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OWi III: Trunkenheitsfahrt, oder: Wie viel Whisky ist in „Whisky-Cola“?

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Und die dritte Entscheidung stammt dann auch vom OLG Hamm. Den OLG Hamm, Beschl. v.13.08.2020 – 3 RBs 145/20 – hat mir der Kollege Brüntrup aus Minden geschickt.

Das OLG hat in dem Beschluss ein Urteil des AG Minden aufgehoben. Das hatte den Betroffenen wegen eines Verstoßes gegen § 24a Abs. 1 StVG – Trunkenheitsfahrt – verurteilt. Dem OLG gefällt vor allem die Beweiswürdigung des AG nicht. Die hatte auch schon der GStA nicht gefallen. Deren Ausführungen „rückt das OLG ein“:

„Die Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Antragsschrift vom 18.05.2020 ausgeführt:

„ …..die Urteilsgründe sind teils lückenhaft und teils widersprüchlich und verstoßen im Übrigen gegen § 17 Abs. 2 OWiG.

Will sich das Gericht dem Ergebnis eines Sachverständigengutachtens ohne Angabe eigener Erwägungen anschließen, so müssen in den Urteilsgründen wenigstens die wesentlichen Anknüpfungstatsachen und Darlegungen des Sachverständigen wiedergegeben werden. Eine von dem herangezogenen Sachverständigen vorgenommene Rück- beziehungsweise Hochrechnung des maßgeblichen BAK-Wertes muss in einer für das Revisionsgericht nachprüfbaren Weise mitgeteilt werden (OLG Hamm, Beschluss vom 17.03.2009 – 5 Ss 71/09).

Vorliegend geben die Urteilsgründe Entnahmezeit und Ergebnis der zweiten Blutprobe nicht an. Soweit entscheidend auf eine Blutprobe mit einer BAK von 1,18 Promille, die um 23.45 Uhr entnommen worden sei, ist nicht angegeben, ob diese die erste oder zweite Blutprobe darstellt, Ob die Berechnungen des Sachverständigen plausibel sind und sich das Gericht diesen zu Recht angeschlossen hat, kann der Senat daher nicht abschließend überprüfen,

Widersprüchlich sind die Urteilsausführungen, soweit das Gericht die Angaben des Betroffenen unverhohlen als Schutzbehauptungen einordnet, aber dennoch seinen Feststellungen einen auf diese Angaben zurückgehenden Sicherheitsabschlag zugrunde legt. Mag man dies noch als unschädlich ansehen, weil sich dieser Umstand zugunsten des Betroffenen auswirkt, so ist dann aber festzustellen, dass das Gericht der Berechnung des Sicherheitsabschlags einen nicht bestehenden Erfahrungssatz bezüglich Whiskey-Mischungen zugrunde legt, Ein Erfahrungssatz, dass man Whiskey-Cola-Gemische allenfalls mit 50 Prozent Whiskey herstellt, weil man sonst „den Whiskey auch gleich pur trinken“ könnte, ist jedenfalls hier nicht bekannt. Die Annahme eines nicht bestehenden Erfahrungssatzes macht die Beweiswürdigung rechtsfehlerhaft (zu vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 62 Auflage, § 337 Rn 31).

Die Frage der rigiden Begrenzung auf einen hälftigen Whiskeyanteil ist dabei auch deshalb besonders prekär, weil schon ein minimal höherer Whiskeyanteil zur Unterschreitung der 0,5-Promillegrenze und damit zu einem Freispruch des Betroffenen geführt hätte.

Als widersprüchlich erweist sich zudem, wenn das Gericht von einer denkbar knappen Überschreitung des Grenzwerts von 0,5-Promille um 0,005 Promille ausgeht, jedoch keinen Anlass sieht, diesen Umstand bei der Zumessung der Geldbuße mildernd zu berücksichtigen, sondern stattdessen ausdrücklich angibt, mildernd zu berücksichtigende Umstände seien nicht ersichtlich.

Schließ/ich erweist sich das Urteil als rechtfehlerhaft, soweit das Amtsgericht eine Geldbuße von 1, 700,- € festgesetzt hat. Denn gemäß § 24 a Abs. 4 StVG i. V. m. § 17 Abs. 2 OWiG beträgt die maximale Geldbuße für einen fahrlässigen Verstoß der vorliegenden Art 1.500,- € (zu vgl. auch BeckOK OWiG/Euler, 26. Ed, 1.4.2020 § 24a Rn 12).“

Nichts wesentlich Neues, aber die Diktion des OLG „gefällt“. 🙂

Durchsuchung II: Verhältnismäßigkeit, oder: Sachverständigengutachten?

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Im zweiten Beschluss, dem BVerfG, Beschl. v. 29.07.2020 – 2 BvR 1188/18, nimmt das BVerfG zur Verhältnismäßigkeit einer Durchsuchung Stellung. Auch hier hatte die Verfassungsbeschwerde Erfolg.

Angeordnet worden war die Durchsuchung in Hamburg. Dort hatte am 01.05.2015 ein Teilnehmer einer Demonstration zwei Glasflaschen sowie zwei weitere harte Gegenstände in Richtung der anwesenden Polizeibeamten geworfen, diese jedoch nicht getroffen. Die Taten wurden gefilmt und das Videomaterial wurde anschließend in Form von Standbildern zur Ermittlungsakte genommen. Der Täter konnte während und nach der Demonstration nicht aufgegriffen und seine Identität nicht geklärt werden, weswegen er im März 2016 zur Fahndung ausgeschrieben wurde.

Am Rande einer Demonstration am 30.06.2016 wurde dann der Beschuldigte von Polizeikräften in Hamburg angehalten, da er nach Auffassung der Polizeibeamten dem Flaschenwerfer vom 01.05.2015 ähnlich sah. Die Polizei stellte seine Identität fest und fertigte Lichtbilder von ihm an, die zur Ermittlungsakte genommen wurden. Gegen den Beschuldigten erging ein Strafbefehl wegen Versuchs der gefährlichen Körperverletzung. Auf den hiergegen gerichteten Einspruch des Beschuldigten hin ordnete das AG auf Antrag des Verteidigers die Einholung eines anthropologischen Sachverständigengutachtens an, um durch einen Bildvergleich zu klären, ob zwischen dem Täter vom 01.05.2015 und dem Beschwerdeführer eine Personenidentität bestehe. Die Sachverständige kam nach einem umfassenden Lichtbildvergleich zahlreiche Körpermerkmale des Täters vom 01.05. 2015 und des Beschuldigten zu dem Ergebnis, dass eine Identität auszuschließen sei. Die StA schloss sich dem nicht an, sondern beantragt, da der Sachverhalt auch auf andere Weise aufgeklärt werden könne, einen Durchsuchungsbeschluss. Das AG lehnte die beantragte Durchsuchung ab. Auf die Beschwerde der Staatsanwaltschaft hob das LG mit Beschluss vom 31.01.2018 diese Ablehnung auf. Es bejahte den Anfangsverdacht und auch Auffindevermutung im Hinblick auf einen Rucksack mit auffälligen weißen Streifen sowie einer Brille mit einem reflektierenden Element am Bügel, die für die Identifizierung des Beschuldigten von Bedeutung sein konnten. Die Durchsuchung blieb im Hinblick auf den Durchsuchungszweck erfolglos; als Zufallsfunde wurden Betäubungsmittel, dazugehörige Utensilien, eine Gaspistole sowie die entsprechende Munition sichergestellt. Die Verfassungsbeschwerde des Beschuldigten gegen die Beschlüsse des LG Hamburg vom 31.01.2018 hatte Erfolg.

Das BVerfG sieht die Durchsuchungsanordnung als unverhältnismäßig an:

„b) Die Entscheidungen des Landgerichts Hamburg vom 31. Januar 2018 werden diesen Anforderungen nicht gerecht. Sie erweisen sich angesichts der konkreten Umstände des Einzelfalles als unverhältnismäßig.

aa) Dabei ist es im Hinblick auf das Fehlen eines gesicherten Stands der Wissenschaft im Bereich der anthropologischen Identitätsgutachten zwar vertretbar, ein derartiges Sachverständigengutachten als nicht gleich geeignet im Vergleich zu einer Durchsuchung nach Beweisgegenständen wie der Brille und dem Rucksack des Täters anzusehen (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 14. Juli 2016 – 2 BvR 2748/14 -, Rn. 31; BGH, Urteil vom 15. Februar 2005 – 1 StR 91/04 -, juris, Rn. 26).

bb) In Anbetracht des schwachen Anfangsverdachts gegen den Beschwerdeführer sowie des Umstandes, dass grundrechtsschonendere Ermittlungsmaßnahmen zur Verfügung standen, und im Hinblick auf die nur geringe Auffindevermutung war die Durchsuchung der Wohnräume des Beschwerdeführers jedoch nicht mehr angemessen.

(1) Der Anfangsverdacht gegen den Beschwerdeführer erweist sich allenfalls als schwach.

Für einen Anfangsverdacht sprach zwar eine jedenfalls auf den ersten Blick bestehende optische Ähnlichkeit zwischen dem Beschwerdeführer und dem Täter vom 1. Mai 2015 im Hinblick auf Gesicht und Körperbau. Eine vom zuständigen Gericht festgestellte erhebliche Ähnlichkeit zwischen Abbildungen des Täters und des Verdächtigen kann grundsätzlich auch geeignet sein, einen Anfangsverdacht zu begründen. Da ein Bildvergleich nicht stets einer besonderen Sachkunde bedarf, besteht insofern keine generelle Pflicht, in derartigen Fällen vor der Anordnung einer Wohnungsdurchsuchung stets ein anthropologisches Gutachten einzuholen.

Hier war jedoch das Amtsgericht zu der Auffassung gelangt, angesichts der nicht optimalen Bildqualität und der Bedeckungen des Täters (Kapuze, Schirmmütze) die Personenidentität nicht selbst beurteilen zu können. Entscheidend ist insofern, dass im vorliegenden Fall ein vom Amtsgericht in Auftrag gegebenes Sachverständigengutachten vorlag. Dieses kam zu dem Ergebnis, dass im Hinblick auf die Lippen- und Nasenstruktur zwei Ausschlusskriterien vorlägen und eine Nichtidentität sehr wahrscheinlich sei.

Soweit das Landgericht Hamburg inhaltlich zum Gutachten ausführt, ausweislich des Sachverständigengutachtens seien Ähnlichkeiten und Übereinstimmungen in etlichen auswertbaren Merkmalsausprägungen zu finden, während die Sachverständige demgegenüber lediglich zwei nach ihrer Einschätzung überhaupt zu berücksichtigende Abweichungen aufführe und dabei die Bildqualität sowie Verdeckungen prädikatsmindernd zugunsten des Beschwerdeführers berücksichtigt worden seien, hat es die Kernaussage des Sachverständigengutachtens nicht zutreffend erfasst. Das Gutachten stellte nicht lediglich zwei, sondern insgesamt vier Abweichungen fest, von denen es zwei Merkmale nicht lediglich als „Abweichungen“, sondern als „Ausschlusskriterien“ einstufte. Sowohl die Form des unteren Lippenrots als auch die Länge und Orientierung des Nasenrückens stellten demnach stabile, keinen Gewichtsschwankungen unterliegende Merkmale dar, wobei im vorliegenden Fall von unterschiedlicher Anatomie und deshalb einem Ausschluss ausgegangen werde. Die unterschiedliche Form beider Körpermerkmale erläuterte die Sachverständige in Wort und Bild.

Darüber hinaus greifen auch die Einwände des Landgerichts Hamburg gegen die methodischen Standards des Gutachtens nicht durch. So führt allein der Umstand, dass die Sachverständige in Bezug auf die Bilder des Beschwerdeführers vom 30. Juni 2016 offenbar von einem früheren Aufnahmezeitpunkt ausging, nicht dazu, dass die Aussagekraft des Gutachtens mangels Einhaltung methodischer Mindeststandards vollständig erschüttert würde. Insoweit hat die Sachverständige auf Nachfrage des Amtsgerichts ausgeführt, dass die Ausführungen zu diesen Lichtbildern keinen Einfluss auf das Ergebnis hatten, welches einzig und allein auf dem Merkmalsabgleich und den diesbezüglichen Ergebnissen beruhe. Soweit das Landgericht Hamburg diese Stellungnahme der Sachverständigen für unzureichend hält, würdigt es den Inhalt des Sachverständigengutachtens nicht hinreichend. Die Sachverständige nimmt in ihrem Gutachten auf annähernd 28 Seiten einen Vergleich zwischen den Bildern vom 1. Mai 2015 und den Bildern des Beschwerdeführers vom 3. Mai 2017 vor, wobei sie unter Punkt „12. Beurteilung“ zu dem Ergebnis kommt, dass sich bei einem Vergleich Widersprüche fänden, die eine Identität ausschlössen und die Nichtidentität daher sehr wahrscheinlich sei. Erst nach dieser endgültigen Beurteilung machte die Sachverständige unter Punkt 13 auf circa einer Seite „Anmerkungen“ zu den Bildern vom 30. Juni 2016.

Ebenso wenig kann dem Landgericht Hamburg dahingehend gefolgt werden, das Gutachten sei unbrauchbar, weil die Vergleichsbilder vom Verteidiger des Beschwerdeführers eingereicht worden und daher weder die Identität der auf den Bildern abgelichteten Person noch die Manipulationsfreiheit sichergestellt seien. Insofern bestanden keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass der kooperationsbereite Beschwerdeführer durch Einreichung falscher oder manipulierter Bilder versucht hätte, das Verfahren zu manipulieren. Im Hinblick auf den – durch nichts belegten – Vorwurf, der Beschwerdeführer habe womöglich Fotos einer dritten Person eingereicht, ist festzustellen, dass sich neben den vom Beschwerdeführer eingereichten Vergleichsfotos auch von der Polizei erstellte Fotos des Beschwerdeführers vom 30. Juni 2016 in der Ermittlungsakte befanden und ein Abgleich der Identität wegen der sehr guten Qualität dieser Fotos möglich gewesen wäre. Ferner ließ das Landgericht Hamburg unbeachtet, dass der Verteidiger des Beschwerdeführers die Identität der auf den eingereichten Bildern gezeigten Person mit seinem Mandanten versichert hatte. Insofern ist zu berücksichtigen, dass der Strafverteidiger kraft seiner Stellung als Organ der Rechtspflege nach geltendem Recht einen Vertrauensvorschuss genießt (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 7. März 2012 – 2 BvR 988/10 -, Rn. 35). Ebenso wenig lagen Anhaltspunkte für manipulierte Fotos vor.

Abgesehen von den auch dem Sachverständigengutachten zugrundeliegenden Fotos vom 1. Mai 2015 waren sonstige Anhaltspunkte, die für eine Täterschaft des Beschwerdeführers gesprochen hätten, nicht ersichtlich.

Zusammenfassend war der Anfangsverdacht gegen den Beschwerdeführer daher im Hinblick auf das den Mindeststandards genügende Sachverständigengutachten, welches eine Nichtidentität als sehr wahrscheinlich einstufte, und dem Fehlen sonstiger Anhaltspunkte allenfalls gering und beruhte allein auf der im Widerspruch zu einem Sachverständigengutachten stehenden Feststellung, der Beschwerdeführer sehe den Fotos des Täters vom 1. Mai 2015 ähnlich.

(2) Gleichwohl bestehende Zweifel an der Aussagekraft des Gutachtens hätten bei einem derart niedrigen Verdachtsgrad durch die deutlich mildere Maßnahme der Einholung eines weiteren, den Anforderungen des Landgerichts genügenden Gutachtens beseitigt werden können. Durch eine erkennungsdienstliche Behandlung des Beschwerdeführers und die Verwendung dieser Fotos für das weitere Gutachten hätten sich auch die Bedenken zur möglichen Manipulation des Bildmaterials leicht ausräumen lassen. Gründe, warum das Landgericht seinen Bedenken an der Vorgehensweise der Sachverständigen nicht zunächst durch die Einholung eines neuen Gutachtens begegnet ist, sind nicht ersichtlich. Erst recht ist es nicht verhältnismäßig, eine Durchsuchung auch zum Auffinden von Lichtbildern „für ein gegebenenfalls einzuholendes weiteres anthropologisches Gutachten“ anzuordnen, da insoweit die sowohl grundrechtsschonendere als auch deutlich geeignetere Maßnahme einer erkennungsdienstlichen Behandlung zur Verfügung steht.

(3) Darüber hinaus war in der vorliegenden Fallkonstellation auch der Auffindeverdacht nur sehr gering.

Zwar sind konkrete Gründe, die dafür sprechen müssen, dass der zu suchende Beweisgegenstand in den zu suchenden Räumlichkeiten gefunden werden kann, regelmäßig nur bei der Durchsuchung beim Unverdächtigen erforderlich (BVerfGK 1, 126 <132>; 15, 225 <241>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 11. Januar 2016 – 2 BvR 1361/13 -, juris, Rn. 13).

Im Fall des Beschwerdeführers ist allerdings zu berücksichtigen, dass ihm das gegen ihn gerichtete Ermittlungsverfahren bereits seit seiner Vorladung im Juli 2016 bekannt war. Im August 2016 erging gegen ihn ein Strafbefehl. Seit spätestens September 2016 war der Beschwerdeführer anwaltlich vertreten; im Oktober 2016 wurde seinem Verteidiger Akteneinsicht gewährt. Im Jahr 2017 wirkten der Beschwerdeführer und sein Verteidiger an der Erstellung des von ihnen beantragten anthropologischen Gutachtens mit. Gerade wenn es sich bei dem Beschwerdeführer um den Täter vom 1. Mai 2015 handeln sollte, hätte er jedenfalls nicht ausschließen können, dass das Gutachten dies auch so feststellen würde und er weiter im Visier der Ermittlungsbehörden stünde. Die nicht näher erläuterte Feststellung des Landgerichts, Anhaltspunkte für die Vernichtung der Gegenstände bestünden gleichwohl nicht, erscheint aus diesen Gründen nicht überzeugend.

(4) Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung war zwar ebenso einzubeziehen, dass vorliegend mit einer versuchten gefährlichen Körperverletzung zum Nachteil von Polizeibeamten eine Straftat von nicht unerheblicher Bedeutung im Raum stand, und dass die zu suchenden Beweismittel von hohem Beweiswert sind. Allerdings vermögen diese Umstände im vorliegenden Fall den schwachen Anfangsverdacht, das Vorhandensein eines milderen Mittels zur Erhärtung des nur sehr schwachen Verdachts sowie die geringe Auffindewahrscheinlichkeit nicht auszugleichen. Die Anordnung der Durchsuchung durch das Landgericht Hamburg erweist sich hiernach unter diesen Umständen als nicht mehr angemessen.“

Pflichti III: „Beiordnungsbündel“, oder: Höhere Freiheitsstrafe, Akteneinsicht und SV-Gutachten

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Die dritte Entscheidung, den LG Magdeburg, Beschl. v. 24.07.2020 – 25 Qs 722 Js 17549/20 (74/20) – hat mir mal wieder der Kollege Funck aus Braunschweig geschickt.

Das LG hat auf seine sofortige Beschwerde in einem Verfahren mit dem Vorwurf gegen die Angeklagte, zwei Diebstahlstaten begangen zu haben, den Kollegen aus Pflichtverteidiger beigeordnet. Dazu stützt sich das LG auf mehrere Gründe:

„Die zulässige sofortige Beschwerde hat in der Sache Erfolg, da die Beschwerdeführerin einen Anspruch auf Bestellung eines Pflichtverteidigers gemäß § 141 Abs. 1 StPO hat.

Die Voraussetzungen sind erfüllt. Es liegt ein Fall der notwendigen Verteidigung gemäß § 140 Abs. 2 StPO vor, da bereits die Schwere der zu erwartenden Rechtsfolge die Mitwirkung eines Pflichtverteidigers gebietet. Zwar gibt nicht schon jede Freiheitsstrafe Anlass zur Bestellung eines Pflichtverteidigers. Jedoch kann eine zu erwartende Freiheitsstrafe über einem Jahr in der Regel die Mitwirkung eines Verteidigers gebieten (Meyer-Goßner/Schmitt, 63. Aufl., § 140, Rn. 23 a). So liegt es hier. Der Beschwerdeführerin wird die tatmehrheitliche Begehung von zwei Diebstählen vorgeworfen. Der Diebstahl wird gemäß § 242 Abs. 1 StGB mit einer Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Gelstrafe bestraft. Dabei ist zu berücksichtigen, dass aufgrund der tatmehrheitlichen Begehung eine Gesamtstrafe gemäß § 53 StGB zu bilden sein wird und die Beschwerdeführerin bereits mehrfach einschlägig vorbestraft ist, wobei sie bereits mehrfach zu Freiheitsstrafen, auch Freiheitsstrafen von einem Jahr, verurteilt worden ist.

Daneben gebietet aber auch die Schwierigkeit der Sachlage die Mitwirkung eines Verteidigers, da die Beschwerdeführerin, anders als ihr Verteidiger, gemäß § 147 Abs. 4 StPO nur eine beschränkte Möglichkeit zur Einsichtnahme in die Akten hat (Meyer-Goßner/Schmitt, 63. Aufl, § 147, Rn. 32). Gegen eine persönliche Einsichtnahme der Akten durch die Beschwerdeführerin dürften insbesondere die von den Zeugen geäußerten Bedenken sprechen, dass die Beschwerdeführerin bereits einmal die Wohnungen der Zeugen betreten habe und sie erneut aufsuchen könnte.

Im Übrigen ist die Sachlage erschwert, da ein daktyloskopisches Gutachten eingeholt worden ist (Meyer-Goßner/Schmitt, 63. Aufl., § 140, Rn. 27).“

Verkehrsrecht III: Pflichtverteidiger (im Bußgeldverfahren)?, oder: Ja, wenn SV-Gutachten eingeholt wird

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Und die dritte Entscheidung zum Verkehrsrecht kommt aus dem Bußgeldverfahren. Es handelt sich um den LG Magdeburg, Beschl. v. 13.12.2019 – 28 Qs 956 Js 73928/19 (39/19). Gestritten worden ist um die Bestellung eines Pflichtverteidigers, die – bei der der Entscheidung zugrunde liegenden Konstellation in Verfahren mit verkehrsrechtlichem Einschlag immer wieder auftreten kann.

Das LG Magdeburg hat auf die Beschwerde einen Pflichtverteidiger bestellt:

„Mit seiner Beschwerde begehrt der Betroffene die Aufhebung des Beschlusses des Amtsgerichts Halberstadt, durch den die Beiordnung seines bisherigen Wahlverteidigers pp. als Pflichtverteidiger abgelehnt worden war.

Aus den Akten ergibt sich folgender Verfahrensablauf:

Am 7. Februar 2009 erließ die Zentrale Bußgeldstelle im Technischen Polizeiamt regen den Betroffenen wegen des Führens eines Kraftfahrzeuges unter Einwirkung berauschender Mittel einen Bußgeldbescheid über 500,– €. Gleichzeitig wurde gegen ihn ein Fahrverbot x-on einem Monat verhängt. Gegen diesen Bescheid legte der Betroffene mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 20. Februar 2019 Einspruch ein.

Bis zu diesem Zeitpunkt enthielt die Akte eine Übersicht über den Verfahrensablauf, eine Auskunft des Kraftfahrt Bundesamtes. einen Journaleintrag nebst Feststellung zum Sachverhalt, ein polizeiliches Protokoll nebst ärztlichem Untersuchungsbericht zur Blutentnahme, eine von PK pp. vorgefertigte Dokumentation zur Blutentnahme ohne Ausfüllung der vorgegebenen Feststellungen sowie einen Ergebnisbericht, aus dem sich ein positiver Nachweis von Cannabinoiden im Blut des Betroffenen ergab.

Auf den Einspruch des Betroffenen hin fand am 07. Juni 2019 eine Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht statt, zu der neben dem Betroffenen und seinem Verteidiger auch der geladene Zeugen PK pp. erschien, jedoch nach Einlassung des Betroffenen über seinen Verteidiger unvernommen entlassen wurde. Das Gericht setzte die Hauptverhandlung aufgrund der Einlassung des Betroffenen, er habe lediglich THC Tropfen eingenommen, die frei verkäuflich seien und auch in kleinsten Mengen erhöhte THC-Werte im Blut hervorrufen könnten, ohne jedoch berauschende Wirkungen zu entfalten, zwecks Einholung eines Sachverständigengutachtens aus. Im Anschluss an diese Hauptverhandlung wandte sich der bereits unvernommen entlassene Zeuge PK pp. außerhalb der Hauptverhandlung an den entscheidenden Richter, um ihm mitzuteilen, dass entgegen der soeben abgegebenen Einlassung des Betroffenen, er gegenüber dem Polizeibeamten angegeben habe, gelegentlich ein „Tütchen“ zu konsumieren.

Dem Betroffenen und seinem Verteidiger wurde hierüber ein entsprechender richterlicher Vermerk und ein seitens des Zeugen pp. zu den Akten gereichtes Gedächtnisprotokoll weitergeleitet. Diesbezüglich wurden seitens des Verteidigers für den Betroffenen weitere Anträge gestellt, u.a. die Einholung eines Glaubhaftigkeitsgutachtens bezüglich der Bekundungen des Zeugen pp. sowie Anträge auf Vernehmung der ebenfalls bei der Kontrolle anwesenden Polizeibeamten. die insoweit bestätigen sollen, dass die Behauptung des Zeugen pp., der Betroffene habe ihm unmittelbar nach der Blutprobe mitgeteilt, regelmäßig am Wochenende von Samstag auf Sonntag eine Tüte zu rauchen. frei erfunden sei.

Nachdem das Gericht von der Einholung eines Sachverständigengutachtens im Hinblick auf die Auswirkungen von freiverkäuflichem Hanföl auf die Blutwerte Abstand genommen hatte und auch eine vom Verteidiger beantragte Terminsverlegung abgelehnt hatte, wurde zunächst über das Ablehnungsgesuch gegen den entscheidenden Richter sowie die Ablehnung der Terminsverlegung für einen auf den 13. Dezember anberaumten Termin entschieden. Diesbezüglich liegt auch eine Entscheidung über die Beschwerde gegen den die Terminsverschiebung ablehnenden Beschluss durch das Landgericht Magdeburg vom 9. Dezember 2019 vor.

Die Staatsanwaltschaft hat im Rahmen ihrer Stellungnahmen zu dem Befangenheitsantrag, den eingelegten Beschwerden und zu den gestellten Anträgen u.a. ausgeführt, dass sie zwar ein Glaubwürdigkeitsgutachten hinsichtlich des Zeugen PK pp., insbesondere auch vor dem Hintergrund der Vernehmung der benannten weiteren Zeugen, nicht für erforderlich erachte. Im Übrigen ist sie der Einholung eines Gutachtens zur Feststellung, ob frei verkäufliches Hanföl zu erhöhten THC-Werten im Blut ohne entsprechende berauschende Wirkung führen kann, nicht entgegengetreten.

Die gegen den Beschluss, durch den die Beiordnung als Pflichtverteidiger abgelehnt wurde, eingelegte Beschwerde begründet der Betroffene im Wesentlich damit, dass der Umstand. dass das Gericht bislang von der ursprünglich vorgesehenen Einholung eines Gutachtens zu den Auswirkungen der Einnahme von Hanföl auf die Blutwerte im Hinblick auf die Zeugenvernehmungen abgesehen habe, es nicht rechtfertige. die Beiordnung eines Pflichtverteidigers abzulehnen, da das Verfahren in seiner Gesamtschau betrachtet werden müsse und keine künstliche Aufspaltung vorgenommen werden dürfe. Insofern sei zu berücksichtigen, dass hier die Einholung eines Gutachtens im Raum stehe, die eine Beiordnung eines Pflichtverteidigers erforderlich machen würde.

II.

Die zulässige Beschwerde ist begründet. Nach der gern. § 46 Abs. 1 OWiG sinngemäß anwendbaren Vorschrift des § 140 StPO kommt eine Beiordnung vorliegend in Betracht. wenn wegen der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage die Mitwirkung eines Verteidigers geboten erscheint. Eine Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage ist vorliegend deshalb zu erwägen, weil die Auseinandersetzung mit einem Sachverständigengutachten zu mindestens zu erwarten ist. auch wenn das Gericht zunächst von der Einholung eines diesbezüglichen Sachverständigengutachtens abgesehen hat. Bereits der bisherige Verfahrensablauf zeigt, dass für das Bestreiten des Betroffenen. er habe dem Polizeibeamten PK pp. gegenüber gesagt. gelegentlich „ein Tütchen zu rauchen“. u.a. seine protokollierte Angabe irr Rahmen der Blutentnahme spricht. Dort wurde ein vorheriger Konsum generell verneint. Ob und inwieweit dann seine Einlassung, er habe lediglich Hanföl konsumiert, das keine berauschenden Wirkungen erzeuge, zutrifft, bedarf dann einer umfassenden Würdigung ggf. auch unter Hinzuziehung des Sachverständigen im Hinblick auf die Frage, ob die Blutwerte auf den Konsum von Hanföl hindeuten können. Angesichts der naheliegenden Möglichkeit der Einholung eines Sachverständigengutachtens und einer späteren Auseinandersetzung damit, war bereits zum jetzigen Zeitpunkt die Beiordnung eines Pflichtverteidigers gem. § 140 Abs. 2 StPO erforderlich.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer analogen Anwendung der §§ 464. 467 StPO.“

M.E. zutreffend. Ich weiß, andere LG machen es (leider) anders.

Auswertung von Datenträgern im sog. KiPo-Verfahren, oder: Muss der Verurteilte die Kosten tragen?

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In der zweiten Entscheidung des Tages, dem LG Hamburg, Beschl. v. 07.08.2019 – 631 Qs 27/19 -, den mir der Kollege Laudon vor einiger Zeit gesandt hat, geht es um „Kosten“, und zwar um die vom verurteilten Angeklagten eines sog. „KiPo-Verfahrens“ zu tragenden Kosten. Es waren gegenüber dem Angeklagten u.a. die Kosten eines von der Staatsanwaltschaft im Rahmen des Ermittlungsverfahrens in Auftrag gegebenen Gutachtens zur IT-forensischen Auswertung von zuvor bei dem Verurteilten anlässlich einer aufgrund einer Durchsuchung wegen des Verdachts des Zugänglichmachens kinderpornografischer Schriften sichergestellten Datenträgern angesetzt worden. Insgesamt hat man dem ehemaligen Angeklagten zunächst 15.660,40 EUR in Rechnung gestellt. Die rechnung ist dann, weil das Verfahren zwei Beschuldigte hatte, auf noch 10.459,95 EUR korrigiert worden.

Dagegen dann die Erinnerung des ehemaligen Angeklagte. Das AG Hamburg hat die zurückgewiesen und das LG Hamburg dann die Beschwerde des Verurteilten:

„Maßgebend dafür, ob nach dem JVEG Beträge zu zahlen sind – und damit für das Vorliegen des Auslagentatbestandes der Nr. 9005, 9015 KV GKG – ist demnach, ob der von der Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren zur Durchsicht der elektronischen Speichermedien herangezogene private Dritte als Sachverständiger beauftragt wurde und die erbrachten Dienstleistungen die Qualität einer Sachverständigenleistung aufweisen. Grundsätzlich kann die Staatsanwaltschaft zulässigerweise Privatpersonen mit Spezialkenntnissen zur Durchsicht von Papieren, einschließlich von elektronischen Speichermedien heranziehen (vgl. OLG Schleswig, Beschluss vom 10.01.2017, 2 Ws 441/16 (165/16); Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 62. Auflage 2019, § 110 Rn. 2 f.).

Als Sachverständiger beauftragt wird ein Dritter, wenn er aufgrund besonderer Sachkunde eine Bewertung von Anknüpfungs- oder Befundtatsachen anhand wissenschaftlicher Erkenntnisse oder Erfahrungssätze vornehmen soll (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 62. Auflage 2019, Vor § 72 Rn. 1). Die Sichtung und Erhebung vorhandenen Datenmaterials gehört nur zur Tätigkeit eines Sachverständigen und ist für diese Tätigkeit nur dann typisch, wenn es zu ihrer Durchführung entscheidend auf seine Sachkunde ankommt, d.h. die Sichtung der Geschäftsunterlagen ohne seine besondere Sachkunde nicht oder nur unter besonders erschwerten Umständen (Sichtbarmachung von Daten aufgrund besonderer, nicht jedermann zur Verfügung stehender technischer Möglichkeiten und Kenntnisse) möglich wäre oder die Datenerhebung zur Klärung bestimmter sachverständig zu beurteilender Zusammenhänge erforderlich ist und zur Vorbereitung einer schließlich zu erstellenden gutachterlichen Äußerung ausgeführt wird (vgl. OLG Koblenz a.a.O.; OLG Zweibrücken NStZ-RR 2004, 298).

Die Sichtung und Erhebung vorhandenen Datenmaterials wird nach der vom Beschwerdeführer zitierten Entscheidung des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts jedoch dann nicht als Sachverständigentätigkeit angesehen, wenn sich die in Auftrag gegebene Dienstleistung lediglich in einer organisatorischen und technischen Dienstleistung wie der technischen Sichtbarmachung von Datenmaterial und einer technisch bedingten Vorsortierung von Datenmaterial erschöpft. Dies soll nach Ansicht des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts selbst dann gelten, wenn hierfür umfangreiches Expertenwissen sowie der Einsatz einer spezifischen, allerdings auf dem Markt erhältlichen Software erforderlich ist (vgl. OLG Schleswig a.a.O.).

Es bedarf keiner tiefergehenden Auseinandersetzung mit der Ansicht des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts, denn die im vorliegenden Fall erbrachte Dienstleistung beschränkte sich entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers gerade nicht auf eine bloße technische Unterstützung und organisatorische Aufarbeitung und der Sachverständige Ppp. wurde nicht als bloßer „Ermittlungsgehilfe“ der Staatsanwaltschaft tätig.

Der Gutachtenauftrag umfasste eine Vielzahl weit über eine bloße Sichtung des Datenmaterials hinausgehender Fragestellungen. Ausweislich der Gutachtenaufträge vom 18.05.2015 und 24.08.2015 hatte der Sachverständige der pp. GmbH neben der Untersuchung der Speichermedien auf das Vorhandensein kinder- bzw. jugendpornografischer Bilddateien festzustellen, ob und ggf. wann und an wen der Beschuldigte derartige Dateien weitergegeben hatte und bei bestehender Möglichkeit die Bezugsdaten zu ermitteln. Gelöschte Bereiche sollten nur nach Rücksprache ausgewertet werden. Sofern kinder- und jugendpornografische Dateien gefunden werden sollten, wurde um Anlegung einer Excel-Tabelle gebeten, welche den Namen der Datei, Pfad, Erstellungs-, Veränderungs-, letztes Zugriffsdatum, soweit möglich Datum der Verschaffung und ggf. der Weitergabe, die Größe der Datei sowie die Fundstelle des Ausdrucks enthalten, wobei bei bestehender Möglichkeit das Datum des Verschaffens Berücksichtigung finden sollte. Gleiches galt für E-Mails mit kinder- und jugendpornografischen Anlagen bzw. Inhalten oder andere Verbreitungsmöglichkeiten, wobei diese Excel-Tabellen den Account des Absenders, des Empfängers, das Thema bzw. den Betreff, das Datum der Versendung bzw. des Empfangs und die Fundstelle des Ausdrucks enthalten sollten.

Die Tätigkeit des IT-Forensikers Ppp. ist als Sachverständigenleistung zu qualifizieren, sodass die von der pp. GmbH abgerechneten Kosten dem Verurteilten nach § 3 Abs. 2 GKG, Nr. 9015, 9005 KV GKG in voller Höhe auferlegt werden können. Die von der Staatsanwaltschaft Hamburg in Auftrag gegebene Leistung beschränkte sich ersichtlich nicht auf eine bloß technische Dienstleistung zur Erleichterung der Durchsicht des Datenbestandes, sondern erforderte vielmehr besondere Sachkunde und den Einsatz spezieller Technik (so auch KG, Beschluss vom 25.07.2018, 1 Ws 65/17). Der Sachverständige P. nahm entsprechend der ihm erteilten Aufträge unter Einsatz einer speziellen forensischen Software – insbesondere der EnCase Version 6.19x von „Guidance Software“ (Bl. 157 d.A.) – und unter Anwendung seiner besonderen Fachkenntnisse auf dem Gebiet der IT-Forensik eine umfangreiche Auswertung und Bewertung der ihm überlassenen Datenträger im Hinblick auf den Verdacht des Besitzes und des Zugänglichmachens kinder- und jugendpornografischer Dateien vor.

Es ging nicht bloß darum, Dateien sichtbar zu machen und zu sortieren, sondern insbesondere darum, inkriminierte Dateien zunächst überhaupt ausfindig und kenntlich zu machen, ihre strafrechtlich relevante Bedeutung herauszuarbeiten sowie festzustellen, wann und von wem der Verurteilte entsprechendes Material bezogen, wann und an wen er es weitergeleitet und welche Kommunikationsprogramme er hierbei verwendet hatte.

Dass vom Auftragsumfang auch Vorarbeiten und Dokumentationstätigkeiten umfasst waren, die dann, wenn sie ausschließlich übertragen worden wären, möglicherweise als bloße Hilfstätigkeit angesehen werden könnten, ändert nichts daran, dass der Schwerpunkt der in Auftrag gegebenen und erbrachten Leistungen in der sachverständigen Analyse und Bewertung bestand (vgl. OLG Saarbrücken, Beschluss vom 20.09.2018, 1 Ws 104/18).

Dass der Beschwerdeführer meint, die umfangreiche Auflistung der Befunde sei eine bloß organisatorische Aufarbeitung, enthalte keine eigene Wertung und fasse lediglich deskriptiv das Untersuchungsergebnis zusammen, ist insofern schlicht unzutreffend.

Denn schon allein die Mitteilung des Ergebnisses der Durchsicht – nämlich dass kinderpornografische Schriften auf den zur Untersuchung übersandten Datenträgern ausgewiesen werden konnten – basiert auf einer vom Sachverständigen pp. vorgenommenen eigenen Analyse und Einschätzung. Dass strafrechtlich relevante Bilddateien tatsächlich vorhanden waren, kann nur das Ergebnis einer vorgenommenen Einschätzung sein, wobei die abschließende rechtliche Bewertung – wie der Beschwerdeführer insoweit zutreffend ausführt und auch der Sachverständige selbst klarstellt (Bl. 166 d. LA) – der Staatsanwaltschaft oblag. Warum dabei die Analyse und Einschätzung der Dateninhalte durch den Sachverständigen Ppp. – wie vom Beschwerdeführer darüber hinaus vorgetragen – keine selbstständige und eigenverantwortliche Tätigkeit darstelle, erschließt sich nicht. Der Sachverständige der pp. GmbH hatte die in Auftrag gegebenen Gutachten selbstständig und eigenverantwortlich zu den von der Staatsanwaltschaft umschriebenen Beweisthemen abzugeben und hat dies auch getan.

Des Weiteren geht auch die Behauptung des Verurteilten, der Sachverständige pp. vermittle in seinem Gutachten keine fachwissenschaftlichen Erfahrungssätze, sondern beschränke sich größtenteils auf die Anfertigung von Übersichtstabellen und erörtere lediglich allgemeine Funktionsweisen von Programmen wie beispielsweise der Tauschbörsen „eMule/aMule“ oder generell oberflächliche Informationen über das Löschen von Dateien, die jedermann unproblematisch über eine Suchmaschine im Internet abfragen könne, fehl.

Die ergänzenden Hinweise und Ausführungen des Sachverständigen P., so etwa zu dessen Auswertungsvorgehen oder etwaigen Lesehinweisen zum Gutachten, sind mitnichten selbsterklärend. Dabei unterschlägt der Verteidiger des Verurteilten auch, dass der Sachverständige sehr wohl aufgrund eigener Sachkunde erlangte Erfahrungssätze mitteilt. So erläutert der Sachverständige beispielsweise in Bezug auf die vom Nutzer im Tauschbörsenprogramm „eMule“ eingegebenen speziellen Suchbegriffe, dass diese bei der gezielten Suche nach kinderpornografischen Schriften sehr verbreitet seien (Bl. 154 d. LA), dass sich aus der Erfahrung mit bisherigen Auswertungen gezeigt habe, dass im Tauschbörsen-Kontext etwa 60 % der Dateien mit für Kinderpornografie einschlägigen Benennungen tatsächlich kinderpornografische Inhalte hätten (Bl 191 d. LA), sowie dass im vorliegenden Fall ausgewertete Dateien der pp. GmbH über eigene Hashwerte bereits aus früheren Verfahren als kinderpornografische Schriften bekannt seien (Bl. 141 d.LA). Dass im Gutachten auch allgemeinere Ausführungen zu Begriffen wie Hardware/Software oder dem Löschvorgang von Dateien enthalten sind, lässt die Einordnung als Sachverständigentätigkeit nicht entfallen, zumal diese Erläuterungen für das Verständnis derartiger Gutachten im Gesamtkontext unerlässlich sind und nicht als allgemeinkundig vorausgesetzt werden können. Dass einige dieser allgemeineren Informationen möglicherweise über Suchmaschinen im Internet selbst herangezogen werden könnten, führt zu keiner anderen rechtlichen Bewertung. Entscheidend ist vielmehr die von der Sachkunde des Sachverständigen getragene Bewertung und Einordnung auch solcher Informationen…..“

Die weitere Beschwerde ist (natürlich) nicht zugelassen worden. Begründung:

„Die weitere Beschwerde nach § 66 Abs. 4 Satz 1 GKG war mangels grundsätzlicher Bedeutung der zur Entscheidung stehenden Frage nicht zuzulassen. Aufgrund der bereits vorhandenen obergerichtlichen Rechtsprechung steht die höchstrichterliche Beantwortung der hier zu entscheidenden Rechtsfrage nicht mehr aus. Es wird dabei nicht verkannt, dass das Oberlandesgericht Schleswig eine von anderen Oberlandesgerichten abweichende Auffassung vertritt. Dies führt jedoch zu keiner erneuten oder ergänzenden Klärungsbedürftigkeit der Rechtsfrage, da sich die neuere, dem Oberlandesgericht Schleswig nachfolgende obergerichtliche Rechtsprechung mit dessen vertretener Auffassung detailliert auseinandergesetzt hat.“

Passt m.E. nicht. Aber der Einzelrichter will die Sache eben nicht beim OLG haben.