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Zur Pauschgebühr im Loveparadeverfahren, oder: Mehr als 40 EUR/Stunde für Einarbeitung gibt es nicht

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Am „Gebührenfreitag“ stelle ich zunächst eine Entscheidung des OLG Düsseldorf zur Pauschgebühr vor, und zwar den OLG Düsseldorf, Beschl. v. 31.03.2021 – III-3 AR 90/20.

Pauschgebühr und OLG Düsseldorf, mahnt ahnt: Da kann nichts Gutes kommen. Denn ich erinnere: Da waren die, die zunächst die sog. 500-Blatt-Formel“ propagiert haben (OLG Düsseldorf, RVGreport 2016, 99 = StRR 2015, 359 = JurBüro 2015, 637 = Rpfleger 2015, 668; RVGreport 2016, 178; RVGreport 2016, 138), diesen Lichtblick in der Pauschgebührrechtsprechung, dann aber sehr schnell – nach einem Wechsel im Senatsvorsitz – wieder einkassiert haben (OLG Düsseldorf RVGreport 2017, 10; 2017, 57; 2018, 213). Von daher: Die Entscheidung v. 31.03.2021, die nach dem Loveparadeverfahren ergangen ist, überrascht nicht. Jedenfalls mich nicht.

Zur Sache: Die Kollegin Zipperer, die mir den Beschluss geschickt hat, war Nebenklägerbeistand im Loveparade-Verfahren. Sie hat nach Abschluss des Verfahrens eine Pauschgebühr nach § 51 RVG in Höhe von 285.000 EUR für das gesamte Verfahren beantragt. Hilfsweise hat sie Pauschgebühren für einzelne Verfahrensabschnitte, nämlich anstelle der Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG eine Pauschgebühr von 108.180 EUR, anstelle der Verfahrensgebühr Nr. 4112 VV RVG eine Pauschgebühr von 38.351,98 EUR sowie eine Pauschgebühr von 140.962,50 EUR anstelle von Terminsgebühren Nrn. 4114, 4116, 4118 VV RVG geltend gemacht. Die Hauptverhandlung in dem Verfahren hat in der Zeit vom 8.12. 2017 bis zum 4.5.2020 an insgesamt 184 Sitzungstagen stattgefunden, von denen die Antragstellerin an 169 Tagen teilgenommen hat. Das OLG hat anstelle der Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG eine Pauschgebühr von 40.000 gewährt:

Das OLG verweist zunächst auf die Rechtsprechung des BVerfG und seine Rechtsprechung zu § 51 Abs. 1 RVG (vgl. BVerfGE 68, 237, 255; BVerfG NJW 2007, 3420; BVerfG NJW 2019, 3370 m.w.N.; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 23.06.2015, III-3 AR 65/14, und vom 19.04.2018, III-3 AR 256-259/16). Und dann:

1. In Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Staatskasse vom 29. Januar 2021, und unter Beachtung der von dem Bundesverfassungsgericht aufgestellten Grundsätze, sieht auch der Senat die Voraussetzungen für die Bewilligung einer Pauschvergütung lediglich anstelle der Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG gemäß § 51 RVG als gegeben an, und zwar in der vorgeschlagenen Höhe von 40.000 Euro.

In seinen Entscheidungen vom 25. Juli 2020 (III-3 AR 37/19), vom 8. Oktober 2020 (III-3 AR 39/20), vom 22. Oktober 2020 (III-3 AR 65120) und 11. Januar 2021 (III-3 AR 78/20) hatte der Senat die jeweils gewährte Pauschvergütung von 40.000 Euro auf einen von den ebenfalls im Loveparade-Verfahren tätigen Pflichtverteidigern bzw. Nebenklägerbeiständen plausibel und glaubhaft vorgetragenen Einarbeitungsaufwand von ca. 1000 Stunden gestützt. Im vorliegenden Verfahren geht der Senat davon aus, dass die Antragstellerin sich ebenfalls mit einem ähnlichen Zeitaufwand in die auch für sie identischen Verfahrensakten eingearbeitet hat. Soweit die Antragstellerin geltend macht, sie sei mit dieser Arbeit sogar 1.500 Stunden beschäftigt gewesen, ist dieser deutliche Mehraufwand nicht nachvollziehbar. Es erscheint nicht rechtfertigt, die bisherige Gleichbehandlung zahlreicher Verteidiger und Nebenklägerbeistände in diesem Punkt aufzugeben und der Antragstellerin eine über 40.000 Euro hinausgehende Pauschgebühr anstelle der gesetzlichen Grundgebühr nach Nr. 4100 VV RVG zuzubilligen.

2. Soweit die Antragstellerin darüber hinaus eine Pauschgebühr anstelle der gesetzlichen Terminsgebühren nach Nr. 4114 VV RVG beansprucht, sind die Voraussetzung des § 51 RVG nicht erfüllt.

Mit Blick auf die bundesverfassungsgerichtliche Rechtsprechung (vgl. oben Ziffer 1. 1.) stellt der Senat darauf ab, ob die Höhe des Entgelts für die im Rahmen der Hauptverhandlung entfaltete Tätigkeit wegen für längere Zeit währender ausschließlicher oder fast ausschließlicher Inanspruchnahme für den Pflichtverteidiger von existenzieller Bedeutung ist. Nach der gefestigten Rechtsprechung des Senats (vgl. dazu im Einzelnen Beschluss Vom 23. Juni 2015, III-3 AR 65/14, sowie vom 19. April 2018, III-3 AR 256-259/16) beurteilt sich dies im Kern nach der Dichte der Hauptverhandlungstage, und zwar mit Blick auf die hiervon _abhängenden grundsätzlichen Möglichkeiten des Pflichtverteidigers zum Engagement in anderen Mandaten. Die Bejahung einer jedenfalls fast ausschließlichen Inanspruchnahme durch die Haupt-verhandlung kommt unter Zugrundelegung einer fünftägigen Arbeitswoche grundsätzlich nicht schon bei Prozesswochen mit zwei ganztägigen Verhandlungen, sondern erst bei solchen mit jedenfalls drei ganztägigen Verhandlungen in Betracht. In Wochen mit dreitägiger Verhandlung ergibt sich unter Zubilligung einer Vor- und Nachbereitungszeit von insgesamt einem weiteren Tag, der in einem derartigen Umfangsverfahren grundsätzlich angemessen erscheint, eine etwa 80-prozentige — und damit fast ausschließliche — Auslastung als Pflichtverteidiger.

Im Loveparade-Verfahren hat die Hauptverhandlung nicht für „längere Zeit“ an zumindest drei Tagen in der Woche stattgefunden. Nur einmal (20. November bis 20. Dezember 2018) wurde über einen zusammenhängenden Zeitraum von fünf Kalenderwochen an jeweils drei Tagen in der Woche verhandelt. Allerdings hat die Antragstellerin an diesem Sitzungsblock nicht durchgängig teilgenommen. Nach ihrem eigenen Vortrag (Anlage 1 zum Pauschgebührenantrag vom 28. Dezember 2020) hat sie an den Sitzungen vom 4., 5. und 6. Dezember 2018 nicht teilgenommen, sondern an ihrer Stelle Rechtsanwältin pp. Aber selbst abgesehen davon ist hier von einer Unzumutbarkeit im Sinne von § 51 Abs. 1 RVG der gesetzlichen Terminsgebühren nicht auszugehen, und zwar bereits mit Blick auf die zeitliche Länge der gesamten Hauptverhandlung in der Zeit vom 8. Dezember 2017 bis zum 4. Mai 2020. In dieser Zeit hat die Antragstellerin an 169 von insgesamt 184 Verhandlungstagen teilgenommen. Dafür steht der Antragstellerin jeweils eine Terminsgebühr zu, die zudem für einen Großteil der Hauptverhandlungstage noch durch die Längengebühren nach Nrn. 4116 und auch 4117 VV RVG erhöht war. Zudem ist zu berücksichtigen, dass sich die 169 Sitzungstage der Antragstellerin wegen zahlreicher, oft mehrwöchiger Sitzungsunterbrechungen über einen Zeitraum von 125 Wochen erstreckt haben. Somit hat sie pro Woche durchschnittlich nur an 1,35 Sitzungen teilgenommen. Selbst unter Anrechnung einer dieser durchschnittlichen wöchentlichen Sitzungsanzahl angemessenen Vor- und Nachbereitungszeit von einem halben Tag ergibt sich, dass die Antragstellerin dadurch noch nicht einmal zur Hälfte ihrer gesamten Arbeitszeit ausgelastet war. Eine etwa 80-prozentige (vier Arbeitstagen entsprechende) — und damit fast ausschließliche — Auslastung der Antragstellerin wird selbst unter ergänzender Berücksichtigung ihrer Anreise aus Neunkirchen am Sand zu den Sitzungsblöcken nicht erreicht. Gegen eine jedenfalls fast ausschließliche Befassung der Antragstellerin mit dem Loveparade-Verfahren spricht zudem ihr eigener Vortrag, während der laufenden Verhandlung seien ihr für die Bearbeitung anderer Mandate „gerade einmal 249,8 Tage oder 1,9 Tag(e) pro Woche“ verblieben. In der Gesamtbetrachtung kann von einer – nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vorauszusetzenden – Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz nicht ausgegangen werden.

3. Im Hinblick auf die vorstehenden Erwägungen konnte der Antragstellerin eine pauschalierte (Haupt-) Verfahrensgebühr nach Nr. 4112 VV RVG ebenfalls nicht zuerkannt werden. Bei einer Verhandlungsdichte von durchschnittlich nur 1,35 Sitzungen pro Woche ist nicht anzunehmen, dass die Arbeitskraft der Antragstellerin durch weitere Tätigkeiten aus dem Abgeltungsbereich der Verfahrensgebühr jedenfalls fast ausschließlich in Anspruch genommen wurde.“

Dazu nur Folgendes:

1. Mich überrascht, wie schnell das OLG den Vortrag der Kollegin, sie habe 1.500 Stunden für die Einarbeitung gebraucht, vom Tisch wischt. Da reicht ein einfaches „Nicht nachvollziehbar“ und der Hinweis auf die Gleichbehandlung mit anderen Antragstellern, der mich nun gar nicht überzeugt. Wenn man darauf abgestellt hätte, dass die Antragstellerin zu der höheren Einarbeitungszeit nicht ausreichend vorgetragen hat, könnte ich es noch verstehen, dass das OLG es bei den 40.000 EUR belässt. Nur zur Erinnerung: Das macht dann bei 1.000 Stunden, von denen das OLG ausgeht, einen Stundensatz von 40 EUR aus. Dafür würde ein Handwerker kaum tätig werden.

2. Hinsichtlich der Terminsgebühren kann man sicherlich streiten, ob die von der Antragstellerin geltend gemachte Pauschgebühr angemessen war, was sich ohne genaue Kenntnis der durchschnittlichen Hauptverhandlungsdauer kaum beurteilen lässt. Jedenfalls erscheint es mir aber zu kurz gegriffen, insoweit nur auf die Anzahl der Hauptverhandlungstage abzustellen und die Dauer der einzelnen Hauptverhandlungen überhaupt nicht in den Blick zu nehmen. Da hilft der Hinweis auf die „Längenzuschläge“ nur wenig. Man hätte an der Stelle dann doch vielleicht ein paar Worte des OLG zur Frage des sog. Gesamtgepräges des Verfahrens erwartet. Das ist eine Überlegung, die bei anderen OLG schon eine Rolle gespielt hat (vgl. OLG Celle RVGreport 2011, 177 = StRR 2011, 240; OLG Hamm JurBüro 2007, 308; OLG Hamm, Beschl. v. 2.1.2007 – 2 (s) Sbd. IX 150/06). Geholfen hätte vielleicht auch ein Einmalbetrag oder eine Art „Übergangsgeld“, der in der Rechtsprechung des OLG Koblenz eine Rolle spielt (RVGreport 2017, 217; Beschl. v. 17.9.2019 und v. 19.12.2019 – 1 AR 97/19). Von alle dem nichts, sondern nur kühle Rechnerei, warum die „Auslastung“ nicht hoch genug war.

Pauschgebühr für den Zeugenbeistand?, oder: Das KG meint: 200 € für zwei Stunden sind genug

Smiley

Heute dann RVG-Tag.

Und ich starte mit dem KG, Beschl. v. 11.03.2021 – 1 ARs 5/21 – zur Frage der Pauschgebühr für die Tätigkeit als Zeugenbeistand. Der Beschluss ist in dem Verfahren ergangen, in der zuvor schon das LG Berlin mit dem LG Berlin, Beschl. v. 30.11.2020 – (536 KLs) 246 Js 716/14 (3/19) – falsch entschieden hatte (s. Abrechnung der Tätigkeiten des Zeugenbeistandes, oder: Immer wieder falsch).

Und das KG setzt mit seinem Beschluss die Reihe falscher Entscheidungen fort und stellt keine Pauschgebühr fest:

„Die Voraussetzungen der Ausnahmevorschrift des § 51 RVG sind aus den zutreffenden Gründen der Stellungnahme des Bezirksrevisors des Kammergerichts vom 5. Februar 2021, denen der Antragsteller nicht entgegen-getreten ist, nicht gegeben. Die Inanspruchnahme des nach § 68b Abs. 2 StPO beigeordneten Antragstellers für den Zeitraum der Vernehmung des Zeugen D., die weniger als zwei Stunden angedauert hat, ist mit der Gebühr nach Nr. 4301 Ziff. 4 VV RVG nebst Auslagenpauschale und Umsatzsteuer jedenfalls nicht unzumutbar vergütet (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 22. Juli 2019 – 1 BvR 1955/17). Eine Tätigkeit des Antragstellers für den Zeugen im Vorfeld der Beiordnung als Zeugenbeistand findet im Rahmen der Festsetzung der Gebühren als Zeugenbeistand grundsätzlich keine Berücksichtigung (vgl. Senat, Beschlüsse vom 18. März 2019 – 1 ARs 24/18 – m.w.N. und vom 14. Februar 2018 – 1 ARs 16/17).“

M.E. doppelt falsch, nämlich sowohl hinsichtlich der Frage der „Zumutbarkeit“ – in meinen Augen ist es inzwischen unzumutbar, was die Rechtsprechung Verteidigern/Beiständen an der Stelle zumutet – als auch falsch hinsichtlich des Abgeletngsbereichs. Aber: Man betet immer wieder nur das Falsche von früher nach. Es macht ärgerlich.

Pauschgebühr, oder: „Übergangsgeld“ ja, Pauschale für kurzfristig ausgefallene Termine, nein

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Heute am RVG-Tag hier dann zunächst eine Entscheidung zur Pauschgebühr nach § 51 RVG. Der OLG Koblenz, Beschl. v. 19.1.2019 – 1 AR 97/19 – schon etwas älter, aber ich bin erst jetzt auf ihn gestoßen – bringt nichts wesentliche Neues, aber: Zu zwei Punkten ist der Beschluss ganz interessant. Das OLG nimmt Stellung zu einer vom Pflichtverteidiger geltend gemachten Pauschale für in dem Umfangsverfahren kurzfristig ausgefallene Termine und der gewährt ein „Übergangsgeld“.

„f) Im Hinblick auf die seitens des Antragstellers geltend gemachte Pauschale für „kurzfristig ausgefallene Termine“ ist nach der gesetzlichen Konzeption (Anlage 1 zum RVG, Vorbemerkung 4 Abs. 3) an sich keine Kompensation geboten. Dieser Regel liegt die Annahme zugrunde, dass die mit dem Ausfall eines gerichtlichen Termins gewonnene Zeit für eine anderweitige, nicht termingebundene anwaltliche Tätigkeit, wie sie in jeder Anwaltskanzlei anfällt, genutzt werden kann. Die seitens des Antragstellers insoweit zitierte Rechtsprechung des Senats, wonach dennoch eine Pauschale anfallen kann, gründet auf der Erwägung. dass die Möglichkeit anderweitiger Kanzlei-tätigkeit nur eingeschränkt gilt, wenn die Belastung durch ein einziges Verfahren einen normalen Kanzleibetrieb – wie vorliegend – nur mit Einschränkungen zulässt.

Dass aufgrund der mit dem vorliegenden Umfangsverfahren verbundenen Belastungen, welche der Antragsteller für die Jahre 2012 bis 2019 im Hinblick auf seine Auftragslage zahlenmäßig dar-gestellt hat, eine Verwendung der bei Ausfällen ersparten Terminszeit auf andere Verfahren oder allgemeine Kanzleitätigkeit nicht möglich war, kann ohne weitere Begründung indes nur dann anerkannt werden, wenn es sich tatsächlich um eine „kurzfristige“ Aufhebung handelt. Eine solche ist dann gegeben, wenn die Terminsaufhebung erst am Vortag des eigentlich bestimmten Termins erfolgt und der Verteidiger aufgrund dieser faktischen Kurzfristigkeit nicht mehr umdisponieren kann.

Wird ein Termin jedoch mit mehr Vorlauf aufgehoben, ist für die seitens des Antragstellers geschilderte Auftragslage seiner Kanzlei, wonach er im Jahr 2016 weitere 107 und im Jahr 2017 weitere 131 Verfahren betreute, durchaus von einer objektiv bestehenden Möglichkeit auszugehen, die ausfallbedingt gewonnene Arbeitszeit gewinnbringend in diese umzuleiten. Da es an weiterem Vortrag mangelt, der diese Annahme widerlegen könnte (vgl. hierzu OLG München, Beschluss vom 29. Juni 2017, Az 8 St (K) 2/17), ist für maximal 9 der 21 seitens des Antragstellers für die Zeit vom 26. Oktober 2016 bis 3. Mai 2017 geltend gemachten Ausfalltermine eine Pauschale iHv jeweils 200,- EUR in Ansatz zu bringen.

Im Hinblick auf weitere 22 Sitzungstage, die bis zum 13. Oktober 2016 kurzfristig ausgefallen sein sollen, bezieht der Antragsteller sich allein auf den von ihm zitierten Senatsbeschluss vom 21. Dezember 2016, Az 1 AR 105/16, ohne die aus seiner Sicht die Pauschale auslösenden Termins- und Aufhebungsdaten zu konkretisieren. Die eine Unzumutbarkeit der gesetzlichen Gebühren begründenden Umstände sind seitens des Antragstellers substantiiert darzutun. Insbesondere hat er die aus seiner Sicht maßgeblichen Aspekte nach Art, Umfang und Dauer im Einzelnen darzulegen, wenn sie sich nicht ohne weiteres bereits aus der Verfahrensakte erschließen. Dem Gericht obliegt es nicht, nach tatsächlichen Anhaltspunkten für den Sonderaufwand des Anwalts in den Sachakten zu suchen oder hierüber zu mutmaßen (vgl. Senat, Beschluss vom 11. Januar 2005 – Az. 1 AR 156/04 Str., OLG Hamm NStZ-RR 2001, 352; StraFo 2002, 414 [jeweils zu § 99 BRAGO]; s. auch Hartung, in: Hartung/ Schons/ Enders, RVG, § 51 Rdn. 48; Burhoff, RVG, 2. Aufl., § 51 Rdn. 44), so dass für diese 22 Termine keine Pauschale anzusetzen ist.

g) Dem Antragsteller ist zudem ein Übergangsgeld iHv 5.000,- EUR für den Zeitraum zwischen erstmaliger Verfahrenseinstellung am 2. Mai 2017 und dem Neubeginn der Hauptverhandlung am 15. Oktober 2018 zuzubilligen.

Insoweit sind seine Darlegungen zu der nach der ersten Verfahrenseinstellung zumindest vor-übergehend noch fortbestehenden rückgängigen Auftragslage, dem nur schleppenden Anstieg der Mandate ab Mitte 2017 und der im Ergebnis abschlägig beschiedenen Anfrage im Großverfahren pp. für den Senat gerade noch hinreichend substantiiert, um sie der vorliegenden Entscheidung zu Grunde zu legen.“

Nun ja: Das mit dem Übergangsgeld ist m.E. etwas „gewagt“, aber: Beschluss ist Beschluss.

Pauschgebühr im „Oktoberfestattentat-Verfahren“, oder: Das OLG München springt über seinen Schatten

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Heute am RVG-Tag dann zunächst eine Entscheidung zu § 51 RVG. Dazu gibt es ja nicht mehr viele, über die man berichten könnte. Hier ist dann aber mal wieder eine, die ein Posting wert ist. Es handelt sich um den OLG München, Beschl. v. 22.01.2021 – 1 AR 251/20 – 1 AR 266/20, den mir der Kollege Dietrich aus München geschickt hat.

Ergangen ist der Beschluss im Verfahren betreffend das sog. Oktoberfestattentat. Ich erinnere Am 26.09.1980 wurde gegen 22:20 Uhr am Haupteingang der Theresienwiese in München ein Sprengkörper gezündet. Durch die Explosion inmitten der Menschenmenge auf dem Oktoberfest wurden dreizehn Personen getötet, mehr als 200 Menschen erlitten – z.T. schwerste – Verletzungen. Nach dem Ergebnis der Ermittlungen hatte ein bei dem Anschlag selbst getöteter Attentäter den Sprengsatz gebaut, ihn zum Tatort gebracht und gezündet. Ein vom GBA zunächst geführtes Ermittlungsverfahren wurde mit Verfügung vom 23.11.1982 gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt, nachdem sich der Verdacht weder gegen die dortigen Beschuldigten noch gegen unbekannte Mittäter erhärten ließ. Nachdem die förmliche Wiederaufnahme von Ermittlungen zunächst mit Verfügung vom 5.6.1984 abgelehnt worden war, nahm der GBA mit Verfügung vom 05.12.2014 die Ermittlungen gegen Unbekannt wieder auf. Das Ermittlungsverfahren wurde – nach der Durchführung weiterer, äußerst umfangreicher Ermittlungen – mit Verfügung vom 06.07.2020 erneut gem. § 170 Abs. 2 StPO eingestellt.

Der Kollege ist im Oktober 1982 von mehreren Geschädigten mandatiert worden. Er bestellte sich mit Schriftsatz vom 14.10.1982 gegenüber dem GBA und verfolgte diesem gegenüber in den Folgejahren im Auftrag der Geschädigten das Ziel, die Einstellung der Ermittlungen zu verhindern bzw. ihre Wiederaufnahme zu erreichen. Im Jahr 2008 wurde ihm von den gleichen Geschädigten erneut eine schriftliche Vollmacht erteilt; der Antragsteller zeigte mit Schriftsätzen vom 05.12.2008 und 30.01.2009 gegenüber dem GBA deren Vertretung an – er sei beauftragt „im Lichte neuerer kriminaltechnischer Erkenntnismöglichkeiten sowie sonstiger neuer Informationen (…) eine Wiederaufnahme der Ermittlungen zu erreichen.“ In der Folgezeit korrespondierte er weiterhin mit dem GBA und verschiedenen Institutionen und nahm auch Einsicht in verschiedene Spurenakten, bis er mit Schriftsatz vom 25.09.2014 außerdem die Vertretung weiterer Geschädigter anzeigte und erneut die Wiederaufnahme der Ermittlungen insbesondere die Beiziehung verschiedener näher bezeichneter Akten beantragte, was dann am 05.12.2014 geschah.

Mit Beschlüssen des Ermittlungsrichters beim BGH vom 08.02.2016, vom 09.02.2016 und vom 02.11.2017 wurde der Kollege insgesamt 16 Geschädigten gem. § 406g Abs. 1, 3 Satz 1 Nr. 1 StPO a.F., 406h Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 n.F., § 397a Abs. 1 StPO als Beistand beigeordnet. Der Kollege hat am 28.4./25.5.2016 beim BGH einen Antrag auf Gewährung eines Vorschusses i.H.v. 88.000,- bis 110.000,- EUR auf eine Pauschgebühr beantragt. Der sich der Ermittlungsrichter beim BGH hat sich insoweit für unzuständig erklärt (BGH AGS 2016, 398 = RVGreport 2016, 454). Das OLG hat den Antrag mit Beschluss vom 01.06.2017 zurückgewiesen.

Der Kollege  hat nunmehr die Bewilligung einer Pauschgebühr nach § 51 RVG zwischen 130.000,- und 160.000,- EUR beantragt. Die Vertreterin der Bezirksrevisorin hält eine Pauschvergütung in Höhe des Doppelten der Wahlverteidigerhöchstgebühren, welche 1.830,- EUR betragen würden, „zuzüglich eines gewissen Zuschlags im Hinblick auf die Vertretung von 15 Mandanten“ für angemessen. Das OLG hat eine Pauschgebühr von 36.600,– EUR bewilligt.

Das vorab. Hier stelle ich nur zwei Punkte umfangreicher vor. Im Übrigen sagt das OLG: Das Verfahren betreffend die Ermittlungen zum „Oktoberfestattentat“ war sowohl „besonders schwierig“ als auch „besonders umfangreich“ im Sinn des § 51 Abs 1. RVG, was wohl niemand bezweifeln will. Und: Die gesetzlichen Gebühren sind für den bestellten bzw. beigeordneten Rechtsanwalt nicht zumutbar i.S. des § 51 Abs. 1 RVG, wenn sie auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass ihm eine besondere Form der Indienstnahme Privater zu öffentlichen Zwecken abverlangt wird, ein unzumutbares Sonderopfer bedeuten würden,w as das OLG hier m.E. ebenfalls zutreffend bejaht.

Und dann nimmt das OLG noch zu der Frage Stellung, welche Tätigkeiten bei einem Verletztenbeistand für die Gewährung einer Pauschgebühr berücksichtigungsfähig sind, und zur Höhe der Pauschgebühr.

„b) Bei der Bemessung der Pauschvergütung sind jedoch die Tätigkeiten des Antragstellers seit seiner erneuten Vertretungsanzeige vom 05.12.2008 (einschließlich der dafür erforderlichen „Vorarbeiten“ seit 2006) zu berücksichtigen. Die Beiordnung durch den Ermittlungsrichter beim Bundesgerichtshof vom 08./09.02.2016 wirkte gebührenrechtlich zurück (§ 48 Abs. 6 RVG, vgl. Gerold/Schmidt a.a.O., Rn. 201 zu § 48 RVG); davon sind nach der Auffassung des Senats auch solche Tätigkeiten umfasst, die vor der förmlichen Wiederaufnahme der Ermittlungen mit Verfügung des Generalbundesanwalts vom 05.12.2014 vom Antragsteller mit dem Ziel der Wiederaufnahme unternommen wurden, da jedenfalls seit seiner neuen Bestellung klar war, dass seine nunmehrigen Bemühungen, Anregungen, Anträge, Einlassungen etc. bei der Entscheidung über die Wiedereröffnung des Verfahrens zu berücksichtigen sein würden.

c) Auch sind, wie der Antragsteller zutreffend vorträgt, keinesfalls nur solche Tätigkeiten berücksichtigungsfähig, die den Geschädigten unmittelbar zu Gute kamen, also „Beistand“ im engeren Sinne, z.B. bei der Erlangung von Entschädigung nach dem OEG. Den Geschädigten kam es vielmehr auch und gerade darauf an, die sogenannte „Einzeltäterthese“, die zur Einstellung der Ermittlungen am 23.11.1982 führte, zu hinterfragen. Unabhängig davon, ob sich diese These oder die vermutete Beteiligung Dritter an dem Bombenanschlag nach Jahrzehnten noch erhärten ließen oder nicht, kann es nach Auffassung des Senats den Verletzten im Sinne des Opferschutzes nicht versagt werden, sich in die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft „einzumischen“, um eigene Klarheit über den Hergang des ihnen zugefügten Unrechts zu erlangen. Dass dies dem Willen des Gesetzgebers entspricht, folgt bereits aus dem in § 406e Abs. 1 S. 1 StPO niedergelegten Akteneinsichtsrecht des Verletzten und etlichen weiteren Verletztenrechten, wie dem Recht, als Nebenkläger an der Hauptverhandlung teilzunehmen und dort eigene Rechte wahrzunehmen und gehört zu werden (vgl. § 397 Abs. 1 StPO einschließlich des Beweisantragsrechts aus § 244 Abs. 3 bis 6 StPO sowie des Erklärungsrechts, insbesondere des Rechts zum Schlussvortrag (vgl. §§ 257, 258 StPO).

Der Verletzte soll damit vom Verfahrensobjekt zum Verfahrenssubjekt werden; er hat nicht nur -als ineffektiv erkannte – Defensiv-, sondern „Offensivrechte“ (Anders, ZStW 2012, 374-410, juris). Das damit einhergehende Recht des Verletzten auf „aktive Einflussnahme“ (Anders a.a.O.) auf das Strafverfahren kann nach Auffassung des Senats nicht darauf beschränkt bleiben, sich mit den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft auseinander zu setzen und sich ggf. nach der Ermittlung des Täters im Strafverfahren einzubringen.

Auch im Lichte des bereits fast 20 Jahre alten Rahmenbeschlusses des Europäischen Rates vom 15.03.2001 über die Stellung von Opfern in Strafverfahren (2001/220/JI, Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften L 82/1), dessen Art. 3 S. 1 lautet: „Die Mitglieder gewährleisten, dass das Opfer im Verfahren gehört werden und Beweismittel liefern kann“ (Hervorhebung Senat), steht für den Senat außer Frage, dass Verletzten im Strafverfahren eine eigene, aktive Rolle zusteht.

Ob und in welchem Umfang der Verletztenbeistand diese Verletztenrechte im Ermittlungsverfahren ausübt, muss – vergleichbar dem Verteidigungsverhalten auf Seiten des Beschuldigten – dem pflichtgemäßen Ermessen des Rechtsanwalts überlassen bleiben. Zwar kann auch im Rahmen der Entscheidung über die Zubilligung einer Pauschgebühr nicht außer Betracht bleiben, ob die jeweils entfaltete anwaltliche Tätigkeit bei objektiver Betrachtung zur ordnungsgemäßen Wahrnehmung des Mandats tatsächlich geboten bzw. bei Zubilligung eines entsprechenden Ermessens-spielraums zumindest noch als objektiv sinnvoll anzusehende Handlung zur Wahrung der Interessen des Vertretenen anzusehen war (ständige Senatsrechtsprechung, z.B. B. v. 27.09.2016, 1 AR 293/16; so auch OLG Hamm, Beschluss vom 14. Januar 2013 — 111-5 RVGs 108/12 —, juris, m.w.N.). Die umfängliche Tätigkeit des Antragstellers, die auch und gerade Ermittlungstätigkeit war, ist vorliegend angesichts der überaus schwerwiegenden Tat einerseits und der auch aus der Sicht des Senats jedenfalls aus damaliger Sicht nicht völlig fernliegenden Hinweise auf weitere Täter keinesfalls als sachwidrige Wahrnehmung des Mandats anzusehen.

Der Senat ist daher, anders als die Generalbundesanwaltschaft und die Vertreterin der Bezirksrevisorin, der Auffassung, dass auch diejenigen Tätigkeiten des Antragstellers seit dem Jahr 2006, die auf die Aufklärung der Tat vom 26.09.1980 und ihrer Hintergründe zielten, von seiner Beauftragung als Vertreter der Verletzten umfasst waren und gebührenrechtlich ins Gewicht fallen.

d) Die Höhe der festzusetzenden Pauschgebühr kann vorliegend die Wahlverteidigerhöchstgebühren und auch deren Doppeltes überschreiten.

aa) Die Überschreitung der vom Gesetzgeber grundsätzlich für angemessen erachteten Wahl-verteidigerhöchstgebühren bei der Festsetzung einer Pauschvergütung (BT-Drucks. 15/1971 S. 2, 146) kommt zwar nur in extremen Ausnahmefällen in Betracht, denn diesen wird – anders als Pflichtverteidigern – kein Beitrag für das Allgemeinwohl (BVerfG, Beschluss vom 20. März 2007 – 2 BvR 51/07 —, juris) abverlangt. Erforderlich sind daher Umstände, die weit über die – ohnehin schon außergewöhnlichen – Gründe, die zur Festsetzung einer Pauschgebühr berechtigen, hin-ausgehen. Das OLG Bamberg folgert daraus, dass Gebühren oberhalb der Wahlverteidiger-höchstgebühren grundsätzlich gar nicht in Betracht kommen (OLG Bamberg, B. v. 15.12.2015, 10 AR 29/15). Das OLG München will dagegen für Extremfälle, bei denen die Bemühungen des Pflichtverteidigers auch durch die Wahlverteidigerhöchstgebühren nicht mehr in entferntesten abgegolten werden, die Festsetzung einer Pauschgebühr oberhalb dieser Grenze nicht völlig ausschließen (B. v. 21.01.2016, 1 AR 477/15; so auch OLG Nürnberg, B. v. 30.12.2014, 2 AR 36/14, juris). In Betracht kommen insbesondere solche Fälle, in denen die Gebührenordnung – z.B. mangels abrechenbarer Termine – die Tätigkeiten des Anwalts nicht mehr angemessen erfassen kann.

Ein solcher Fall liegt hier vor. Auch die Wahlverteidigerhöchstgebühren i.H.v. 1830,– Euro würden die Anstrengungen des Antragstellers nicht im entferntesten vergüten.

bb) Einer höheren Festsetzung als der doppelten Wahlbeistandsgebühr steht der Rechtsgedanke des § 42 Abs. 1 S. 4 RVG zwar im Grundsatz, aber nicht absolut und immer entgegen, da Wahlbeistände – anders als Pflichtbeistände – eine höhere Vergütung frei vereinbaren und insoweit auf außergewöhnlich umfangreiche Belastungen reagieren können (Senatsbeschluss v. 14.10.2015, 1 AR 367/15, (3-fache Wahlverteidigerhöchstgebühr), Senatsbeschluss 18.10.2019, 1 AR 322/19 (5-fache Wahlverteidigerhöchstgebühr); so auch insoweit überzeugend Gerold/Schmitt, a.a.O. Rn 41 zu § 51 RVG m.w.N.).

Der Senat ist bei der Überschreitung dieser für Wahlverteidiger vom Gesetzgeber errichteten Schwelle zwar äußerst zurückhaltend, da, wie ausgeführt, Wahlverteidiger anders als Pflichtverteidigern nicht von der Allgemeinheit in Anspruch genommen werden und ihnen insoweit grundsätzlich höhere Gebühren als Pflichtverteidigern zustehen – vorliegend würde jedoch auch eine Gebühr von insgesamt 3.660,– Euro dem Antragsteller ein Sonderopfer im Sinne des § 51 Abs. 1 S. 1 RVG auferlegen.

e) Nach ständiger Senatsrechtsprechung (z.B. 1 AR 97/18, B. v. 23.05.2018) kommt eine Berechnung der Pauschgebühr anhand der Arbeitszeit des Rechtsanwalts in Form eines „Stundenlohns“ nicht in Betracht. Die aufgewendete Arbeitszeit ist vielmehr Indiz für Umfang und Schwierigkeit des Verfahrens, nicht unmittelbarer Maßstab für die Entscheidung über die Pauschvergütung (BGH Rpfleger 1996, 169 Rdn. 9 nach juris). Das Rechtsanwaltsvergütungsgesetz will zwar im Gegensatz zur Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung den Zeitaufwand des Rechtsanwalts stärker berücksichtigen. Es hat aber nicht Zeithonorare eingeführt, sondern es grundsätzlich bei Betragsrahmengebühren belassen (vgl. OLG Hamm Beschluss vom 13.03.2013 – 5 RVGs 108/12, Rdn. 19 nach juris) und lediglich bei den Terminsgebühren hinsichtlich der Zeitdauer der Hauptverhandlungstermine Abstufungen eingeführt (zit. OLG Nürnberg, Beschluss vom 30. Dezember 2014 — 2 AR 36/14 —, juris).

Dies vorausgeschickt, kann bei der Bemessung der Pauschgebühr der immense Aufwand, den der Antragsteller angesichts des vorbeschriebenen Umfanges des Verfahrens betrieben hat, nicht außer Acht gelassen werden. Der Senat ist davon überzeugt, dass der Antragsteller fast 1000 Stunden berücksichtigungsfähige Arbeitszeit seit 2008 aufgewendet hat. Er selbst teilt mit, er habe in den Jahren 1982 bis 2006, die der Senat aus vorbezeichneten Gründen für nicht berücksichtigungsfähig hält, insgesamt 410 Stunden aufgewendet. Bringt man diese von den 1382 Stunden in Abzug, die der Antragsteller – ohne weiteres glaubhaft – für seine gesamte Tätigkeit errechnet hat, bleibt ein Arbeitsaufwand, der den Rahmen einer „gewöhnlichen“ Beistandschaft bei weitem sprengt und zur Bewilligung einer großzügigen Pauschvergütung Anlass gibt.

f) Ebenfalls fällt ins Gewicht, dass der Antragsteller schwer traumatisierte Verletzte zu betreuen hatte. Beispielhaft sei auf den Geschädigten pp. verwiesen, der in seiner Mail vom 21.07.2014 die von ihm unmittelbar miterlebte Explosion und deren jahrzehntelangen schweren Folgen für seinen Lebensweg schilderte. Dass Schilderungen wie diese, die bereits beim Lesen erschüttern, den Antragsteller, der sich persönlich um die Geschädigten bemühte, besonders belasteten, bedarf keiner weiteren Begründung. Auch dieser Umstand ist nach ständiger Senatsrechtsprechung gebührenerhöhend zu berücksichtigen (z.B. Senatsbeschluss vom 08.10.2020, 1 AR 128/20).

g) Der Antragsteller war 16 Geschädigten beigeordnet. Auch wenn eine entsprechende Vervielfachung der ihm zustehenden Gebühren nicht in Betracht kommt, ist der mit der Vielfachvertretung verbundene erhöhte Aufwand selbstverständlich bei der Bemessung der Pauschgebühr erhöhend zu berücksichtigen.

h) Schließlich ist zu berücksichtigen, dass das Verfahren, was bereits die Dauer der erneuten Ermittlungen von 5 1/2 Jahren nahe legt, im höchsten Maße kompliziert und verwickelt war. Der Antragsteller hat sich, was der Inhalt seiner zahlreichen Schriftsätze beweist, zum „Experten“ des Oktoberfestattentates entwickelt. Ausweislich dem der Einstellungsverfügung vom 06.07.2020 zu Grunde liegenden Vermerk des Generalbundesanwalts war der Hinweis des Antragstellers auf eine neue Spur („Spur pp.“) der Anlass für die Wiederaufnahme der Ermittlungen……“

Sorry, war ein wenig mehr Text, aber wenn solch ein Beschluss vom OLG München kommt, ist es das wert 🙂 .

Pauschgebühr, oder: Wirtschaftsstrafverfahren

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Und als zweite Entscheidung dann der OLG Hamm, Beschl. v. 15.12.2020 – 5 RVGs 81/20 – zur Gewährung einer Pauschgebühr in einem Wirtschaftsstrafverfahren, den mir der Kollege Föcking geschickt hat:

„Der Antrag auf Bewilligung einer Pauschgebühr nach § 51 RVG ist im tenorierten Umfang begründet. Der weitergehende Antrag war jedoch abzulehnen.

Nach § 51 Abs. 1 Satz 1 RVG ist dem gerichtlich bestellten oder beigeordneten Rechtsanwalt für das ganze Verfahren oder für einzelne Verfahrensabschnitte auf Antrag eine Pauschgebühr zu bewilligen, die über die Gebühren nach dem Vergütungsverzeichnis hinausgeht wenn die dort bestimmten Gebühren wegen der besonderen Schwierigkeit oder des besonderen Umfangs nicht zumutbar sind. Dies ist der Fall.

1. Der Senat ist in Übereinstimmung sowohl mit dem Gerichtsvorsitzenden, auf dessen Stellungnahme verwiesen wird, als auch mit dem Vertreter der Staatskasse der Auffassung, dass das Verfahren in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht besonders schwierig war.

2. Ferner handelt es sich auch um ein besonderes umfangreiches Verfahren. Besonders umfangreich im Sinne des § 51 Abs. 1 Satz 1 RVG ist eine Strafsache, wenn der vom Verteidiger hierfür erbrachte zeitliche Aufwand erheblich über dem Zeitaufwand liegt, den er in einer normalen Sache zu erbringen hat (OLG Dresden, Beschluss vom 11. Dezember 2019 — 1 (S) AR 60/19 —, Rn. 2, juris; OLG Celle StRR 2011, 240). Als -Vergleichsmaßstab sind dabei Verfahren heranzuziehen, die den Durchschnittsfall der vor dem jeweiligen Spruchkörper verhandelten Sachen darstellen (vgl. BGH Rpfl. 1996, 169; NStZ 1997, 98; OLG Hamm JurBüro 1999, 194; OLG Celle a.a.O.), vorliegend also solche einer Wirtschaftsstrafkammer.

Gemessen an diesem Maßstab stellt sich die Tätigkeit des Antragstellers als besonders umfangreich dar. Neben dem ganz erheblichen Aktenumfang war hierbei insbesondere zu berücksichtigen, dass dem Antragsteller nur ein Zeitraum von gut zwei Monaten zur Einarbeitung zur Verfügung stand und dieser Einarbeitungsaufwand überdies zu einer erheblichen Verkürzung der Hauptverhandlung beigetragen hat. Dieses prozessökonomische Verhalten wird durch die Terminsgebühren nur teilweise kompensiert. Aufgrund der geständigen Einlassung des Angeklagten haben insgesamt lediglich 16 Hauptverhandlungstermine stattgefunden, die ihrerseits allerdings allenfalls durchschnittlichen Umfang aufwiesen.

3. Bei zusammenfassender Gesamtwürdigung der vorgenannten Aspekte erscheint dem Senat anstelle der gesetzlichen Pflichtverteidigergebühren in Höhe von 160,00 € für die Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG und in Höhe von 316,00 € für die Verfahrensgebühr Nr. 4118 VV RVG die Bewilligung von Pauschgebühren in Höhe von 1.600,00 € für die Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG und von 3.160,00 € für die Verfahrensgebühr Nr. 4118 VV RVG für angemessen.

4. Die Festsetzung noch höheren Pauschgebühren kam hingegen nicht in Betracht. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats ist eine Pauschgebühr in Höhe bzw. im Bereich der Wahlverteidigerhöchstgebühren nur dann zu festzusetzen, wenn das Verfahren die Arbeitskraft des Verteidigers für längere Zeit ausschließlich oder fast ausschließlich in Anspruch genommen hat (OLG Hamm, Beschluss vom 30. März 2017 — 5 RVGs 2/17 —, Rn. 10, juris). Dass ein solcher Arbeitseinsatz aufgrund des Umfangs des Verfahrens erforderlich war, ist durch den Antragsteller nicht aufgezeigt worden und — wie der Vertreter der Staatskasse zutreffend dargelegt hat — auch sonst nicht ersichtlich.“