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Strafzumessung – ist es denn wirklich so schwer…? Immer wieder dieselben Fehler.

Ein Kollege aus Augsburg hat mir OLG München, Beschl. v. 15.11.2011 – 5St RR (I) 64/11 übersandt, in dem das OLG München die Rechtsfolgenentscheidung einer amtsgerichtlichen Entscheidung wegen eines Verstoßes gegen das BtMG aufgehoben. Also: mal wieder Strafzumessungsfehler.

Wenn man den Beschluss des OLG in dem Teil liest, kann man m.E. nun wirklich nur denken: Ist es den  so schwer…? Das OLG führt aus:

„3. Der Rechtsfolgenausspruch kann keinen Bestand haben. Er ist lückenhaft und verstößt gegen den im Rechtsstaatsprinzip verankerten Grundsatz „nemo tenetur se ipsum accusare“.

a) Das Tatgericht hat bei der Strafzumessung im engeren Sinn zu Gunsten des Angeklagten berücksichtigt, dass er bislang strafrechtlich nicht in Erscheinung ge-treten ist. Sonst spräche nichts für ihn (UA S. 3). Es hat dabei außer Acht gelas-sen, dass die Menge und der Wirkstoffgehalt des besessenen Rauschgifts für die zu verhängende Rechtsfolge bestimmend sind. Die Rechtsprechung verlangt des-halb in den Urteilsgründen neben Ausführungen zum Wirkstoff auch Feststellun-gen zur Menge des besessenen Rauschgifts (BGHR BtMG § 29 Strafzumessung 18). Kann der Wirkstoffgehalt des Rauschgifts nicht anhand hinreichend feststell-barer Tatumstände ermittelt werden, ist von dem für den Angeklagten günstigsten Mischungsverhältnis auszugehen (Bundesgerichtshof NStZ 1985, 221, 222, OLG München, Beschluss vom 23. Februar 2006 – 4 St RR 24/06 – st. Rspr.). Hinsicht-lich der Gewichtsmenge des besessenen Rauschgifts hat der Zeuge C. bekundet, dass es sich um eine „geringe“ Menge gehandelt habe (UA S. 3).

b) Der Angeklagte hat zur Sache keine Angaben gemacht (UA S. 3). Nach den Feststellungen des Tatgerichts hat der Angeklagte „gemauert“, ein Unrechtsbe-wusstsein sei nicht vorhanden gewesen (UA S. 3). Das Amtsgericht hat bei der Strafzumessung berücksichtigt, dass der Angeklagte ein Geständnis nicht abgelegt hat (UA S. 3). Zu Lasten des Angeklagten hat es herangezogen, dass er keinerlei Drogentests zulasse, sich weiterhin im Milieu befinde, Dealer und Abnehmer schütze und wo er nur könne, „mauere“. Er solle ganz klar sehen, dass ein solches Verhalten nicht geduldet werde (UA S. 4).

Diese Ausführungen lassen befürchten, dass das Amtsgericht grundlegende Prin-zipien der Strafzumessung außer Acht gelassen hat. Ein schweigender Angeklag-ter kann weder Reue noch Schuldeinsicht zeigen. Sein Schweigen darf nicht zu seinem Nachteil herangezogen werden (Fischer, StGB 58. Aufl. § 46 Rdn. 50 lit. b mwN). Das Strafverfahren kennt weder einen Geständniszwang, noch eine Pflicht des Angeklagten, bei der Aufklärung des Sachverhalts mitzuwirken. Andernfalls wäre der Angeklagte gezwungen, seine Verteidigungsposition aufzugeben (BGH NStZ 1985, 545).

Freiwillig in der Therapie – nicht auf freiem Fuß?

Die Frage, ob der Verteidiger des Mandanten, der sich freiwillig in einer stationären Therapie befindet, den sog. Haftzuschlag nach Vorbem. 4 Abs. 4 VV RVG beanspruchen kann, ist umstritten. Ich meine, dass ist möglich und vertrete das auch so in Burhoff (Hrsg.) RVG Straf- und Bußgeldverfahren, 3. Aufl. 2011, Vorbem. 4 VV Rn. 88 (vgl. zu dem neuen Buch hier). Von der h.M. wird das anders gesehen.

Dazu zählt auch der Beschl. des LG München v. 08.01.2008 – 1 Ws 1/08, auf den ich über eine Diskussion im Rechtspflegerforum aufmerksam geworden bin und den ich mir dann beim OLG München besorgt habe. Das OLG hat ihn mir komplikationslos gefaxt. Hätte ich gar nicht mit gerechnet.

Beschluss ist schon etwas älter, aber aus „Fairnessgründen“ sollte man auch über ihn berichten. Das Argument mit den anderen Krankenhäusern liest sich ja ganz gut, ist m.E. aber nicht durchgreifend, weil die Folgen, wenn ich ein Krankenhaus verlasse, strafverfahrensrechtlich nicht so schwerwiegend sind, wie ein Therapieabbruch. Aber: Die h.M. sieht es anders. Muss man mit leben und ist ja auch nicht eine so ganz wesentliche Frage.

Teilnahme am öffentlichen Verkehr – Grundregeln für Radfahrer

So ist die Nachricht zu einer PM des OLG München vom 06.07.2011 zu einem dort zu Ende gegangenen Berufungsverfahren überschrieben. Radfahrer-Urteil/Entscheidungen interessieren mich natürlich als Münsteraner immer sehr. Im Einzelnen heißt es in der PM. Urteil war allerdings schon vom 03.03.2011:

„Bereits mit rechtskräftigem Urteil hat das Oberlandesgericht München durch einen seiner Augsburger Senate Grundlegendes dazu entschieden, was ein am öffentlichen Verkehr teilnehmender Radfahrer zu beachten hat, um bei einem Unfall nicht auf seinem Schaden sitzenzubleiben.

Geklagt hatte ein Radfahrer, der am 13.07.2007 um 06:00 Uhr morgens auf dem Weg zur Arbeit bei einer Kollision mit einem VW-Bus erhebliche Verletzungen – auch am Kopf – erlitten hatte. Der ohne Helm fahrende Radler war mit seinem Rennrad aus einem als Geh- und Radweg gekennzeichneten geteerten Weg ungebremst und mit hoher Geschwindigkeit nach links auf die vom Beklagten mit seinem Wagen befahrene geteerte und annähernd gleich breite Ortsverbindungsstraße eingebogen, wo es zum Zusammenstoß kam.

Das Landgericht Memmingen hatte mit Urteil vom 12.05.2010 der Klage zu zwei Dritteln stattgegeben und den beklagten Autofahrer sowie seine Versicherung unter anderem zu einem erheblichen Schmerzensgeld und weiterem Schadensersatz verurteilt. Hiergegen richtete sich die auf eine Klageabweisung zielende Berufung der Beklagten, die hilfsweise auch beantragt hatten, die Haftungsquote zu ihren Gunsten zu ändern.

Letzterem entsprach das Berufungsgericht mit seinem Urteil insoweit, als es die Haftungsquote des Klägers von 1/3 auf 40% erhöhte. Der Senat setzte sich zunächst mit der Frage auseinander, ob es sich bei dem vom Radfahrer benutzten Weg um einen untergeordneten „Feld- oder Waldweg“ handelte, was er nach längeren Ausführungen verneinte. Da der Weg als Straße einzuordnen war, bei der die Rechts-vor-Links-Regelung des § 8 Abs. 1 Satz 1 StVO gelte, bestand eine Vorfahrtsberechtigung des Radfahrers, die der VW-Bus-Fahrer verletzt hatte.

Ein erhebliches Mitverschulden des Radfahrers an dem Unfall sah der Senat jedoch, ebenso wie schon das Landgericht, darin, dass der Radler aufgrund der nicht sofort eindeutig zu beantwortenden Frage, ob es sich bei dem von ihm befahrenen Weg um einen Feldweg oder eine bevorrechtigte Straße handelte, eine strengere Sorgfalt hätte beachten müssen, was er nicht getan habe. Bereits aus diesem Fehlverhalten des Radfahrers hat das Gericht ihm eine Mitverschuldensquote von einem Drittel auferlegt.

Darüber hinaus hat der Senat den Mitverschuldensanteil des Radfahrers und damit seine Haftungsquote aber auch noch deswegen erhöht, weil er gegen die Obliegenheit verstoßen hatte, einen Fahrradhelm zu tragen. Hierzu hat der Senat ausgeführt, dass bei einem Radler, der, wie vorliegend der Fall, ein Rennrad mit Klickpedalen im freien Gelände benutzt, bereits ein sogenannter Anscheinsbeweis für eine „sportliche Fahrweise“ spreche, welche eine Obliegenheit zum Tragen eines Schutzhelms begründet. Da der Kläger neben zahlreichen schweren Verletzungen im Rumpfbereich auch Kopfverletzungen erlitten hatte, sprach, so der Senat, der Beweis des ersten Anscheins auch für einen ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Nichtbenutzen des Helms und den eingetretenen Kopfverletzungen.

Urteil des OLG München vom 03.03.2011″

Hier steht der Familienrechtler mit einem Bein im Knast…

Auch als Familienrechtler muss man ggf. gelegentlich mal über den Tellerrand, sprich in das StGB, schauen, um sich vor Schaden/Strafbarkeit zu bewahren. So in der Konstellation, wenn man als Rechtsanwalt in (zwar) getrennten Unterhaltsverfahren eines Elternteils gegen zwei seiner Kinder beide Beklagte vertritt.

Das OLG München sagt: Der Rechtsanwalt dient dann beiden Parteien in derselben Rechtssache und handelt auch pflichtwidrig, weil der Umfang des jeweiligen Prozesserfolgs erst zum Urteilszeitpunkt feststeht. Also: § 356 StGB steht drohend am Himmel (vgl. Urt. des OLG München v. 21.09.2010 – 5St RR (II) 246/10).

Auch das gibt es: Handeltreiben mit Betäubungsmitteln durch eine JVA-Bedienstete unter Einsatz ihrer weiblichen Reize

Ein interessanter Sachverhalt lag der hier nachlesbaren Entscheidung des OLG München v. 28.6.2010 – 5 St RR (I) 34/10 zugrunde.: Versuchter BtM-Handel in einer JVA und/unter Einsatz weiblicher Reize der JVA-Angestellten.

Die Entscheidung führt dann zu etwa folgenden Leitsätzen:

  1. Wer den Vertrieb von Betäubungsmitteln in einer Justizvollzugsanstalt in der Weise plant, dass er als dort Beschäftigter einem Strafgefangenen von ihm eingeschmuggelte Betäubungsmittel in beliebiger Menge sowie ein Mobiltelefon zur Verfügung stellen und an dem von dem Gefangenen erzielten Verkaufsgewinn hälftig partizipieren will, hat – wenn dies alles nur noch von der Zustimmung des Gefangenen abhängt – nach seiner Vorstellung von der Tat zur Verwirklichung des Tatbestands des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln unmittelbar angesetzt, da er Handlungen vorgenommen hat, die nach seiner Vorstellung im Falle des ungestörten Fortgangs ohne Zwischenakte unmittelbar in die Tatbestandserfüllung hätten einmünden können.
  2. Ein Strafgefangener in einer Justizvollzugsanstalt steht zu einer dort beschäftigten Sozialarbeiterin mit „Schlüsselgewalt“, die u.a. auch Deutschkurse und andere Werkprojekte leitet, in einem Unterordnungsverhältnis und ist ihr i.S. von § 174a Abs. 1 StGB „anvertraut“.
  3. Ergibt eine Gesamtschau, dass intime Kontakte bis zum Geschlechtsverkehr nicht auf einer Liebesbeziehung beruhen, sondern Teil der geplanten Vertriebskonzeption von Betäubungsmitteln sind, stellen sie einen sexuellen Missbrauch von Gefangenen dar.
  4. War der Gefangene mit den sexuellen Handlungen einverstanden, bedarf die Verhängung kurzfristiger Freiheitsstrafen für die Fälle des sexuellen Missbrauchs einer besonderen Begründung.