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Laptop in der U-Haft – die JVA muss ihn ggf. „sicher“ machen.

© Joachim B. Albers - Fotolia.com

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Zum Laptop lege ich dann mal nach. Nach dem OLG Nürnberg, Beschl. v. 14.10.2015 – 1 Ws 418/15 zur Frage der Zulässigkeit des Besitzes eines Laptops in der Sicherungsverwahrung zurück an den Beginn des Verfahrens, nämlich in das Ermittlungsverfahren und/oder die U-Haft. Auch in dem Verfahrensstaium wird zunehmend um die Zulässigkeit des Besitzes und Gebrauchs eines Laptops gestritten. Dabie geht es meist um die Vorbereitung des Angeklagten auf die Hauptverhandlung. So auch in dem dem OLG Rostock, Beschl. v. 22.10.2015 – 20 Ws 276/15 – zugrunde liegenden Verfahren wegen des Vorwurfs des versuchten Totschlags und der gefährlichen Körperverletzung. Die STA wirft dem  Angeklagten im Wesentlichen vor, anlässlich der Fußballspiele des FC Hansa Rostock gegen Dynamo Dresden am 29.11.2014 und gegen RB Leipzig am 26.04.2014 mehrfach Pflastersteine auf Polizeibeamte geworfen bzw. dies versucht zu haben oder Reizgas gegen diese versprüht zu haben. Diese Vorwürfe stützt sie vornehmlich auf Videomaterial, das anlässlich der Fußballspiele durch polizeiliche Einsatzkräfte bzw. Stadionkameras aufgenommen wurde, und das den Angeklagten jeweils als Täter abbilden soll. Das sich bei den Akten befindliche Videomaterial umfasst eine Datenmenge von ca. 74 GB. Der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft hatte an mehreren Hauptverhandlungstagen weiteres Videomaterial nachträglich zur Akte gereicht. Die Kammer hat zudem Videomaterial in einem Umfang von 60 GB hinzugezogen, das dem Sachverständigen B. von den Ermittlungsbehörden zur Verfügung gestellt worden war, sich jedoch noch nicht bei den Akten befand.

Die Verteidigung hatte insbesondere zum Zwecke der Sichtung des Videomaterials bereits vor Beginn der Hauptverhandlung beantragt, dem Angeklagten die Einbringung eines Laptops zur Vorbereitung seiner Verteidigung zu genehmigen, was mit Anordnung des Vorsitzenden vom 21.04.2015 mit der Maßgabe bewilligt worden war, dass der Laptop zuvor durch die Anstalt einer Kontrolle zu unterziehen ist, wobei die Zugänge, über die Daten eingespielt werden können, bis auf die für die Akteneinsicht nötigen zu versiegeln und die Versiegelungen regelmäßig zu kontrollieren seien. Nun hat der  Wahlverteidiger gemäß § 119a StPO eine gerichtliche Entscheidung beantragt, dass dem Angeklagten gestattet werde, den von ihm mit Genehmigung des Gerichts genutzten Laptop auch auf seinem Haftraum ohne zeitliche Beschränkung zu nutzen.

Die JVA hat Sicherheitsbedenken. Die Strafkammer hat aber dennoch genehmigt. Dagegen wendet sich nun die JVA. Das OLG gibt aber der Kammer Recht, und zwar u.a. mit folgender Begründung:

„Soweit die Anstalt auf eine Gefährdung der Sicherheit durch die Verwendung von Zusatzgeräten, wie externen Speichern oder Netzwerkverbindungsapplikationen abhebt, ist den Vorgängen nicht zu entnehmen, dass der Angeklagte derartige Geräte besitzen darf. Sofern die Beschwerdeführerin darauf abstellt, dass sie das unberechtigte Einbringen dieser Gegenstände in die Haftanstalt nicht verhindern könne, ist nicht erkennbar, wodurch sich die Gefahr der unberechtigten Nutzung gegenüber dem bisherigen Zustand erhöhen sollte. Auch bisher konnte der Angeklagte den Laptop offensichtlich weitgehend unbeobachtet im Besuchsbereich der Haftanstalt nutzen und hätte auch dort die als gefährlich betrachteten Gerätschaften verwenden können. Es ist auch nicht erkennbar, dass der Angeklagte bei der Nutzung des Laptops im Besuchsbereich ununterbrochen beobachtet worden wäre, insbesondere im Hinblick auf die Nutzung kleiner Zusatzgeräte. Vielmehr ist nach dem Aktenstand davon auszugehen, dass sich der Angeklagte weitgehend unbeobachtet der Nutzung seines Laptops widmen konnte. Im Übrigen ist es Aufgabe der Haftanstalt, mit den ihr zur Verfügung stehenden Überwachungsmöglichkeiten den Missbrauch des Laptops zu unterbinden. Konkrete Hinweise auf einen solchen Missbrauch, die bereits jetzt eine Nutzungseinschränkung nach sich ziehen könnten, sind dagegen weder vorgetragen noch ersichtlich. Allein die abstrakte Möglichkeit des Missbrauchs im Haftraum reicht zur Annahme einer Gefährdungslage jedenfalls dann nicht aus, wenn dieser Möglichkeit durch entsprechende Maßnahmen seitens der Anstalt begegnet werden kann.

Soweit die Beschwerdeführerin einwendet, die Netzwerksverbindungsmöglichkeiten des Laptops ließen sich nicht ausreichend kontrollieren, ist nicht erkennbar, wodurch sich die daraus ergebende Gefahr bei einer Nutzung im Haftraum statt – wie bisher – im Besuchsbereich erhöhen könnte. Die Ausführungen der Beschwerdeführerin hinsichtlich der technischen Unmöglichkeit einer wirksamen Abschaltung der eingebauten Netzwerkverbindungsmöglichkeiten und einer Versiegelung der externen Zugänge sind im Übrigen nicht zutreffend. Soweit die Beschwerdeführerin nicht über eigenes Personal verfügt, welches die erforderliche technische Umrüstung des Laptops vornehmen könnte, ist sie gehalten, sich insoweit externer Hilfe zu bedienen. Eine wirksame technische Begrenzung der Zugangsmöglichkeiten des Rechners kann und muss im Bedarfsfall durch Sachverständige – z. B. durch im Wege der Amtshilfe heranziehbare IT-Bedienstete der Justiz des Landes, des Landeskriminalamtes oder auch durch Private – erfolgen (vgl. dazu LG Frankfurt, Beschl. v. 23.10.2014 – 5/28 Qs 49/147310 Js 230995/12 – Juris, Rn. 16, 19). Sofern andere Möglichkeiten nicht bestehen oder unverhältnismäßig wären, etwa weil sie zu irreparablen Schäden am Laptop des Angeklagten führen würden, ist ihm auf Justizkosten ein entsprechend abgesichertes Gerät leihweise zur Verfügung zu stellen.“

Werden die JVA nicht gerne lesen.

Freibrief/Freilos – Erstaunliches zur U-Haft-Fortdauer aus Sachsen – II

HaftIch hatte am 06.01.2015 über den OLG Dresden, Beschl. v. 23.12.2014 – 2 Ws 542/14 berichtet (vgl. hier Freibrief/Freilos – Erstaunliches zur U-Haft-Fortdauer vom OLG Dresden). Nun liegt dazu inzwischen die Entscheidung des VerfGH Sachsen vor, der im VerfGH Sachsen, Beschl. v. 26.02.2015 – Vf. 7-IV-15 (EIS)  – die Verfassungsbeschwerde gegen die Haftentscheidung des OLG Dresden verworfen hat.

Nun, es ist ein ziemlich umfangreicher Beschluss – wie das eben bei Verfassungsgerichten manchmal so ist. Aber mich überzeugen die vielen Worten aus Leipzig nicht. Ich will – und kann aus Platzgründen – das hier nun nicht im Einzelnen ausbreiten, das mag jeder Leser nach Lesen des Beschlusses auch für sich entscheiden. Und so ganz toll ist der Beschluss für das OLG nicht. Mir wären da als OLG-Senat und/oder Berichterstatter zu viele „noch“ enthalten:

„Die Entscheidung lässt die gerichtliche Abwägung zwischen dem Freiheitsgrundrecht des Beschuldigten und dem Strafverfolgungsinteresse der Allgemeinheit sowie die gerichtlichen Erwägungen zur Frage der Verhältnismäßigkeit allgemein in derzeit noch hinreichendem Maße erkennen….“

Soweit der Senat davon ausgeht, dass die Erstellung des Sachverständigengutachtens den Anforderungen des Beschleunigungsgrundsatzes genügt, lässt die Entscheidungsbegründung gleichfalls in noch hinreichendem Maße eine Überprüfung des Abwägungsergebnisses für den Betroffenen selbst und für die Fachgerichte zu.

Denn der Senat stellt ausdrücklich und in der Sache nach dem oben Gesagten noch hinreichend schlüssig und nachvollziehbar fest, …..“

Und schon gar nicht lesen wollte ich:

„Diese Erwägungen führen insbesondere nicht dazu, dass insoweit schon jetzt hinreichend deutlich absehbare Verfahrensverzögerungen im gerichtlichen Zwischenverfahren bevorstünden, die bereits eingetretenen Verfahrensverzögerungen gleichzustellen wären (vgl. SächsVerfGH, Beschluss vom 22. Januar 2015 — Vf. 112-IV-14 [HSI/Vf, 1134V-14 [e.A.}). Denn die verfassungsrechtlich bedenkliche pauschale Betrachtungsweise des Senats ändert nichts daran, dass die Strafkammer grundrechtlich gehalten sein wird, ihre Verfahrensbehandlung auch im Zwischenverfahren an der im Einzelfall gebotenen Beschleunigung auszurichten. Sie wird hierbei zu berücksichtigen haben, dass an den zügigen Fortgang des Verfahrens umso strengere Anforderungen zu stellen sind, je länger die Untersuchungshaft schon andauert.“

In meinen Augen ist das, was der VerfGH dem OLG Dresden da bescheinigt sicherlich kein „sehr gut“, auch kein „gut“ und m.E. auch kein „befriedigend“, sondern allenfalls eine „4 -„. Man könnte auch sagen: (Gerade) noch einmal gut gegangen. Und wenn in der Sache von der StA dann endlich Anklage erhoben worden ist – auch der VerfGH macht dazu in meinen Augen keinen bzw. zu wenig Druck nach einer U-Haft-Dauer von jetzt weit über einem Jahr: Das LG wird sich nicht ausruhen dürfen. Denn die vom OLG Dresden vorgebene/angedeutete Argumentationsschiene: Ihr dürft so lange, wie die StA gebraucht hat, die sieht der VerfGH als „verfassungsrechtlich bedenkliche pauschale Betrachtungsweise“ an.

Und: Ceterum censeo: Hier geht es zur Abstimmung Beste Jurablogs Strafrecht 2015 – wir sind dabei, die Abstimmung läuft…

Freibrief/Freilos – Erstaunliches zur U-Haft-Fortdauer vom OLG Dresden

© J.J.Brown - Fotolia.com

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Ich war nicht ganz 14 Jahre beim OLG. In der Zeit hat der Senat, dem ich angehört habe, eine große Zahl von sog. BL-Sachen – das war das Aktenzeichen für Sechs-Monats-und mehr-Haftprüfungen beim OLG (§§ 121, 122 StPO) – entschieden und habe ich viele BL-Sachen der anderen Senat gesehen. Aber in keiner stand das bzw. war so formuliert wie in dem OLG Dresden, Beschl. v. 23.12.2014 – 2 Ws 542/14. Und das habe ich übrigens auch so noch in keinem anderen OLG Beschluss gelesen, der in einem Haftprüfungsverfahren nach §§ 121, 122 StPO ergangen ist.

Es geht um die Haftprüfung in einem offenbar recht umfangreichen Wirtschaftsstrafverfahren mit dem Vorwurf des Betruges mit einer großen Zahl von Geschädigten und einem sehr hohen Schaden (sog. Infinus-Verfahren). Wie umfangreich das Verfahren zu sein scheint, zeigt die Formulierung im Beschluss: „Überdies ist das Verfahren sowohl in tatsächlicher als auch rechtlicher Hinsicht schwierig und angesichts der sehr großen Zahl geschädigter Anleger, der (auch internationalen) Verflechtung des aus 22 Einzelgesellschaften bestehenden Firmengeflechts und des Volumens der jetzt schon 502 Leitz-Ordner umfassenden Sachakte außerordentlich umfangreich.“ Der Beschuldigte befindet sich inzwischen in dem Verfahren seit mehr als einem Jahr in Untersuchungshaft, es handelt sich also um die sog. 12-Monats-Prüfung. Die Staatsanwaltschaft hat ein Sachverständigengutachten in Auftrag gegeben, zu dem es heißt: „Wie bereits in den früheren Beschlüssen des Senats ausgeführt, war die Wirtschaftsprüfergesellschaft ppp. schon im Oktober 2013 — also schon vor Beginn der mit maßgeblichen Verhaftungs- und Sicherstellungsmaßnahmen — beauftragt worden. Für eine Fristsetzung zur Erstellung des Gutachtens – wie von den Verteidigern gefordert – bestand angesichts der steten und intensiven Bearbeitung des Gutachtenauftrags keine Veranlassung. Das 160 Seiten umfassendes Auswertungsgutachten, welches naturgemäß erst auf Grundlage aller digitalisierter Unterlagen abschließend erstellt werden konnte, liegt der Staatsanwaltschaft seit dem 11. Dezember 2014 vor. Einer erbetenen Aufstellung des Gutachters vom 15. Dezember 2014 (Hauptakte Band 24, Blatt 9780 ff.) über den erforderlichen Zeitaufwand der Wirtschaftsprüfer zufolge waren neben seiner Person zwei weitere Arbeitsgruppen (der Fa. ppp.), somit insgesamt sechs Wirtschaftsprüfer zeitgleich in die Analyse und Auswertung der Unterlagen eingebunden, welche insgesamt 5.306 Arbeitsstunden investieren mussten. Dies allein entspricht schon rein rechnerisch bei Zugrundelegung eines Zeitaufwands von acht Stunden pro Arbeitstag je Gutachter einer Gesamtsumme von mehr als 110 Arbeitstagen.“

So weit, so gut (?). Sicherlich umfangreich und schwierig. Aber: Auch mit der erforderlichen Beschleunigung behandelt? Das OLG meint ja und sieht keinen Grund, dass den Sachverständigen eine Frist zur Erstellung des Gutachtens hätte gesetzt werden müssen. Schon da habe ich meine Zweifel. Denn 110 Arbeitstage, von denen das OLG ausgeht, sind bei 5 Tagen/Woche, 22 Wochen, also noch nicht mal ein halbes Jahr. Gedauert hat die Gutachtenerstellung aber ein Jahr. Hätte man da die Sachverständigen nicht vielleicht doch mal mahnen können, wenn nicht sogar müssen? Wenn man die Verpflichtung nicht sieht/nicht annimmt, dann sind solche Sätze wie:

„Ein – wie vorliegend nunmehr erreichter – Vollzug von Untersuchungshaft von mehr als einem Jahr bis zum Beginn der Hauptverhandlung oder dem Erlass des Urteils kann nach den verfassungsrichterlichen Vorgaben nur in ganz besonderen Ausnahmefällen als gerechtfertigt angesehen werden (BVerfG NStZ 2000, 153), auch gefährdet dann eine schon leichte Verzögerung die weitere Aufrechterhaltung des Haftvollzuges.“

für mich nur Lippenbekenntnisse.

Das ist aber noch nicht das Besondere an dem Verfahren. Das steckt für mich vielmehr in diesen Ausführungen des Senats:

„Auch beabsichtigt sie (die Staatsanwaltschaft) ihrem Bericht zufolge, ihr Augenmerk verstärkt auf die zeitnahe Erhebung der Anklage zu richten und die Abfassung der Anklageschrift, deren Gerüst bereits feststehe, fortzusetzen.

Zu beachten ist in diesem Zusammenhang vorsorglich, dass dann, wenn schon die Staatsanwaltschaft für die Erarbeitung des gesamten Akteninhalts und der Erstellung der Anklageschrift mehrere Monate benötigt – worin per se allerdings kein Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot zu sehen ist – ein entsprechender Zeitraum auch der zuständigen Wirtschaftsstrafkammer nach Eingang der Anklage bis zur Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens zuzubilligen sein wird. Eine gründliche Auseinandersetzung mit dem gesamten Prozessstoff ist – insbesondere auch aus Sicht eines verständigen Angeklagten – unabdingbare Voraussetzung für eine den Belangen der Verfahrensbeteiligten Rechnung tragende Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens, für eine sinnvolle Terminierung und entsprechender Planung sowie Durchführung der sich anschließenden Hauptverhandlung.“

Aber hallo, das ist nun wirklich „außergewöhnlich“. Die StA „beabsichtigt ….., ihr Augenmerk verstärkt auf die zeitnahe Erhebung der Anklage zu richten und die Abfassung der Anklageschrift, deren Gerüst bereits feststehe, fortzusetzen“. Das ist ja schön, dass ein „Gerüst bereits feststeht“ – nach mehr als einem Jahr. Das ist aber auch alles, was das OLG dazu meint. Kein Hinweis, dass man die Anklage aber nun in einer bestimmten Frist – welcher? – erwartet, da ja immerhin schon mehr als ein Jahr U-Haft vollstreckt wird.

Das toppt das OLG dann aber noch mit dem folgenden Absatz, der nichts anderes ist als ein Freibrief/Freilos für die demnächst zuständige Kammer. Das OLG gibt ihr schon jetzt – bevor die Anklage überhaupt vorliegt – genau dieselbe Zeit zur Prüfung des Verfahrens und Erlass der Eröffnungsentscheidung wie ihn die StA zur Erstellung der Anklage gebraucht hat. Es mag ja sein, das man für die Erstellung der Anklage so lange/länger braucht, aber daraus kann man doch nicht vorab (!!!) bereits der Kammer „freie Fahrt“ geben. Denn das bedeutet hier – mal unterstellt, die StA hat bislang schon drei Monate für die Anklagefertigung gebraucht und benötigt nochmals drei – dass die Entscheidungen zu den 15- und 18-Monats-Haftprüfungen bereits vorliegen. Eine Verletzung des Beschleunigungsgrundsatzes wird das OLG auf der Grundlage in den dann erforderlichen Entscheidungen kaum noch treffen können. Für mich ist das unfassbar.

Und: Auch beim Haftgrund der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 1 Nr. 2 StPO) habe ich angesichts der mitgeteilten Umstände Bedenken. Abgesehen davon, dass sich für mich die Frage stellt, wovon und wohin soll der Beschuldigte eigentlich fliehen, ist er immerhin während einer Außervollzugsetzung nicht geflohen.

Das Vermächtnis des pensionierten “BGH-Vorsitzenden” – Wann muss es einen Pflichtverteidiger geben?

© Dan Race - Fotolia.com

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Der BGH, Beschl. v. 20.10.2014 – 5 StR 176/14 – ist der zweite von den gestern auf der BGH-Homepage eingestellten, der für die Veröffentlichung in BGHSt vorgesehen ist (zum  BGH, Beschl. v. 21.10.2014 – 5 StR 296/14 s. Sleepless in Berlin – Vernehmung nach 36 Stunden ohne Schlaf?). Er ist zwar auch bemerkenswert, aber aus Verteidigersicht nicht ganz so “schön”. Zum Gegenstand hat er die Problematik der Notwendigkeit der Beiordnung eines Pflichtverteidigers in einem sehr frühen Verfahrensstadium, nämlich – zumindest bei Kapitaldelikten – ggf. schon vor einer verantwortlichen Vernehmung des Beschuldigten nach dessen Ergreifung. Um diese Frage wird in Rechtsprechung und Literatur gestritten, es gibt dazu auch eine BGH-Entscheidung aus den 90-ziger Jahren, die ganz hoffnungsvoll stimmte. Danach ist aber der BGH – gerade auch der 5. Strafsenat – wieder zurück gerudert. Man/ich hatte gedacht, dass durch die Neuregelung in § 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO sich an der Stelle etwas bewegt und man aus dieser Regelung den Schluss auf eine möglichst frühe Beiordnung zieht. Die Vorschrift hat der 5. Strafsenat auch herangezogen, aber gerade zur Stützung seiner Auffassung, dass regelmäßig eben noch keine notwendige Verteidigung im Ermittlungsverfahren schon vor einer verantwortlichen Vernehmung des Beschuldigten nach dessen Ergreifung aufgrund eines Haftbefehls in einer Kapitalsache anzunehmen ist:

“aa) Der Bundesgerichtshof hat bereits mehrfach entschieden, dass nach geltendem Recht (§ 141 Abs. 3 Satz 2 StPO) auch mit Bedacht auf Art. 6 Abs. 3 Buchst. c MRK keine Pflicht besteht, dem Beschuldigten stets bereits frühzeitig im Ermittlungsverfahren, etwa beginnend mit dem dringenden Verdacht eines (auch schweren) Verbrechens, einen Verteidiger zu bestellen (BGH, Beschlüsse vom 5. Februar 2002 – 5 StR 588/01, BGHSt 47, 233, 236 f.; vom 17. Dezember 2003 – 5 StR 501/03, BGHR StPO § 141 Bestellung 8; vom 19. Oktober 2005 – 1 StR 117/05, NStZ-RR 2006, 181, 182; vom 10. Januar 2006 – 5 StR 341/05, NJW 2006, 1008, 1010). Das gilt auch dann, wenn ein Haftbefehl besteht (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Dezember 2003 – 5 StR 501/03, aaO).

Von dieser Rechtsprechung abzurücken, besteht kein Anlass. Dies gilt umso mehr, als der Gesetzgeber mit dem Gesetz zur Änderung des Untersuchungshaftrechts vom 29. Juli 2009 (BGBl. I S. 2274) den Zeitpunkt der rechtlich zwingenden Bestellung eines Pflichtverteidigers in § 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO in Kenntnis der bestehenden Rechtsprechung bewusst auf den Beginn der Vollstreckung der Untersuchungshaft festgelegt hat. Nach § 141 Abs. 3 Satz 4 StPO hat die Verteidigerbestellung „unverzüglich“ zu erfolgen, sofern der Haftbefehl nach seiner Verkündung nicht außer Vollzug gesetzt wird (vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 16/13097, S. 19). Erst mit der Aufrechterhaltung der Haft nach § 115 Abs. 4 Satz 1 StPO liegt eine Vollstreckung der Untersuchungshaft im Sinne des § 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO vor. Forderungen, frühere Ereignisse, wofür beispielsweise der Erlass eines Haftbefehls oder die Ergreifung des Beschuldigten in Betracht gekommen wären, haben sich im Gesetzgebungsverfahren nicht durchgesetzt (vgl. Beschlussempfehlung und Bericht, aaO, S. 16 f.; siehe auch BGH, Beschluss vom 5. Februar 2002 – 5 StR 588/01, aaO, S. 237; Jahn in Festschrift Rissing-van Saan, 2011, S. 275, 277 f. mwN).”

Allerdings:

“cc) Allerdings haben die Polizeibeamten gegen § 115 Abs. 1 StPO verstoßen, indem sie die Angeklagte nach ihrer Ergreifung nicht unverzüglich dem zuständigen Gericht vorgeführt, die Vorführung vielmehr zum Zweck der Durchführung polizeilicher Beschuldigtenvernehmungen aufgeschoben haben (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Februar 1995 – 5 StR 547/94, BGHR StPO § 128 Abs. 1 Vorführungsfrist 2; Urteil vom 17. November 1989 – 2 StR 418/89, NJW 1990, 1188). Dieser Verfahrensfehler verengt jedoch nicht den der Staatsanwaltschaft in § 141 Abs. 3 Satz 2 StPO übertragenen Beurteilungsspielraum betreffend das Hinwirken auf sofortige Verteidigerbestellung. Viel-mehr wäre es – sofern eingebunden – deren Pflicht gewesen, nachhaltig für die Wahrung des Unverzüglichkeitsgebots nach § 115 Abs. 1 StPO Sorge zu tragen. Infolge der in erster Linie auf Gewährleistung rechtlichen Gehörs nach Art. 103 Abs. 1 GG zielenden Schutzrichtung des § 115 Abs. 1 StPO (vgl. BVerfG [Kammer], NStZ 1994, 551, 552; LR/Hilger, StPO, 26. Aufl., § 115 Rn. 1), die das Interesse an frühzeitiger Verteidigerbestellung (vgl. auch KK/Graf, StPO, 7. Aufl., § 115 Rn. 1a) gleichsam als Reflex mit umfasst, vermag die Verletzung dieser Vorschrift den Zeitpunkt rechtlich zwingender Verteidigerbestellung aber nicht vorzuverlagern….”

Die letzte Frage war dann aber revisionsrechtlich ohne Bedeutung: Denn der Angeklagte hatte die Verletzung des in § 115 Abs. 1 StPO normierten Unverzüglichkeitsgebots mit seiner Verfahrensrüge nicht beanstandet, sondern sich vielmehr ausdrücklich auf die Rüge unterlassener Verteidigerbestellung beschränkt. Das war es dann.

Vielleicht war der Beschluss dann (auch) das Vermächtnis des pensionierten Vorsitzenden? Der Verteidiger wird jedenfalls beides nicht gerne lesen.

BVerfG rüffelt OLG München: „…nicht einmal ansatzweise dargelegt“

© Klaus Eppele - Fotolia.com

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U-Haft-Fragen sind für den Beschuldigten wegen des betroffenen Freiheitsgrundrechtes aus Art. 2 GG von erheblicher Bedeutung. Sie spielen auch in der Praxis der OLG eine große Rolle. Und: Ich kann mich noch gut daran erinnern, dass die Strafsenate beim OLG Hamm insbesondere dann in „heller Aufregung“ waren, wenn in einer Haftsache Verfassungsbeschwerde eingelegt worden war. Denn man war/ist es ja nicht mehr gewohnt, dass ggf. ein „übergeordnetes“ Gericht die eigenen Entscheidungen überprüft. Deshalb wurde beim OLG Hamm immer großen Wert auf eine ausreichende Begründung einer Haftfortdauerentscheidung gelegt. Denn man wollte einen Rüffel des BVerfG vermeiden. Den hat sich jetzt aber das OLG München zu einem Haftfortdauerbeschluss eingefangen, und zwar im BVerfG, Beschl. v. 22.01.2014 – 2 BvR 2248/13 und 2 BvR 2301/13 – ziemlich deutlich.

Das BVerfG referiert im Beschluss zunächst seine Rechtsprechung zur U-Haft und verweist darauf, dass der Beschleunigungsgrundsatz in Haftsachen auch für das Zwischenverfahren nach §§ 199 ff. StPO sowie dann gilt, wenn ein Haftbefehl wegen Strafhaft in anderer Sache nicht vollzogen wird und nur Überhaft notiert ist. Außerdem verweist es (nochmals) darauf, dass an den Fortgang des Verfahrens sind umso strengere Anforderungen zu stellen, je länger die Untersuchungshaft bereits dauert. Nichts Neues, aber vom BVerfG immer wieder betont.

Und dann wird es für das OLG aber bitter. Denn das BVerfG setzt sich mit der „Begründungstiefe“ der oberlandesgerichtlichen Entscheidungeauseinander und rüffelt die als nicht ausreichend. Auch insoweit nichts Neues, aber schon „unschön“ und wird man beim OLG auch nicht gern lesen. Auch Formulierungen wie „auch sonst nicht einmal ansatzweise dargelegt“ haben das OLG sicherlich nicht gefreut.

Diesen sich aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG ergebenden Anforderungen wird der mit der Verfassungsbeschwerde angegriffene Beschluss des Oberlandesgerichts, welcher die Fortdauer der zu diesem Zeitpunkt seit annähernd zehn Monaten andauernden Untersuchungshaft zum zweiten Mal anordnete, nicht gerecht. Es fehlt jedenfalls an der gebotenen Begründungstiefe der Entscheidung.

Bereits der Vorlagebeschluss der Strafkammer vom 4. September 2013 enthält keine Ausführungen, die eine Haftfortdaueranordnung tragfähig begründen könnten. Erst recht erfüllt der angegriffene Beschluss des Oberlandesgerichts nicht die erhöhten Anforderungen an die Begründungstiefe von Haftfortdauerentscheidungen, weil er eine ausreichende Abwägung zwischen dem Freiheitsanspruch des Beschwerdeführers und dem staatlichen Strafverfolgungsanspruch vermissen lässt. Insbesondere sind in die Abwägung nicht alle maßgeblichen Umstände einbezogen worden.

1. Der Strafsenat hat sich nicht damit auseinandergesetzt, ob das Zwischenverfahren deshalb nicht mit der zu erwartenden Zügigkeit gefördert worden ist, weil die Strafkammer bis zur angefochtenen Haftfortdauerentscheidung trotz seit längerem bestehender Entscheidungsreife noch nicht die Eröffnung des Hauptverfahrens beschlossen hatte.

Selbst wenn das Ausgangsverfahren angesichts der Komplexität der den Beschwerdeführern zur Last gelegten Steuerstraftaten und der Vielzahl der beteiligten Personen eine überdurchschnittliche Schwierigkeit aufweisen mag, rechtfertigt dies allein es nicht, im Zwischenverfahren anstehende Entscheidungen nicht mit der gebotenen Beschleunigung zu treffen.

In diesem Zusammenhang hätte der Strafsenat in den Blick nehmen müssen, dass das Landgericht sich in seinem Vorlagebeschluss vom 4. September 2013 nicht auf eine besondere Schwierigkeit berufen hatte. Es hat auch sonst nicht einmal ansatzweise dargelegt, aus welchen Gründen es sich an einer rechtzeitigen Beschlussfassung über die Eröffnung des Hauptverfahrens gehindert sah. Von Seiten der Beschwerdeführer sind jedenfalls zu keinem Zeitpunkt Einwendungen gegen die Eröffnung des Hauptverfahrens erhoben oder nach § 202 StPO Beweisanträge gestellt worden, die auf die Förderung des Verfahrens und einen zeitnahen Eröffnungsbeschluss hätten Einfluss nehmen können. Soweit das Bayerische Staatsministerium der Justiz in seiner Stellungnahme auf die einem Verteidiger eines Mitangeklagten gewährte Fristverlängerung von zwei Monaten hinweist, führt die Strafkammer auch diesen Umstand nicht als Grund für eine Verzögerung an.

Es ist somit nicht ersichtlich, weshalb die Strafkammer nicht nach Ablauf der den Verteidigern bis Ende Juli 2013 gewährten Stellungnahmefrist oder jedenfalls spätestens mit der Vorlageentscheidung am 4. September 2013 über die Eröffnung des Hauptverfahrens entscheiden konnte. Vielmehr ist diese Entscheidung unterblieben, obwohl sich die Beschwerdeführer zu diesem Zeitpunkt seit annähernd acht Monaten in Untersuchungshaft befanden.

2. Der Strafsenat führt zum Beleg der gerichtlichen Tätigkeit im Zwischenverfahren allein den Umstand an, die Strafkammer habe die Verteidiger gebeten, für den Fall der Eröffnung des Hauptverfahrens etwaige Terminverhinderungen zwischen dem 1. Februar und 30. April 2014 mitzuteilen. Dies erfolgte erst am 18. September 2013, wobei aufgrund des zeitlichen Ablaufs die Annahme naheliegt, dass zwischen der Abfrage der Kammer und der Faxanfrage des Strafsenats vom selben Tag ein unmittelbarer Zusammenhang bestand und die Kammer allein deshalb eine entsprechende Tätigkeit entfaltet hatte. Das Landgericht hätte jedoch schon im Anschluss an die Anfang Juli 2013 mit den beiden Verteidigern geführten Telefonate eine Terminabfrage vornehmen können. Weitere Gelegenheiten nutzte die Kammer ebenfalls nicht, nachdem die Bevollmächtigte des Beschwerdeführers zu 1. am 25. Juli und 8. August 2013 schriftlich um die Mitteilung gebeten hatte, wann im Falle der Eröffnung Termine bestimmt würden.

3. Überdies setzt sich der Strafsenat im Zusammenhang mit der von ihm – nicht jedoch vom Landgericht im Vorlagebeschluss – angeführten hohen Belastung der Strafkammer nicht mit dem Vorbringen der Beschwerdeführer auseinander. Danach war für die Justiz bereits Mitte 2012 der Umfang des Gesamtkomplexes erkennbar und daher vorhersehbar, dass die vorhandenen Wirtschaftsstrafkammern des Landgerichts nicht in der Lage sein würden, die einzelnen Haftsachen in angemessener Zeit durch Urteil abzuschließen.“