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U-Haft ist ultima ratio – wenn das doch nur immer beachtet würde…

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Zu berichten ist über einen m.E. sehr „schönen“ U-Haft-Beschluss des KG, und zwar den KG, Beschl. v. 07.03.2013 – 4 Ws 35/13.

Die Leitsätze:

1. Bei der Prüfung der Voraussetzungen der Untersuchungshaft ist nicht zu fragen, ob diese angeordnet werden kann, sondern ob ihre Verhängung – als ultima ratio – wegen überwiegender Belange des Gemeinwohls zwingend geboten ist.
2. Zur Frage, ob für einen Beschuldigten, der in Kenntnis der seit Jahren anhängigen Ermittlungen, nach Anordnung strafprozessualer Zwangsmaßnahmen und in Kennt-nis eines mit der Anklageerhebung angebrachten Haftbefehlsantrags der Staatsanwaltschaft keine Anstalten gemacht hat, sich dem Verfahren zu entziehen, mit der Eröffnung des Hauptverfahrens und der geplanten zeitnahen Terminierung der Hauptverhandlung eine nachteilige „völlig neue Verfahrenssituation“ eingetreten ist, welche die Bejahung von Fluchtgefahr zu tragen vermag.
3. Zur Bedeutung von Sprachkenntnissen und Auslandsbeziehungen eines Geschäftsmannes, die dieser im Rahmen seiner geschäftlichen Betätigung schon mehrere Jahre vor der Zeit der im vorgeworfenen Taten geknüpft und seither unterhalten hat.

Lesenswerte Entscheidung, die manche Instanzgerichte sich mal zu Gemüte führen sollten.

Nachtrag: Leider sah der Beitrag vorhin etwas anders aus. PC-Absturz im falschen Moment 🙁

Nichtraucherschutz auch in der U-Haft

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Der Beschuldigte ist Nichtraucher Er wird am 27.02.2010 als Untersuchungsgefangener in der JVA Stralsund in einem Drei-Personen-Haftraum mit zwei rauchenden Mitgefangenen untergebracht. Am 03.03.2010 wurden die beiden rauchenden Gefangenen in einen anderen Haftraum verlegt, und der Beschwerdeführer wurde gemeinsam mit einem Nichtraucher untergebracht. Unter dem 29. 11.2010 stellte der Beschuldigte einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung beim LG Stralsund. Er beantragte unter anderem die Feststellung, dass die „Zulassung der Zufügung von körperlichen Schmerzen durch gesundheitsgefährdende Stoffe“ rechtswidrig gewesen sei. Die beiden Mitgefangenen hätten stark geraucht, sogar mehrmals während der Nacht. Aufgrund des Rauches habe er bereits nach der ersten Nacht starke Kopfschmerzen bekommen, die trotz Schmerztabletten angehalten hätten. Auf seinen Hinweis, dass die Zustände im Haftraum für ihn unhaltbar seien, sei zunächst nichts unternommen worden. Er sei genötigt worden, gesundheitsgefährdende Stoffe zu inhalieren, wodurch ihm körperliche Schmerzen zugefügt worden seien. Eine Zustimmung zu einer gemeinsamen Unterbringung habe er nicht erteilt. Mit seinem Antrag hat er weder beim LG noch beim OLG Erfolg.

Dann aber beim BVerfG mit dem BVerfG, Beschl. v. 28.10.2012 – 2 BvR 737/11, auf den ich erst jetzt gestoßen bin: Zusammengefasst heißt es dort: Die Unterbringung eines nichtrauchenden Untersuchungsgefangenen gegen seinen Willen für mehrere Tage mit zwei stark rauchenden Mitgefangenen in einem Haftraum, ohne die Verhältnismäßigkeit des Eingriffs zu prüfen, verletze den Untersuchungsgefangenen in seinem Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Angesichts der jedenfalls bei unentrinnbarem gemeinsamen Aufenthalt auf engem Raum nicht nur erheblich belästigenden, sondern auch – zumindest nicht ausschließbaren – gesundheitsgefährdenden Wirkungen des Passivrauchens könne darin, dass ein Gefangener auf seinem Haftraum ohne seine Zustimmung dem Rauchen eines Mitgefangenen ausgesetzt werde, ein Grundrechtseingriff von erheblichem Gewicht liegen. Der Gefangene habe Anspruch auf Schutz vor Gefährdung und erheblicher Belästigung durch das Rauchen von Mitgefangenen und Aufsichtspersonal.

Und: Schon der Frage, ob der Eingriff erforderlich war, sei das LG nicht in der gebotenen Weise nachgegangen. Es habe sich zudem einer näheren Prüfung der Zumutbarkeit des Eingriffs in der unzutreffenden Annahme verschlossen, Grundrechtseingriffe, die durch die faktischen Verhältnisse in der jeweiligen Justizvollzugsanstalt bedingt seien, seien vom Gefangenen ohne weiteres hinzunehmen. Die Art und Weise der Unterbringung des Beschwerdeführers habe es mit der Begründung gebilligt, dass eine solche Unterbringung möglich sein müsse, wenn aufgrund der gegebenen Belegungssituation eine von Rauchern getrennte Unterbringung nicht sofort zu realisieren sei.

1 Jahr Freiheitsstrafe versus 16 Monate anzurechnender U-Haft = unverhältnismäßig

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Wir haben länger nicht mehr zu U-Haft-Fragen berichtet. Daher bin ich dem Kollegen, der mir den OLG Naumburg, Beschl. v. 11.10.2012 – 2 Ws 198/12 übersandt hat, besonders dankbar, da man über den m.E. berichten kann.

Folgender Sachverhalt: Der Angeklagte wird zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt. In dem Verfahren hat er bereits 10 Monate U-Haft verbüßt. Zuvor hatte er in einem anderen Verfahren, in dem er frei gesprochen worden ist mehr als sechs Monate U-Haft verbüßt. Das Verfahren wäre gesamtstrafenfähig gewesen.

Das OLG rechnet die mehr als sechs Monate auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bei der Prüfung der Frage der Verhältnismäßigkeit der weiteren U-Haft an und kommt zur Aufhebung der Haftbefehls:

„Mit Blick auf die Bedeutung des Freiheitsrechts aus Art. 2 Abs. 2 GG ist über den eigentlichen Anwendungsbereich des § 51 Abs. 1 StGB hinaus sogenannte verfahrensfremde Untersuchungshaft jedenfalls dann auf eine Freiheitsstrafe anzurechnen, wenn zumindest eine potentielle Gesamtstrafenfähigkeit der Strafe, auf die die Untersuchungshaft angerechnet werden soll, besteht (BVerfG NStZ 2001, 501 m. w. N.; Fischer, StGB, 59. Aufl., § 51, Rn. 6a). Dies gilt auch für die hier gegebene fiktive Gesamtstrafenlage, bei der der Angeklagte die verfahrensfremde Untersuchungshaft im Hinblick auf Tatvorwürfe erlitten hat, von denen er freigesprochen wurde. Die Taten, wegen derer er sich vom 9. Juni 2008 bis zum 11. Dezember 2008 und vom 29. Juli 2009 bis zum 11. September 2009 in Untersuchungshaft befand und die dem Urteil des Landgerichts Magdeburg vom 12. September 2012 zu Grunde liegende Tat lagen zwischen der letzten Verurteilung des Angeklagten vom 23. Januar 2007 und dem Urteil des Landgerichts Halle (Saale) vom 24. Mai 2012. Wäre der Angeklagte für jene Taten verurteilt worden, wäre aus den dann verhängten Strafen und derjenigen, die vom Amtsgericht Magdeburg ausgesprochen und vom Landgericht Magdeburg mit Urteil vom 12. September 2012 bestätigt wurde, eine Gesamtstrafe zu bilden gewesen (§§ 55 Abs. 1 StGB, 460 StPO). Die im Fall der rechtskräftigen Verurteilung von der Staatsanwaltschaft im Vollstreckungsverfahren vorzunehmenden Anrechnung muss sich daher auch auf die in den Jahren 2008 und 2009 erlittene Untersuchungshaft erstrecken.“

Da damit „überbüßt“ war/ist, ging an der Entscheidung kein Weg vorbei. Offen bleiben damit die Fragen nach der Fluchtgefahr – 1 Jahr Freiheitsstrafe – und, ob nicht auch so bereits die weitere U-Haft unverhältnismäßig ist/war.

1 Jahr 9 Monate minus 10 Monate = noch 11 Monate = Fluchtgefahr?

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Die Frage, ob die der Straferwartung so hoch, dass sie einen Beschuldigten/Angeklagten zur Flucht führt und damit die Annahme von Fluchtgefahr i.S. des § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO gerechtfertigt ist, stellt sich insbesondere häufig dann, wenn die Strafe nicht (sehr) hoch ist, aber der Beschuldigte/Angeklagte bereits einige Zeit in U-Haft verbracht hat, was dann über § 51 StGB angerechnet werden muss. Dann geht es um die Reststrafenerwartung und darum, ob die noch so hoch ist, dass die Annahme von Fluchtgefahr begründet ist. In meinen Augen tun sich die OLG damit schwer, die Frage zu verneinen. So auch der OLG Jena, Beschl. v.25.06.2012 – 1 Ws 291/12.

Das LG hat den Angeklagten zu einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr und 9 Monaten verurteilt. Es sind bereits mehr 10 Monate U-Haft vollzogen worden, so dass noch eine Reststraferwartung von unter 11 Monate besteht. Die reicht dem OLG aber aus, um Fluchtgefahr anzunehmen.

Auch wenn zurzeit bereits mehr als 10 Monate Untersuchungshaft anzurechnen sind, geht von der Gesamtstraferwartung, die sich durch das Urteil des Amtsgerichts Weimar auf 1 Jahr und 9 Monate konkretisiert hat, weiterhin ein ganz erheblicher Fluchtanreiz aus. Dass es bei Durchführung der Berufungshauptverhandlung zu einer deutlichen Reduzierung der erstinstanzlich verhängten Freiheitsstrafe kommen könnte, ist derzeit nicht zu erkennen. Dafür, dass es sich bei dem Angeklagten hinsichtlich der Tat vom 10,8.2011 um eine unverdächtige und zunächst nicht tatgeneigte Person gehandelt hat, die durch eine von einem Amtsträger geführte Vertrauensperson in einer dem Staat zuzurechnenden Weise zu einer Straftat verleitet worden ist, so dass ein in den Urteilsgründen ausdrücklich festzustellender und bei der Festsetzung der Rechtsfolgen zu kompensierender Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens gemäß Artikel 6 Abs. 1 Satz 1 MRK vorliegt (vgl. BGHSt 45, 321 ff), ist angesichts der Einlassungen des Angeklagten im Termin zur Verkündung des Haftbefehls, im Haftprüfungstermin und in der Hauptverhandlung nicht zu erkennen. Die derzeitige Beweislage spricht vielmehr dafür, dass der Angeklagte sich völlig unabhängig von jeglicher Beeinflussung durch die Vertrauensperson „Paulus“ bereits zuvor das später an diesen abgesetzte Betäubungsmittel zum Zwecke des gewinnbringenden Weiterverkaufs von einem Dritten verschafft hatte. Der Angeklagte war mithin bereits grundsätzlich bereit, den Straftatbestand des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu begehen, bevor die Vertrauensperson „Paulus“ bei ihm am 10.8.2011 24,2 Gramm Methamphetamin gekauft hat, hatte also bereits mit Erlangen des Methamphetamins zum Zwecke des Weiterverkaufs den Straftatbestand des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge erfüllt.

 Gewichtige Umstände, die geeignet wären, dem Fluchtanreiz wirksam zu begegnen, sind nicht ersichtlich.  Die Ausführungen der Beschwerde, wonach der Angeklagte sich nur nicht in der Gemeinschaftsunterkunft aufgehalten habe, da er bei seiner Lebensgefährtin gewohnt habe, er sich in der Gemeinschaftsunterkunft wieder anmelden wolle und er im Falle einer Flucht seines Rechtsmittels verlustig ginge, sind nicht geeignet, hinreichend Vertrauen zu begründen, der Angeklagte werde sich dem weiteren Straf- bzw. Vollstreckungsverfahren nicht entziehen. Im Hinblick auf die Vorstrafen des Angeklagten, der schon mehrfach Strafhaft verbüßt hat und ausweislich des Zentralregisterauszugs bereits fünfmal teils erheblich vorbestraft ist, erscheint insbesondere der mögliche Verlust des Rechtsmittels im Vergleich zu der Höhe des bei Eintritt der Rechtskraft noch zu verbüßende Strafdauer als den Fluchtanreiz minderndes Mittel untauglich.

M.E. keine tragfähige Begründung, warum denn nun gerade dieser geringe Strafrest ausreichend für die Annahme sein soll, der Angeklagte werde, wenn er auf freien Fuß kommt, fliehen. Ich verkennen nicht, dass der Angeklagte russischer Staatsangehöriger ist, also vermutlich keine Schwierigkeiten hätte, in seinem Heimatland unterzutauchen und zu leben. Aber wenn das (auch) Grund für die Annahme von Fluchtgefahr sein soll, dann sollte man es auch schreiben.

 

Freilassung aus der U-Haft: Auch bei geplanter Abgabe des Verfahrens kein Stillstand zulässig

Das ist doch mal ein Auftakt in der Statistik, den das OLG Dresden, Beschl. v. 11.01.2012 – 1 AK 1/12 setzt. Im ersten im Jahr 2012 anhängig gewordenen Haftprüfungsverfahren nach den §§ 121, 122 StPO wird der Beschuldigte frei gelassen. Grund: Der Angeklagte ist ausgeliefert worden. Danach wird das Verfahren aber nicht mehr betrieben, da man beabsichtigt, es hier ggf. nach § 154b StPO einzustellen. Die Voraussetzungen dafür liegen aber noch nicht vor.

Das OLG sagt: Das Führen eines Ermittlungsverfahrens ausschließlich zur Vorbereitung einer Entscheidung der Staatsanwaltschaft nach § 154 b StPO rechtfertigt die Untersuchungshaft gegen den Beschuldigten nach § 121 StPO über sechs Monate hinaus nicht.