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Klageerzwingung II: Unterzeichnung des Antrags, oder: Hat ein „Rechtsanwalt“ unterzeichnet?

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In der zweiten Entscheidung, dem OLG Bamberg, Beschl. v. 08.06.2021 – 1 Ws 290/21 – geht es auch um die Formwirksamkeit eines Klageerzwingungsantrages. Hier war der Antrag vom Prozessbevollmächtigten des Antragstellers unterzeichnet. Der war aber „nur“ Hochschullehrer und Strafverteidiger und nicht zugleich auch Rechtsanwalt. Das OLG hat den Antrag als unzulässig angesehen.

„Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung (§ 172 Abs. 2 Satz 1 StPO) ist bereits deshalb unzulässig, weil er entgegen § 172 Abs. 3 Satz 2 StPO nicht von einem Rechtsanwalt unterzeichnet ist. Die Unterzeichnung des Antrags durch einen Strafverteidiger und Rechtslehrer an einer deutschen Hochschule, der, wie vorliegend, nicht gleichzeitig Rechtsanwalt ist, erfüllt das vorgenannte Formerfordernis nicht (Meyer-Goßner/Schmitt StPO 64. Aufl. § 172 Rn. 32; Müko/Kölbel StPO § 172 Rn. 50; SK/Wohlers StPO 5. Aufl. § 172 Rn. 57; Radtke/Hohmann/Kretschmer StPO § 172 Rn. 24; Gercke/Julius/Temming/Zöller StPO 6. Aufl. § 172 Rn. 19; LK/Graalmann-Scheerer StPO 27. Aufl. Rn. 141; vgl. auch KK/Moldenhauer StPO 8. Aufl. § 172 Rn. 33; BeckOK/Gorf StPO 39. Ed. [Stand: 01.01.2021] § 172 Rn. 15; a.A. Ladiges JR 2013, 295). Indem der Gesetzgeber klar zwischen den Begriffen „Rechtsanwalt“ und „Rechtslehrer an einer deutschen Hochschule“ differenziert (§ 138 Abs. 1 StPO) und letzteren nur im Ausnahmefall, nämlich hinsichtlich der Möglichkeit als Verteidiger aufzutreten, einem Rechtsanwalt gleichstellt (§§ 138, 345 Abs. 2 StPO) lassen bereits Gesetzeswortlaut und Systematik des Gesetzes klar erkennen, dass ein Rechtslehrer an einer deutschen Hochschule nicht einem Rechtsanwalt im Sinne des § 172 Abs. 3 Satz 2 StPO gleichzusetzen ist. Soweit argumentiert wird, Zweck des § 172 Abs. 3 Satz 2 StPO sei es, offensichtlich aussichtslose Anträge von Rechtsunkundigen zu verhindern, weshalb der Schriftsatz eines Rechtslehrers an deutschen Hochschulen die Formvorschrift erfülle (Ladiges a.a.O.), vermag der Senat diesen Schluss nicht zu ziehen. Um seinen Zweck zu erreichen, knüpft das Gesetz die Zulässigkeit eines Klageerzwingungsantrags mit § 172 Abs. 3 Satz 2 StPO gerade nicht an die bloße Rechtskundigkeit oder -unkundigkeit eines Unterzeichners, sondern stellt aus Gründen der Rechtssicherheit und -klarheit auf ein formales, für alle Seiten leicht zu überprüfendes Kriterium (Rechtsanwaltseigenschaft) ab.“

StGB I: „Missmanagement“ in der Kanzlei, oder: Untreue des Rechtsanwalts?

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Heute dann mal wieder ein Tag mit StGB-Entscheidungen.

Und die erste kommt mit dem BGH, Beschl. v. 26.11.2019 – 2 StR 588/18 – vom BGH. Ja, schon älter. Manche Beschlüsse verstecken sich eben. Und dabei hätte der Beschluss es verdient gehabt, zeitnah vorgestellt zu werden. Es geht nämlich um einen Untreuevorwurf gegen Rechtsanwälte wegen deren Umgang mit Fremdgeldern.

Auszugehen war von folgenden Feststellungen:

„1. Nach den Feststellungen des Landgerichts fassten die in Aachen als Rechtsanwälte tätigen Angeklagten, deren Kanzlei sich wirtschaftlich zunehmend schlechter entwickelte, spätestens im Jahr 2009 mindestens in den zur Aburteilung gelangten Fällen jeweils den Entschluss, an sie überwiesene oder ihnen übergebene Gelder bewusst pflichtwidrig nicht oder teilweise nicht oder nicht unverzüglich an ihre Mandanten weiterzuleiten, sondern zur Erfüllung eigener Verbindlichkeiten bzw. Begleichung von Kosten ihrer Kanzlei zu verwenden. Durch die wiederholte Tatbegehung in der Zeit von 2009 bis 2015 verschafften sie sich insbesondere mittels verzögerter Auszahlung zum Nachteil ihrer Mandanten unberechtigte Kredite und damit eine fortlaufende Einnahmequelle von längerer Dauer und erheblichem Umfang. Dabei ließen die Angeklagten die Mandanten über den Eingang ihnen zustehender Gelder bzw. deren Höhe im Unklaren, verschwiegen – auch auf Nachfrage – Geldeingänge oder hielten sie vereinzelt auf sonstige Weise hin. In anderen Fällen behielten die Angeklagten von Mandanten gezahlte Selbstbehalte oder an Dritte weiterzuleitende (Sicherheits-)Beträge über Wochen und Monate hinweg, ohne den betreffenden Sachverhalt weiter zu verfolgen. Ratenüberzahlungen der Gegenseite ließen sie weiterlaufen, Erstattungen an die Rechtsschutzversicherung der Mandanten erfolgten erst Monate oder Jahre später bzw. mangels Reaktion erst auf unmittelbare Nachfrage der Versicherungen bei den Mandanten. Hinsichtlich der ihnen aus ihrer anwaltlichen Tätigkeit gegenüber den Mandanten zustehenden Honoraransprüche, die insbesondere bei Dauermandaten zu reduzierten oder wegfallenden Ansprüchen der Mandantschaft auf Auszahlung der auf Kanzleikonten eingegangenen Fremdgelder führen konnten, erstellten sie keine Abrechnungen und gaben auch keine Aufrechnungserklärungen ab.

2. Zur Kanzleiführung durch die Angeklagten und zur finanziellen Situation der Kanzlei hat die Strafkammer folgende Feststellungen treffen können:

Die juristische Bearbeitung einer Sache wurde intern den jeweiligen Anwälten nach Rechtsgebiet zugeteilt, der Sachbearbeiter führte im Verlauf die Akte und das Mandat. Grundsätzlich wurden von diesem Sachbearbeiter auch die Liquidationen erstellt und die technische Ausführung der Abrechnung und der Mandatsbeendigung vorgenommen. In einer Vielzahl von Fällen übernahm der Angeklagte J. aber auch die Abrechnung der von ihm nicht bearbeite- ten Mandate. Er fertigte in der Regel auch mandatsübergreifende Zwischenabrechnungen und führte die Konten der Kanzlei. Die Aktenführung im Tatzeitraum war geprägt von Rückständen und Unordnung in den Büros der Angeklagten, mangelnden Wiedervorlagen und fehlender Kontrolle insbesondere im Zusammenhang mit dem Eingang von Fremdgeldern und der Aktenablage. Dies führte bei bloßer Anordnung von Abrechnungen mithilfe eines Zettelsystems ohne buchhalterische Nachvollziehbarkeit zum Unterbleiben von Abrechnungen oder zumindest erheblicher Verzögerung.

Im Tatzeitraum gab es im Wesentlichen ein allein von dem Angeklagten J. geführtes Konto bei der P. in K. , zudem zwei auf die Angeklag- ten J. und W. lautende Kanzleikonten bei der A. B. bzw. der A. S. sowie erst ab dem Jahr 2011 ein Kanzleianderkonto, des- sen Inhaber der Angeklagte J. war. Die Geschäftskonten bei der P. und der S. A. wurden im Tatzeitraum im Wesentlichen im Minus geführt, über lange Zeit im fünfstelligen Bereich. Es erfolgten immer wieder Zuschüsse aus privaten Mitteln; zur Tilgung einer Steuerverbindlichkeit der Kanzlei nahm die Ehefrau des Angeklagten W. einen Kredit über 50.000 € auf, den sie noch heute abzahlt. Ins Einzelne gehende Feststellungen zur Solvenz der Kanzlei (zu den jeweiligen Tatzeitpunkten) hat die Strafkammer nicht getroffen.

Die Buchhaltung in der Kanzlei oblag allein der – freigesprochenen – Mitangeklagten D. . Wenn sie nicht in der Kanzlei war, lag die Buchhaltung brach, teilweise über mehrere Wochen. Hinzu kamen Probleme mit dem Buchhaltungssystem der verwendeten Rechtsanwaltssoftware, so dass es zu erheblichen Rückständen in der Buchhaltung kam. Parallel dazu gab es Handaktenzettel in den Mandantenakten, auf denen handschriftlich sämtliche Buchungsschritte durch die Mitangeklagte D. vermerkt wurden, allerdings nicht tag- genau und mit zum Teil erheblicher Verzögerung.

Mit der Kanzleientwicklung korrespondierend tätigten die Angeklagten J. und W. spätestens nach dem Jahr 2012 immer weniger Entnah- men, der Angeklagte W. etwa bis zum Jahr 2012 ca. 1.200 bis 1.500 € monatlich, danach lediglich noch 1.000 € oder weniger.

„Infolge dieses Missmanagements“ kam es zu den abgeurteilten Taten, die zum Teil von den Angeklagten auch gemeinschaftlich handelnd begangen wurden.“

Das LG hat die Angeklagten u.a. wegen Untreue (§ 266 StGB) verurteilt. Dagegen die Revision . Die hatte dann beim BGH Erfolg:

„Der Schuldspruch hält revisionsgerichtlicher Nachprüfung nicht stand.

1. Das Landgericht hat in sämtlichen Fällen eine Untreue durch Verwirklichung des Treubruchstatbestands, jeweils begangen durch Unterlassen, angenommen. Dabei hat die Strafkammer zwischen folgenden Fallgestaltungen unterschieden: Einzahlungen auf Geschäftskonten bei noch nicht eingerichtetem Anderkonto, nicht unverzüglich vorgenommene Fremdgeldauszahlungen („Verzögerungsfälle“), nicht ausgekehrte Fremdgelder („wirtschaftlicher Schaden“) und nicht vorgenommene Verrechnung mit Honoraransprüchen aus Parallelmandaten („juristischer Schaden“).

In allen Fallkonstellationen ist die Strafkammer vom Vorliegen eines Vermögensschadens ausgegangen. Ein Nachteil im Sinne des § 266 StGB sei dann gegeben, wenn ein Rechtsanwalt, der sich bestimmte Fremdgelder auf sein Geschäftskonto einzahlen lasse, weder uneingeschränkt bereit noch fähig sei, einen entsprechenden Betrag aus eigenen Mitteln vollständig auszukehren. Seien die Fremdgelder nicht auf einem Anderkonto verwahrt worden oder (bei Eingang auf dem Anderkonto) nicht unverzüglich weitergeleitet worden, sei bereits ein endgültiger Schaden eingetreten, da bei den Angeklagten kein Ersatzwille vorhanden gewesen sei, die zur Auskehrung stehenden Fremdgelder auch tatsächlich auszuzahlen. Bei fehlendem Ersatzwillen mache sich auch ein solventer Schuldner grundsätzlich wegen Untreue strafbar, weshalb es weiter gehender Ermittlungen zur Solvenz der Kanzlei nicht bedurft hätte. Im Übrigen sei auch in den Fällen, in denen den Angeklagten möglicherweise Honoraransprüche in einer die Zahlungseingänge übersteigenden Höhe zugestanden hätten, ein Nachteil im Sinne des § 266 StGB anzunehmen, denn entgegenstehende Honorarforderungen seien nur dann geeignet, den Auszahlungsanspruch der Mandanten zum Erlöschen zu bringen, wenn die zugrundeliegenden Mandate tatsächlich – was nicht der Fall gewesen sei – abgerechnet worden seien. Zudem hätte die Verwendung der Mandantengelder auch nicht dem Zweck gedient, bestehende Honoraransprüche zu befriedigen, weil diese nicht beziffert und geltend gemacht worden seien.

2. Die Annahme des Landgerichts, in allen abgeurteilten Fällen sei den Mandanten ein Nachteil im Sinne des § 266 StGB entstanden, ist nicht tragfähig begründet.

a) Ein Rechtsanwalt, der sich im Rahmen eines bestehenden Anwaltsvertrags zur Weiterleitung bestimmte Fremdgelder auf sein Geschäftskonto einzahlen lässt und weder uneingeschränkt bereit noch jederzeit fähig ist, einen entsprechenden Betrag aus eigenen flüssigen Mitteln vollständig auszukehren, kann sich der Untreue in der Variante des Treubruchstatbestands (§ 266 Abs. 1 Var. 2 StGB) strafbar machen (vgl. BGH, Beschluss vom 29. Januar 2015 – 1 StR 587/14, NJW 2015, 1190, 1191; Senat, Beschluss vom 24. Juli 2014 – 2 StR 221/14, NStZ 2015, 277 jeweils mwN). Nach § 4 Abs. 2 Satz 1 BORA ist ein Rechtsanwalt verpflichtet, eingegangene Fremdgelder unverzüglich an den Berechtigten weiterzuleiten oder, falls dies ausnahmsweise nicht sofort durchführbar ist, den Mandanten hiervon sofort in Kenntnis zu setzen und dafür Sorge zu tragen, dass ein dem Geldeingang entsprechender Betrag bei ihm jederzeit für den Berechtigten zur Verfügung steht (vgl. BGH, Urteil vom 29. April 1960 – 4 StR 544/59, NJW 1960, 1629, 1630). Unbeschadet der Frage, welche konkrete Zeitspanne als unverzüglich anzusehen ist, was sich nach den Umständen des Einzelfalls bestimmt (s. Feuerich/Weyland/Träger, Bundesrechtsanwaltsordnung, 9. Aufl., 2016, § 43a Rn. 90, die eine Frist von maximal drei Wochen ab Eingang des Geldes annehmen), kann diese Verzögerung als solche regelmäßig noch keinen Vermögensnachteil begründen (vgl. OLG Stuttgart, NJW 1971, 64, 65; aA OLG Köln, AnwBl 1999, 608 f.). Ebenso wenig kann allein der Verstoß gegen die Pflicht zur Führung eines Anderkontos und zur Weiterleitung von Fremdgeldern auf dieses (vgl. § 4 Abs. 2 Satz 2 BORA) einen Nachteil begründen. Maßgeblich ist vielmehr, ob das Vermögen des Mandanten durch die Pflichtverletzung gemindert wird (zum „Verschleifungsverbot“ vgl. BVerfGE 126, 170, 206). Das ist etwa dann der Fall, wenn in der unterlassenen Weiterleitung die Absicht liegt, die eingenommenen Gelder endgültig für sich zu behalten, der Rechtsanwalt die Gelder zwar nicht auf Dauer für sich behalten will, aber ein dem Geldeingang entsprechender Betrag nicht jederzeit für den Berechtigten zur Verfügung gehalten wird (BGH, Beschluss vom 29. Januar 2015 – 1 StR 587/14, NJW 2015, 1190, 1191; Senat Beschluss vom 24. Juli 2014 – 2 StR 221/14, NStZ 2015, 277), oder die Gefahr eines Vermögensverlustes groß ist, weil die auf dem Geschäftskonto befindlichen Gelder dem (unabwendbaren und unausgleichbaren) Zugriff von Gläubigern offenstehen (vgl. BGH, Beschluss vom 2. April 2008 – 5 StR 354/07, BGHSt 52, 182, 188 f.). Tilgt der Rechtsanwalt durch Verwendung auf dem Geschäfts- oder dem Anderkonto eingegangenen Fremdgelds private Verbindlichkeiten oder erfüllt er vom Anderkonto aus geschäftliche Verbindlichkeiten, die keinen Zusammenhang mit den Zahlungseingängen aufweisen, ist mit der Kontokorrentbuchung der Bank des Rechtsanwalts oder dem Abfluss des Zahlungseingangs von dessen Konto – abgesehen vom Falle des Vorhandenseins ausreichender Mittel zum in Aussicht genommenen Ausgleich – bei dem Berechtigten bereits ein endgültiger Vermögensschaden eingetreten. Infolge des kompensationslosen Abflusses, der mit dem Verlust der Fremdgelder einhergeht, liegt ein endgültiger Vermögensnachteil vor (vgl. BGH, Beschluss vom 29. Januar 2015 – 1 StR 587/14, NJW 2015, 1190, 1191).

b) Hiervon ausgehend wird ein Vermögensnachteil durch die Urteilsgründe in allen Fällen nicht tragfähig belegt.

aa) Die Beweiswürdigung, auf die das Landgericht die aus seiner Sicht einen Vermögensnachteil allein tragende Annahme stützt, den Angeklagten habe der Wille gefehlt, die zur Auskehrung stehenden Fremdgelder auch tatsächlich auszuzahlen, erweist sich als lückenhaft.

Die Strafkammer hat bei ihrer knappen Begründung für diese Annahme wesentliche Gesichtspunkte außer Acht gelassen, die gegen das Fehlen eines Ersatzwillens sprechen könnten und die infolgedessen in die Würdigung des Landgerichts einzubeziehen gewesen wären. So hat das Landgericht festgestellt, Ursache für verspätete Zahlungen sei ein auf Überforderung der Angeklagten zurückzuführendes „Missmanagement“ gewesen. Der hierin liegende Widerspruch zur Annahme eines durchgängig fehlenden Ersatzwillens wird in den Urteilsgründen nicht aufgelöst. Auch ist nicht erkennbar, dass die Strafkammer den Umstand in den Blick genommen hat, dass trotz des festgestellten überdauernden „Missmanagements“ im Tatzeitraum von fünf Jahren lediglich 27 Fälle festgestellt worden sind, in denen es nach Ansicht des Landgerichts zu im Sinne von § 266 StGB strafrechtlich relevanten Unregelmäßigkeiten im Umgang mit Mandantengeldern gekommen sein soll.

Die Strafkammer hätte in diesem Zusammenhang ferner bedenken müssen, dass die Angeklagten, wie in den Urteilsgründen festgestellt, immer wieder privates Geld zur Auszahlung an Mandanten nachschossen und ihre Entnahmen aus den Einkünften der Kanzlei im maßgeblichen Zeitraum immer weiter zurückfuhren. Diese Umstände könnten darauf hindeuten, dass es ihnen nicht darauf ankam, ihnen nicht zustehende Gelder für private Zwecke zu verwenden, sie im Gegenteil bestrebt waren, ihren Mandanten keine Gelder vorzuenthalten. Trotz der vom Landgericht gegen das Vorhandensein eines Ersatzwillens herangezogenen Beweisanzeichen (Abstreiten von Zahlungseingängen gegenüber Mandanten bzw. Auszahlung fälliger Gelder erst auf nachhaltige Intervention) kann der Senat demzufolge nicht ausschließen, dass die Strafkammer im Rahmen der für jede Tat gesondert vorzunehmenden Gesamtabwägung zumindest in einzelnen Fällen – auch unter Berücksichtigung ihrer privaten wirtschaftlichen Situation (s. dazu im Folgenden unter bb) – zur Annahme von Zahlungswilligkeit und -fähigkeit der Angeklagten gelangt wäre.

bb) Die Strafkammer hat es – von ihrem Standpunkt aus folgerichtig – nicht für erforderlich erachtet, nähere Feststellungen zur Fähigkeit der Angeklagten zu treffen, die zurückbehaltenen Beträge jederzeit auszugleichen. Dass dies nicht der Fall war, kann der Senat den Urteilsgründen – auch unter Beachtung ihres Gesamtzusammenhangs – nicht entnehmen. Insoweit wird sich die nunmehr zur Entscheidung berufene Strafkammer eingehend mit der finanziellen Situation der Kanzlei und auch derjenigen der Angeklagten persönlich auseinanderzusetzen haben, sollte sie den grundsätzlichen Willen zur Auszahlung einbehaltener Fremdgelder feststellen.

cc) Durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnet es zudem, dass das Landgericht einen Vermögensnachteil in den Fällen II. 7, 8, 9, 10, 17 und 26 der Urteilsgründe (im Urteil als „juristischer Schaden“ bezeichnet) damit begründet hat, dass den Angeklagten zwar (nicht ausschließbar) Honoraransprüche in einer die Auszahlungsbeträge übersteigenden Höhe zugestanden hätten, eine schadensausgleichende Kompensation aber nicht in Betracht komme, weil diese Ansprüche nicht abgerechnet worden seien. Eines solchen Ausgleichs bedürfte es nämlich nur dann, wenn schon die pflichtwidrige Einzahlung auf ein Geschäftskonto, die Verwendung für andere Zwecke oder die verspätete Weiterleitung an den Mandanten für diesen einen Vermögensnachteil begründet hätte. Dies ist aber, wie aufgezeigt, nicht rechtsfehlerfrei belegt.“

 

StGB I: Untreue des Rechtsanwalts?, oder: Die veweigerte Rückzahlung von Fremdgeld

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Heute ist zwar Feiertag, ich lasse aber hier, da ich derzeit viel Material habe, das „normale“ Programm durchlaufen. Und heute gibt es dann mal drei Entscheidungen zum materiellen Recht, also StGB.

Ich beginne mit dem OLG Köln, Beschl. v. 30.04.2019 – III 1 RVs 97 u. 99/19. Er behandelt die Untreue (§ 266 StGB) eines Rechtsanwaltes in der Form des Treubruchtatbestand. Ist etwas länger die Darstellung, aber heute ist ja Zeit zum Lesen:

„Der Angeklagte war als Rechtsanwalt Anfang des Jahres 2012 durch Vermittlung eines gemeinsamen Bekannten mit der Geltendmachung einer Darlehensforderung i.H.v. 56.000,– € beauftragt, die der Geschädigten – einer seinerzeit mittellosen Studentin – zustand. Am 30. März 2012 forderte er den Darlehensschuldner unter Beifügung einer Kostennote über 1.761,08 € erfolglos zur Rückzahlung auf. Die Geschädigte wandte sich daraufhin an einen anderen Rechtsanwalt, der den Erlass eines Mahnbescheids beantragte, gegen den der Schuldner indessen Widerspruch einlegte. Nachdem das zuständige Amtsgericht mitgeteilt hatte, die Durchführung des streitigen Verfahrens hänge von der Zahlung einer weiteren Gerichtsgebühr i.H.v. 1.390,– € ab, wandte sich der gemeinsame Bekannte an den Angeklagten mit der Bitte, das Mandat fortzuführen. Die Geschädigte überwies am 28. Dezember 2012 und am 3. Januar 2013 die angeforderten Gerichtskosten in zwei Teilbeträgen auf das bei der A geführte Geschäftskonto des Angeklagten, über das dieser auch Zahlungen privater Natur abwickelte und das sich im fraglichen Zeitraum mit etwas über 21.000,– € im Soll befand. Auf diesem Konto war dem Angeklagten ein Dispositionskredit i.H.v. 47.500,– € eingeräumt. Über ein Anderkonto verfügte er seinerzeit nicht.

Der Angeklagte schrieb die Geschädigte am 11. Januar 2013 an und teilte ihr unter anderem folgendes mit:

„(…) Des Weiteren möchte ich nochmals verbindlich klarstellen, dass die Wahrnehmung Ihrer Interessen nur nach vorherigem Ausgleich meiner Gebührenforderung in Betracht kommt, diese entnehmen sie bitte der anliegenden Kostennote (über 1.757,28 €). Vor diesem Hintergrund bitte ich um Ausgleich der in der Anlage beigeschlossenen Kostennote. Die Vereinbarung eines Erfolgshonorars (scil.: über welches bei Mandatserteilung Anfang 2012 diskutiert worden war) muss ich dagegen vorsorglich nochmals ausdrücklich bereits aus dem Grund ablehnen, dass mir keinerlei Informationen über die Solvenz des Schuldners und insbesondere über in der Bundesrepublik bestehendes Vermögen vorliegen. Ich bitte um Verständnis dafür, dass ich mich auf Vollstreckungsversuche im (zumal außereuropäischen) Ausland nicht einlassen kann. Vor diesem Hintergrund bitte ich um Ausgleich der in der Anlage beigeschlossenen Kostennote. Diese betrifft zunächst die Geltendmachung der Darlehnsforderung Songel (…).“

Weiter heißt es in den Urteilsgründen:

„Dieser Schriftsatz (…) erreichte die Zeugin (…) nicht, weil er an eine veraltete Adresse gesendet worden war. Die Zeugin war zwischenzeitlich umgezogen. Dies teilte (der gemeinsame Bekannte) dem Angeklagten per Mail kurze Zeit danach mit. In der Folgezeit reichte der Angeklagte weder die Gerichtskosten an das zuständige Gericht weiter, noch reichte er Klage ein. Auch zahlte er die Gerichtsgebühren nicht an die Zeugin (…) zurück. Ein weiteres Schreiben versendete er nicht mehr an die Zeugin (…)“

Diese ihrerseits wandte sich mit Schreiben vom 27. Juni 2013 an den Angeklagten, forderte diesen unter Fristsetzung zur Rückzahlung der 1.390,– € auf und erklärte zugleich, ihre „Beauftragung zurückzuziehen“. Nachdem die Geschädigte keinen Zahlungseingang feststellen konnte, forderte sie den Angeklagten ein weiteres Mal zur Rückzahlung auf und wandte sich mit Schreiben vom 4. September 2013 an die Anwaltskammer B, welche den Angeklagten mit Schreiben vom 31. Oktober und 26. November 2013 um Stellungnahme zu den seitens der Zeugin erhobenen Vorwürfe aufforderte. Dieses Schreiben blieben ebenfalls unbeantwortet.

Das Landgericht hat gemeint, der Angeklagte sei – wie sich aus seiner Reaktion auf die Mahnungen der Geschädigten sowie die Anschreiben der Rechtsanwaltskammer ergebe – nicht bereit gewesen, die vereinnahmten Gerichtskosten „zurückzuzahlen bzw. weiterzuleiten“ er habe, soweit Fremdgelder betroffen seien, die zu Grunde liegende Zweckbestimmung zu achten, und zwar ohne auf den Eintritt ihm günstiger Bedingungen (scil.: Der Begleichung der Honorarforderung) zu warten. Er habe sich daher der Untreue – in der Variante des Treubruchtatbestandes durch aktives Tun – strafbar gemacht.“

Dem OLG reichen die Feststellungen für die Annahme einer Untreue gemäß § 266 Abs. 1 Var. 2 StGB nicht:

„bb) Die fehlende Bereitschaft des Angeklagten zur zweckentsprechende Mittelverwendung schlussfolgert die Berufungsstrafkammer aus seinem Verhalten nach Beendigung des Mandats. Auf Mahnungen der Geschädigten und die Einräumung einer Gelegenheit zur Stellungnahme durch die Rechtsanwaltskammer habe er nicht reagiert.

Eine solche Schlussfolgerung von späterem Verhalten auf eine früher vorhandene oder nicht vorhandene Bereitschaft (zur zweckentsprechende Mittelverwendung) ist grundsätzlich denkgesetzlich möglich. Die Kammer differenziert jedoch nach Auffassung des Senats nicht in ausreichendem Maße zwischen dem Bestehen und der Zeit nach Beendigung des Mandatsverhältnisses, die durch die am 27. Juni 2013 seitens der Geschädigten erklärte Kündigung eingetreten ist. Ab diesem Zeitpunkt bestand für den Angeklagten keine Vermögensbetreuungspflicht mehr, er war lediglich schuldrechtlich zur Rückzahlung des von der Geschädigten erhaltenen Geldes verpflichtet, ohne dass diese Pflicht als solche zur Vermögensbetreuung strafbewehrt gewesen wäre (BGH NStZ 1986, 361; Schönke/Schröder-Perron, StGB, 30. Auflage 2019, § 266 Rz. 34; soweit das OLG Karlsruhe [NStZ 1990, 82] diese Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs „einschränken“ will, waren die Mandatsverhältnisse in dem dort zugrundeliegenden Fall jedenfalls nicht erkennbar beendet). Das bedeutet, dass die Pflicht des Angeklagten, sich strafbewehrt jederzeit zur zweckentsprechende Mittelverwendung bereitzuhalten, nur in der Zeit zwischen Empfang des Geldes (28. Dezember 2012) und Mandatskündigung (27. Juni 2013) bestand. In dieser Zeit war der Angeklagte aus dem anwaltlichen Auftragsverhältnis zunächst verpflichtet, das eingenommene Geld zur Zahlung des weiteren Gerichtskostenvorschusses zu verwenden. Ausweislich seines – zeitnah zum Geldempfang verfassten – Schreibens vom 11. Januar 2013 bestand diese Bereitschaft auch, freilich „nur nach vorherigem Ausgleich meiner Gebührenforderung“.

Mit dieser Formulierung hat der Angeklagte sich der Sache nach auf das ihm gemäß § 9 RVG grundsätzlich zustehende Recht berufen, von seinem von seinem Auftraggeber für die entstandenen und die voraussichtlich entstehenden Gebühren und Auslagen einen angemessenen Vorschuss fordern. Zahlt der Mandant diesen nicht, darf der Rechtsanwalt – freilich nach vorheriger Ankündigung – seine weitere Tätigkeit einstellen (BeckOK-RVG-v. Seltmann, 43. Edition Stand 01.12.2018, § 9 Rz. 20). Die Anforderung eines Vorschusses war hier nach Lage der Dinge auch sinnvoll, da die Auftraggeberin ausweislich der ausdrücklich getroffenen Feststellungen der Berufungsstrafkammer als Studentin „mittellos“ war und der Angeklagte Anfang 2012 – offenbar bislang unvergütet – bereits für diese tätig geworden war. Anfang Januar 2013 wird man dem Angeklagten aus diesem Grund die Bereitschaft zur auftragsgemäßen Weiterleitung des eingenommenen Geldes kaum absprechen können.

Zu der weiteren Entwicklung der Geschehnisse bis zum Zeitpunkt der Mandatskündigung hat die Berufungsstrafkammer nur unzureichende Feststellungen getroffen. Festgestellt ist lediglich, dass das Schreiben vom 11. Januar 2013 die Geschädigte nicht erreichte, weil diese umgezogen war und dass der Angeklagte (jedenfalls) von der Tatsache des Umzugs Kenntnis hatte. Ob dieser – bejahendenfalls: wann – davon erfahren hat, dass sein Schreiben vom 11. Januar die Geschädigte nicht erreicht und ob er von der neuen Anschrift der Geschädigten Kenntnis hatte und so die Möglichkeit gehabt hätte, mit dieser die weitere Vorgehensweise (auftragsgemäßes weiteres Tätigwerden – bejahendenfalls: zu welchen Konditionen –  oder Rückabwicklung des Auftragsverhältnisses) zu klären, ob er also überhaupt die Möglichkeit gehabt hätte, „ein weiteres Schreiben“ zu versenden (UA 8), bleibt nach den getroffenen Feststellungen offen. Die Beantwortung dieser Fragen ist aber für die Bereitschaft des Angeklagten zur zweckentsprechenden Mittelverwendung bis zum Zeitpunkt der Mandatsbeendigung von entscheidender Bedeutung.

Mit der Mandatskündigung durch die Geschädigte ist dann aber jedenfalls insoweit eine neue Situation eingetreten, als der Angeklagte die Begleichung seiner Honorarforderung nicht mehr als von seinen Bemühungen um die Realisierung des Darlehensrückzahlungsanspruchs der (ehemaligen) Mandantin abhängig einschätzen konnte.“

Ersatz von Anwaltskosten des „Selbstvertreters“, oder:; Nicht in einem einfach gelagerten Fall

Den Anfang im „Kessel Buntes“ macht dann heute das AG Siegburg, Urt. v. 25.06.2018 – 103 C 119/17. Es behandelt noch einmal die Problematik des Ersatzes von Anwaltskosten, wenn der Geschädigte selbst Rechtsanwalt ist und er sich selbst vertritt. Das AG hat den Ersatz abgelehtn. Begründung: Es hat sich nur um einen einfach gelagerten Fall gehandelt:

„Die Klage ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erstattung der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten gem. §§ 7 StVG, 823, 249 BGB, 115 VVG.

Die Einschaltung eines Rechtsanwalts gehörte in diesem Fall nicht zu den erforderlichen Kosten der Schadenswiederherstellung. Zwar gehören die Kosten der Rechtsverfolgung bei einer Schädigung regelmäßig zu den zu ersetzenden Herstellungskosten. Ein Schädiger hat jedoch nach ständiger Rechtsprechung des BGH nicht schlechthin alle durch das Schadensereignis verursachten Anwaltskosten zu ersetzen, sondern nur solche, die aus der maßgeblichen Sicht des Geschädigten mit Rücksicht auf seine spezielle Situation zur Wahrnehmung seiner Rechte erforderlich und zweckmäßig waren (vgl. BGH NJW 2006, 1065; BGH NJW-RR 2007, 856 m.w.N.). Ist in einem einfach gelagerten Schadensfall die Verantwortlichkeit für den Schaden und damit die Haftung von vornherein nach Grund und Höhe derart klar, dass aus der Sicht des Geschädigten kein vernünftiger Zweifel daran bestehen kann, dass der Schädiger ohne Weiteres seiner Ersatzpflicht nachkommen werde, so ist es im Allgemeinen aus der Sicht des Geschädigten zur Schadensbeseitigung nicht erforderlich, schon für die erstmalige Geltendmachung des Schadens gegenüber dem Schädiger einen Rechtsanwalt hinzuzuziehen. Vielmehr ist der Geschädigte in derart einfach gelagerten Fällen grundsätzlich gehalten, den Schaden zunächst selbst geltend zu machen. Die sofortige Einschaltung eines Anwalts kann sich nur unter besonderen Voraussetzungen als erforderlich erweisen, wenn etwa der Geschädigte aus Mangel an geschäftlicher Gewandtheit oder sonstigen Gründen wie etwa Krankheit oder Abwesenheit nicht in der Lage ist, den Schaden selbst anzumelden. Die sofortige Einschaltung eines Anwalts auch aus der Sicht des Geschädigten ist dann als nicht erforderlich anzusehen, wenn er selbst über eigene Fachkenntnisse und Erfahrungen zur Abwicklung des konkreten Schadensfalls verfügt. Dieses Wissen hat er besonders in den oben beschriebenen, einfach gelagerten, aus seiner Sicht zweifelsfreien Fällen bei der erstmaligen Geltendmachung des Schadens einzusetzen (vgl. eingehend BGH NJW-RR 2007, 856 m.w.N.).

Nach diesen Grundsätzen war die Beauftragung eines Rechtsanwaltes für die Abwicklung des Verkehrsunfalls nicht erforderlich. Die Haftung der Beklagten war aus der hier maßgeblichen ex ante Sicht unstreitig. Es gab aus Sicht des Klägers kein Anlass zu Zweifeln an der Ersatzpflicht der Beklagten. Auch im Laufe der Schadensabwicklung hat die Beklagte zu 2) eine Regulierung der vom Kläger bezifferten Schäden nicht in Frage gestellt. Die Auffassung des Klägers, die auch in der Rechtsprechung teilweise vertreten wird, dass es sich bei Verkehrsunfällen niemals um einen einfach gelagerten Fall handele, überzeugt nicht. Zwar gibt es bei Verkehrsunfällen jede Menge potentielle Streitpunkte. Dies gilt jedoch für alle Rechtsgebiete. Ob ein Geschädigter Ansprüche aus einem Werkvertrag, Kaufvertrag, Mietvertrag oder etwa aus einem wettbewerbsrechtlichen Verhältnis (wie in der oben zitierten BGH-Entscheidung) geltend machen will, so können stets verschiedene rechtliche Problemfelder auftreten, die einer einfachen Schadenregulierung im Wege stehen. Wenn sich im konkreten Fall aus der ex ante Sicht jedoch keine Probleme abzeichnen, so ist die Einschaltung eines Rechtsanwaltes durch einen Geschädigten, der selbst Rechtsanwalt ist, – auch bei der Abwicklung eines Verkehrsunfalls – nicht erforderlich. Denn dieser ist gerade aufgrund seiner Fachkenntnisse in der Lage, den Schadensfall abzuwickeln. Dies zeigt auch der Umstand, dass der Kläger seine Ansprüche selbst geltend gemacht hat. Ergeben sich im Laufe der Schadensabwicklungen Probleme oder Widerstand des Schädigers, so kann die Einschaltung eines Rechtsanwaltes (auch durch einen Rechtsanwalt selbst) durchaus erforderlich werden. Dies ist hier jedoch gerade nicht geschehen. Der Kläger hat nicht dargelegt, dass zu irgendeinem Zeitpunkt eine Auseinandersetzung mit der Beklagten zu 2) erforderlich war. Insbesondere stellt der Umstand, dass die Beklagte zu 2) zunächst die Berechtigung von Nutzungsausfall prüfen wollte und dabei eine vom Kläger gesetzte Frist verstreichen ließ, keine Ablehnung eines Anspruchs dar, die die Einschaltung eines Rechtsanwaltes zu diesem Zeitpunkt erforderlich machte.“

Überlastung der Justiz?, oder: Hat man denn bei der StA Traunstein nichts anderes/Besseres zu tun?

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Im Kessel Buntes dann heute mal etwas ganz anderes, und zwar eine Einstellungsnachricht der RAK München in einem berufsrechtlichen Verfahren, das aufgrund einer Eingabe der Staatsanwaltschaft Traunstein bei der RAK München anhängig war. Vorwurf: Der Kollege F.C. Alte aus Anzing soll „Werbung betrieben [haben], die auf Ertei­lung eines Mandates im Einzelfall gerichtet gewesen sei und damit gegen die Pflicht zur gewis­senhaften Berufsausübung, § 43 BRAO i.V.m. § 43b BRAO, verstoßen“ haben. Was ihm „vorgeworfen“ wird/wurde, ergibt sich unschwer aus der Einstellungsnachricht, die ich hier mit Erlaubnis des Kollegen, der sie mir geschickt hat, einstelle:

„Ihre Eingabe betreffend Herrn Rechtsanwalt Florian C. T. Alte

Sehr geehrter Herr Oberstaatsanwalt pp.,

die zur Entscheidung berufene Abteilung II des Kammervorstands München hat beschlossen, das Verfahren gegen Herrn Rechtsanwalt Florian C. T. Alte einzustellen.

Begründung:

1.) Sachverhalt

Mit Eingabe vom 17.09.2018 haben Sie sich an die Rechtsanwaltskammer gewandt und den Vorwurf erhoben, Herr Rechtsanwalt Florian C. T. Alte habe Werbung betrieben, die auf Ertei­lung eines Mandates im Einzelfall gerichtet gewesen sei und damit gegen die Pflicht zur gewis­senhaften Berufsausübung, § 43 BRAO i.V.m. § 43b BRAO, verstoßen.

Herr Rechtsanwalt Florian C. T. Alte soll demnach im Gebäude des Amtsgerichts Mühldorf ge­zielt einen sprachunkundigen Angeklagten angesprochen und diesem ein Mandat angedient haben.

Der Beschwerdegegner wurde mit Schreiben der Kammer vom 27.09.2018 zur Stellungnahme aufgefordert. Mit Schreiben vorn 18.10.2018 gab der Beschwerdegegner gegenüber der Rechtsanwaltskammer eine Stellungnahme ab.

Nach Auskunft des Beschwerdegegners sei es unzutreffend, dass er dem Angeklagten das Mandat angedient habe. Er habe sich anlässlich eines familienrechtlichen Termins im Ge­richtsgebäude aufgehalten und; da er noch etwas Zeit hatte. aus Neugierde die Sitzungsaus­hänge vor den anderen Sitzungssälen betrachtet. Dabei sei ihm aufgefallen. dass einem auf­grund des Namens offensichtlich afrikanischem Angeklagten u.a. der Verbrechenstatbestand des Raubes vorgeworfen wurde.

Er sei verwundert gewesen, da in diesem Fall kein Verteidiger aufgelistet gewesen sei, obwohl bei dem Tatvorwurf die Voraussetzungen des § 140 Abs. 1 Nr. 2 StPO für die Beiordnung eines Pflichtverteidigers vorgelegen hätten.

Vor dem Sitzungssaal seien zwei dunkelhäutige Männer gesessen und hätten sich angeregt in einer ihm unbekannten Fremdsprache unterhalten. Aufgrund der Körpersprache habe er er­kannt, dass einer der Männer sichtlich überfordert wirkte. Daraufhin habe er die Männer ge­fragt, ob sie anlässlich des Verfahrens wegen Raubes anwesend seien. Einer der beiden Män­ner, ein Dolmetscher, habe die Frage bejaht. Daraufhin habe er den Dolmetscher gefragt, ob der andere Mann einen Verteidiger habe. Der andere Mann verneinte die Frage mit dem Hin­weis, das AG Mühldorf a. Inn habe die Beiordnung abgelehnt. Daraufhin habe er entgegnet, dass das Gesetz im Falle des Vorwurfs eines Verbrechens die Beiordnung eines Verteidigers vorsehe.

Erst daraufhin sei er über den Dolmetscher gefragt worden. ob er Rechtsanwalt sei, mit dem Zusatz, der Angeklagte würde die Hilfe eines Verteidigers benötigen und ob er helfen könne. Diese Frage habe er bejaht, mit dem wörtlichen Zusatz „wenn Sie das wollen“ und wies dabei darauf hin, dass er den Akteninhalt nicht kennen würde. Daraufhin habe der Angeklagte noch­mals geäußert, dass er Hilfe benötigen würde und ihn gebeten hätte, diese Hilfe zu leisten.

Aufgrund der anderweitigen familienrechtlichen Verhandlung habe er an der Verhandlung nicht von Beginn an teilnehmen können und habe den Gerichtsaal erst nach Sitzungsbeginn betre­ten. Als sich eine Diskussion um die Rechtmäßigkeit seiner Anwesenheit im Sitzungssaal zwi­schen den Verfahrensbeteiligten entwickelte und seinem Ansinnen, der Richter möge den An­geklagten befragen. ob dieser die Anwesenheit des Beschwerdegegners wünsche, nicht nach­gekommen wurde, habe er den Angeklagten selbst gefragt, ob dieser von ihm verteidigt wer­den möchte. Diese Frage habe der Angeklagte bejaht.

2.) Rechtliche Würdiqunq

§ 43b Var. 2 BRAO verbietet Werbung, die „auf die Erteilung eines Auftrags im Einzelfall ge­richtet ist“. Nach der Rechtsprechung wird von § 43b Var. 2 BRAO nur der Fall erfasst, dass der Anwalt jemanden im Hinblick auf einen konkreten Beratungsbedarf werblich anspricht. Schutzzweck der Norm ist ein Nötigungs- und Überrumpelungsschutz.

Entscheidend ist letztlich der Grad der Gewissheit über den Beratungsbedarf, den der Anwalt haben muss, um nicht mehr auf einen konkreten Mandanten zuzugehen (Hartung/Scharmer, BORA/FAO, Neuauflage 2016, § 43b BRAO, Rn. 29). Während das sichere Wissen ohne wei­teres ein Fall des § 43b Var. 2 BRAO ist und das bloße Vermuten nicht, ist nach wie vor offen, ob die Grenze beim bloßen „Annehmen“ oder erst beim „sicheren Annehmen“ zu ziehen ist (Hartung/Scharmer. BORA/FAO, Neuauflage 2016, § 43b BRAO. Rn. 29). Letztlich wird man angesichts der fehlenden Kontrollmöglichkeiten hinsichtlich solcher subjektiven Tatbestands­merkmale nur das sichere Wissen um den Beratungsbedarf als Voraussetzung für das Werbeverbot des § 43b Var. 2 BRAO annehmen können (Hartung/Scharmer, BORA/FAO, Neuauflage 2016, § 43b BRAO, Rn. 29).

Im vorliegenden Fall hat der Beschwerdegegner den Angeklagten sowie dessen Dolmetscher zunächst lediglich in allgemeiner Form angesprochen, als er erkannte, dass einer der Männer sichtlich überfordert wirkte. Zu diesem Zeitpunkt war ihm aber weder sicher bekannt, dass es sich bei einem der Männer um einen Angeklagten handelte, noch dass dieser einen konkreten Beratungsbedarf hatte. Die bloße Vermutung allein reicht letztlich nicht aus.

Dabei hat sich der Beschwerdegegner nicht als Rechtsanwalt zu erkennen gegeben und auch nicht von sich aus die konkrete Mandatsübernahme angeboten. Vielmehr entwickelte sich eine Konversation unter Zuhilfenahme des Dolmetschers, in deren Verlauf von Seiten des Ange­klagten die Frage an den Beschwerdegegner gerichtet wurde, ob dieser ihm helfen könne.

In dieser Konstellation einen berufsrechtlichen Verstoß annehmen zu wollen, ginge zu weit. Letztlich trifft man nahezu täglich in Gerichtsgebäuden auf Personen, die einen ,,hilfe- bzw. rat-suchenden“ Eindruck vermitteln, ohne dass von vornherein ersichtlich wäre, welche Art von Rat oder Hilfe benötigt wird. Es würde der Stellung des Rechtsanwaltes als unabhängiges Organ der Rechtspflege nicht gerecht werden, würde man verlangen, dass dieser in derartigen Situa­tionen nicht auf im Gerichtsgebäude anwesende Personen zugehen dürfte.

Ein berufsrechtlicher Verstoß ist daher nicht gegeben.“

Wenn man es liest, mag man – jedenfalls ich – es nicht glauben und man – jedenfalls ich – frage mich: Was soll das? Hat man bei der Staatsanwaltschaft Traunstein nichts anderes zu tun, als solche Verfahren „anzuleiern“? Wir lesen doch überall und immer nur, wie überlastet die Justiz ist. Wenn das der Fall ist, sollte man aber doch mit den knappen Ressourcen sorgsamer umgehen und die (angeblich) knappe Zeit nicht für solche Sachen verplempern. Und man hätte genügend Zeit, sich ggf. um andere Dinge zu kümmern (§ 160 Abs. 2 StPO lässt grüßen). Um was? Nun, das scheint sich aus der Stellungnahme des Kollegen gegenüber der RAK zu ergeben, die ich ebenfalls mit seiner Erlaubnis einstelle und die das „Überlastungsproblem“ vielleicht noch mehr verdeutlicht. Denn im Hinblick auf wichtige prozessuale Probleme in dem inkriminierten Verfahren blieb die Staatsanwaltschaft wohl untätig.

Dazu hat der Kollege ausgeführt:

„Im Laufe des Verfahrens hat sich herausgestellt, dass das konkrete Verfahren gegen den Angeklagten unter Missachtung wesentlicher prozessualer Rechte des Angeklagten (Übersetzung der Anklageschrift in dessen Muttersprache) gelitten hat und bis heute leidet. Hätte ich in dem konkreten Fall nicht „eingegriffen“, wäre der Angeklagte mit großer Wahrscheinlichkeit verurteilt worden, da er zumindest einen Tatkomplex gestanden hatte. Zu keinem Zeitpunkt wäre der schwere Verfahrensfehler beachtet worden. 

Vor diesem Hintergrund scheint es mir eher so zu sein, dass ich den Angeklagten vor einem Unglück bewahrt habe, als dass ich ein zu Lasten des Angeklagten bestehendes Unglück ausgenützt hätte.

Und überrumpelt wäre der Angeklagte nur dann worden, wenn er „mit Hilfe“ der Staatsanwaltschaft durch das Gericht verurteilt worden wäre, ohne dass ihm jemals die Möglichkeit eingeräumt worden wäre, seine Rechte als Angeklagter vollumfänglich zu nutzen. 

Natürlich kann man meinen Ausführungen entgegenhalten, dass ich zu demjenigen Zeitpunkt, als die streitgegenständliche Unterhaltung zwischen mir und dem Angeklagten stattfand, keinerlei Kenntnis von dem schwerwiegenden Verfahrensmangel hatte. Dies würde jedoch aus meiner Sicht lediglich den Versuch darstellen, die in diesem Verfahren durch die Justiz verursachten Mängel zu bagatellisieren. 

Gerade dieses Verfahren zeigt exemplarisch, wie wichtig die Aufgabe von Strafverteidigern im Rahmen des Systems der Strafjustiz ist.

Hierzu erlaube ich mir noch folgende Ergänzung: 

Im Rahmen der Entscheidung über einen von mir gegen Richter auf Probe pp. eingereichten und mittlerweile als unbegründet zurückgewiesenen Befangenheitsantrag wurde die Ermittlungsakte sowohl von der Staatsanwaltschaft Traunstein, als auch vom Direktor des Amtsgerichts Mühldorf a. Inn – dieser war zur Entscheidung über den Ablehnungsantrag berufen – bearbeitet. 

Dabei ist der o.g. Verfahrensfehler (fehlende Übersetzung der Anklageschrift in die Muttersprache des Angeklagten) weder der Ermittlungs-, noch der Entscheidungsbehörde aufgefallen. Auch wenn der Fokus der Bearbeitung der Ermittlungsakte sicherlich auf den Ablehnungsantrag gerichtet war und nicht anderen Form- und/oder Rechtsfragen galt, halte ich diese Art von „selektiver Wahrnehmung“ für bedenkenswert.“    

Da kann man dann nur noch anschließen: Es gibt viel zu tun. Packt es an, aber an der richtigen Stelle.