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Verstoß gegen Weisungen der Führungsaufsicht, oder: Unverhältnismäßige Weisungen

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Heute dann – seit längerem mal wieder – drei vollzugs- bzw. vollstreckungsrechtliche Entscheidungen.

Den Reigen eröffne ich mit dem OLG Zweibrücken, Beschl. v. 21.01.2019 – 1 OLG 2 Ss 76/18, den mir der Kollege S. Allgeier, Mannheim, übersandt hat. Er hat zumindest mittelbar mit der Tagesthematik zu tun, denn es geht um einen Verstoß gegen § 145a StGB, also einen Verstoß gegen Weisungen der Führungsaufsicht u.a.

Das AG hatte insoweit verurteilt, allerdings Bewährung gewährt, dagegen hat die StA Berufung eingelegt, die sie auf das Strafmaß beschränkt hat. Das LG hat die Berufung entfallen lassen. Dagegen dann die erfolgreiche Revision des Angeklagten.

Das OLG hat die Berufungsbeschränkung als nicht wirksam angesehen:

„Im Hinblick auf die als wirksam erachtete Beschränkung hat das Landgericht die vom Amtsgericht getroffenen Feststellungen zum Schuldspruch seiner Beurteilung zugrunde gelegt. Hinsichtlich der Verstöße gegen Weisungen der Führungsaufsicht hat das Amtsgericht Folgendes festgestellt:

„Der Angeklagte steht aufgrund des Beschlusses des Landgerichts Freiburg vom 14.01.2016, Az. 12 StVK 282/15, unter Führungsaufsicht. Hierbei wurde ihm unter anderem zur Auflage gemacht, keine alkoholischen Getränke zu sich zu nehmen. Entgegen dieser Auflage trank der Angeklagte am 08.09.2016 mehrere Gläser Bier, was zu einer Atemalkoholkonzentration von 0,87 Promille führte.

Zudem wurde der Angeklagte im Führungsaufsichtsbeschluss sowie im Ergänzungsbeschluss vom 27.07.2016 angewiesen, mindestens zweimal im Monat psychotherapeutische bzw. psychologische Gespräche bei der Psychotherapeutischen Ambulanz in Ludwigshafen wahrzunehmen. Entgegen dieser Auflage nahm er weder im August noch im Oktober 2016 diese Gespräche wahr.“

Gegen das Urteil hat der Angeklagte Revision eingelegt und das Rechtsmittel mit der Sachrüge begründet. Die Generalstaatsanwaltschaft Zweibrücken hat beantragt, die Revision als unbegründet kostenpflichtig zu verwerfen.

1. Die zulässige Revision ist begründet.

Das angefochtene Urteil war aufzuheben, da die von der Staatsanwaltschaft erklärte Berufungsbeschränkung auf die Frage der Strafaussetzung zur Bewährung unwirksam ist und das Landgericht nicht über alle von der Anfechtung erfassten Entscheidungsteile des amtsgerichtlichen Urteils befunden hat.

Grundsätzlich kann ein Rechtsmittel wirksam auf die Frage der Strafaussetzung zur Bewährung beschränkt werden (OLG Frankfurt a.M., Beschluss vom 18. Januar 2013, Az. 3 Ss 383/12, juris Rn. 2; OLG Hamburg, Beschluss vom 9. Februar 2005, Az. 1 Ss 5/05; juris Rn. 12; BayObLG, Urteil vom 12. Dezember 2002, Az. 5 St RR 299/2002, juris Rn. 5). Die materielle Wirksamkeit der Beschränkung setzt voraus, dass die erstinstanzlichen Feststellungen derart vollständig und widerspruchsfrei sind, dass sie eine ausreichende Grundlage für die Legalprognose nach § 56 Abs. 1 StGB und gegebenenfalls die Bewertung besonderer Umstände nach § 56 Abs. 2 StGB bilden. Einer wirksamen Beschränkung steht insbesondere entgegen, wenn auf der Grundlage der Urteilsfeststellungen unklar bleibt, ob sich der Angeklagte überhaupt strafbar gemacht hat (OLG Hamburg, a.a.O., juris Rn. 24; OLG Frankfurt, a.a.O., juris Rn. 2; BayObLG, a.a.O., juris Rn. 5; zur Beschränkung des Rechtsmittels auf die Kompensationsentscheidung BGH, Urteil vom 6. August 2014, Az. 2 StR 60/14, juris Rn. 7; zur Beschränkung des Rechtsmittels auf den Rechtsfolgenausspruch vgl. Senat, Beschluss vom 9. April 2014, Az. 1 OLG 1 Ss 26/15; BGH, Urteil vom 22. Februar 1996, Az. 1 StR 721/95, juris Rn. 9; OLG Dresden, Beschluss vom 10. September 2014, Az. 2 OLG 23 Ss 557/14; juris Rn. 5)

So verhält es sich hier. Die vom Amtsgericht getroffenen Feststellungen hinsichtlich der Verurteilung wegen Verstoßes gegen Weisungen der Führungsaufsicht sind lückenhaft und deshalb nicht geeignet, Grundlage für den Rechtsfolgenausspruch zu sein. Bei § 145a StGB handelt es sich um eine Blankettvorschrift, deren Tatbestand erst durch die genaue Bestimmung der Führungsaufsichtsweisung seinen Inhalt erhält. Die Vorschrift enthält das ungeschriebene Tatbestandsmerkmal, dass die Weisung, gegen die der Angeklagte verstoßen hat, rechtsfehlerfrei ist. Rechtsfehlerhafte, insbesondere unverhältnismäßige oder gem. § 68 b Abs. 3 StGB für den Verurteilten unzumutbare Weisungen können die Strafbarkeit nach § 145a StGB nicht begründen (BGH, Beschluss vom 19. August 2015, Az. 5 StR 275/15, juris Rn. 5; BGH, Beschluss vom 19. Juni 2018, Az. 4 StR 25/18, juris Rn. 7; OLG Dresden, a.a.O., juris Rn. 14). Darüber hinaus muss sich aus dem Führungsaufsichtsbeschluss unmissverständlich ergeben, dass die Weisung strafbewehrt ist (BGH, a.a.O., juris Rn. 6; OLG Dresden, a.a.O., juris, Rn. 14). Diesen Anforderungen werden die Feststellungen des amtsgerichtlichen Urteils nicht gerecht. Das Landgericht hat zwar ergänzend Feststellungen zur Gefährdung des Maßregelzweckes getroffen. Aus den Feststellungen des Amts- und Landgerichts ergibt sich aber weder, dass dem Angeklagten die Beschlüsse, in denen die Weisungen erteilt und abgeändert wurden, bekannt gegeben wurden, noch, dass in dem Beschluss, mit dem die Weisungen erteilt wurden, ausdrücklich darauf hingewiesen wird, dass die Abstinenzweisung und die Weisung, regelmäßig Gespräche bei der Psychotherapeutischen Ambulanz in Ludwigshafen wahrzunehmen, strafbewehrt sind. Darüber hinaus ist nicht festgestellt, ob die Weisungen zumutbar waren.

Wegen der aufgezeigten Lücken kann der Schuldspruch keine Grundlage für die Entscheidung über den Rechtsfolgenausspruch bieten, soweit der Angeklagte wegen Verstoßes gegen Weisungen der Führungsaufsicht in 3 Fällen verurteilt wurde. Wegen der Unwirksamkeit der Berufungsbeschränkung insoweit unterliegt das angefochtene Urteil mit den zugrundeliegenden Feststellungen insgesamt der Aufhebung.

2. Für die erneut durchzuführende Hauptverhandlung wird die Berufungskammer Folgendes zu beachten haben:

Die Berufungsbeschränkung ist nur im Hinblick auf die Verurteilung wegen Verstoßes gegen Weisungen der Führungsaufsicht gern. § 145a StGB unwirksam. Soweit der Angeklagte wegen Verstoßes gegen das Gewaltschutzgesetz in fünf Fällen und Be-drohung verurteilt und im Übrigen freigesprochen wurde, ist die Berufung wirksam beschränkt worden, sodass insoweit sowohl der Schuldspruch als auch der Ausspruch über die Einzelstrafen rechtskräftig ist.

Die Rechnung des Schlüsseldienstes, oder: Nicht alles, was teuer ist, ist gleich Wucher

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Wer kennt es nicht bzw. hat schon mal davon gehört? Man hat sich ausgesperrt und muss, um wieder in seine Wohnugn zu kommen, einen Schlüsseldienst bemühen. der öfnnet die Wohnungstür, man ist also wieder in seiner Wohnung, aber das Portemonnaie ist leer. Denn die Rechnung des Schlüsseldienstes war mehr als saftig. Wenn man die Preise dann sieht/hört, ruft man schnell: Da ist doch Wucher. Aber: Ist das der Fall, vor allem ist es strafrechtlicher Wucher i.S. des § 291 StGB.

Mit der Frage setzt sich der OLG Köln, Beschl. v. 22.11.2016 – 1 RVs 210/16 – auseinander. Das OLG hat die Frage verneint und meint: Für eine Strafbarkeit wegen Wuchers (§ 291 StGB) ist erforderlich, dass eine Zwangslage ausgebeutet wird. Das ist bei Beauftragung eines Schlüsseldienstes aber nich schon allein wegen des Ausgesperrtseins der Fall. Vielmehr müssen weitere Umstände hinzukommen, wie z.B. dass ein Kind in der Wohnung eingesperrt ist, Wasser aus einer verstopften Rohrleitung austritt oder wegen eingeschalteter elektrischer Geräte Brandgefahr besteht. Im Einzelnen:

„bb) Natürlich lässt sich die Situation des Ausgesperrten in dem Sinne als „Zwangslage“ kennzeichnen, dass sie jedenfalls eine zeitnahe Reaktion unter Hintanstellung ggf. zunächst ins Auge gefasster anderweitiger Pläne erfordert. Andererseits liegt eine ernste Bedrängnis nicht stets und ohne weiteres in der Situation des Ausgesperrt-Seins als solcher. Die tatbestandliche Zwangslage muss nämlich auch „ausgebeutet“ werden können, der Geschädigte daher zur Beseitigung der bedrängten Lage von der Leistung einer bestimmten Person abhängig sein (zutr. Schönke/Schröder-Heine/Hecker, a.a.O., § 291 Rz. 23), dieser Situation eben die spezifische Gefahr einer Rechtsgutsverletzung innewohnen, der sich das Tatopfer nicht ohne weiteres entziehen kann (BGHSt 42, 399 [400]), weshalb auch nicht außer Acht gelassen werden darf, dass es im Wirtschaftsleben zunächst Sache des Auftraggebers ist, sich nach den Kosten für eine benötigte Leistung zu erkundigen.  Maßgeblich sind daher stets die Umstände des Einzelfalles, namentlich die Situation in der nunmehr nicht mehr zugänglichen Wohnung selbst (etwa – worauf bereits das Landgericht zutreffend abgestellt hat – : ein eingeschalteter Herd, ein hungriger Säugling), Jahreszeit und Witterung, die Dringlichkeit anderweitiger Verpflichtungen des Geschädigten sowie die Anwesenheit oder Erreichbarkeit der Hilfe Dritter (zutr. von einer tatbestandlichen Lage ausgehend daher LG Nürnberg-Fürth BB 1973, 777 für den Fall eines Wasseraustritts aufgrund verstopfter Rohrleitung). Soweit der Entscheidung des Landgerichts Bonn vom 5. Mai 2006 (37 M 2/06 – bei Juris Tz. 64), die einen anders gelagerten Sachverhalt betraf, Gegenteiliges zu entnehmen sein sollte und der Senat dies durch seine Entscheidung vom 2. November 2006 – 80 Ss 108/06 – bestätigt hat, hält er hieran nicht fest.“

Verstößt das Töten von männlichen Eintagsküken gegen das Tierschutzgesetz?

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In Münster, aber auch in der überörtliche Presse, hat das Verfahren 2 KLs 7/15 Aufsehen erregt. In ihm ging es um die Frage, ob die bei Kükenbrütereien ggf. geübte Prxais, männlichen Küken am ersten Tag ihres Lebens zu vergasen oder lebend zu zerschreddern gegen das Tierschutzgesetz verstößt. Nach § 17 Nr. 1 TierSchG wird nämlich bestraft, wer ein Wirbeltier ohne vernünftigen Grund tötet. Das LG Münster hat diese Frage im LG Münster, Beschl. v. 07.03.2016 – 2 KLs 7/15 – verneint und das Hauptverfahren über eine von der StA Münster erhobene Anklage nicht eröffnet. Angeklagt war der Betreiber einer Kükenbrüterei, der diese seit einigen Jahren betreibt.

Das LG geht zur Begründung seiner Entscheidung davon aus, dass § 17 Nr. 1 TierSchG nach gem. Art. 103 Abs. 2 GG gebotener verfassungsgemäßer Auslegung keine ausreichende Grundlage für eine Verurteilung darstellt, weil der Gesetzgeber bei Erlass der Vorschrift das Töten von männlichen Eintagsküken nicht unter Strafe habe stellen wollen. Das begründet sie mit der im Jahre 2012 erlassenen Tierschutzschlachtverordnung, die zulässige Tötungsformen für Eintagsküken regele, der Auswertung der Tierschutzberichte wechselnder Bundesregierungen und sonstiger Gesetzesmaterialien. Und:

„Eine Änderung der strafrechtlichen Beurteilung für einen über Jahrzehnte praktizierten Sachverhalt bedürfte aber nach dem Maßstab des Art. 103 Absatz 2 GG einer gesetzgeberischen Entscheidung, weil einerseits für den Angeschuldigten die strafrechtlichen Folgen nicht in dem Umfang, wie es Art. 103 Absatz 2 GG verlangt, vorhersehbar sind und sich andererseits vor dem Hintergrund, dass es sich bei § 17 TierSchG um einen wertungsoffenen, durch soziale Anschauungen und das kulturelle Selbstverständnis eines überwiegenden Teils der Bevölkerung geprägten Tatbestand außerhalb des Kernstrafrechts handelt, Schwierigkeiten bei der Bestimmtheit des Tatbestand ergeben, die durch eine konkretisierende höchst- oder auch nur obergerichtliche Rechtsprechung bisher nicht ausgeräumt sind.“

Und weiter:

Losgelöst von den Ausführungen zu Art. 103 Abs. 2 GG, die für alle Brütereien in Deutschland entsprechend gelten dürften, scheidet die Strafbarkeit vorliegend aber auch aus, weil die innerhalb des § 17 TierSchG vorzunehmende Abwägung das Vorliegen eines vernünftigen Grundes für die Tötung der Eintagsküken ergibt.

In die im Rahmen der Prüfung des § 17 Nr. 1 TierSchG einfachgesetzlich wie verfassungsrechtlich gebotene Abwägung ist der inzwischen verfassungsrechtlich abgesicherte Tierschutz mit der Maßgabe einzustellen, dass in der Tötung der männlichen Eintagsküken ein mehrfacher, nicht umkehrbarer und schwerwiegender Eingriff in den Tierschutz liegt.

Dem steht gegenüber die Berufsfreiheit des Angeschuldigten aus Art. 12 GG, dessen aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Absatz 3 GG) abzuleitender Vertrauensschutz, die Einheit der Rechtsordnung, der Umstand, dass es derzeit keine wirtschaftlich sinnvolle Alternative für die Tötung der Eintagsküken gibt und der Angeschuldigte auch während der Dauer des Betriebs seines Unternehmens stets versucht hat, sich an die ändernden Wertvorstellungen anzupassen – so z.B. vom Zerkleinern der Tagesküken zu deren als weniger verwerflich beurteilten Vergasung und von der Entsorgung der Tierkadaver zur Weiterverarbeitung als Futtermittel übergegangen ist.

Nimmt man den Umstand, dass der Angeschuldigte seine Geflügelzucht mit angeschlossener Brüterei seit wenigstens 2010 betreibt, zusammen mit den oben bereits angeführten Verlautbarungen aus Gesetzgebungsmaterialien und Tierschutzberichten und berücksichtigt weiter, dass es sich bei der Strafnorm aus dem Tierschutzgesetz nicht um einen Bestandteil des Kernstrafrechts handelt, gewinnt die Kammer die Überzeugung, dass der Angeschuldigte berechtigterweise darauf vertrauen durfte, dass sein Handeln – unbeschadet einer Untersagungsmöglichkeit durch die Fachaufsicht, die ihm aber gewisse Übergangsfristen zu gewähren hätte – jedenfalls nicht einer Strafbarkeit unterfällt.“

Sicherlich keine „leichte Kost“, aber irgendwann musste/wollte ich ihn bringen….

Der Schulleiter, der die Abiturnoten anhebt, – strafbar?

entnommen wikimedia.org Urheber Photo: Andreas Praefcke

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Vom OLG Bamberg ist mir der OLG Bamberg, Beschl. v. 08.06. 2015 – 2 OLG 8 Ss 15/15 – übersandt worden, der einen sicherlich nicht alltäglichen Fall behandelt. Nämlich die eigenmächtige Anhebung von Abiturnoten durch den Schulleiter eines Gymnasiums. Der ist deswegen vom AG wegen Falschbeurkundung im Amt zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen verurteilt worden, das LG hat auf die Berufung der Staatsanwaltschaft auf 90 Tagessätze erhöht, und das OLG Bamberg? Das OLG Bamberg hat im Beschl. v. 08.06.2015 frei gesprochen.

Da es sich um einen umfangreich(eren) Sachverhalt handelt, will ich den hier aus Platzgründen nicht einstellen. Das kann/soll/muss dem „Selbststudium“ im verlinkten Volltext überlassen bleiben. Das OLG kommt zu dem (rechtlichen) Ergebnis, dass es sich bei den von dem Angeklagten unterzeichneten Abiturzeugnissen zwar um öffentliche Urkunden, zu deren Aufnahme der Angeklagte befugt war, gehandelt hat. Der Angeklagte habe darin aber nicht rechtlich erhebliche Tatsachen falsch bekundet. Das LG habe die Reichweite des Wahrheitsschutzes im Tatbestand der Falschbeurkundung im Amt nach § 348 StGB verkannt.

Auch die rechtliche Begründung ist sehr umfangreich, so dass ich daraus Einzelheiten nicht einstellen will. Ich beschränke mich daher auf die Leitsätze, die wie folgt lauten:

  1. Bei der auch mit Blick auf Art. 103 Abs. 2 GG gebotenen Umgrenzung des Anwendungsbereichs des § 348 StGB ist bei einer von einer Verwaltungsbehörde ausgestellten Urkunde ein strenger Maßstab für die Beurteilung der Frage anzulegen, ob den in ihr enthaltenen Tatsachen die gesteigerte Beweiskraft einer öffentlichen Urkunde beizumessen ist. Eine Beweiswirkung für und gegen jedermann ist nur dann zu bejahen, wenn zweifelsfrei feststeht, dass dies unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung dem Sinn und Zweck des Gesetzes entspricht (u.a. Anschluss an BGHSt 22, 201/203; BGHSt 42, 131 f.; BGH NStZ 2015, 278; OLG Bamberg NStZ-RR 2014,142 = OLGSt StGB § 271 Nr 4 und OLG Hamburg NStZ 2014, 95).
  2. Das als öffentliche Urkunde i.S.v. §§ 415, 417 ZPO anzusehende (bayerische) Abiturzeugnis beweist zu öffentlichem Glauben, dass der Zeugnisinhaber an der Abiturprüfung teilgenommen hat, die im Einzelnen ausgewiesenen Prüfungsleistungen vorgelegen haben, die angegebenen Noten erteilt worden sind und dem Zeugnisinhaber auf dieser Grundlage nach Bestehen der Abiturprüfung die allgemeine Hochschulreife zuerkannt worden ist. Der öffentliche Glaube der Urkunde im Sinne einer vollen Beweiskraft für und gegen jedermann erstreckt sich indes nicht darauf, dass die im Abiturzeugnis im Einzelnen ausgewiesenen Prüfungsleistungen ordnungsgemäß erbracht und bewertet worden sind. Insbesondere entfaltet das Abiturzeugnis keine besondere Beweiskraft hinsichtlich der Einhaltung der maßgeblichen prüfungsrechtlichen Verfahrensvorschriften.
  3. Hebt der Schulleiter, der gleichzeitig Vorsitzender des Prüfungsausschusses ist, in einem Abiturprüfungsfach die Noten der schriftlichen Prüfungsarbeiten der Prüfungsteilnehmer, welche in dem von ihm auszustellenden Abiturzeugnis gesondert ausgewiesen sind, unter Verstoß gegen die Zuständigkeitsvorschriften des bayerischen Schulrechts und gegen allgemein gültige Bewertungsmaßstäbe eigenmächtig um einen Punkt an, so erfüllt er den Tatbestand der Falschbeurkundung im Amt nicht. Ob eine Falschbeurkundung dann vorliegt, wenn von der verwaltungsrechtlichen Nichtigkeit der erteilten Noten auszugehen ist, bleibt offen.“

Unterlassene Rettungsbemühungen bei einem Selbstmörder – strafbar? Nicht immer

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Mit einer in der letzten Zeit (in der Presse) häufiger diskutierten Problematik hat sich vor einiger Zeit der LG Deggendorf, ?Beschl. v. 13?.?09?.?2013? – 1 Ks 4 Js ?7438?/?11? – befasst, nämlich mit der Frage der Erforderlichkeit von Nothilfe oder, ob unterlassene Rettungsbemühungen eines Notarztes gegenüber einem Suizidenten in jedem Fall strafbar sind. Das LG hat das verneint und die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt..

Das Verhalten des Angeschuldigten war rechtmäßig.

Insbesondere war der Angeschuldigte bei seinem ersten Notarzteinsatz am xx.xx.2013 gegen 09.00 Uhr nicht zur Vornahme lebenserhaltenden Maßnahmen gegenüber dem Patienten Dr. A verpflichtet. Eine solche Verpflichtung ergab sich für den Angeschuldigten weder aus seiner Stellung als diensthabender Notarzt noch aus allgemeinen Grundsätzen.

Einer entsprechenden Handlungsverpflichtung steht insofern bereits der zu beachtende Suizidwille des Dr. A entgegen.

Soweit der Bundesgerichtshof in der – von der Staatsanwaltschaft im Aktenvermerk vom 31.05.2012 (Bl. 54 ff.) zur Beurteilung der Rechtslage zitierten – Entscheidung vom 04.07.1984 (sogen. „Peterle-Entscheidung“, BGHSt 32, 367 = NJW 1984, 2639) den behandelnden Arzt auch gegenüber einem freiverantwortlich handelnden Suizidenten zu lebensrettenden Maßnahmen verpflichtet sah, sobald dieser infolge Bewusstlosigkeit die Tatherrschaft über das Geschehen verloren hatte, folgt dem die Kammer nicht.

Nach Auffassung des Gerichts läuft diese rigide strafrechtliche Sichtweise dem Selbstbestimmungsrecht des Patienten zuwider und ist spätestens seit Inkrafttreten des § 1901 a Abs. 2 und 3 BGB n.F. auch gesetzlich überholt. Ratio dieser Vorschrift ist es, jede freiverantwortliche Entscheidung des Betroffenen – unabhängig von Art und Stadium seiner Erkrankung – zu achten (so auch: Kutzer, ZRP 5/2012, S. 135 ff. (138)). Dabei strahlt diese Vorschrift aus dem Betreuungsrecht auch auf die im Strafrecht vorzunehmenden Wertungen – auch hinsichtlich des Selbstbestimmungsrechtes eines Suizidenten – aus.

Auf dieser Basis ist in den Fällen eines freiverantwortlichen Suizides keinen Raum für eine strafrechtliche Sanktionierung von – nur im Hinblick darauf – unterlassenen Rettungsbemühungen.

Die Kammer sieht im Vorgehen des Dr. A einen freiverantwortlichen „Bilanzsuizid“, der auf einer rationalen Abwägung seiner Lebensumstände beruht.

Das folgert die Kammer dann aus der im Einzelnen dargelegten „Vorgeschichte“ und der „Auffindesituation“.