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Nicht alles, was gut ist, ist auch richtig

WaageÜberraschung, Überraschung, habe ich gedacht, bzw: Nicht alles, was gebührenrechtlich für den Beschuldigten vorteilhaft ist, ist auch richtig, als ich den LG Potsdam, Beschl. v. 27.02.2014 – 24 Qs 141/13 – gelesen habe. Da hatte die  ehemals Beschuldigte an einer Demonstration in Potsdam teilgenommen und wurde, nachdem aus dem Demonstrationszug heraus Straftaten begangen worden waren, durch Polizeikräfte festgehalten und erkennungsdienstlich behandelt. Auf Antrag der in dem anschließend eingeleiteten Ermittlungsverfahren anwaltlich vertretenen Beschuldigten stellte das AG Potsdam fest, dass die erkennungsdienstliche Behandlung (§ 81b StPO) rechtswidrig gewesen sei, und erlegte die Kosten des Feststellungsverfahrens einschließlich der insoweit entstandenen notwendigen Auslagen der Beschuldigten der Staatskasse auf. Um die Gebühren gibt es dann Streit. Der Beschuldigte verlangt auf der Grundlage Kostengrundentscheidung eine Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG und eine Verfahrensgebühr Nr. 4104 VV RVG. Die Rechtspflegerin hat den Kostenerstattungsantrag der Beschuldigten insgesamt zurückgewiesen. Zur Begründung hat sie ausgeführt, Tätigkeiten im Feststellungsverfahren würden in Strafsachen mit der allgemeinen Verfahrensgebühr Nr. 4104 VV RVG abgegolten, eine gesonderte Gebühr sei hierfür nicht vorgesehen. Der Streit endet damit, dass das LG für die Tätigkeiten im Feststellungsverfahren eine Verfahrensgebühr für eine Einzeltätigkeit nach Nr. 4302 Nr. 2 VV RVG festgesetzt hat.

Wie gesagt: Überraschend und vorteilhaft, aber falsch: Auszugehen ist nach dem Sachverhalt der Entscheidung davon, dass der für die Beschuldigte tätig gewordene Rechtsanwalt als Verteidiger i.S. der Vorbem. 4 Abs. 1 VV RVG tätig geworden ist. Damit hatte für ihn die Abrechnung nach Teil 4 Abschnitt 1 VV RVG zu erfolgen. Eine Abrechnung nach Teil 3 Abschnitt 1 VV RVG kam wegen der Subsidiarität des Teil 4 Abschnitt 3 VV RVG nicht bzw. nur insoweit in Betracht , als Tätigkeiten erbracht wurden, die nicht von den Gebühren des Teil 4 Abschnitt 1 VV RVG erfasst wurden. Das waren die ihm Feststellungsverfahren nach § 98 Abs. 2 StPO analog erbrachten Tätigkeiten aber gerade nicht. Bei ihnen handelt es sich vielmehr um Tätigkeiten, die von der Verfahrensgebühr Nr. 4104 VV RVG erfasst wurden; insoweit hatte die Rechtspflegerin also Recht. Durch diese Verfahrensgebühr ist die gesamte Tätigkeit des RA im Verfahrensabschnitt „Vorbereitendes Verfahren“ erfasst. Und dazu gehören eben auch Feststellungsverfahren nach § 98 Abs. 2 StPO.

Es stellt sich dann natürlich die Frage, welche Auswirkungen die zutreffende Kostengrundentscheidung des AG für die ehemalige Beschuldigte hat. Kann sie überhaupt und wenn ja welche Kosten erstattet verlangen? Nun, die Frage löst sich m.E. ganz einfach, die Antwort ist aber wohl vom AG, erst recht vom LG, aber auch vom Verteidiger übersehen worden. Vorgegangen werden muss nämlich mit der sog. „Differenztheorie“. D.h.: Es muss in einem ersten Schritt zunächst die Höhe der Verfahrensgebühr Nr. 4104 VV RVG ohne Berücksichtigung der Tätigkeiten im Feststellungsverfahren ermittelt werden. In einem zweiten Schritt muss dann die Höhe der Verfahrensgebühr Nr. 4104 VV RVG unter Berücksichtigung der Tätigkeiten im Feststellungsverfahren bestimmt werden. Der sich als Differenz zwischen diesen beiden Gebührenbestimmungen ergebende Betrag ist dann zu erstatten. Das sind die „entstandenen notwendigen Auslagen“. Mit Sicherheit erheblich weniger als die vom LG festgesetzte Verfahrensgebühr Nr. 4302 Nr. 2 VV RVG, aber auch weniger als die neben der Sache liegende Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG und die Nr. 4104 VV RVG, die der Verteidiger geltend gemacht hatte.

Kreativ gedacht, Herr Kollege, aber das geht nun mal gar nicht!

© Gina Sanders - Fotolia.com

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Wer mich kennt, weiß, dass ich ein „weites Herz“ für Verteidigergebühren habe. Aber bei aller „Weite“: Es muss passen 🙂 .  Und das tat es in dem dem AG Düsseldorf, Urt. v. 13.03.2014 – 52 C 1673/13 – zugrunde liegenden Gebührenrechtsstreit nicht. Der Kollege hat zwar kreativ gedacht, aber: Das RVG sah/sieht eine Gebühr für seinen Fall nicht vor.

Der Fall: Der Kläger war im Rechtsbeschwerdeverfahren des Bußgeldverfahrens von dem Kollegen, der mir die Entscheidung hat zukommen lassen, verteidigt worden. Das OLG hat die Rechtsbeschwerde durch Beschluss verworfen. Der Kollege hat nun eine Gebühr Nr. 5115 Anm. 1 Nr. 5 VV RVG geltend gemacht, die die Rechtsschutzversicherung des Klägers nicht bezahlt hat. Die Freistellungsklage des Klägers hatte dann beim AG Düsseldorf keinen Erfolg.

Die Entscheidung: Das AG führt aus:

„Dem Kläger steht aus dem Rechtsschutzversicherungsvertrag mit der Beklagten gegen diese der geltend gemachte Anspruch auf Erstattung weiterer Anwaltskosten für die Vertretung im Rechtsbeschwerdeverfahren vor dem OLG Düsseldorf nicht zu. Der Kläger verweist zwar zutreffend darauf, dass nach Ziffer 5115 Nr. 5 VV RVG neben der Verfahrensgebühr eine zusätzliche Gebühr entsteht, wenn das Gericht nach § 72 Abs. 1 S 1 OWiG statt in einer Hauptverhandlung durch Beschluss entscheidet. Der Kläger führt auch zutreffend aus, dass dem an einer solchen Beschlussentscheidung mitwirkenden Anwalt diese Gebühr praktisch als Kompensation für die entfallende Hauptverhandlungsgebühr zustehen soll, um Tätigkeiten des Verteidigers zu honorieren, die zu einer Vermeidung der Hauptverhandlung führen.

Er übersieht aber in seiner Argumentation, dass es nicht um eine Entscheidung in erster Instanz nach § 72 Abs. 1 S. 1 OWiG geht, sondern um eine Beschlussentscheidung des Oberlandesgerichts im Rechtsbeschwerdeverfahren gemäß § 79 Abs. 5 OWiG. Diese Vorschrift ist in Ziff. 5115 Nr. 5 W RVG aber nicht aufgeführt, obwohl der Gesetzgeber dies unproblematisch hätte tun können, hätte dies seinem Ansinnen entsprochen. Davon kann aber auch nicht ausgegangen werden, weil sich die Beschlussentscheidungen vor dem Amtsgericht und dem Oberlandesgericht in einem erheblichen Punkt unterscheiden. Nach § 72 OWiG ist im erstinstanzlichen Verfahren die Hauptverhandlung die gesetzlich vorgesehene Regel, die Beschlussentscheidung die Ausnahme. Für das Rechtsbeschwerdeverfahren sieht § 79 OWiG aber ein umgekehrtes Verhältnis vor. Ist aber die Beschlussentscheidung die Regel, so bedarf es keiner besonderen Mitwirkung des Verteidigers zur Verhinderung einer Hauptverhandlung.“

Der Kollege hatte nach den Berufungsaussichten bzw. nach den Aussichten einer Gehörsrüge gefragt. Unabhängig von den formellen Fragen, habe ich ihm geraten, die Finger davon zu lassen. Kurz, knapp, richtig – so ist das Urteil.

„.. die immense Mühewaltung des Vorsitzenden“, der viermal mit dem Verteidiger ein Telefongespräch führt“, was bringt die gebührenrechtlich?

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Manchmal findet man (gebührenrechtliche) Entscheidungen bzw. bekommt diese übersandt, bei denen man sich nach dem Lesen fragt: Was soll mir diese Entscheidung sagen bzw. was will das Gericht mit dieser Entscheidung erreichen? So ging es mir nach dem ersten Lesen des AG Lüdenscheid, Beschl. v. 18.04.2013 – 70 Ls-715 Js 24/11-24/11, der sich zur Bemessung der Verfahrens- und Terminsgebühr im Berufungsverfahren verhält. Das AG hat sowohl als Verfahrensgebühr als auch für die 70-minütige Hauptverhandlung jeweils die Mittelgebühr festgesetzt. Das ist ok. Allerdings habe ich mit der Begründung Schwierigkeiten.

Zur Verfahrensgebühr heißt es:

Diese Festsetzung wird gestützt durch die seitens des Amtsgerichts eingeholten Vorsitzenden der Berufungsstrafkammer, der mit straffer Verhandlungsführung eine zwar „nur“ siebzigminütige Hauptverhandlung durchgeführt, im Vorfeld sich aber der immensen Mühewaltung unterzogen hatte, jedenfalls viermal mit dem Verteidiger ein die Hauptverhandlung vorbereitendes, deren Dauer abkürzendes Telefongespräch zu führen.“

Zur Terminsgebühr heißt es:

„Soweit der Bezirksrevisor Rechtsprechung zitiert, dass eine weit unterdurchschnittliche Tätigkeit bei der kleinen Strafkammer bei siebzig Minuten vorliege (LG Hagen, Beschluss vom 2. 9. 1999 in 44 Qs 95/99, so ist an anzumerken, dass die Kasuistik zu der Frage der Bewertung der Dauer des Termins mittlerweile nahezu groteske Formen annimmt, wie die im Folgenden abgedruckte tabellarische Übersicht (abgedruckt auf der Internetseite www.burhoff.de) erkennen lässt….

 Allein diese Kasuistik zeigt, dass sich eine schematische Bewertung generell verbietet. Bei den an gegebenen Zeiten  kann es sich nur um Richtwerte handeln.

Die Dauer des Termins hängt nämlich von vielen Fremdfaktoren ab, welche die am Hauptverhandlungstermin Beteiligten steuern können und die sich damit einer objektiven Beurteilung im Wesentlichen entziehen. Würde tatsächlich auf die Dauer des Termins als alleiniges Kriterium abgestellt werden, bestimmte sich die Höhe der Terminsgebühr letztlich anhand der individuellen Besonderheiten der Prozessbeteiligten. Bekanntlich ist der Verhandlungsstil der Vorsitzenden unterschiedlich. Einzelne verhandeln kurz und knapp, während andere umfassend erörtern. Diese Unterschiede sind auch beim Landgericht Hagen geben.

Auf der anderen Seite wäre ein Verteidiger gehalten, den Hauptverhandlungstermin so weit in die Länge zu ziehen, wie es eben geht. Rhetorisch halbwegs versierte und wirtschaftlich denkende Verteidiger werden dann von ihrem Fragerecht exzessiv Gebrauch machen, um den Termin nicht kurzfristig beendet zu wissen. Es kann aber nicht der Wille des Gesetzgebers gewesen sein, die Höhe der Terminsgebühr von den individuellen Fähigkeiten oder der missbräuchlichen Verwendung prozessualer Instrumente – jedenfalls der gerichtserfahrenen Personen wie Gericht, Staatsanwaltschaft und Anwaltschaft – abhängig zu machen (so schon richtungsweisend AG Lüdenscheid in 54 Cs 108/06, Beschluss vom 18.05.2007).

Unter Bezugnahme auf den Beschluss des LG Hamburg JurBüro 2008, 312 = AGS 2008, 343 (s.o.) eine Berufungshauptverhandlung mit einer Dauer von 35 Minuten sei – in Anbetracht anderweitiger zu berücksichtigender Umstände – nicht unterdurchschnittlich, da auch die vorbereitende Tätigkeit zu berücksichtigen sei, wird im vorliegenden Verfahren ebenfalls die Mittelgebühr für angemessen erachtet.“

Wie gesagt: Das Ergebnis ok, nur die Begründung macht mir Schwierigkeiten, und zwar:

  • Mir ist nicht klar, was der Hinweis des AG auf unterschiedliche Verhandlungsstile der Kammervorsitzenden bezwecken soll. Wie und warum sollen die Auswirkungen auf die Höhe der dem Verteidiger zustehenden Terminsgebühr haben? Soll der Verteidiger, der an einer Hauptverhandlung bei einem „langsam verhandelnden“ Vorsitzenden teilnimmt für eine z.B. 70-Minuten dauernde Hauptverhandlung eine geringere Terminsgebühr erhalten als derjenige Verteidiger, der an einer ebenfalls 70-Minuten dauernden Hauptverhandlung teilnimmt, die von einem „straff verhandelnden“ Vorsitzenden geführt wird? Die Art des Verhandlungsstils des Vorsitzenden kann doch kein Kriterium für die Bemessung der anwaltlichen Vergütung sein, denn: In beiden Fällen ist der vom Verteidiger erbrachte Zeitaufwand gleich, nämlich (objektiv) 70 Minuten. Auf die Idee, den Verhandlungsstil des Vorsitzenden mit heranzuziehen, ist im Übrigen bislang auch noch kein Gericht gekommen und es ist zu hoffen, dass das so bleibt. Denn wer will/soll die Fragen, die zudem einer persönlichen Einschätzung unterliegen. beurteilen?
  • Bleibt man in der Terminologie des AG, ist es m.E. „grotesk“ = „absurd“ = „sonderbar“, wenn das AG davon ausgeht: „Rhetorisch halbwegs versierte und wirtschaftlich denkende Verteidiger würden dann von ihrem Fragerecht exzessiv Gebrauch machen, um den Termin nicht kurzfristig beendet zu wissen“, offenbar um so eine höhere Terminsgebühr zu erzielen? Wirklich? Oder ist nicht eher das Gegenteil der Fall, dass nämlich der Verteidiger, wenn er „wirtschaftlich denkt“ versuchen muss, den Termin „kurzfristig beendet zu wissen“?
  • Und: Das AG stellt u.a. auch darauf ab, dass sich der Vorsitzende im Vorfeld der Hauptverhandlung der „immensen Mühewaltung“ unterzogen habe, viermal mit dem Verteidiger ein die Hauptverhandlung vorbereitendes, deren Dauer abkürzendes Telefongespräch zu führen. Dass der – nicht mitgeteilte – Zeitaufwand für diese Telefongespräche bei der Bemessung der anwaltlichen Terminsgebühr zu berücksichtigen ist, ist zutreffend. Allerdings frage ich mich, was „immens“ = „beträchtlich, riesengroß, enorm, gigantisch, gewaltig“ daran sein soll, wenn der Vorsitzender einer Berufungskammer zur Vorbereitung der Hauptverhandlung viermal mit dem Verteidiger telefoniert.

Rücknahme der Revision ohne Begründung? Verfahrensgebühr Nr. 4130 VV RVG ja oder nein?

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In der Praxis häufiger sind die Fälle, in denen der Revision eingelegt hat, diese aber nach Zustellung des schriftlichen Urteils zurückgenimmt, ohne die Revision begründet zu haben. So auch beim LG Aurich. Dort hatte der Pflichtverteidiger dann beantragt, die Gebühr Nr. 4130, 4131 VV RVG festzusetzen, was die Rechtspflegerin getan hat. Der Bezirksrevisor ist ins Rechtsmittel gegangen. Hatte aber keinen Erfolg. Dazu aus dem (zutreffenden) LG Aurich, Beschl. v. 22.11.2012 – 11 Ks 210 Js 9546/11 (3/11):

„Dem Pflichtverteidiger ist die Gebühr nach Nr. 4130/4131 VV-RVG zu Recht zugesprochen worden. Dem steht nicht entgegen, dass er die Revision nicht begründet und nach Zustellung des schriftlichen Urteils zurückgenommen hat. Zwar ist bei einem Verteidiger, der – wie hier – schon in der Vorinstanz verteidigt hat, mit den dafür verdienten Gebühren auch die Einlegung des Rechtsmittels abgegolten (s. § 19 Abs. 1 S. 2 Nr. 10 RVG). Jedoch entsteht die Gebühr nach Nr. 4130/4131 VV-RVG nicht erst mit der Begründung der Revision, da insoweit mit der Verfahrensgebühr jedes „Betreiben des Geschäfts einschließlich der Information“ abgegolten wird (s. Vorbemerkung 4 Abs. 2 VV-RVG). Demnach erfasst die Verfahrensgebühr bereits die anwaltliche Prüfung und Beratung, ob und ggf. mit welchen Anträgen die eingelegte Revision begründet und weiter durchgeführt werden soll. Diese prüfende und beratende Tätigkeit des Verteidigers gehört insoweit nicht mehr zur Einlegung des Rechtsmittels. Wird die Revision nicht begründet und im Einverständnis des Mandanten zurückgenommen, fehlt es zwar an einer anwaltlichen Kerntätigkeit im Revisionsverfahren, jedoch ohne dass dadurch die bereits entstandene Verfahrensgebühr wieder entfiele (s. KG Berlin, Beschluss vom 20.01.2009, Az. 1 Ws 382/08).

 So liegt der Fall hier:

 Zwar hat der Verteidiger nach Erhalt des schriftlichen Urteils die Revision ohne weitere Begründung zurückgenommen. Ausweislich des Empfangsbekenntnisses ist dem Verteidiger das schriftliche Urteil aber am 07.02.2012 zugestellt worden. Die Revision hat er aber erst mit Schriftsatz vom 05.03.2012 zurückgenommen. Es ist davon auszugehen, dass der Verteidiger sich in der Zwischenzeit mit seinem inhaftierten Mandanten über das weitere Vorgehen beraten hat. Folglich ist nach dem oben ausgeführten die Verfahrensgebühr nach Nr. 4130/4131 VV-RVG entstanden, weshalb die Erinnerung als unbegründet zu verwerfen war.“

 

 

 

 

G.                                    Dr. H.                               C.

AG Oschatz: Der Rechtspfleger entscheidet, an welchem Termin der Verteidiger teilnehmen darf. Wirklich?

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Im Verfahren wegen des Vorwurfs des unerlaubten Entfernens vom Unfallort wird vom gerichtlich bestellten Sachverständigen ein Termin anberaumt, die Unfallbeteiligten werden aufgefordert, mit ihren Fahrzeugen zu erscheinen. Der Verteidiger erhält nur eine Terminsmitteilung. Er nimmt aber an dem Termin teil und rechnet dann nach Einstellung des Verfahrens gegenüber der Staatskasse auch eine Vernehmungsterminsgebühr Nr. 4102 VV RVG ab. So der Sachverhalt des AG Oschatz, Beschl. v. 04.04.2012, 1 Ds 253 Js 25756/11, den mit der Verteidiger übersandt hat.

Das AG gewährt die Gebühr Nr. 4102 VV RVG nicht und erhöht – so die Hilfsargumentation des Verteidigers – auch nicht wegen der Teilnahme am Termin die Verfahrensgebühr. Begründung:

„Der Antrag ist hinsichtlich der geltend gemachten Gebühr RVG VV 4102 nicht begründet, auch kommt alternativ hierfür eine Erhöhung der Verfahrensgebühr nicht in Betracht. Mit der Gebühr W 4102 wollte der Gesetzgeber lediglich regeln, dass der Verteidiger für die außerhalb der Hauptverhandlung stattfindenden gerichtlichen Termine eine Gebühr erhält, siehe BT-Druck­sache 15/1971, 222 ff., Gerold/Schmidt, RVG, 19. Aufl., Rn 7 zu Nr. 4102 W RVG. Eine richtliche Inaugenscheinnahme hat im Verfahren aber gerade nicht stattgefunden.

Was die (alternative) Erhöhung der Verfahrensgebühr durch die Teilnahme des Anwalts an ei­nem Sachverständigentermin angeht, ist festzustellen, dass die Staatskasse gemäß § 464b StPO i.V.m. § 91 ZPO nur die notwendigen Auslagen des Verfahrens erstatten braucht. Eine Notwendigkeit der Teilnahme des Verteidigers am Sachverständigentermin ist aus der Akte nicht erkennbar.

Durch die Dekra Mobil GmbH wurden lediglich die Unfallbeteiligten aufgefordert, zur Begutachtung mit ihren Fahrzeugen zum Termin zu erscheinen, rein nachrichtlich erging die Terminsmitteilung an den Verteidiger. Für alle weiteren Fragen standen dem Sachverständigen dann der gesamte Akteninhalt nebst/ inclusive gefertigter Bilder und Skizzen vom Unfallort zur Ver­fügung. Der Sachverständige hatte insoweit sein Gutachten lediglich auf dieser Grundlage und dem gerichtlichen Beweisbeschluss zu fertigen. Weitergehende Aussagen durch den Verteidiger, die nicht bereits aus dem gerichtlichen Verhandlungsprotokoll hervorgehen, waren nicht zwingend notwendig. Wäre dies der Fall gewesen, wäre der Verteidiger zu diesem Termin durch das Gericht oder den Sachverständigen über eine formlose Terminsnachricht hinaus geladen worden. Zudem war auch kein Vertreter der Anklage anwesend.“

M.E. teilweise falsch. Dass die Vernehmungsterminsgebühr nicht festgesetzt worden ist, ist ok. Das entspricht der h.M. Aber die Verfahrensgebühr hätte erhöht werden müssen. Der Hinweis auf die „Notwendigkeit“ zieht m.E. nicht. Nach §  137 StPO hat der Beschuldigte Anspruch auf Beistand seines Rechtanwalts in jeder Lage des Verfahrens, also auch bei einem SV-Termin, bei dem es ggf. ja auch zu Rückfragen des SV an die geladenen Unfallbeteiligten kommen kann. Die Antworten können erhebliche Auswirkungen auf das Verfahren haben.  Es ist zudem m.E. nicht Aufgabe des Rechtspflegers/der Staatskasse die Tätigkeiten des Verteidigers auf ihre Notwendigkeit hin zu überprüfen bzw.: Ich würde hier die Rechtsprechung zu Fotokopiekosten und die dort wohl h.M. entsprechend anwenden. Letztlich muss es der Entscheidung des Verteidigers vorbehalten bleiben, ob er an einem solchen Termin teilnimmt. Nur bei Missbrauch würde ich die Erhöhung verneinen. Und Missbrauch erkenne ich hier nicht.

 

Ausgang interessiert mich natürlich.