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Corona I: Rausschmiss wegen fehlender Maske, oder: Keine Zulassung der Rechtsbeschwerde

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Ich starte in die 11. KW. mit zwei Entscheidungen zu Corona. Über die Thematik habe ich längere Zeit nicht mehr berichtet. Das zeigt, dass die Pandemie wohl doch im Abklingen ist und zudem viele Fragen, die sich gestellt haben, inzwischen obergerichtlich geklärt worden sein dürften. Heute habe ich dann allerdings noch einmal zwei Entscheidungen, aber auch das sind „Aufarbeitungsentscheidungen“.

Zunächst stelle ich hier den OLG Oldenburg, Beschl. v. 17.01.2023 – 2 Ss(OWi) 8/23 – vor. Er nimmt Stellung zu sitzungspolizeilichen Anordnungen (Aufsetzen einer Mund-Nasen-Bedeckung) und Maßnahmen (Saalverweis) gegen einen Verteidiger im Bußgeldverfahren. Wegen dieser Fragen war die Zulassung der Rechtsbeschwerde beantraft worden. Das OLG hat den Antrag zurückgewiesen:

„Gründe für die Zulassung der Rechtsbeschwerde liegen nicht vor.

Zwar kommt bei Verletzung elementarer Verfahrensgrundsätze, wozu auch das Recht auf Mitwirkung eines Verteidigers gehört, eine Zulassung der Rechtsbeschwerde zur Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung in Betracht. Eine solche Verletzung lässt sich der Verfahrensrüge aber nicht entnehmen:

Ein Vorsitzender war zu Hochzeiten der Pandemie gem. § 176 GVG grundsätzlich berechtigt, vom Verteidiger das Aufsetzen einer Mund-Nasen-Bedeckung zu verlangen (vergleiche OLG Celle, NdsRpfl 2021, 251; Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 9.8.2021, 202 ObOWi 860/21, juris). Ob diese Anordnung allerdings auch im Oktober 2022 noch ermessensfehlfrei gewesen ist, erscheint zweifelhaft, da bereits ab 3.4.2022 in Niedersachsen die generelle Maskenpflicht für Innenräume weggefallen war. Das kann aber dahinstehen, da sich der Verteidiger der Anordnung letztlich gebeugt und an der Verhandlung nach kurzer Abwesenheit weiter teilgenommen hat.

Sollte der Verteidiger zuvor des Saales verwiesen worden sein, könnte dies -eine Angemessenheit der Anordnung unterstellt im Hinblick auf § 177 GVG problematisch sein, da dort Verteidiger nicht genannt sind und eine Ausnahme vom BGH (NJW 1977, 437) nur für Extremfälle als denkbar angesehen worden ist. Andererseits ist zu berücksichtigen, dass sogar die Pflicht zum Tragen einer Robe bei grundsätzlicher Weigerung in Anwendung des § 176 GVG zur Zurückweisung für die Sitzung führen kann (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 65. Aufl. § 176 GVG RN 11). Ob die „Roben-Rspr.“ auch auf die Missachtung einer Anordnung, die dem Gesundheitsschutz dient, übertragen werden kann, ist gleichwohl zweifelhaft, auch wenn eine Aussetzung der Verhandlung und Auferlegung der Kosten nach § 145 Abs. 4 StPO allenfalls beim Pflichtverteidiger oder zumindest notwendiger Verteidigung in Betracht kommt (ablehnend: Kirch-Heim, Die Störung der Hauptverhandlung, NStZ 2014, 431).

Soweit die Generalstaatsanwaltschaft in diesem Zusammenhang auf den Beschluss des Senats vom 3.1.2022 (MDR 2022, 272) verweist, war die Anordnung von Ordnungsmitteln dort deshalb zulässig, weil – nicht: selbst dann, wenn – der Rechtsanwalt sich selbst verteidigt hat.

Ob ein Verweis aus dem Saal unter dem einen oder anderen Gesichtspunkt -Extremfall oder Anwendung der „Roben-Rspr.“- rechtmäßig gewesen wäre, bedarf aber ebenfalls keiner Klärung.

Eine Verletzung des Rechts auf Verteidigung hätte allenfalls dann angenommen werden können, wenn nach Verweis des Verteidigers aus dem Saal ein Antrag auf Unterbrechung bis zur -nach ca. 4 Minuten erfolgten Beschaffung einer Maske gestellt und abgelehnt worden wäre. Dass ein solcher Antrag gestellt worden ist, wird jedoch nicht geltend gemacht.

Soweit der Verteidiger insbesondere rügt, die Anordnung der Maskenpflicht sei deshalb unzulässig gewesen, weil er über ein Attest, dass ihn von dieser Pflicht befreie, verfüge, ist die Rüge unter diesem Gesichtspunkt nicht ordnungsgemäß ausgeführt worden, weil der nähere Inhalt des Attestes nicht mitgeteilt wird, so dass der Senat nicht prüfen kann, ob das Amtsgericht überzogene Anforderungen an den Inhalt gestellt hat.

Der Senat weist darauf hin, dass er zumindest für zukünftige Hauptverhandlungen die Anordnung einer Maskenpflicht, von Ausnahmefällen -z.B. einer akuten Atemwegsinfektion der betreffenden Person abgesehen, als ermessensfehlerhaft ansehen würde, wobei in diesen Ausnahmefällen eine Maske gestellt oder Gelegenheit zur Beschaffung gegeben werden müsste.“

Pauschgebühr II: Pauschgebühr für die Einarbeitung, oder: Ist Gebührenrecht für OLGs (zu) schwer?

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Die zweite Entscheidung, der OLG Oldenburg, Beschl. v. 11.0.2023 – 1 ARs (KostR) 8/22 – nimmt Stellung zur Gewährung eines Pauschgebühr, wenn sich der Pflichtverteidiger in eine umfangreiche Ermittlungsakte einarbeiten musste. Er gewährt eine Pauschgebühr, aber viel ist es nicht.

Der Kollege Böhrnsen, der mir die Entscheidung geschickt hat, hat eine Pauschgebühr in Höhe von 2.682,- EUR beantragt. Einen (kleinen) Teil davon hat das OLG bewilligt:

„Gemäß § 51 Abs. 1 Satz 1 RVG ist Voraussetzung der Bewilligung einer Pauschgebühr, die über die gesetzlichen Gebühren hinausgeht, dass diese wegen des besonderen Umfangs oder der besonderen Schwierig-keit der Sache nicht zumutbar ist. Die Bewilligung einer Pauschgebühr stellt dabei die Ausnahme dar und kommt lediglich in Betracht, wenn die anwaltliche Mühewaltung sich von sonstigen – auch überdurchschnittlichen Sachen – in exorbitanter Weise abhebt (vgl. BGH, Beschluss vom 01.06.2015 – 4 StR 267/11, NJW 2015, 2437) und die Gewährung eines Pauschbetrags zum Ausgleich eines unzumutbaren Missverhältnisses angezeigt erscheint (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 16.03.2010 – 1 AR 11/10, juris Rn. 3). Bei der Beurteilung ist ein objektiver Maßstab zu Grunde zu legen. Entscheidend ist, ob die konkrete Strafsache selbst umfangreich war und infolge dieses Umfangs eine zeitaufwändigere, gegenüber anderen Verfahren erhöhte Tätigkeit des Verteidigers erforderlich geworden ist (vgl. BGH, Beschluss vom 15.01.2020 – 1 StR 492/15, NStZ-RR 2020, 160). Dabei ist nur der Zeitaufwand berücksichtigungsfähig, der allein aus verfahrensbezogenen Tätigkeiten des Pflichtverteidigers herrührt, nicht hingegen solcher, der seinen Grund in nur verteidigerbezogenen persönlichen Umständen hat (vgl. BGH a.a.O.).

Nach diesen Maßstäben steht dem Antragsteller die Pauschgebühr im tenorierten Umfang zu.

Die gesetzlichen Gebühren des Antragstellers für seine nach Teil 4 Abschnitt 1. Unterabschnitte 1. und 2. des Vergütungsverzeichnisses erfassten Tätigkeiten bis zum Abschluss des Ermittlungsverfahrens bei einem nicht auf freiem Fuß befindlichen Beschuldigten betragen insgesamt 399,-Euro, die sich aus der Grundgebühr (Nr. 4100, 4101 VV RVG) in Höhe von 216,- Euro und der Verfahrensgebühr (Nr. 4104, 4105 VV RVG) in Höhe von 177,- Euro zusammensetzen. Darüber hinaus ist nach Unterabschnitt 5 eine bislang nicht geltend gemachte, als Wertgebühr der Festsetzung einer Pauschgebühr nicht zugängliche (§ 51 Abs. 1 Satz 2 RVG) Gebühr für das Einziehungsverfahren (Nr. 4142 VV RVG) in Höhe von 447,- Euro entstanden (vgl. Senat, Beschluss vom 09.11.2021 – 1 ARs (KostR) 6/21 [n.v.]).

…..

Das Schwergewicht der Arbeit des Pflichtverteidigers lag vorliegend in der erstmaligen Einarbeitung in die Ermittlungsakten, die mit etwa 6.600 Seiten deutlich über dem üblichen Umfang derartiger Verfahren liegen. Insoweit stellt das Studium umfangreicher Akten im Ermittlungsverfahren ein wesentliches Indiz für das weit überdurchschnittliche Ausmaß dar (vgl. BT-Drucks. 15/1971, S. 201). Auch wenn die reine Blattzahl nicht alleine ausschlaggebend für die Bemessung des tatsächlich erbrachten und mithin zu vergütenden Tätigkeitsumfanges ist, so ist gleichwohl in den Blick zu nehmen, dass dem Verfahren insoweit eine Vielzahl von Betrugsfällen zu-grunde lag, was zugleich mit einem nicht unerheblichen Besprechungsbedarf mit dem Beschuldigten einherging.

Vor diesem Hintergrund erscheint es angebracht, anstelle der vorbezeichneten gesetzlichen Verfahrensgebühr nach Nrn. 4104, 4105 VV RVG das Doppelte derselben, mithin 354,- Euro anzusetzen (vgl. zur Verdopplung in vergleichbaren Fällen etwa Senat, Beschluss vom 24. Juni 2020 – 1 ARs (KostR) 5/20 [n.v.]).

Die Gewährung einer höheren Pauschvergütung und – wie ebenfalls beantragt – eine gleichzeitige Erhöhung auch der gesetzlichen Gebühr des Antragstellers für seine nach Nrn. 4100, 4101 VV RVG erfasste Tätigkeit kamen hingegen nicht in Betracht. Denn im Rahmen einer wertenden Gesamtbetrachtung (vgl. KG, Beschluss vom 02.10.2015 – 1 ARs 26/13, juris Rn. 9) erschien es angemessen und ausreichend, den Zeitaufwand insbesondere bezüglich der Einarbeitung in die Ermittlungsakten lediglich mit der Erhöhung der Verfahrensgebühr abzugelten (vgl. Senat a.a.O.).“

Daran vermag auch der durch die Besuche des Mandanten in den beiden Justizvollzugsanstalten entstandene Aufwand des Antragstellers nichts zu ändern. Denn – entgegen dessen Auffassung in seinem Schriftsatz vom 20. Februar 2022 – hat das Bundesverfassungsgericht (Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 20.03.1997 – 2 BvR 51/07, NJW 2007, 3420; ähnlich BGH, Beschluss vom 01.06.2015 – 4 StR 267/11, NJW 2015, 2437) sehr wohl den gebührenrechtlichen Ansatz, wonach der dahingehende Aufwand zum einen durch den – beim nicht auf freiem Fuß befindlichen Beschuldigten gesetzlich verankerten – Zuschlag zu den jeweils entstehenden Gebühren (hier: Nrn. 4101, 4105 VV RVG) und zum anderen durch den Anspruch auf Erstattung der entstandenen Fahrtkosten nach Nr. 7003 VV RVG sowie auf Zahlung eines Tages- und Abwesenheitsgeldes nach Nr. 7005 VV RVG angemessen vergütet wird, gerade nicht als verfassungswidrig beanstandet.

Sofern der Antragsteller in dem vorbezeichneten Schriftsatz schließlich Überlegungen zu seinem Stundenlohn anstellt, vermag er damit ebenfalls nicht durchzudringen. Denn der Frage, welcher anwaltliche Stundensatz auskömmlich und zur Kostendeckung erforderlich ist, kommt für die Beurteilung, ob dem Verteidiger die gesetzlichen Pflichtverteidigergebühren im Sinne von § 51 Abs. 1 Satz 1 RVG zumutbar sind, keine erhebliche Bedeutung zu (vgl. OLG Stuttgart, Beschluss vom 20. Juni 2014 – 2 ARs 96/13 –, juris; Senat, Beschlüsse vom 24.10.2018 – 1 ARs (KostR) 8/18 und vom 18.05.2022 – 1 ARs (KostR) 2/22 m.w.N. [jew. n.v.]).“

In meinen Augen falsch. Lassen wir mal den Bezug auf die Rechtsprechung des BGH zum Abheben in „exorbitanter Weise“ dahingestellt, das beten alle OLG so nach. Aber: Wenn schon wegen der Einarbeitung eine Pauschgebühr gewährt wird, dann muss man die Nrn. 4100, 4104 VV RVG gemeinsam zugrunde legen, denn Grundgebühr und Verfahrensgebühr fallen immer zusammen an – das sollte man auch bei einem OLG wissen. Und wenn man schon die Gebühren „trennen“ will, dann hätte man die Grundgebühr Nr. 4100, 4101 Vv RVg zugrunde legen müssen, denn die wäre dann die für die „Einarbeitung“ „richtige Gebühr“. Nun ja, ist für ein OLG auch schwer.

Ich habe dem Kollegen übrigens geraten, nicht alles auf einmal auszugeben 🙂 .

StPO III: Terminsverlegungsantrag wird abgelehnt, oder: Anfechtbarkeit der Entscheidung

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Ich komme dann zum Tagesschluss noch einmal auf den OLG Oldenburg, Beschl. v. 10.01.2023 1 Ws 6 u. 9/23 – zurück. Denn hatte ich neulich ja schon wegen der „Entpflichtungsfrage“ vorgestellt des Pflichtverteidigers wegen gröblicher Pflichtverletzung.

Die Entscheidung enthält noch eine zweite Thematik, nämlich eine Beschwerde gegen die Ablehnung des Antrags Antrag auf Verlegung eines Berufungshauptverhandlungstermin. Auch insoweit hatte die Beschwerde keinen Erfolg.

„Mit seinem durch Rechtsanwalt pp. angebrachten Rechtsmittel vom 29. Dezember 2022 wendet sich der Angeklagte gegen den Beschluss der Vorsitzenden der 1. kleinen Strafkammer des Landgerichts Aurich vom 22. Dezember 2022, durch den sein Antrag auf Verlegung des Berufungstermins am 11. Januar 2023 zurückgewiesen worden. Diese hat dem als (einfache) Beschwerde anzusehenden Rechtsmittel mit Beschluss vom 30. Dezember 2022 nicht abgeholfen und die Sache dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.

Das Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg

Nach § 305 Abs. 1 Satz 1 StPO unterliegen Entscheidungen des erkennenden Gerichts, die der Urteilsfindung vorausgehen – abgesehen von hier nicht vorliegenden Ausnahmen -, nicht der Beschwerde durch die Verfahrensbeteiligten. Ob durch diese Bestimmung die Beschwerde des Angeklagten bzw. seines Verteidigers gegen eine Terminsverfügung bereits generell ausgeschlossen ist (so OLG Hamm, Beschluss v. 01.09.2009, NStZ-RR 2010, 283) oder diese allenfalls dann mit der Beschwerde angefochten werden kann, wenn die Entscheidung evident fehlerhaft ist, kann vorliegend dahinstehen.

Denn Letzteres ist nur dann der Fall, wenn eine in rechtsfehlerhafter Ermessensausübung getroffene Entscheidung für einen Angeklagten eine besondere, selbständige Beschwer beinhaltet, weil sein Recht, sich eines Verteidigers seines Vertrauens zu bedienen, beeinträchtigt worden ist, dies leicht zu vermeiden gewesen wäre und die Rechtswidrigkeit der angefochtenen Entscheidung offen-sichtlich ist (vgl. OLG Celle, Beschluss v. 18.11.2011, 1 Ws 453/11, NJW 2012, 246 m.w.N.).

Ein solcher Ausnahmefall ist hier nicht gegeben.

Zwar hat ein Angeklagter grundsätzlich das Recht, sich in einem Strafverfahren von einem Rechtsanwalt seines Vertrauens verteidigen zu lassen. Daraus folgt aber nicht, dass bei jeder Verhinderung des gewählten Verteidigers eine Hauptverhandlung gegen den Angeklagten nicht durchgeführt werden könnte. Die Terminierung ist grundsätzlich Sache des Vorsitzenden. Hierüber und insbesondere über Anträge auf Terminsverlegungen oder -aufhebungen hat er nach pflichtgemäßem Ermessen unter Berücksichtigung der eigenen Terminsplanung, der Gesamtbelastung der Kammer, des Gebots der Verfahrensbeschleunigung und der berechtigten Interessen aller Prozessbeteiligten zu entscheiden (vgl. BGH, Beschluss v. 20.06.2006, 1 StR 169/06, NStZ-RR 2006, 271).

Dem wird die Entscheidung des Vorsitzenden der 1. kleinen Strafkammer gerecht. Der Termin zur Berufungshauptverhandlung am 11. Januar 2023 war bereits mit Verfügung vom 11. Juli 2022 festgesetzt worden. Der Angeklagte hatte hiervon jedenfalls mit Zustellung der Ladung am 9. August 2022 Kenntnis. Die Vertretung des Angeklagten durch Rechtsanwalt pp. war dem Landgericht erst mit Schriftsatz vom 11. November 2022 mitgeteilt worden. Erst mit Schriftsatz vom 19. November 2022 hatte dieser zudem mitgeteilt, am vorgesehenen Termin verhindert zu sein.

Bei dieser Sachlage stellt sich Ablehnung des Verlegungsantrages nicht als ermessensfehlerhaft dar, zumal eine Terminsaufhebung wegen der Arbeitsbelastung der Berufungskammer zu einer erheblichen Verzögerung führen würde.“

Entpflichtung III: Keine gröbliche Pflichtverletzung, oder: Fehlendes beA nur vorgeschoben?/kein Kontakt?

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Und dann noch der OLG Oldenburg, Beschl. v. 10.01.2023 – zur verneinten Entpflichtung/zum verneinten Wechsel des Pflichtverteidigers. Der Angeklagte hatte das beantragt, das LG hat das abgelehnt, das OLG weist die sofortige Beschwerde des Angeklagten zurück:

Das Rechtsmittel ist zulässig (§ 143a Abs. 4 StPO), bleibt aber in der Sache ohne Erfolg.

„Die Aufrechterhaltung der Beiordnung ist gemäß § 143a Abs. 1 Satz 2, 2. Alt. StPO aus den Gründen des § 144 StPO erforderlich, denn es steht ansonsten kein Verteidiger – insbesondere nicht der Wahlverteidiger Rechtsanwalt pp. – zur Verfügung, der den am 11. Januar 2023 anstehenden Hauptverhandlungstermin wahrnehmen kann. Es besteht damit ein unabweisbares Bedürfnis dafür, zur Sicherung des Verfahrens den Pflichtverteidiger, mit dem die Hauptverhandlungstermine abgestimmt sind, neben dem Wahlverteidiger tätig bleiben zu lassen (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl., § 143a Rz. 7; § 44 Rz. 3).

Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass nunmehr erstmals mit der Beschwerdebegründung geltend gemacht wird, auch Rechtsanwalt pp. stünde nicht zur Verfügung, weil seine Bestellung gemäß § 143a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StPO aufzuheben wäre. Die vorgetragene ernsthafte Störung des Vertrauensverhältnisses zwischen dem Angeklagten und dem ihm bestellten Verteidiger vermag der Senat nicht zu erkennen. Ob eine solche Störung vorliegt, ist vom Standpunkt eines vernünftigen und verständigen Beschuldigten aus zu beurteilen. Hieran gemessen ist der Umstand, dass Rechtsanwalt pp. trotz der dem Angeklagten gegenüber erklärten Unmöglichkeit, die Berufung in der nach § 32d Satz 2 StPO erforderlichen Form einzulegen, am 14. März 2022 seine Gebühren und Auslagen gegenüber dem Amtsgericht Emden geltend zu machen in der Lage war, nicht geeignet, eine Zerstörung des Vertrauensverhältnisses zu begründen. Der auf den 10. März 2022 datierte Kostenfestsetzungsantrag des bestellten Verteidigers (Bl. I 181 d.A.) bedurfte anders als die Berufungseinlegung nicht der besonderen Form der elektronischen Übermittlung und ist tatsächlich auch in Papierform gestellt worden. Für den Angeklagten bestand daher kein Anlass zu der Annahme, Rechtsanwalt pp. habe eine Störung des elektronischen Übermittlungsweges nur vorgeschoben, um selbst die Berufung nicht einlegen zu müssen und stattdessen den Angeklagten damit zu belasten. Soweit der Angeklagte geltend macht, dass Rechtanwalt pp. nach seiner Bestellung am 15. Juli 2021 lediglich im August 2021 Akteneinsicht genommen habe, trifft dies zwar zu. Indessen waren nach Abschluss der Ermittlungen und Durchführung der erstinstanzlichen Hauptverhandlung weitere den Tatvorwurf betreffende Akteneingänge nicht zu erwarten (und sind auch tatsächlich nicht zur Akte gelangt), so dass dieser Umstand unter dem Gesichtspunkt einer groben Pflichtverletzung die Annahme, eine angemessene Verteidigung sei nicht gewährleistet, nicht rechtfertigt. Im Hinblick auf die bislang vor der Berufungsverhandlung nicht erfolgte Besprechung ist schon nicht erkennbar, dass der Pflichtverteidiger sich einer seitens des – sich auf freiem Fuß befindlichen – Angeklagten gewünschten Kontaktaufnahme entzogen hätte. Im übrigen liegt es grundsätzlich im pflichtgemäßen Ermessen des Verteidigers, in welchem Umfang und auf welche Weise er mit dem Beschuldigten Kontakt hält (vgl. BGH, Beschluss v. 24.03.2021, StB 9/21, bei juris Rz. 4).“

Verkehrsrecht II: Polizeiflucht als Alleinrennen, oder: Polizeiflucht aber nicht auch als verbotenes Rennen

Die zweite Entscheidung ist auch eine, die etwas mit (verbotenen) Rennen zu tun hat, und zwar noch einmal mit der sog. Polizeiflucht.

In dem dem OLG Oldenburg, Urt. v. 14.11.2022 – 1 Ss 199/22 – zugrunde liegenden Verfahrenist dem Angeklagten vorgeworfen worden, sich 2021 an einem Tag gegen 23:15 Uhr in Nordhorn im Straßenverkehr als Kraftfahrzeugführer mit nicht angepasster Geschwindigkeit und grob verkehrswidrig und rücksichtslos fortbewegt zu haben, um eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erzielen (§ 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB). Das AG hat hat sich aber vom Vorliegen einer Straftat nicht zu überzeugen vermocht und den lediglich wegen einer Ordnungswidrigkeit, nämlich vorsätzlicher Missachtung des Rotlichts einer Lichtzeichenanlage (Rotlichtdauer über 1 Sekunde) in Tateinheit mit einer vorsätzlichen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 50 km/h, zu einer Geldbuße von 300 € verurteilt und ein Fahrverbot für die Dauer von einem Monat verhängt, wobei es wegen eines bereits in der Vergangenheit verhängten Fahrverbots von einer Anordnung nach § 25 Abs. 2a StVG abgesehen hat.

Die hiergegen eingelegte Berufung der Staatsanwaltschaft hat das LG Osnabrück als unbegründet verworfen. Dagegen dann noch die zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte und von der Generalstaatsanwaltschaft vertretene Revision der Staatsanwaltschaft. Die hatte keinen Erfolg.

Das OLG führt aus:

2. Die Beweiswürdigung, mit der das Landgericht zu einer Ablehnung einer Strafbarkeit nach § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB („verbotenes Einzelrennen“) gelangt ist, ist nicht zu beanstanden.

Die Beweiswürdigung ist grundsätzlich Sache des Tatrichters und vom Revisionsgericht daher in der Regel hinzunehmen. Eine revisionsrechtliche Beurteilung ist auf die Prüfung beschränkt, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, gegen Denk- oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt, wenn das Tatgericht zu hohe Anforderungen an die Überzeugungsbildung gestellt hat (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil v. 25.11.2010, 3 StR 364/10, NStZ 2011, 338) oder wenn sich die vom Tatrichter gezogenen Schlussfolgerungen so sehr von einer festen Tatsachengrundlage entfernen, dass sie letztlich bloße Vermutungen sind, die nicht mehr als einen schwerwiegenden Verdacht begründen (vgl. BGH, Beschluss v. 25.03.1986, 2 StR 115/86, NStZ 1986, 373). Hieran gemessen sind die Erwägungen, mit denen die Strafkammer zu der Annahme gelangt ist, der Angeklagte habe angenommen, er hätte auf der ihm bekannten und in Teilen geraden Strecke schneller fahren können, nicht zu beanstanden. Insbesondere verstoßen die Ausführungen des Landgerichts, wonach es sich bei dem vom Angeklagten geführten Fahrzeug um ein vom Modell und Typ her anderes als das der Polizeibeamten handelte, so dass allein aus dem Umstand, dass die Beamten – wegen des Aufsetzens ihres Fahrzeugs – auf dem Streckenabschnitt nicht schneller fahren konnten, nicht der Schluss gezogen werden könne, dies sei auch dem Angeklagten nicht möglich gewesen, nicht gegen die Denkgesetze. Zu beachten ist zudem, dass aus einer Fluchtmotivation, wie sie bei dem Angeklagten bestand, nicht ohne weiteres auf die Absicht geschlossen werden kann, die gefahrene Geschwindigkeit bis zur Grenze der situativ möglichen Höchstgeschwindigkeit zu steigern (BGH, Beschluss v. 17.02.2021, 4 StR 225/20, NJW 2021, 1173 Rz. 17)

3.a.) Unter Zugrundelegung der fehlerfrei getroffenen Feststellungen hat das Landgericht zutreffend das Vorliegen einer Straftat nach § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB verneint.

Zwar kommt grundsätzlich auch eine Subsumtion der sog. „Polizeiflucht-Fälle“ unter diese Norm in Betracht (vgl. BGH, a.a.O.). Dies gilt indes nur, wenn auch festgestellt werden kann, dass es dem Täter darauf ankam, als notwendiges Zwischenziel für eine erfolgreiche Flucht über eine nicht ganz unerhebliche Wegstrecke die höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen. Erforderlich dafür ist zwar nicht das Vorliegen der Absicht, das Fahrzeug mit objektiv höchstmöglicher Geschwindigkeit zu führen oder es bis an die technischen bzw. physikalischen Grenzen auszufahren. Gefordert ist aber ein Abzielen auf eine angesichts der relevanten Komponenten, wie fahrzeugspezifische Höchstgeschwindigkeit und Beschleunigung, subjektives Geschwindigkeitsempfinden, Verkehrslage und Witterungsbedingungen relative Höchstgeschwindigkeit. Die Absicht des Erzielens einer höchstmöglichen Geschwindigkeit entfällt, worauf die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Zuschrift vom 5. Oktober 2022 zutreffend hingewiesen hat, dann, wenn der Kraftfahrzeugführer unwiderlegbar behaupten kann, er sei der Auffassung gewesen, noch schneller fahren zu können, worauf er jedoch verzichtet habe. So liegt es hier.

b) Darüber hinaus hat die Strafkammer zu Recht auch eine Strafbarkeit nach § 315d Abs. 1 Nr. 2 StGB abgelehnt.

Der von der Revision herangezogenen Entscheidung der 13. Strafkammer (Jugendkammer) des Landgerichts Osnabrück vom 22. Februar 2021 (13 Ns 16/20, NZV 2021, 368; zustimmend Müller, NZV 2021, 369), wonach auch die Fälle der sogenannten Polizeiflucht – worunter das vorliegend festgestellte Verhalten des Angeklagten fällt – die Tatbestandsvariante der Teilnahme an einem nicht erlaubten Kraftfahrzeugrennen im Sinne des § 315d Abs. 1 Nr. 2 StGB erfüllten, vermag der Senat nicht zu folgen.

Die 13. Jugendkammer des Landgerichts Osnabrück begründet ihre Ansicht damit, dass auch in diesen Fällen von einem spezifischen Renncharakter auszugehen sei, auch wenn das Ziel des Wettbewerbs hier nicht im bloßen Sieg, sondern in der gelungenen Flucht liege. Eine vorherige Absprache oder Organisation sei nicht erforderlich. Schließlich erfasse der Wortlaut der Strafvorschrift auch die Fälle, in denen nicht alle Teilnehmer unerlaubt handelten.

Dem ist insoweit zuzustimmen, als dass das „Rennen“ als solches mangels behördlicher Erlaubnis (§ 29 Abs. 2 StVO) unerlaubt ist, auch wenn die Polizeibeamten im Rahmen der Gefahrenabwehr und damit gerechtfertigt handeln (vgl. König, DAR 2022, 363).

Voraussetzung für eine Strafbarkeit nach § 315d Abs, 1 Nr. 2 StGB wäre aber weiter, dass der Angeklagte als Kraftfahrzeugführer an Kraftfahrzeugrennen teilgenommen hätte. Kraftfahrzeugrennen ist ein Wettbewerb oder Wettbewerbsteil zur Erzielung von Höchstgeschwindigkeiten mit Kraftfahrzeugen, bei denen zwischen mindestens zwei Teilnehmern ein Sieger ermittelt wird, wobei es einer vorherigen Absprache der Beteiligten nicht bedarf. Letzteres trifft allerdings nur insoweit zu, als vorbereitende ausdrückliche Verabredungen über Zeit, Ort oder Regeln nicht getroffen werden müssen, mithin eine „Organisation“ nicht erforderlich ist. Ein „Rennen“ selbst setzt aber stets die Kenntnis aller Teilnehmer voraus, denn ein Wettbewerb existiert begrifflich nur dort, wo er als solcher wahrgenommen wird. Vereinbarungen können sich auch spontan und konkludent ergeben (vgl. Fischer, StGB, 69. Aufl. § 315d Rz. 5 f.).

Insoweit weist aber bereits Krenberger in seiner Anmerkung zu der bezeichneten Entscheidung des Landgerichts Osnabrück (ZfS 2021, 412) zutreffend darauf hin, dass schon der Teilnehmerbegriff auf den Fahrzeugführer des Polizeifahrzeugs nur schwerlich anzuwenden ist. Als Teilnehmer an einem Rennen ist zu qualifizieren, wer sich äußerlich den formellen oder informellen Regeln der Veranstaltung im Wesentlichen unterwirft und dabei subjektiv einen Platz im Wettbewerb einnehmen oder das Ziel der Veranstaltung fördern möchte. Der Polizeibeamte hat hier aber mitnichten ein Förderungswillen, sondern will das Rennen so schnell wie möglich beenden. Damit fehlt es aber, wie auch König in seiner Anmerkung zu dem Urteil des Landgerichts Osnabrück (DAR 2022, 363) ausführt, an einer jedenfalls konkludenten Rennabrede. Zudem fehlt der Verfolgungsfahrt selbst der Wettbewerbscharakter, weil sie auf eine Beendigung der „Teilnahme“ des verfolgten Kraftfahrzeugführers abzielt (vgl. Krenberger, a.a.O.).

Nach alledem kommt deshalb eine rechtliche Einordnung der sog. „Polizeiflucht-Fälle“ als verbotenes Kraftfahrzeugrennen gemäß § 315d Abs. 1 Nr. 2 StGB nicht in Betracht….“