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StPO III: Terminsverlegungsantrag wird abgelehnt, oder: Anfechtbarkeit der Entscheidung

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Ich komme dann zum Tagesschluss noch einmal auf den OLG Oldenburg, Beschl. v. 10.01.2023 1 Ws 6 u. 9/23 – zurück. Denn hatte ich neulich ja schon wegen der „Entpflichtungsfrage“ vorgestellt des Pflichtverteidigers wegen gröblicher Pflichtverletzung.

Die Entscheidung enthält noch eine zweite Thematik, nämlich eine Beschwerde gegen die Ablehnung des Antrags Antrag auf Verlegung eines Berufungshauptverhandlungstermin. Auch insoweit hatte die Beschwerde keinen Erfolg.

„Mit seinem durch Rechtsanwalt pp. angebrachten Rechtsmittel vom 29. Dezember 2022 wendet sich der Angeklagte gegen den Beschluss der Vorsitzenden der 1. kleinen Strafkammer des Landgerichts Aurich vom 22. Dezember 2022, durch den sein Antrag auf Verlegung des Berufungstermins am 11. Januar 2023 zurückgewiesen worden. Diese hat dem als (einfache) Beschwerde anzusehenden Rechtsmittel mit Beschluss vom 30. Dezember 2022 nicht abgeholfen und die Sache dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.

Das Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg

Nach § 305 Abs. 1 Satz 1 StPO unterliegen Entscheidungen des erkennenden Gerichts, die der Urteilsfindung vorausgehen – abgesehen von hier nicht vorliegenden Ausnahmen -, nicht der Beschwerde durch die Verfahrensbeteiligten. Ob durch diese Bestimmung die Beschwerde des Angeklagten bzw. seines Verteidigers gegen eine Terminsverfügung bereits generell ausgeschlossen ist (so OLG Hamm, Beschluss v. 01.09.2009, NStZ-RR 2010, 283) oder diese allenfalls dann mit der Beschwerde angefochten werden kann, wenn die Entscheidung evident fehlerhaft ist, kann vorliegend dahinstehen.

Denn Letzteres ist nur dann der Fall, wenn eine in rechtsfehlerhafter Ermessensausübung getroffene Entscheidung für einen Angeklagten eine besondere, selbständige Beschwer beinhaltet, weil sein Recht, sich eines Verteidigers seines Vertrauens zu bedienen, beeinträchtigt worden ist, dies leicht zu vermeiden gewesen wäre und die Rechtswidrigkeit der angefochtenen Entscheidung offen-sichtlich ist (vgl. OLG Celle, Beschluss v. 18.11.2011, 1 Ws 453/11, NJW 2012, 246 m.w.N.).

Ein solcher Ausnahmefall ist hier nicht gegeben.

Zwar hat ein Angeklagter grundsätzlich das Recht, sich in einem Strafverfahren von einem Rechtsanwalt seines Vertrauens verteidigen zu lassen. Daraus folgt aber nicht, dass bei jeder Verhinderung des gewählten Verteidigers eine Hauptverhandlung gegen den Angeklagten nicht durchgeführt werden könnte. Die Terminierung ist grundsätzlich Sache des Vorsitzenden. Hierüber und insbesondere über Anträge auf Terminsverlegungen oder -aufhebungen hat er nach pflichtgemäßem Ermessen unter Berücksichtigung der eigenen Terminsplanung, der Gesamtbelastung der Kammer, des Gebots der Verfahrensbeschleunigung und der berechtigten Interessen aller Prozessbeteiligten zu entscheiden (vgl. BGH, Beschluss v. 20.06.2006, 1 StR 169/06, NStZ-RR 2006, 271).

Dem wird die Entscheidung des Vorsitzenden der 1. kleinen Strafkammer gerecht. Der Termin zur Berufungshauptverhandlung am 11. Januar 2023 war bereits mit Verfügung vom 11. Juli 2022 festgesetzt worden. Der Angeklagte hatte hiervon jedenfalls mit Zustellung der Ladung am 9. August 2022 Kenntnis. Die Vertretung des Angeklagten durch Rechtsanwalt pp. war dem Landgericht erst mit Schriftsatz vom 11. November 2022 mitgeteilt worden. Erst mit Schriftsatz vom 19. November 2022 hatte dieser zudem mitgeteilt, am vorgesehenen Termin verhindert zu sein.

Bei dieser Sachlage stellt sich Ablehnung des Verlegungsantrages nicht als ermessensfehlerhaft dar, zumal eine Terminsaufhebung wegen der Arbeitsbelastung der Berufungskammer zu einer erheblichen Verzögerung führen würde.“

Entpflichtung III: Keine gröbliche Pflichtverletzung, oder: Fehlendes beA nur vorgeschoben?/kein Kontakt?

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Und dann noch der OLG Oldenburg, Beschl. v. 10.01.2023 – zur verneinten Entpflichtung/zum verneinten Wechsel des Pflichtverteidigers. Der Angeklagte hatte das beantragt, das LG hat das abgelehnt, das OLG weist die sofortige Beschwerde des Angeklagten zurück:

Das Rechtsmittel ist zulässig (§ 143a Abs. 4 StPO), bleibt aber in der Sache ohne Erfolg.

„Die Aufrechterhaltung der Beiordnung ist gemäß § 143a Abs. 1 Satz 2, 2. Alt. StPO aus den Gründen des § 144 StPO erforderlich, denn es steht ansonsten kein Verteidiger – insbesondere nicht der Wahlverteidiger Rechtsanwalt pp. – zur Verfügung, der den am 11. Januar 2023 anstehenden Hauptverhandlungstermin wahrnehmen kann. Es besteht damit ein unabweisbares Bedürfnis dafür, zur Sicherung des Verfahrens den Pflichtverteidiger, mit dem die Hauptverhandlungstermine abgestimmt sind, neben dem Wahlverteidiger tätig bleiben zu lassen (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl., § 143a Rz. 7; § 44 Rz. 3).

Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass nunmehr erstmals mit der Beschwerdebegründung geltend gemacht wird, auch Rechtsanwalt pp. stünde nicht zur Verfügung, weil seine Bestellung gemäß § 143a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StPO aufzuheben wäre. Die vorgetragene ernsthafte Störung des Vertrauensverhältnisses zwischen dem Angeklagten und dem ihm bestellten Verteidiger vermag der Senat nicht zu erkennen. Ob eine solche Störung vorliegt, ist vom Standpunkt eines vernünftigen und verständigen Beschuldigten aus zu beurteilen. Hieran gemessen ist der Umstand, dass Rechtsanwalt pp. trotz der dem Angeklagten gegenüber erklärten Unmöglichkeit, die Berufung in der nach § 32d Satz 2 StPO erforderlichen Form einzulegen, am 14. März 2022 seine Gebühren und Auslagen gegenüber dem Amtsgericht Emden geltend zu machen in der Lage war, nicht geeignet, eine Zerstörung des Vertrauensverhältnisses zu begründen. Der auf den 10. März 2022 datierte Kostenfestsetzungsantrag des bestellten Verteidigers (Bl. I 181 d.A.) bedurfte anders als die Berufungseinlegung nicht der besonderen Form der elektronischen Übermittlung und ist tatsächlich auch in Papierform gestellt worden. Für den Angeklagten bestand daher kein Anlass zu der Annahme, Rechtsanwalt pp. habe eine Störung des elektronischen Übermittlungsweges nur vorgeschoben, um selbst die Berufung nicht einlegen zu müssen und stattdessen den Angeklagten damit zu belasten. Soweit der Angeklagte geltend macht, dass Rechtanwalt pp. nach seiner Bestellung am 15. Juli 2021 lediglich im August 2021 Akteneinsicht genommen habe, trifft dies zwar zu. Indessen waren nach Abschluss der Ermittlungen und Durchführung der erstinstanzlichen Hauptverhandlung weitere den Tatvorwurf betreffende Akteneingänge nicht zu erwarten (und sind auch tatsächlich nicht zur Akte gelangt), so dass dieser Umstand unter dem Gesichtspunkt einer groben Pflichtverletzung die Annahme, eine angemessene Verteidigung sei nicht gewährleistet, nicht rechtfertigt. Im Hinblick auf die bislang vor der Berufungsverhandlung nicht erfolgte Besprechung ist schon nicht erkennbar, dass der Pflichtverteidiger sich einer seitens des – sich auf freiem Fuß befindlichen – Angeklagten gewünschten Kontaktaufnahme entzogen hätte. Im übrigen liegt es grundsätzlich im pflichtgemäßen Ermessen des Verteidigers, in welchem Umfang und auf welche Weise er mit dem Beschuldigten Kontakt hält (vgl. BGH, Beschluss v. 24.03.2021, StB 9/21, bei juris Rz. 4).“

Verkehrsrecht II: Polizeiflucht als Alleinrennen, oder: Polizeiflucht aber nicht auch als verbotenes Rennen

Die zweite Entscheidung ist auch eine, die etwas mit (verbotenen) Rennen zu tun hat, und zwar noch einmal mit der sog. Polizeiflucht.

In dem dem OLG Oldenburg, Urt. v. 14.11.2022 – 1 Ss 199/22 – zugrunde liegenden Verfahrenist dem Angeklagten vorgeworfen worden, sich 2021 an einem Tag gegen 23:15 Uhr in Nordhorn im Straßenverkehr als Kraftfahrzeugführer mit nicht angepasster Geschwindigkeit und grob verkehrswidrig und rücksichtslos fortbewegt zu haben, um eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erzielen (§ 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB). Das AG hat hat sich aber vom Vorliegen einer Straftat nicht zu überzeugen vermocht und den lediglich wegen einer Ordnungswidrigkeit, nämlich vorsätzlicher Missachtung des Rotlichts einer Lichtzeichenanlage (Rotlichtdauer über 1 Sekunde) in Tateinheit mit einer vorsätzlichen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 50 km/h, zu einer Geldbuße von 300 € verurteilt und ein Fahrverbot für die Dauer von einem Monat verhängt, wobei es wegen eines bereits in der Vergangenheit verhängten Fahrverbots von einer Anordnung nach § 25 Abs. 2a StVG abgesehen hat.

Die hiergegen eingelegte Berufung der Staatsanwaltschaft hat das LG Osnabrück als unbegründet verworfen. Dagegen dann noch die zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte und von der Generalstaatsanwaltschaft vertretene Revision der Staatsanwaltschaft. Die hatte keinen Erfolg.

Das OLG führt aus:

2. Die Beweiswürdigung, mit der das Landgericht zu einer Ablehnung einer Strafbarkeit nach § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB („verbotenes Einzelrennen“) gelangt ist, ist nicht zu beanstanden.

Die Beweiswürdigung ist grundsätzlich Sache des Tatrichters und vom Revisionsgericht daher in der Regel hinzunehmen. Eine revisionsrechtliche Beurteilung ist auf die Prüfung beschränkt, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, gegen Denk- oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt, wenn das Tatgericht zu hohe Anforderungen an die Überzeugungsbildung gestellt hat (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil v. 25.11.2010, 3 StR 364/10, NStZ 2011, 338) oder wenn sich die vom Tatrichter gezogenen Schlussfolgerungen so sehr von einer festen Tatsachengrundlage entfernen, dass sie letztlich bloße Vermutungen sind, die nicht mehr als einen schwerwiegenden Verdacht begründen (vgl. BGH, Beschluss v. 25.03.1986, 2 StR 115/86, NStZ 1986, 373). Hieran gemessen sind die Erwägungen, mit denen die Strafkammer zu der Annahme gelangt ist, der Angeklagte habe angenommen, er hätte auf der ihm bekannten und in Teilen geraden Strecke schneller fahren können, nicht zu beanstanden. Insbesondere verstoßen die Ausführungen des Landgerichts, wonach es sich bei dem vom Angeklagten geführten Fahrzeug um ein vom Modell und Typ her anderes als das der Polizeibeamten handelte, so dass allein aus dem Umstand, dass die Beamten – wegen des Aufsetzens ihres Fahrzeugs – auf dem Streckenabschnitt nicht schneller fahren konnten, nicht der Schluss gezogen werden könne, dies sei auch dem Angeklagten nicht möglich gewesen, nicht gegen die Denkgesetze. Zu beachten ist zudem, dass aus einer Fluchtmotivation, wie sie bei dem Angeklagten bestand, nicht ohne weiteres auf die Absicht geschlossen werden kann, die gefahrene Geschwindigkeit bis zur Grenze der situativ möglichen Höchstgeschwindigkeit zu steigern (BGH, Beschluss v. 17.02.2021, 4 StR 225/20, NJW 2021, 1173 Rz. 17)

3.a.) Unter Zugrundelegung der fehlerfrei getroffenen Feststellungen hat das Landgericht zutreffend das Vorliegen einer Straftat nach § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB verneint.

Zwar kommt grundsätzlich auch eine Subsumtion der sog. „Polizeiflucht-Fälle“ unter diese Norm in Betracht (vgl. BGH, a.a.O.). Dies gilt indes nur, wenn auch festgestellt werden kann, dass es dem Täter darauf ankam, als notwendiges Zwischenziel für eine erfolgreiche Flucht über eine nicht ganz unerhebliche Wegstrecke die höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen. Erforderlich dafür ist zwar nicht das Vorliegen der Absicht, das Fahrzeug mit objektiv höchstmöglicher Geschwindigkeit zu führen oder es bis an die technischen bzw. physikalischen Grenzen auszufahren. Gefordert ist aber ein Abzielen auf eine angesichts der relevanten Komponenten, wie fahrzeugspezifische Höchstgeschwindigkeit und Beschleunigung, subjektives Geschwindigkeitsempfinden, Verkehrslage und Witterungsbedingungen relative Höchstgeschwindigkeit. Die Absicht des Erzielens einer höchstmöglichen Geschwindigkeit entfällt, worauf die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Zuschrift vom 5. Oktober 2022 zutreffend hingewiesen hat, dann, wenn der Kraftfahrzeugführer unwiderlegbar behaupten kann, er sei der Auffassung gewesen, noch schneller fahren zu können, worauf er jedoch verzichtet habe. So liegt es hier.

b) Darüber hinaus hat die Strafkammer zu Recht auch eine Strafbarkeit nach § 315d Abs. 1 Nr. 2 StGB abgelehnt.

Der von der Revision herangezogenen Entscheidung der 13. Strafkammer (Jugendkammer) des Landgerichts Osnabrück vom 22. Februar 2021 (13 Ns 16/20, NZV 2021, 368; zustimmend Müller, NZV 2021, 369), wonach auch die Fälle der sogenannten Polizeiflucht – worunter das vorliegend festgestellte Verhalten des Angeklagten fällt – die Tatbestandsvariante der Teilnahme an einem nicht erlaubten Kraftfahrzeugrennen im Sinne des § 315d Abs. 1 Nr. 2 StGB erfüllten, vermag der Senat nicht zu folgen.

Die 13. Jugendkammer des Landgerichts Osnabrück begründet ihre Ansicht damit, dass auch in diesen Fällen von einem spezifischen Renncharakter auszugehen sei, auch wenn das Ziel des Wettbewerbs hier nicht im bloßen Sieg, sondern in der gelungenen Flucht liege. Eine vorherige Absprache oder Organisation sei nicht erforderlich. Schließlich erfasse der Wortlaut der Strafvorschrift auch die Fälle, in denen nicht alle Teilnehmer unerlaubt handelten.

Dem ist insoweit zuzustimmen, als dass das „Rennen“ als solches mangels behördlicher Erlaubnis (§ 29 Abs. 2 StVO) unerlaubt ist, auch wenn die Polizeibeamten im Rahmen der Gefahrenabwehr und damit gerechtfertigt handeln (vgl. König, DAR 2022, 363).

Voraussetzung für eine Strafbarkeit nach § 315d Abs, 1 Nr. 2 StGB wäre aber weiter, dass der Angeklagte als Kraftfahrzeugführer an Kraftfahrzeugrennen teilgenommen hätte. Kraftfahrzeugrennen ist ein Wettbewerb oder Wettbewerbsteil zur Erzielung von Höchstgeschwindigkeiten mit Kraftfahrzeugen, bei denen zwischen mindestens zwei Teilnehmern ein Sieger ermittelt wird, wobei es einer vorherigen Absprache der Beteiligten nicht bedarf. Letzteres trifft allerdings nur insoweit zu, als vorbereitende ausdrückliche Verabredungen über Zeit, Ort oder Regeln nicht getroffen werden müssen, mithin eine „Organisation“ nicht erforderlich ist. Ein „Rennen“ selbst setzt aber stets die Kenntnis aller Teilnehmer voraus, denn ein Wettbewerb existiert begrifflich nur dort, wo er als solcher wahrgenommen wird. Vereinbarungen können sich auch spontan und konkludent ergeben (vgl. Fischer, StGB, 69. Aufl. § 315d Rz. 5 f.).

Insoweit weist aber bereits Krenberger in seiner Anmerkung zu der bezeichneten Entscheidung des Landgerichts Osnabrück (ZfS 2021, 412) zutreffend darauf hin, dass schon der Teilnehmerbegriff auf den Fahrzeugführer des Polizeifahrzeugs nur schwerlich anzuwenden ist. Als Teilnehmer an einem Rennen ist zu qualifizieren, wer sich äußerlich den formellen oder informellen Regeln der Veranstaltung im Wesentlichen unterwirft und dabei subjektiv einen Platz im Wettbewerb einnehmen oder das Ziel der Veranstaltung fördern möchte. Der Polizeibeamte hat hier aber mitnichten ein Förderungswillen, sondern will das Rennen so schnell wie möglich beenden. Damit fehlt es aber, wie auch König in seiner Anmerkung zu dem Urteil des Landgerichts Osnabrück (DAR 2022, 363) ausführt, an einer jedenfalls konkludenten Rennabrede. Zudem fehlt der Verfolgungsfahrt selbst der Wettbewerbscharakter, weil sie auf eine Beendigung der „Teilnahme“ des verfolgten Kraftfahrzeugführers abzielt (vgl. Krenberger, a.a.O.).

Nach alledem kommt deshalb eine rechtliche Einordnung der sog. „Polizeiflucht-Fälle“ als verbotenes Kraftfahrzeugrennen gemäß § 315d Abs. 1 Nr. 2 StGB nicht in Betracht….“

Urteil III: Verurteilung wegen Steuerhinterziehung, oder: Anforderungen an die Urteilsgründe

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Die dritte Entscheidung kommt dann vom OLG Oldenburg. Das hat im  OLG Oldenburg, Beschl. v. 03.11.2022 – 1 Ss 215/22 – zur notwendigen Darstellung der getroffenen Feststellungen – auch im Falle des Geständnisses – bei einer Verurteilung wegen Steuerhinterziehung Stellung genommen:

„1. Für die Darstellung einer Steuerhinterziehung in den Urteilsgründen ist es erforderlich, dass das Urteil erkennen lässt, welches steuerlich erhebliche Verhalten des Angeklagten im Rahmen welcher Abgabenart und in welchem Besteuerungszeitraum zu einer Steuerverkürzung geführt hat und welche innere Einstellung der Angeklagte dazu hatte. Hierfür bedarf es regelmäßig der Angabe, wann der Angeklagte welche Steuererklärungen abgegeben hat, welche Umsätze oder Einkünfte er etwa verschwiegen oder welche unberechtigten Vorsteuerabzüge oder Betriebsausgaben er geltend gemacht hat sowie – für die Frage der Tatvollendung – ob und ggf. mit welchem Inhalt Steuerbescheide erlassen worden sind. In den Urteilsgründen ist gleichfalls festzustellen, welche Tatsachen eine zutreffende Steuererklärung hätte enthalten müssen und welche Steuer aufgrund des festgestellten Sachverhalts geschuldet war. Denn erst aus einer solchen Gegenüberstellung der geschuldeten und der festgesetzten Steuer ergibt sich die verkürzte Steuer (vgl. Jäger, in Klein, AO16, § 370 Rn. 462 m.w.N.). Liegt dem Angeklagten eine Steuerhinterziehung durch Unterlassen gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO zur Last, sind in den Urteilsgründen diejenigen Umstände festzustellen, aus denen sich ergibt, dass der Angeklagte zur Abgabe der fraglichen Steuererklärung verpflichtet war. Sodann sind die Tatsachen mitzuteilen, aus denen sich die Höhe der durch die pflichtwidrige Nichtabgabe der Erklärung hinterzogenen Steuer ergibt (vgl. Senat a.a.O.; Jäger, in Klein, AO16, § 370 Rn. 463 m.w.N.).

Im Rahmen der Berechnungsdarstellung wiederum müssen die Urteilsgründe nicht nur die Summe der verkürzten Steuern, sondern auch im Einzelnen deren Berechnung enthalten, und zwar für jede Steuerart und jeden Steuerabschnitt gesondert unter Angabe der Besteuerungsgrundlagen. Dabei sind jedenfalls die Parameter anzugeben, welche die Grundlage für die Steuerberechnung bilden; dies gilt auch bei Steuerhinterziehung durch Unterlassen. Der Tatrichter hat für jede Steuerart und jeden Besteuerungszeitraum unter Schuldgesichtspunkten so klare Feststellungen zu treffen, dass sowohl die dem Schuldspruch zugrundeliegenden Besteuerungsgrundlagen als auch die Berechnung der verkürzten Steuern der Höhe nach erkennbar werden. Mitzuteilen sind jedenfalls diejenigen Tatsachen, die den staatlichen Steueranspruch begründen, und diejenigen, die für die Höhe der geschuldeten und verkürzten Steuern von Bedeutung sind. Bloße tabellarische Aufstellungen, anhand deren sich die Berechnungen nicht nachvollziehen lassen, sind ebenso unzureichend wie Bezugnahme auf eine dem Urteil nicht beigefügte Anlage (vgl. Senat a.a.O.; Jäger a.a.O., Rn. 466 m.w.N.). Die Urteilsgründe müssen vielmehr erkennen lassen, dass das Gericht die materiellen Steueransprüche, über deren Verkürzung zu entscheiden ist, dem Grunde und der Höhe nach selbständig geprüft hat (vgl. Senat a.a.O.; Jäger a.a.O., Rn. 468 m.w.N.).

Dies gilt auch in Schätzungsfällen. Dabei ist die Schätzung von Besteuerungsgrundlagen im Steuerstrafverfahren (§ 261 StPO) zulässig, wenn zwar feststeht, dass der Steuerpflichtige einen Besteuerungstatbestand erfüllt hat, aber ungewiss ist, welches Ausmaß die Besteuerungsgrundlagen haben. Bei der Entscheidung, welche Schätzungsmethode dem vorgegebenen Ziel, der Wirklichkeit durch Wahrscheinlichkeitsüberlegungen möglichst nahe zu kommen, am besten gerecht wird, kommt dem Tatgericht ein Beurteilungsspielraum zu (vgl. Senat a.a.O.; Jäger a.a.O., Rn. 96a m.w.N.). Erweist sich eine konkrete Ermittlung als nicht möglich und kommen ausgehend von der vorhandenen Tatsachenbasis andere Schätzungsmethoden nicht in Betracht, weil es an Belegen, Aufzeichnungen oder an sonstigen Buchhaltungsunterlagen fehlt, darf der Tatrichter die Besteuerungsgrundlagen auch pauschal und gestützt auf die Richtsatzsammlung des Bundesministeriums für Finanzen schätzen. Bei der Zugrundelegung des Mittelsatzes aus der amtlichen Richtsatzsammlung muss der Tatrichter in den Urteilsgründen jedoch ausführen, aufgrund welcher Anknüpfungstatsachen er davon überzeugt ist, dass es sich um einen Betrieb handelt, bei dem jedenfalls dieser Mittelsatz erreicht ist. Jedenfalls müssen auch bei einer Schätzung nach der Richtsatzsammlung des Bundesministeriums für Finanzen die festgestellten Umstände des Einzelfalls in den Blick genommen werden. Der Tatrichter muss erkennen lassen, dass er die örtlichen Verhältnisse und – soweit vorhanden – die Besonderheiten des Betriebes in den Blick genommen hat. Soweit Zweifel verbleiben, darf der Tatrichter aber andererseits auch nicht ohne Weiteres einen als wahrscheinlich angesehenen Wert aus der Richtsatzsammlung zugrunde legen, sondern muss einen als erwiesen angesehenen Mindestschuldumfang feststellen. Auch in diesem Kontext gilt: Der Tatrichter darf Schätzungen der Finanzbehörden nur dann übernehmen, wenn er selbst von ihrer Richtigkeit unter Berücksichtigung der vom Besteuerungsverfahren abweichenden strafrechtlichen Verfahrensgrundsätze überzeugt ist. Er darf weder Betriebsprüfungs- oder Fahndungsberichte noch das Berechnungsergebnis eines als Zeugen gehörten Finanzbeamten ungeprüft übernehmen noch darf er auf solche Beweismittel in den Urteilsgründen lediglich verweisen. Vielmehr hat er die Schätzungsgrundlagen und das Ergebnis der eigenen Berechnung in den Urteilsgründen für das Revisionsgericht nachvollziehbar mitzuteilen (vgl. Senat a.a.O.; Jäger a.a.O., Rn. 96b m.w.N.).

2. Diesen Anforderungen wird das Urteil nicht gerecht…..“

OWi II: Überlegen beim Bilden einer Rettungsgasse?, oder: Nein, „sobald“ heißt „sofort, wenn…“

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Der zweite Beschluss des Tages stammt auch vom OLG Oldenburg. Er hat aber mal keine Geschwindigkeitsmessung zum Gegenstand, sondern befasst sich mit der Problematik „Bildung einer Rettungsgasse“

Das AG hat den Betroffenen fahrlässigen Nichtbildens einer Rettungsgasse (§ 11 Abs. 2 StVO) zu einer Geldbuße von 230 EUR verurteilt. Gegen dieses Urteil wendet sich der Betroffene mit seinem Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde. Er hält es für klärungsbedürftig, ab welchem Zeitpunkt des Stillstandes oder des nur in Schrittgeschwindigkeit fließenden Verkehrs, eine Rettungsgasse gebildet werden müsse. Das OLG hat die Rechtsbeschwerde zugelassen, dann aber im OLG Oldenburg, Beschl. v. 20.09.2022 – 2 Ss(OWi) 137/22 – als unbegründet verworfen:

„Die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg.

Das Amtsgericht hat zunächst folgende Feststellungen getroffen:

Am TT.MM.2021 befuhr der Betroffene pp. die Bundesautobahn 1 in Richtung Ort1 bei Ort2 in Höhe Kilometer (pp.). Der Verkehr auf der dreispurigen Autobahn war baubaustellenbedingt ins Stocken geraten und teilweise zum Erliegen gekommen. Der Betroffene befuhr die dreispurige Autobahn auf der mittleren Fahrspur und hielt sich dabei linksseitig, während die hinter ihm befindlichen Fahrzeuge sowie zumindest ein vor ihm befindliches Fahrzeug auf der mittleren Spur sich so weit wie möglich rechts und sämtliche Fahrzeuge auf der linken Spur sich so weit wie möglich links orientiert hatten.

Der Rechtsbeschwerde ist zunächst zuzugeben, dass die Bildung einer Rettungsgasse gemäß § 11 Abs. 2 StVO nicht bereits bei stockendem Verkehr, sondern erst dann erforderlich ist, sobald Fahrzeuge mit Schrittgeschwindigkeit fahren oder sich die Fahrzeuge im Stillstand befinden.

Den Urteilsfeststellungen lässt sich nicht mit hinreichender Sicherheit entnehmen, dass sich die Fahrzeuge nur mit Schrittgeschwindigkeit bewegt haben. Hiergegen spricht bereits, dass die Zeugin BB bekundet hat, das Fahrzeug des Betroffenen über 3 km fast 10 Minuten lang beobachtet zu haben, was auf eine Durchschnittsgeschwindigkeit von etwa 18 km hindeutet, die sich noch dadurch erhöht, weil es nach der Aussage der Zeugin auch Phasen des Stillstandes gegeben habe.

Zuzugeben ist der Rechtsbeschwerde weiterhin, dass sich aus dem Lichtbild Blatt 6 der Verwaltungsakte nicht ergibt, ob sich das Fahrzeug des Betroffenen zum Zeitpunkt der Aufnahme bewegt hat oder nicht.

Gleichwohl hat die Rechtsbeschwerde keinen Erfolg.

Nach der Aussage des Zeugen CC, die das Amtsgericht seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat, sei der Betroffene „ziemlich penetrant“ auch dann in der Rettungsgasse geblieben, als der Verkehr gänzlich zum Stehen gekommen sei.

Zwar finden sich im Urteil keine Feststellungen dazu, wie lange diese Phasen des Stillstandes gedauert haben. Dies ist jedoch unschädlich.

Die Rettungsgasse ist nämlich zu bilden „sobald Fahrzeuge… mit Schrittgeschwindigkeit fahren oder sich die Fahrzeuge im Stillstand befinden.“ Soweit das Amtsgericht Tübingen (DAR 2021, 406) die Auffassung vertreten hat, der Verstoß gegen § 11 Abs. 2 StVO setze eine gewisse zeitliche Komponente des Stillstandes oder der Schrittgeschwindigkeit voraus, teilt der Senat diese Auffassung nicht. Der Wortlaut des §11 Abs. 2 StVO ist eindeutig. Laut duden.de bedeutet das Wort sobald „in dem Augenblick, da…“ bzw. „gleich wenn“. Damit wird hinreichend deutlich zum Ausdruck gebracht, dass eine Überlegungsfrist nicht besteht, die Pflicht zur Bildung einer Rettungsgasse vielmehr sofort eingreift, nachdem die in § 11 Abs. 2 StVO beschriebene Verkehrssituation eingetreten ist.

Dies gilt hier umso mehr, als der Betroffene wegen des stop-and-go–Verkehrs damit rechnen musste, dass die Phasen des Stillstandes auch länger andauern könnten. Würde man einem Fahrzeugführer, in einer Situation, in der der vor ihm befindliche Verkehr zum Erliegen gekommen ist, eine Überlegungsfrist zubilligen, während derer er zunächst noch die Rettungsgasse blockieren dürfte, hätte dies zur Konsequenz, dass er nach Erkennen der Verkehrssituation und Ablauf einer Überlegungsfrist erst noch möglicherweise zeitaufwendig rangieren müsste, um die Rettungsgasse freizugeben. Eine solches Rangiermanöver – dort mit Behinderung des Einsatzfahrzeuges – war im Übrigen bereits Gegenstand der Entscheidung des Senats 2 Ss (OWi) 34/22.“