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BGH II: Unzulänglicher Strafbefehl, oder: Kein Verfahrenshindernis

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Die zweite Entscheidung, des Tages, der BGH, Beschl. v. 13.03.2019 – 2 StR 380/18 – behandelt eine interessante Frage betreffend das Verfahrenshindernis der anderweietigen Rechtshängigkeit. Das LG hat den Angeklagten wegen unerlaubten bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge sowie wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge „in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz einer halbautomatischen Kurzwaffe, unerlaubtem Besitz von Munition und unerlaubter Überlassung einer halbautomatischen Kurzwaffe“ verurteilt. Hiergegen hat der Angeklagte u.a. ein Verfahrenshindernis geltend gemacht. damit hatte er keinen Erfolg:

„2. Das von der Revision geltend gemachte Verfahrenshindernis einer anderweitigen Rechtshängigkeit im Fall II.1 der Urteilsgründe, betreffend die Tat vom 12. Dezember 2015, besteht nicht.

a) Dem liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:

Mit dem am 8. Februar 2016 – antragsgemäß – erlassenen Strafbefehl war dem Beschwerdeführer zur Last gelegt worden, gegen „§§ 52 Abs. 3 Nr. 8, 42 Abs. 1, 2 Abs. 3 WaffG“ verstoßen zu haben, indem er „am 12.12.2015 in O. einer vollziehbaren Anordnung nach § 41 Abs. 1 Waffengesetz zuwider“ ein Einhandmesser bei sich getragen habe, obwohl ihm der Besitz von Waffen jeglicher Art verboten gewesen sei. Nachdem der Angeklagte hiergegen fristwahrend und unbeschränkt Einspruch eingelegt hatte, stellte das Amtsgericht das Strafbefehlsverfahren auf Antrag der Staatsanwaltschaft durch Beschluss vom 7. Juni 2016 im Hinblick auf Fall 1 der dem hiesigen Verfahren zugrundeliegenden Anklageschrift vom 22. März 2017 nach § 154 Abs. 2 StPO ein. Darin wird dem Beschwerdeführer vorgeworfen, am „12.12.2015 in der Gaststätte ‚S. ‘ in der K. straße in O. “ mit – näher beschriebenen – Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge Handel getrieben zu haben, wobei sich in einer Schublade der Gaststätte sowie in seiner linken Jackentasche jeweils ein Einhandmesser befunden habe. Unter dem 7. September 2017 erklärte die Staatsanwaltschaft gegenüber dem Amtsgericht Offenbach am Main die Rücknahme ihres Strafbefehlsantrags (Bl. 1041 d.A.).

b) Der Strafbefehl konnte – was der Senat im Freibeweisverfahren geklärt hat (vgl. BGH, Beschlüsse vom 30. März 2001 – StB 4 u. 5/01, BGHSt 46, 349, 351 ff. und vom 22. August 2001 – 5 StR 431/00, NStZ 2001, 656, 657; Urteil vom 1. August 2018 – 3 StR 651/17, BeckRS 2018, 33425) – hier keine anderweitige Rechtshängigkeit der verfahrensgegenständlichen Tat bewirken, da er – entgegen der Annahme von Generalbundesanwalt und Landgericht – auf einen unwirksamen Strafbefehlsantrag der Staatsanwaltschaft Darmstadt hin erlassen worden war. Dem liegen folgende rechtliche Erwägungen zugrunde:

aa) Die Anklageschrift hat die dem Angeklagten zur Last gelegte Tat sowie Zeit und Ort ihrer Begehung so genau zu bezeichnen (§ 264 StPO), dass die Identität des geschichtlichen Vorgangs klargestellt und erkennbar wird, welche bestimmte Tat gemeint ist (§ 200 Abs. 1 Satz 1 StPO); sie muss sich von anderen gleichartigen Handlungen desselben Täters unterscheiden lassen (Umgrenzungsfunktion – st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteile vom 11. Januar 1994 – 5 StR 682/93, BGHSt 40, 44, 45 und vom 25. September 2014 – 4 StR 69/14, BGHR StPO § 154 Abs. 2 Verfahrenshindernis 1; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 61. Aufl., § 200 Rn. 7; KK-StPO/Schneider, 8. Aufl., § 200 Rn. 3 jeweils mwN). Dabei muss die Schilderung umso konkreter sein, je größer die allgemeine Möglichkeit ist, dass der Angeklagte verwechselbare weitere Straftaten gleicher Art verübt hat (vgl. u. a. BGH, Beschluss vom 8. August 1996 – 4 StR 344/96, BGHR StPO § 200 Abs. 1 Satz 1 Tat 20). Die Identität des geschichtlichen Vorgangs muss feststehen; es darf kein Zweifel über die verfahrensgegenständlichen Taten im prozessualen Sinn eintreten. Welche Angaben hierfür erforderlich sind, lässt sich allerdings nicht für alle Fälle in gleicher Weise sagen. Die einzelnen Faktoren der Tatkonkretisierung können von Fall zu Fall unterschiedliches Gewicht besitzen und durch größere Genauigkeit jeweils anderer Umstände ersetzt oder verdrängt werden (vgl. BGH, Urteile vom 11. Januar 1994 – 5 StR 682/93, BGHSt 40, 44, 45 ff. und vom 29. Juli 1998 – 1 StR 94/98, BGHSt 44, 153, 155). Fehlt es an einer hinreichenden Konkretisierung, so ist die Anklage unwirksam (vgl. nur BGH, Urteile vom 11. Januar 1994 – 5 StR 682/93, BGHSt 40, 44, 45; vom 22. August 2001 – 5 StR 431/00, NStZ 2001, 656, 657; Senat, Urteil vom 28. April 2006 – 2 StR 174/05, NStZ 2006, 649 f.; BGH, Urteile vom 28. Oktober 2009 – 1 StR 205/09, NJW 2010, 308 und vom 9. August 2011 – 1 StR 194/11, BeckRS 2011, 21849; ferner KK-StPO/Schneider, aaO).

bb) Dies gilt gleichermaßen für den Antrag auf Erlass eines Strafbefehls. Durch ihn wird – von § 407 Abs. 1 Satz 4 StPO gesetzlich klargestellt – im Strafbefehlsverfahren die öffentliche Klage erhoben (§ 170 Abs. 1 StPO); die Antragsschrift steht der Anklageschrift gleich (vgl. BT-Drucks. 10/1313, S. 35; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 26. Mai 1988 – 3 Ws 85/87, JR 1989, 435, 437 mit Anm. Rieß; OLG Stuttgart, Beschluss vom 12. Juli 1996 – 2 Ss 292/96, NJW 1996, 2879; OLG Oldenburg, Beschluss vom 15. August 2006 – Ss 247/06 [I 80], BeckRS 2006, 09761; OLG Nürnberg, Beschluss vom 22. Februar 2012 – 1 St OLG Ss 240/11, BeckRS 2012, 5180; BayObLG, Beschluss vom 9. Februar 2001 – 5 St RR 21/01, StV 2002, 356; OLG Karlsruhe, Urteil vom 26. April 2004 – 1 Ss 189/04, StV 2005, 598). Nach antragsgemäßem Erlass des Strafbefehls übernimmt dieser für die Hauptverhandlung die Funktion des Eröffnungsbeschlusses (vgl. BT-Drucks. aaO; ferner nur Meyer-Goßner/Schmitt, aaO, § 411 Rn. 3; KK-StPO/Maur, aaO, § 411 Rn. 8), so dass mit Blick auf diese Funktionsgleichheit und auch zur Bestimmung des Umfangs einer möglichen späteren Rechtskraft an die unerlässliche Tatkonkretisierung im Strafbefehlsverfahren (vgl. § 409 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StPO) regelmäßig keine geringeren Anforderungen als an den Anklagesatz zu stellen sind.

c) Hieran gemessen erweist sich der Strafbefehlsantrag wegen fehlender tatkonkretisierender Angaben als unwirksam. Die für sich genommen bereits wenig spezifisch beschriebene Tathandlung wird hier weder durch konkrete Angaben zum Tatort noch durch solche zu einer näher bestimmten Tatzeit individualisiert. Der Antrag beschränkt sich insoweit auf die Mitteilung des Namens einer Großstadt und eines Datums. Auch die gebotene Gesamtschau von Anklagesatz und sonstigem Inhalt des Strafbefehlsantrags ermöglicht hier keine Tatkonkretisierung. Die mitgeteilten angewendeten Vorschriften sind widersprüchlich. Ihnen ist ausdrücklich der Tatvorwurf nach § 52 Abs. 3 Nr. 8 WaffG zu entnehmen; zugleich scheinen sie allerdings auch auf § 52 Abs. 3 Nr. 9 WaffG Bezug zu nehmen und damit ein vollständig anderes Tatgepräge – Führen von Waffen bei öffentlichen Veranstaltungen (§ 42 WaffG) – nahezulegen. Individualisierende Hinweise sind schließlich auch der Angabe zum Augenscheinsobjekt in der Beweismittelliste nicht zu entnehmen („Einhandmesser“).

d) Auf die – angesichts dessen auch nicht mit der notwendigen Sicherheit zu beantwortende – Frage, ob Fall II.1 der Urteilsgründe und das Strafbefehlsverfahren die nämliche Tat zum Gegenstand haben (§ 264 StPO), kommt es deshalb hier nicht an. Ebenso ohne Bedeutung ist die – vom Landgericht bejahte (UA S. 24 f.) – Frage, ob die Staatsanwaltschaft trotz vorläufiger Einstellung des Strafbefehlsverfahrens und ohne vorherige Wiederaufnahme des Verfahrens (vgl. § 154 Abs. 5 StPO) ihren Antrag auf Erlass eines Strafbefehls wirksam zurücknehmen konnte (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Februar 1990 – 5 StR 48/90, BGHSt 36, 361, 363).“

OWI III: Verfahrenseinstellung nach Verstoß gegen das PAuswG, oder: Kleines Schmankerl

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Und als dritte OWi-Entscheidung dann der AG Schleswig, Beschl. v. 19.11.2018 – 53 OWi 24000/18, den mir der Kollege Baur aus Flensburg übersandt hat. Es handelt sich um ein kleiner Schmankerl, nämlich Einstellung des Verfahrens nach § 47 Abs. 2 OWiG, weil die Verwaltungsbehörde gegen die Vorschriften des PAuswG verstoßen hat. Begründung:

„Das Verfahren ist aus Opportunitätsgründen einzustellen, da vorliegend ein erheblicher Verstoß der Bußgeldbehörde gegen datenschutzrechtliche Bestimmungen vorliegt. Dieser führt zwar nicht zu einem Verfahrenshindernis oder einem Beweisverwertungsverbot und lässt auch nicht den staatlichen Strafanspruch entfallen, allerdings führt die Umgehung der Vorgaben des PAuswG dazu, dass die Sanktionierung mit einem Fahrverbot und einem Bußgeld mit der Rechtsordnung unvereinbar wäre (so auch AG Landstuhl Beschluss vom 26.10.2015 – 2 Owi 4286 Js 7129/15).

Der Betroffene überschritt am pp. um pp. in Sieverstedt, A7 KM 21,750 in Richtung Hamburg mit dem auf die pp. (Flensburg) zugelassenen PKW pp. die zulässige Höchstgeschwindigkeit um 25 km/h (nach Toleranzabzug). Die Bußgeldstelle richtete daraufhin an die pp. einen Zeugenbefragungsbogen. Dieser war unter Angabe des Namens und der pp. des Betroffenen rückläufig. An diese Anschrift ging dann ein entsprechender Anhörungsbogen und später ein Bußgeldbescheid. Nachdem der Betroffene durch seinen Verteidiger Einspruch gegen den Bußgeldbescheid eingelegt hatte forderte die Bußgeldstelle eine vergrößerte Kopie des Fotos aus dem Personalausweis- oder Passregister der Stadt Flensburg an. Wegen der Einzelheiten wird auf die Akte Bezug genommen (BI. 20 d.A.). Anderweitige Ermittlungsmaßnahmen, insbesondere eine Halterfeststellung durch die Polizei wurden nicht betrieben. Ebenso erfolgte kein Abgleich mit dem Foto des Betroffenen auf der Homepage der

Durch dieses Vorgehen hat die Bußgeldbehörde die Vorgaben der §§ 22 Abs. 2 PassG, 24 Abs. 2 PAuswG umgangen. Die Personalausweisbehörde darf die Daten aus dem Pass- bzw. Personalausweisregister nur unter den einschränkenden Vorgaben des § 24 Abs. 2 Nr. 1-3 PAuswG übermitteln. Das ist insbesondere nur dann der Fall, wenn die ihr obliegenden Aufgaben nicht anders erfüllen kann und den Betroffenen nicht anders ohne unverhältnismäßigen Aufwand zu ermitteln (Ziff.3). Vorliegend ist in keiner Weise ersichtlich, dass die Ermittlung der Person des Betroffenen nicht auch anderweitig möglich gewesen. Erfolgversprechend wäre mit großer Sicherheit die Ermittlung des Betroffenen an der Kanzleianschrift durch die Polizei gewesen. Für einen Freispruch des Betroffenen bleibt vorliegend aber kein Raum, da der staatliche Strafanspruch gegenüber dem Betroffenen vor Abgabe des Verfahrens nicht verwirkt war, denn es wäre möglich gewesen die Maßnahme nachträglich zu legalisieren. Da bereits der Verstoß der Behörde gegen interne Richtlinien eine Einstellung nach § 47 Abs. 2 OWiG rechtfertigen kann, muss dies erst Recht gelten, wenn die Behörde gegen Vorgaben des PAuswG verstößt. Denn diese sind Ausdruck des verfassungsrechtlich garantierten Anspruches der Bürger auf informationelle Selbstbestimmung. Eine vorherige Zustimmung der Staatsanwaltschaft war vorliegend gemäß § 47 Abs. 2 OWiG nicht notwendig, da das Bußgeld geringer als 100,00 EUR ausgefallen ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 464, 467 Abs. 1 und 4 StPO, 46 Abs. 1 OWiG. Es erscheint vorliegend angemessen, dass der Betroffene seine Auslagen selbst trägt. Denn vorliegend liegt lediglich ein einzelner Verstoß gegen das PAuswG vor, sodass nicht von einer systematischen Umgehung des PAuswG auszugehen ist.“

Die Kostentragungspflicht wird der Betroffene verschmerzen können 🙂 .

Tatbegriff im Steuerstrafverfahren, oder: Kein Strafklageverbrauch

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Im weitesten Sinn auch mit der Anklage befasst sich der BGH, Beschl. v. 20.12.2017 – 1 StR 464/17. Es geht um die häufig mit der die Anklage zusammenhängende Frage des Strafklageverbrauchs. Das LG hat den Angeklagten wegen Steuerhinterziehung verurteilt. Dagegen macht der Angeklagte das Verfahrenshindernis „Strafklageverbrauch“ geltend. Kein Erfolg, sagt der BGH:

„1. In Bezug auf den Angeklagten ist durch das Urteil des Amtsgerichts Stuttgart vom 30. März 2011, durch das er wegen Steuerhinterziehung in zwei Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe verurteilt wurde, kein Strafklageverbrauch aufgrund rechtskräftiger Aburteilung und damit kein Verfahrenshindernis eingetreten. Dieser Verurteilung lagen andere prozessuale Taten (§ 264 StPO) zugrunde als den hier verfahrensgegenständlichen.

a) Im Steuerstrafverfahren gilt grundsätzlich kein vom allgemeinen Strafverfahren abweichender Verfahrensgegenstandsbegriff. Auch hier ist Tat im prozessualen Sinne gemäß § 264 StPO der vom Eröffnungsbeschluss betroffene geschichtliche Lebensvorgang einschließlich aller damit zusammenhängenden oder darauf bezogenen Vorkommnisse und tatsächlichen Umstände, die geeignet sind, das in diesen Bereich fallende Tun des Angeklagten unter irgendeinem rechtlichen Gesichtspunkt als strafbar erscheinen zu lassen. Zu dem von der Anklage und dem darauf bezogenen Eröffnungsbeschluss erfassten einheitlichen geschichtlichen Vorgang gehört dementsprechend alles, was mit diesem nach der Auffassung des Lebens einen einheitlichen Vorgang bildet. Maßgeblich sind insoweit die tatsächlichen Verhältnisse des Einzelfalls (st. Rspr.; siehe nur BGH, Beschluss vom 9. Dezember 2015 – 1 StR 256/15, NStZ 2016, 296, 298 mwN).

b) Gegenstand der rechtskräftigen Aburteilung durch das Amtsgericht waren die inhaltlich unrichtigen Körperschaft- und Gewerbesteuererklärungen für die GmbH in den Veranlagungszeiträumen 2001 und 2002, die der Angeklagte an näher festgestellten Tagen in den Jahren 2002 und 2003 abgegeben hatte. Die auf die Veranlagungszeiträume 2003 bis 2007 bezogenen, die vorgenannten Steuerarten betreffenden Steuererklärungen weisen unter keinem für den einheitlichen geschichtlichen Lebensvorgang maßgeblichen Aspekt Umstände auf, die Identität mit den bereits abgeurteilten Taten herstellen. Ebenso fehlt es vorliegend an „besonderen rechtlichen Verknüpfungen“ die – unter Modifikation des sonst für die prozessuale Tatidentität Maßgeblichen – ausnahmsweise zeitlich auseinanderfallende Verletzungen unterschiedlicher steuerlicher Erklärungspflichten zu einer einheitlichen Tat im prozessualen Sinne verbinden können (dazu BGH aaO NStZ 2016, 296, 298 f.). Wie der Generalbundesanwalt zutreffend aufgezeigt hat, würde auch ein möglicherweise bereits bei den die Veranlagungszeiträume 2001 und 2002 betreffenden Taten bestehender Entschluss zukünftig im Rahmen einer „Gesamthinterziehungstrategie“ Steuern hinterziehen zu wollen, keine prozessuale Tatidentität mit den hier verfahrensgegenständlichen Taten begründen (vgl. BGH, Urteil vom 22. Mai 2012 – 1 StR 103/12, NStZ 2012, 637, 639 Rn. 41). Ohnehin können eine einheitliche Motivationslage oder ein „Gesamtplan“ grundsätzlich nicht unterschiedliche materiell-rechtliche Taten zu einer einheitlichen Tat im prozessualen Sinne zusammenführen (vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 24. Juli 1987 – 3 StR 36/87, BGHSt 35, 14, 19 f. und vom 20. Dezember 1995 – 5 StR 412/95, StV 1996, 432, 433; näher Radtke in Radtke/Hohmann, StPO, § 264 Rn. 24 mwN). Liegen – wie hier – mehrere sachlich-rechtlich selbständige Taten vor, bilden diese nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs lediglich dann eine einheitliche Tat im prozessualen Sinne, wenn die einzelnen Handlungen nicht nur äußerlich ineinander übergehen, sondern nach den ihnen zugrundeliegenden Ereignissen bei natürlicher Betrachtung unter Berücksichtigung ihrer strafrechtlichen Bedeutung auch innerlich derart unmittelbar miteinander verknüpft sind, dass der Unrechts- und Schuldgehalt der einen Handlung nicht ohne die Umstände, die zu der anderen Handlung geführt haben, richtig gewürdigt werden kann und ihre getrennte Würdigung und Aburteilung in verschiedenen Verfahren als unnatürliche Aufspaltung eines einheitlichen Lebensvorgangs empfunden würde (siehe nur BGH, Beschluss vom 4. September 2013 – 1 StR 374/13, NStZ 2014, 102, 103 Rn. 15 mwN).

Diese Voraussetzungen liegen bei tatmehrheitlich begangenen, auf unterschiedliche Veranlagungszeiträume bezogenen Steuerhinterziehungen gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO desselben Steuerpflichtigen derselben Steuerart regelmäßig schon wegen der in tatsächlicher Hinsicht verschiedenen Tathandlungen durch Abgabe je eigenständiger unrichtiger Steuererklärungen und unterschiedlicher, der Besteuerung unterliegender Lebenssachverhalte nicht vor.“

Ein Versuch war es wert.

Verwarnungsgeld, oder: Verfahrenshindernis auch bei „Aktenzeichendurcheinander“ bei der Polizei

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Ich habe länger gesucht, aber dann doch noch eine positive Entscheidung gefunden, mit der ich dann den Tag beenden will. Es ist der AG Dortmund, Beschl. v. 11.5.2017 – 729 OWi-305 Js 2252/16-153/17. Das AG hat das Verfahren nach § 206a StPO wegen eines Verfahrenshindernisse auf der Grundlage folgenden Sachverhaltes eingestellt:

Es geht um eine Geschwindigkeitsüberschreitung. Am Tattage hatte die Polizei Dortmund der Betroffenen die Ahndung durch Verwarnung gegen ein Verwarnungsgeld in Höhe von 15 EUR angeboten. Aktenkundig gemacht wurde dies unter dem Aktenzeichen der Polizei XXX. Der der Betroffenen überreichte Zahlschein enthielt jedoch als Kundenreferenznummer von der Polizei vorgedruckt die YYY. Genauso bewirkte die Betroffene innerhalb der gesetzten Wochenfrist die Zahlung der 15 EUR. Es wurde dann aber von der Stadt Dortmund dennoch ein Bußgeldbescheid erlassen. Nach dessen Erlass und Einspruchseinlegung stellte sich heraus, dass die Polizei die Zahlung dem Polizeiaktenzeichen nicht zuordnen konnte. Auch eine Umbuchung landesintern sei nicht möglich. Es sei Aufgabe der Betroffenen, zum richtigen Aktenzeichen einzuzahlen. Etwa einen Monat später hat dann die Polizei das Bußgeld von 15 EUR an die Betroffene zurück überwiesen.

Das AG sagt:

„Es besteht das Verfahrenshindernis des § 56 Abs. 4 OWiG, welches im derzeitigen Verfahrensstadium zur Verfahrenseinstellung nach § 206a StPO i.V.m. § 46 OWiG führt (vgl. dazu: Bohnert/Krenberger/Krumm, OWiG, § 56 Rn. 30). Dabei ist der Polizei zuzugeben, dass das Verwarnungsgeld richtig zu zahlen ist und zwar auch zum richtigen Aktenzeichen (vgl. auch: Göhler/Gürtler, OWiG, § 56 Rn. 23 m.w.N.). Dies ist insbesondere angesichts der notwendigen automatischen Zuordnung von Einzahlungen nötig – die Polizei hat insoweit angegeben, dass in der zuständigen Behörde jährlich etwa 250.000 Zahlungen automatisiert zuzuordnen sind. Hier wurde aber richtig gezahlt, nämlich so, wie von der Polizei im Zahlschein vorgegeben. Ein Aktenzeichendurcheinander innerhalb der Polizeibehörde ist nicht geeignet, die richtige Zahlung der Verwarnung in Zweifel zu ziehen. Ebenso ist es ohne Belang für das Bußgeldverfahren und das bereits vor dem Bußgeldverfahren eingetretene Verfahrenshindernis, ob die Polizei das Geld wieder zurücküberwiesen hat.“

Tja. Ohne das jetzt näher geprüft zu haben: Scheint mir richtig zu sein. Denn die Betroffene hat ja zum „richtigen Aktenzeichen“ gezahlt, nämlich zu dem ihr bekannt gegebenen. Ebenso wie die Polizei nicht unter 250.000 Zahlungen nach der richtigen Sache suchen will, kann das die Betroffene ja wohl erst recht nicht. „Es sei Aufgabe der Betroffenen, zum richtigen Aktenzeichen einzuzahlen„. Aber hallo, wie denn, wenn das Aktenzeichen falsch angegeben ist?

Verfahrensverzögerung II, oder: „Siedlungspolitik“ bei der Kompensation

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Die zweite Entscheidung, die ich heute vorstellen möchte (zur ersten: Verfahrensverzögerung I, oder: Vielleicht geht in 2017 beim 2. Strafsenat ja schneller…..), ist das BGH, Urt. v. 06.09.2016 – 1 StR 104/15 -, ergangen in dem beim LG München I anhängigen Verfahren gegen ein früheres Mitglied des Zentralvorstandes der Siemens AG wegen der Zahlung von Schmiergeldern in Südamerika. Das LG München I hatte mit Urteil v. 30.05.2016 frei gesprochen. Der BGH hat die Freisprüche teilweise aufgehoben. Geltend geamcht war im Verfahren ein

Der Aufhebung des Freispruchs und der Zurückverweisung der Sache insoweit steht ein zur Verfahrenseinstellung führendes Verfahrenshindernis nicht entgegen.

Entgegen der Auffassung der Verteidigung liegt kein durch einen Ver-stoß gegen den Grundsatz der Aktenvollständigkeit in Kombination mit einer Verletzung des Akteneinsichtsrechts und einer rechtsstaatswidrigen Verzöge-rung des Verfahrens begründetes Verfahrenshindernis vor.

„Ein Verfahrenshindernis wird nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs durch solche Umstände begründet, die es ausschließen, dass über einen Prozessgegenstand mit dem Ziel einer Sachentscheidung verhandelt werden darf. Die Umstände müssen dabei so schwer wiegen, dass von ihrem Vorhandensein oder Nichtvorhandensein die Zulässigkeit des gesamten Verfahrens abhängig gemacht werden muss (vgl. BGH, Urteile vom 9. Dezember 1987 – 3 StR 104/87, BGHSt 35, 137, 140; vom 25. Oktober 2000 – 2 StR 232/00, BGHSt 46, 159, 168 f. mit zahlr. w.N. und vom 11. August 2016 – 1 StR 196/16 Rn. 6; siehe auch Kudlich in Münchener Kommentar zur StPO, 1. Aufl., Einl. Rn. 353 und Kühne in Löwe/Rosenberg, StPO, 27. Aufl., Einl. K. Rn. 37 mwN). Bei bloßen Verfahrensfehlern wird dies in der Regel nicht der Fall sein. Der Gesetzgeber sieht selbst bei einem Verstoß gegen § 136a Abs. 1 StPO keinen Anlass, ein Verfahrenshindernis anzunehmen, sondern legt in § 136a Abs. 3 Satz 2 StPO nur ein (nicht disponibles) Verwertungsverbot fest (vgl. BGH, Urteil vom 25. Oktober 2000 – 2 StR 232/00, BGHSt 46, 159). Für den Fall der rechtsstaatswidrigen Tatprovokation hat der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs zuletzt unter sehr hohen Anforderungen und unter Berufung darauf, dass dies bei der „schonenden Einpassung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in das nationale Rechtssystem“ erforderlich sei, ein Verfahrenshindernis bejaht (vgl. BGH, Urteil vom 10. Juni 2015 – 2 StR 97/14, BGHSt 60, 276; vgl. aber auch Senat, Beschluss vom 19. Mai 2015 – 1 StR 128/15, BGHSt 60, 238). Diese Entscheidung kann jedoch nicht ohne Weiteres auf andere Verfahrensfehler übertragen werden. Ein durch rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung bewirkter Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK kann nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nur in außergewöhnlichen Einzelfällen, in denen eine angemessene Berücksichtigung des Verstoßes im Rahmen der Sachentscheidung bei umfassender Gesamtwürdigung nicht mehr in Betracht kommt, zu einem Verfah-renshindernis führen (BGH, Urteil vom 25. Oktober 2000 – 2 StR 232/00, BGHSt 46, 159, 171; vgl. auch Meyer-Goßner, Prozessvoraussetzungen und Prozesshindernisse, 2011, S. 5 ff.).

Ein solcher Ausnahmefall liegt hier offensichtlich nicht vor. Selbst die Kombination einer Verfahrensverzögerung mit einer fehlerhaften Aktenführung seitens der Staatsanwaltschaft wiegt nicht derart schwer, dass sich eine Entscheidung in der Sache verbietet. Der Senat kann offen lassen, ob das Hinzutreten von Fehlern in der Aktenführung bei gravierenden Verfahrensverzöge-rungen ein Verfahrenshindernis entstehen lassen könnte. Bei der hier gegebenen Sachlage lässt sich die Verzögerung des Verfahrens, die nicht einmal in der Nähe eines Verfahrenshindernisses angesiedelt werden kann, unter Beachtung der Regelungen der §§ 199, 198 GVG (vgl. hierzu Graf in BeckOK-StPO, Ed. 26, § 199 GVG Rn. 8 ff.) ausreichend kompensieren. Die unzureichende Aktenführung kann ein Gesichtspunkt sein, der im Rahmen der Beweiswürdigung Belang gewinnen kann.“

Na ja, immerhin. Auf der Grundlage der „Siedlungspolitik“ des BGH wird man m.E. sicherlich eine „Kompensation“ diskutieren können/müssen. Denn das Verfahren läuft schon seit 2008, Anklage dann in 2011, Urteil in 2014, Revisionsentscheidung in 2016……Ende offen.