR 100/23 – zur Frage der Verfahrensverzögerung und wie man damit umgeht.

Im sog. Rechtsgang ist der Angeklagte durch Urteil vom 19.06.2014 – bei Teileinstellung im Übrigen – wegen Urkundenfälschung in 24 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und vier Monaten verurteilt, von der es drei Monate wegen einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung für vollstreckt erklärt hat. Auf die Revision des Angeklagten hat der BGH dieses Urteil mit Beschluss vom 28. Juli 2015 teilweise u.a. im Ausspruch über die Kompensation für eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. Das LG hat dann zweiten Rechtsgang mit Urteil vom 06.12.2017 erneut verurteilt und angeordnet, dass von der erstgenannten Gesamtfreiheitsstrafe wegen rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung sechs Monate, eine Woche und drei Tage als vollstreckt gelten.

Dagegen die Revision, mit der u.a. ein Verfahrenshindernis aufgrund einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung geltend gemacht wird. Das liegt nach Auffassung des BGH nicht vor.

„1. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs wird ein Verfahrenshindernis begründet durch Umstände, die es ausschließen, dass über einen Prozessgegenstand mit dem Ziel einer Sachentscheidung verhandelt werden darf. Diese müssen so schwer wiegen, dass von ihnen die Zulässigkeit des gesamten Verfahrens abhängig gemacht werden muss (st. Rspr., vgl. BGH, Urteile vom 25. Oktober 2000 – 2 StR 232/00, BGHSt 46, 159, 168 f.; vom 11. August 2016 – 1 StR 196/16, wistra 2017, 108, 109).

Ein Anwendungsfall wird innerhalb dieser Rechtsprechung in der rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung gesehen (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 25. Oktober 2000 – 2 StR 232/00, BGHSt 46, 159). So verletzt eine erhebliche Verzögerung eines Strafverfahrens den Betroffenen in seinem aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) herrührenden Recht auf ein faires rechtsstaatliches Verfahren und zugleich die in Artikel 6 Abs. 1 MRK niedergelegte Gewährleistung, die eine Sachentscheidung innerhalb angemessener Dauer sichern soll (vgl. BGH, Beschluss vom 13. November 2003 – 5 StR 376/03, NStZ 2004, 639, 640 mwN).

Allerdings führt eine Verletzung des Beschleunigungsgebots grundsätzlich nicht zu einem Verfahrenshindernis, sondern ist durch die Feststellung einer rechtsstaatswidrigen Verzögerung und ggf. durch eine Kompensation in Anwendung der sog. Vollstreckungslösung ausreichend berücksichtigt (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 25. Oktober 2000 – 2 StR 232/00, BGHSt 46, 159, 168 f.; vom 11. August 2016 – 1 StR 196/16, wistra 2017, 108, 109; Beschluss vom 17. Januar 2008 – GSSt 1/07, BGHSt 52, 124, 146; vgl. auch EGMR, Urteile vom 13. November 2008 – 10597/03, StV 2009, 519, 521 Rn. 68; vom 20. Juni 2019 – 497/17, NJW 2020, 1047, 1048 Rn. 55). Lediglich in außergewöhnlichen Sonderfällen, wenn eine angemessene Berücksichtigung des Verstoßes im Rahmen der Sachentscheidung bei umfassender Gesamtwürdigung nicht mehr in Betracht kommt, kann eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung ein Verfahrenshindernis begründen, das den Abbruch des Verfahrens rechtfertigen kann (vgl. BGH, Urteile vom 11. August 2016 – 1 StR 196/16, wistra 2017, 108, 109 mwN; vom 6. September 2016 – 1 StR 104/15, wistra 2017, 193, 195 Rn. 30).

2. Ein solch außergewöhnlicher Sonderfall ist vorliegend zu verneinen. Zwar ist festzustellen, dass das Verfahren überlang und insgesamt sechs Jahre, elf Monate und zwei Wochen rechtsstaatswidrig verzögert worden ist. Es genügt jedoch, einen Ausgleich durch eine Kompensationsentscheidung zu gewähren.

a) Dem liegt im Wesentlichen folgender Verfahrensablauf zugrunde:

aa) Bis zum Erlass der angefochtenen Entscheidung liegen nach den durch die Revision nicht beanstandeten Feststellungen und Wertungen des Landgerichts durch die Justizbehörden verursachte Verfahrensverzögerungen von zwei Jahren, vier Monaten und zwei Wochen vor.

Hiernach begannen die Ermittlungen betreffend die aus den Jahren 2004 und 2005 stammenden Taten im Jahr 2007. Im Ermittlungsverfahren fand zwischen dem 28. März 2008 und dem 1. August 2008 über einen Zeitraum von vier Monaten keine Verfahrensförderung statt.

Nach Anklageerhebung durch die Staatsanwaltschaft am 20. Oktober 2009 ließ das Landgericht die Anklage mit Beschluss vom 7. April 2011 zu und eröffnete das Hauptverfahren. Die Hauptverhandlung begann am 3. November 2011. Mit Urteil vom 19. Juni 2014 wurde der Angeklagte wegen Urkundenfälschung in 24 Fällen verurteilt. Mit Beschluss vom 28. Juli 2015 – 2 StR 38/15 (NStZ 2016, 430) hob der Senat das Urteil wie ausgeführt auf.

In der Folge gingen die Akten am 23. Oktober 2015 bei der Staatsanwaltschaft und am 29. Oktober 2015 erneut bei dem Landgericht ein. Der Neubeginn der Hauptverhandlung war für den 5. Juli 2017 vorgesehen. Tatsächlich begann sie aufgrund eines Befangenheitsantrags der Verteidigung vom 4. Juli 2017 erst am 18. Oktober 2017. Die Hauptverhandlung endete mit dem nunmehr angefochtenen Urteil vom 6. Dezember 2017.

bb) Daneben stellt der Senat nach Auswertung des Akteninhalts von Amts wegen eine weitere Verfahrensverzögerung von vier Jahren und sieben Monaten nach Erlass der angefochtenen Entscheidung fest.

(1) Zwar ist eine sich nicht aus den Urteilsgründen ergebende Verletzung des Beschleunigungsgebots im Revisionsverfahren grundsätzlich nur auf eine Verfahrensrüge hin zu prüfen (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 28. Mai 2020 – 3 StR 99/19, juris Rn. 24). Allerdings ist für Verzögerungen nach Urteilserlass ein Eingreifen des Revisionsgerichts von Amts wegen geboten, wenn der Angeklagte diese Gesetzesverletzung nicht form- und fristgerecht rügen konnte (vgl. BGH, Beschluss vom 2. August 2000 – 3 StR 502/00, NStZ 2001, 52; vom 20. Juni 2007 – 2 StR 493/06, BGHR MRK Art. 6 Abs. 1 Satz 1 Verfahrensverzögerung 32; KK-StPO/Lohse/Jakobs, 9. Aufl., MRK, Art. 6 Rn. 38; MüKo-StGB/Maier, 4. Aufl., § 46 Rn. 514; offengelassen durch BGH, Beschluss vom 26. Juli 2023 – 3 StR 506/22, juris Rn. 6).

(2) Davon ausgehend ist nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist eine weitere Verzögerung von vier Jahren und sieben Monaten festzustellen, die auf die erheblich verzögerte Versendung der Verfahrensakten durch die Staatsanwaltschaft an das Revisionsgericht zurückzuführen ist. Die dort vollständig am 9. Juli 2018 eingegangenen Verfahrensakten wurden erst am 8. März 2023 – soweit die Übersendungsverfügung das Datum 8. März 2022 trägt, handelt es sich um ein offenkundiges Schreibversehen – weitergeleitet, weil sie in der Zwischenzeit „außer Kontrolle“ geraten waren. Sie erreichten am 16. März 2023 den Generalbundesanwalt und gingen am 24. April 2023 beim Senat ein. Unter Berücksichtigung einer angemessenen Bearbeitungszeit (vgl. auch § 347 Abs. 1 Satz 2 StPO) und eingedenk des Umstandes, dass Rechtsmittelsachen stets als Eilsachen zu behandeln sind (Nr. 153 RiStBV), ergibt sich hieraus eine rechtsstaatswidrige Verzögerung von vier Jahren und sieben Monaten.

b) Dieser Verfahrensablauf begründet eine unangemessene Verfahrensdauer einschließlich rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerungen von insgesamt sechs Jahren, elf Monaten und zwei Wochen. Es ist jedoch ausreichend, dies durch eine Kompensationsentscheidung auszugleichen.

aa) Die Verfahrensdauer ist für sich genommen unangemessen lang. Seit Bekanntgabe der Vorwürfe an den Angeklagten am 17. März 2008 sind fünfzehn Jahre und elf Monate vergangen.

Zwar darf bei dieser Betrachtung nicht unberücksichtigt bleiben, dass die Gesamtverfahrensdauer auch maßgeblich durch die über zweieinhalb Jahre andauernde Hauptverhandlung bis zum Verfahrensabschluss im ersten Rechtsgang bedingt ist und die Durchführung des Rechtsmittelverfahrens ein weiteres Jahr und vier Monate erforderte.

Gleichwohl übertrifft die Verfahrensdauer die gesetzliche Verfolgungsverjährung von fünf Jahren (§ 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB) mittlerweile um das Doppelte, was auch angesichts rechtlicher und tatsächlicher Schwierigkeiten des gesamten Tatkomplexes – so wurde dem Angeklagten mit Anklage vom 20. Oktober 2009 Steuerhinterziehung in fünfundzwanzig Fällen sowie Urkundenfälschung in sechsundneunzig Fällen zur Last gelegt – unangemessen ist (vgl. BVerfG NJW 1993, 3254, 3255). Auch das Höchstmaß des Regelstrafrahmens von fünf Jahren (§ 267 Abs. 1 StGB; vgl. hierzu OLG Rostock StV 2011, 220, 222) ist in diesem Umfang überschritten. Hinzu treten die dargelegten nicht zu rechtfertigenden Verfahrensverzögerungen durch Justizorgane von nunmehr insgesamt sechs Jahren, elf Monaten und zwei Wochen.

bb) Ein Verfahrenshindernis geht damit jedoch nicht einher.

(1) Dies gilt zunächst für den durch das Landgericht ermittelten Zeitraum, wonach bis zum Erlass der angefochtenen Entscheidung durch Justizorgane verschuldete Verfahrensverzögerungen von zwei Jahren, vier Monaten und zwei Wochen gegeben sind.

Gemessen an den durch das Landgericht festgestellten Belastungen des Angeklagten im Zeitraum vom 26. April 2012 bis Dezember 2012 waren diese im Rahmen der Sachentscheidung zu berücksichtigen und das Landgericht hatte hierfür – wie rechtsfehlerfrei geschehen – eine Kompensationsentscheidung zu treffen.

(2) Nichts Anderes gilt auch bei Berücksichtigung der gesamten Verfahrensdauer einschließlich aller durch die Justizorgane verschuldeten Verfahrensverzögerungen, insbesondere der besonders ins Gewicht fallenden unterlassenen Weiterleitung der Akten an das Revisionsgericht durch die Staatsanwaltschaft.

Insoweit gewinnt zunächst Bedeutung, dass die getroffenen Feststellungen den Schuld- und Rechtsfolgenausspruch der angefochtenen Entscheidung tragen und das Verfahren nunmehr durch die Senatsentscheidung seinen Abschluss findet (vgl. bei einer fast fünfjährigen, willkürlich unterlassenen Aktenübersendung an das Revisionsgericht BGH, Urteil vom 9. Dezember 1987 – 3 StR 104/87, BGHSt 35, 137, 140 f.), die Akten dem Revisionsgericht auch nicht willkürlich vorenthalten wurden, sondern „außer Kontrolle“ geraten waren (vgl. BGH aaO).

Zudem ist weder ersichtlich noch von der Revision konkret vorgetragen, dass der Angeklagte durch das Verfahren besonderen Belastungen ausgesetzt war, die über die allgemeine Dauer des Verfahrens hinausgegangen wären und allein durch eine Einstellung ausgeglichen werden könnten. So befand er sich in dem hiesigen Verfahren zu keinem Zeitpunkt in Untersuchungshaft (vgl. BGH, Beschluss vom 26. Juli 2023 – 3 StR 506/22, juris Rn. 7).

Des Weiteren stand für ihn bereits im Zeitpunkt der Bekanntgabe der Senatsentscheidung vom 28. Juli 2015 rechtskräftig fest, dass er sich in dreizehn (von nunmehr achtzehn) Fällen der Urkundenfälschung schuldig gemacht hat und er hierfür unter anderem eine Freiheitsstrafe von drei Monaten als Einzelstrafe, im Übrigen Geldstrafen von 60 bzw. 90 Tagessätzen verwirkt hatte. Dass darüber hinaus die weiteren Fälle eine Strafbarkeit begründeten, war einerseits aufgrund des Aufhebungsgrundes der nicht ausschließbar fehlerhaften konkurrenzrechtlichen Bewertung in diesen Fällen, andererseits aufgrund des Umstandes, dass nur die Feststellungen zum Gebrauchmachen und nicht des Herstellens der falschen Urkunden aufgehoben wurden, ebenfalls erkennbar. Für den Angeklagten war mithin ersichtlich, dass er trotz der Aufhebung nicht mit einem Teilfreispruch, sondern vielmehr mit einem weiteren Schuldspruch und der Verhängung weiterer Einzelstrafen zu rechnen hatte. Dabei hatte er als alleiniger Revisionsführer stets Gewissheit darüber, dass eine Strafverschärfung ausgeschlossen war (§ 358 Abs. 2 StPO).

In einer Gesamtschau der überlangen Verfahrensdauer einschließlich der durch die Justiz verschuldeten Verzögerungen sowie des Umstands, dass sich die Taten nur im Bereich mittlerer Kriminalität bewegten, andererseits aber der geringen und allgemein bleibenden Belastungssituation des Angeklagten, genügt eine weitere Kompensationsentscheidung.“

Na ja, zumindest etwas, ansonsten: Ohne Worte.

Und dazu heißt es dann:

„b) Schließlich hält auch die Höhe der Kompensation für die festgestellte rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung rechtlicher Nachprüfung stand. Das Landgericht hat nach dem sog. Vollstreckungsmodell (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Januar 2008 – GSSt 1/07, BGHSt 52, 124) zur Entschädigung für die bis Urteilserlass eingetretene rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung von zwei Jahren, vier Monaten und zwei Wochen angeordnet, dass fünf Monate – soweit laut Urteilstenor insgesamt sechs Monate, eine Woche und drei Tage als vollstreckt gelten, ist in diesen Zeitraum ein für vollstreckt erklärter Teil in Höhe von einem Monat, einer Woche und drei Tagen aus einer einbezogenen Vorverurteilung eingeflossen – der verhängten ersten Gesamtfreiheitsstrafe als vollstreckt gelten. Dies hält sich im Rahmen des dem Tatrichter eingeräumten Bewertungsspielraums und ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden (vgl. zum Maßstab BGH, Urteile vom 23. Oktober 2013 – 2 StR 392/13, NStZ-RR 2014, 21; vom 12. Februar 2014 – 2 StR 308/13, NStZ 2014, 599; Beschlüsse vom 1. Juni 2015 – 4 StR 21/15, NStZ 2015, 540; vom 11. August 2016 – 1 StR 196/16, wistra 2017, 108, 110; vom 1. Dezember 2020 – 2 StR 384/20, StV 2021, 355 Rn. 8).

3. Daneben ist das Urteil um eine Kompensation für den nach Urteilserlass eingetretenen und aufgezeigten Konventionsverstoß zu ergänzen.

Diese ist aufgrund des erheblichen Umfangs der Verzögerung so zu bemessen, dass der nach Abzug der bereits durch das Landgericht ausgesprochenen Kompensation und nach Anrechnung (§ 51 Abs. 2 StGB) der bereits vollstreckten und in die Gesamtfreiheitsstrafen einbezogenen Vorstrafen – hierbei handelt es sich um eine Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten sowie eine Gesamtgeldstrafe von 260 Tagessätzen, wobei von dieser wiederum 40 Tagessätze als vollstreckt gelten – verbleibende vollstreckungsfähige Strafrest der beiden Gesamtfreiheitsstrafen als vollstreckt gilt, so dass dem Angeklagten keine weiteren Freiheitsentziehungen drohen.

Dabei ist unbeachtlich, dass diese Art der Kompensation sich – vorbehaltlich der Berechnung durch die Vollstreckungsbehörde – maßgeblich auf die zweite Gesamtfreiheitsstrafe auswirken wird und einen Ausgleich nur bei Widerruf der Strafaussetzung gewähren würde (vgl. EGMR, Urteil vom 20. Juni 2019 – 497/17, NJW 2020, 1047, 1049 Rn. 58).“

Wortreich, aber nicht unbedingt überzeugend. Und sorry für den langen Text. Das liegt an der Länge der Verfahrensdauer 🙂 .

Verfahrenseinstellung wegen Verfolgungsverjährung, oder: Wille des Gesetzgebers

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Und dann vor dem morgigen „Kessel Buntes“ heute noch Gebühren-/Kosten-/Auslagenentscheidungen.

Ich beginne mit dem LG Stuttgart, Beschl. v.28.02.2022 – 6 Qs 1/22. In dem Beschluss geht es um die Einstellung wegen Verfahrenshindernisses. Die materiellen Fragen lasse ich mal außen vor. Hier geht es nur um die Frage der Auslagenerstattung.

Es waren gegen den Angeklagten verschiedene Tatvorwürfe erhoben worden, u.a. wegen Betruges. Insoweit hat das AG das Verfahren wegen Verjährung eingestellt, aber die Auslagenerstattung abgelehnt. Das LG hat diese Entscheidung aufgehoben:

„2. a) Das Verfahrenshindernis der Verjährung liegt hinsichtlich des Tatvorwurfs des Betruges vor. Der Lauf der gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB fünf Jahre betragenden Verjährungsfrist hat mit Vollendung der angeklagten Tat am 11.02.2015 begonnen. Der Lauf der Verjährungsfrist wurde zuletzt durch den Erlass des Beschlusses über die vorläufige Einstellung gemäß § 205 StPO am 01.12.2016 unterbrochen. Mangels anschließender Verjährungsunterbrechung im Sinne von § 78c Abs. 1 Satz 1 Nr. 10 StGB ist mit Ablauf des 30.11.2021 daher Verfolgungsverjährung eingetreten.

Der Eintritt der Verjährung wäre für das Amtsgericht leicht vermeidbar gewesen, indem die Anordnung der Verlängerung der Ausschreibung zur Aufenthaltsermittlung am 15.11.2018 (Bl. 436) durch den Referatsrichter und nicht lediglich, ohne richterliche Anordnung, von der Geschäftsstelle vorgenommen worden wäre. Dass es insoweit an einer richterlichen Anordnung fehlte, ergibt sich daraus, dass die am 01.12.2016 verfügte Wiedervorlage für den 01.12.2018 ausdrücklich nur an die Geschäftsstelle erfolgte und eine Vorlage an den Referatsrichter erst für den 15.11.2021 vorgesehen war (Bl. 411). Selbst wenn eine richterliche Anordnung der Verlängerung der Ausschreibung zur Aufenthaltsermittlung im November oder Dezember 2018 nicht erfolgt wäre, hätte die richterliche Anordnung der Verlängerung der Ausschreibung zur Aufenthaltsermittlung bei fristgerechter Wiedervorlage der Akten am 15.11.2021 noch mit verjährungsunterbrechender Wirkung vorgenommen werden können.

b) Insoweit war jedoch die Entscheidung über die notwendigen Auslagen der Angeklagten abzuändern.

Nach § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO kann das Gericht davon absehen, diese der Staatskasse aufzuerlegen, wenn er wegen einer Straftat nur deshalb nicht verurteilt wird, weil ein Verfahrenshindernis besteht. Voraussetzung hierfür ist, dass bei Hinwegdenken des Verfahrenshindernisses mit Sicherheit von einer Verurteilung auszugehen ist. Teilweise wird auch ein niedrigerer Verdachtsgrad als ausreichend erachtet (KK-StPO/Gieg, § 467 Rn. 10a m.w.N.). Insoweit kann eine Entscheidung aber dahinstehen.

Denn jedenfalls im Rahmen der zu treffenden Ermessensentscheidung verbleibt es bei der Auslagenerstattung durch die Staatskasse. Auf den Umstand, dass ohne das Verfahrenshindernis eine Verurteilung erfolgt wäre oder ein bestimmter Verdachtsgrad vorlag, kann dabei nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes nicht mehr abgestellt werden, da dies bereits tatbestandliche Voraussetzung des § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO ist (BVerfG, NJW 2017, 2459; BGH, NStZ-RR 2018, 294, 295 f.). Erforderlich ist vielmehr, dass zum Verfahrenshindernis als alleinigem eine Verurteilung hindernden Umstand weitere besondere Umstände hinzutreten, die es billig erscheinen lassen, die Auslagenerstattung zu versagen (BVerfG, a.a.O.). Auf die dem Verfahren zugrundeliegende Tat, etwa die Schwere der Schuld, darf dabei ebenfalls nicht abgestellt werden (BGH, a.a.O.).

Im Ergebnis kann daher ein Abweichen vom Regelfall der Auslagenerstattung nur bei strafprozessual vorwerfbarem Verhalten des Angeklagten gerechtfertigt werden (KK-StPO/Gieg, a.a.O. Rn. 10b). Derartiges ist vorliegend aber – insbesondere unter Berücksichtigung des unter a) geschilderten Verfahrensganges – nicht ersichtlich.

Dass bei Beachtung dieser Grundsätze § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO nur in seltenen Ausnahmefällen anwendbar ist, entspricht dem Willen des Gesetzgebers (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 64. Auflage 2021, § 467 Rn. 18).“

StPO I: Fehlen eines wirksamen Eröffnungsbeschlusses?, oder: Ggf. Verfahrenshindernis?

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Der Tag heute ist drei StPO-Entscheidungen gewidmet. Den Auftakt mache ich mit dem BGH, Beschl. v. 05.08.2020 – 3 StR 194/20. Problematik: Ist/war die Anklage zur Hauptverhandlung zugelassen oder ist das „versäumt“ worden und besteht deshalb ggf. ein Verfahrenshindernis. Die Frage beschäftigt die Revisionsgerichte ja immer wieder, vor allem in den Fällen der Übernahme von Verfahren und/oder der Verbindung. So auch hier.

Der BGH bejaht aber das Vorliegen eines wirksamen Eröffnungsbeschlusses:

„Die Verfahrensvoraussetzung eines wirksamen Eröffnungsbeschlusses liegt hinsichtlich aller fünf vom Landgericht unter II. festgestellten Fälle vor, obwohl die Strafkammer die den Fällen 1 bis 3 jeweils zugrundeliegenden Anklagen nicht ausdrücklich zur Hauptverhandlung zugelassen hat.

Folgendes Verfahrensgeschehen liegt zugrunde:

Die Staatsanwaltschaft hat gegen den Angeklagten eine Vielzahl von Anklagen beim Amtsgericht erhoben. Dieses hat einen Großteil der einzelnen Verfahren zu einem führenden Verfahren verbunden, darunter die hiesigen Fälle 1 bis 3. Das führende Verfahren hat es nebst den verbundenen Sachen und weiteren einzelnen, noch nicht hinzuverbundenen Verfahren, darunter die die hiesigen Fälle 4 und 5 betreffenden, dem Landgericht zur Übernahme übersandt.

Die Strafkammer hat unter dem 5. Dezember 2019 das führende Verfahren übernommen und eröffnet, wobei es nur die diesem zugrundeliegende, einen weiteren Tatvorwurf betreffende Anklage gemäß § 207 Abs. 1 StPO ausdrücklich bezeichnet hat. Die Anklagen der hinzuverbundenen Verfahren, darunter die die Fälle 1 bis 3 betreffenden, finden in dem Beschluss keine Erwähnung. Daneben hat es die weiteren, bis dahin separaten Verfahren, darunter die die hiesigen Fälle 4 und 5 betreffenden, übernommen, zum führenden Verfahren verbunden und die zugrundeliegenden Anklagen jeweils zur Hauptverhandlung zugelassen.

Zum ersten Hauptverhandlungstag ist der Angeklagte nicht erschienen. Die mit drei Richtern besetzte Strafkammer hat daraufhin gemäß § 230 Abs. 2 StPO einen Haftbefehl erlassen, in welchem die dem Angeklagten vorgeworfenen Taten im Einzelnen aufgeführt sind. Darunter finden sich alle später als Fälle 1 bis 5 festgestellten Tatvorwürfe.

Damit hat das Landgericht insgesamt hinreichend dokumentiert, dass es die Eröffnungsvoraussetzungen auch für die den Fällen 1 bis 3 zugrundeliegenden Anklagen geprüft und angenommen hat. Zwar ist aus Gründen der Rechtsklarheit bei verbundenen Strafsachen grundsätzlich ausdrücklich schriftlich über die Eröffnung hinsichtlich jeder einzelnen Anklage zu entscheiden; der Verbindungsbeschluss allein bewirkt die Eröffnung in der Regel auch dann nicht, wenn das führende Verfahren bereits eröffnet ist oder – wie hier – später eröffnet wird (vgl. BGH, Beschlüsse vom 16. August 2017 – 2 StR 199/17, NStZ 2018, 155; vom 4. August 2016 – 4 StR 230/16, NStZ 2016, 747; HansOLG Hamburg, Beschluss vom 4. April 2019 – 2 Rev 7/19, juris Rn. 16 f.). Zur Eröffnung des Hauptverfahrens genügt jedoch die schlüssige und eindeutige Willenserklärung des Gerichts, die Anklage nach Prüfung und Bejahung der Eröffnungsvoraussetzungen zur Hauptverhandlung zuzulassen. In Fällen, in denen das den Eröffnungsbeschluss enthaltende Schriftstück diesen Willen nicht sicher erkennen lässt, kann aus anderen Urkunden oder Aktenbestandteilen eindeutig hervorgehen, dass die zuständigen Richter die Eröffnung des Hauptverfahrens tatsächlich beschlossen haben (st. Rspr.; s. BGH, Beschluss vom 17. September 2019 – 3 StR 229/19, NStZ 236 f. mwN). Zu solchen Urkunden zählt gegebenenfalls ein Haftbefehl (vgl. BGH, Beschluss vom 5. Februar 1998 – 4 StR 606/97, NStZ-RR 1999, 14, 15).

Die letztgenannten Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall erfüllt. Denn die Strafkammer hat schon durch ihre Beschlüsse vom 5. Dezember 2019 zu erkennen gegeben, dass sie sich des Erfordernisses der Eröffnung jeder einzelnen Anklage bewusst gewesen ist. Dies zeigt sich daran, dass sie hinsichtlich der separaten, noch nicht hinzuverbundenen Sachen eigenständige Eröffnungsentscheidungen getroffen hat. Daneben hat der Vorsitzende bei der Terminierung der Hauptverhandlung Zeugen auch für die bereits durch das Amtsgericht zum führenden Verfahren hinzuverbundenen Strafsachen geladen. Maßgebend kommt hinzu, dass das Landgericht in voller Kammerbesetzung gemäß § 230 Abs. 2 StPO einen Haftbefehl gegen den Angeklagten erlassen hat. In diesem hat es im Einzelnen angeführt, welcher Taten der Angeklagte „hinreichend verdächtig und angeklagt“ ist. Darunter befinden sich auch die später als Fälle 1 bis 3 festgestellten Tatvorwürfe.“

Die Frage muss man als Verteidiger im Blick haben. Sie muss man zwar nicht rügen, da sie von Amts wegen  zu prüfen ist, es empfiehlt sich aber immer, das Revisionsgericht ggf. darauf hinzuweisen.

StPO I: Fehlender Eröffnungsbeschluss, oder: Verfahrenshindernis

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Heute Verfahrensrecht, aber mal nicht vom BGH, sondern von den OLG.

Und ich starte – quasi zum Warmwerden – dann hier der OLG Köln, Beschl. v. 30.06.2020 – III-1 RVs 127/20. Der Angeklagte ist wegen verschiedener Delikte verurteilt worden. Wegen einer Anklage, die dieser Veruretilung zugrunde liegt, hat das OLG gem. § 206a StPO eingestellt. Es fehlte der Eröffnungsbeschluss:

„1. Hinsichtlich der von der Anklage vom 21. Februar 2019 (332 Js 92/19) erfassten Taten war das Verfahren war gemäß § 206 a StPO einzustellen, weil es an der Ver­fah­rens­vor­aus­setzung eines Er­öffnungsbeschlusses fehlt.

Das Vorliegen der Verfahrensvoraussetzungen hat das Revisionsgericht auf die zulässige Revision von Amts wegen im Freibeweisverfahren zu prüfen (BGH NJW 1968, 2253; Kuckein, in: Karlsruher Kommentar, StPO, 8. Aufl., § 337 Rdnr. 25 m. w. Nachw.). Wenn diese Prüfung ergibt, dass ein Eröffnungsbeschluss fehlt, zwingt dies zur Einstellung des Verfahrens (BGHSt 10, 278 [279]; BGH StV 1983, 2; BGH NStZ 1986, 276; SenE v. 16.06.2020 – III-1 Rs 120/20; SenE v. 24.10.2000 – Ss 329/00 – = VRS 99, 431 [433] = StraFo 2001, 200; SenE v. 21.01.2003 – Ss 456/02 – = VRS 104, 364 [365] = NStZ 2004, 281; SenE v. 14.11.2003 – Ss 435/03 -; Meyer-­Goß­ner/Schmitt, StPO, 63. Aufl., § 203 Rdnr. 4 m. w. Nachw.).

Ein Beschluss des Amtsgerichts, durch den die Anklageschrift der Staatsan­waltschaft Köln vom 21. Februar 2019 ? 332 Js 92/19 ? gegen den Revisionsführer zur Hauptverhandlung zugelassen und das Hauptverfahren eröffnet wurde, ist in den Akten nicht vorhanden.

Die fehlende Eröffnungsentscheidung ist auch nicht durch andere Beschlüs­se oder Vorgänge im Rahmen des amtsgerichtlichen Verfahrens ersetzt wor­den. Zwar kann ein (konkludenter) Eröffnungs­beschluss auch in einer anderen, vor Erlass des erstinstanzlichen Urteils schriftlich ergangenen Entscheidung gesehen werden, der eine schlüssige und eindeutige Willenserklärung des Gerichts, die Anklage unter den Voraussetzungen des § 203 StPO zuzulassen, unter gleich­zeitiger Würdigung des hinreichenden Tatverdachts, zweifelsfrei entnommen werden kann (vgl. BGH, NStZ 1987, 239; BGH, NStZ 1988, 236; BGH, NStZ?RR 2011, 150 m. w. N., zitiert nach juris; Senat in ständiger Rechtsprechung, vgl. nur SenE v. 16.06.2020 – III-1 RVs 120/20; SenE v.  11.08.2009 ? 81 Ss 35/09; Stuckenberg in LR, StPO, 26. Auflage, § 207 Rdnr. 54).

Vorliegend lassen weder die Übernahme- und Verbindungsentscheidung vom 25. Juni 2019 nebst an den sachverständigen gerichtetem Begleitschreiben (Bl. 167 ff. d. A.) noch die amtsgerichtlichen Verfügungen vom 20. und 30. August 2019 (Bl. 212 ff. und 218 ff. d. A.) noch das Hauptverhandlungsprotokoll vom 26. September (Bl. 234 ff. d. A.) und 7. Oktober 2019 (Bl. 238 ff. d. A.) eine sachliche Prüfung der Zulassungsvoraussetzungen und Bejahung des hinreichenden Tatverdachts bezüglich der angeklagten Delikte erkennen. Auch der Haftbefehl vom 28. März 2019 betrifft nur die im führenden Verfahren  332 Js 130/19 angeklagten Taten.

Dass der Angeklagte das amtsgerichtliche Urteil nur hinsichtlich der Aussetzungsentscheidung angefochten hat, steht der Einstellung nicht im Wege. Es genügt, wenn das Verfahren nur noch etwa wegen der Frage der Strafaussetzung zur Bewährung oder einer anderen Nebenfolge rechtshängig ist (OLG Hamburg VRS 107, 449; Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 337 Rz. 6 m. N.).

Bei dieser Sachlage verschlägt es auch nichts, dass das Amtsgericht die Verurteilung wegen „Verstoßes gegen das Waffengesetz in Tateinheit mit Bedrohung“ bei nur einer abgeurteilten Tat zweimal in den Tenor aufgenommen und das Landgericht dies durch die Verwerfung der Berufung ohne klarstellenden Zusatz bestätigt hat.“

Main stream 🙂 .

Anklage III: Keine Mitteilung der Anklageschrift, oder: Verfahrenshindernis?

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Und zum Tagesschluss dann noch der BGH, Beschl. v. 13.05.2020 – 4 StR 533/19 – zur Frage: Stellt die unterbliebene Mitteilung der Anklageschrift ein Verfahrenshindernis dar? Der BGh sagt nein:

„Ein Verfahrenshindernis besteht – anders als die Beschwerdeführerin meint – nicht. Ein solches ergibt sich nicht daraus, dass der Angeklagten und ihrem damaligen Verteidiger zunächst versehentlich nicht die Anklageschrift vom 5. April 2011 mitgeteilt worden war, sondern Abschriften eines anderslautenden Entwurfs der Anklage, die sich lose in den Akten befunden hatten; dieses Versehen war erst nach Eröffnung des Hauptverfahrens bemerkt worden. Danach verfügte der Vorsitzende die Zustellung der Anklage vom 5. April 2011 an die Verfahrensbeteiligten. Die Eröffnung des Hauptverfahrens wurde nicht wiederholt.

Die unterbliebene Mitteilung der Anklageschrift begründet kein Verfahrenshindernis und führt insbesondere nicht zur Unwirksamkeit des Eröffnungsbeschlusses ( BGH, Beschluss vom 19. April 1985 – 2 StR 317/84 , BGHSt 33, 183 ; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 2. Juli 2003 – III-2 Ss 88/03, NJW 2003, 2766; MK-StPO/Wenske, 1. Aufl., § 201 Rn. 2; LR-StPO/Stuckenberg, 27. Aufl., § 201 Rn. 44), da der Verstoß gegen § 201 StPO im weiteren Verfahren durch Nachholung der Mitteilung noch kompensiert werden kann (vgl. BGH, Beschluss vom 3. Dezember 1981 – 4 StR 564/81 ; KG, Beschluss vom 14. Oktober 2015 – 4 Ws 78/15; KK-StPO/Schneider, 8. Aufl., § 201 Rn. 11; MK-StPO/Wenske, aaO, Rn. 35). Dies ist im vorliegenden Fall geschehen.“