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StGB III: Parteivertreter nach erfolgloser Mediation, oder: Mediation als Teil anwaltlicher Berufstätigkeit

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Und dann noch der OLG Celle, Beschl. v. 26.08.2025 – 2 ORs 96/25 – zum Parteiverrat durch anwaltliche Vertretung nach erfolgloser Mediation.

Auszugehen ist von folgenden vom LG getroffenen Feststellungen: Der Angeklagte nahm im Oktober 2018 Kontakt zu der Zeugin P. auf. Die schwangere Zeugin hatte wegen einer Ehekrise kurz zuvor die Ehewohnung verlassen müssen und bemühte sich, von ihrem Ehemann verschiedene Gegenstände zu erlangen, die in der Wohnung verblieben waren. Der Angeklagte stellte sich der Zeugin als Rechtsanwalt und Mediator vor und bot an, zwischen ihr und ihrem Ehemann als „allseitiger“, „unabhängiger“ Mediator einen konstruktiven Dialog zwischen ihr und ihrem Ehemann in die Wege zu leiten. Dabei erklärte er, dass sich der Ehemann um die finanzielle Seite der Mediation kümmern wolle. Die Zeugin P. führte daraufhin ein etwa eineinhalb Stunden dauerndes Gespräch mit dem Angeklagten, in dem sie ihm detailliert ihre Sicht der Eheprobleme und ihren dringenden Bedarf an den Gegenständen schilderte. In der Folgezeit tauschte sich der Angeklagte mit ihr und ihrem Ehemann aus und berichtete ihr schließlich, dass ihr Ehemann „eine Gesamtlösung“ wolle und ein von der Zeugin angestrebter Termin zur Abholung der Gegenstände nicht stattfinde. Eine Einigung kam nicht zustande.

Im späteren Scheidungsverfahren zeigte der Angeklagte im Januar 2021 gegenüber dem AG an, dass er die rechtlichen Interessen des Zeugen P. vertrete, versicherte seine anwaltliche Bevollmächtigung und beantragte Akteneinsicht. Nach einer Rüge durch die Rechtsanwaltskammer legte er sein Mandat nieder.

Das AG hat den Angeklagten wegen Parteiverrats schuldig gesprochen, ihn verwarnt und eine Verurteilung zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 130 Euro vorbehalten. Die gegen das Urteil eingelegte Berufung des Angeklagten hat das LG verworfen. Die Revision des Angeklagten hatte keinen Erfolg:

„b) Das Landgericht hat es zu Recht als pflichtwidrig im Sinne des § 356 StGB gewertet, dass der Angeklagte nach dem Scheitern der Mediation den Ehemann der Zeugin P. anwaltlich vertreten hat. Diese Bewertung entspricht der ausdrücklichen Tätigkeitsbeschränkung aus § 3 Abs. 2 Satz 2 MediationsG, der bereits vor Inkrafttreten des Mediationsgesetzes ergangenen Rechtsprechung und der ganz überwiegenden straf- und berufsrechtlichen Literatur (OLG Karlsruhe, Urteil vom 26. April 2001 – 2 U 1/00 –, Rn. 2, juris; OLG Karlsruhe, Urteil vom 19. September 2002 – 3 Ss 143/01 –, Rn. 19, juris [mit Abgrenzung zur erfolgreichen einvernehmlichen Scheidung]; Wolter / Hoyer, SK-StGB – Kommentar, 10. Auflage 2023, § 356 StGB, Rn. 40; BeckOK StGB/Heuchemer/von Heintschel-Heinegg, 66. Ed. 1.8.2025, StGB § 356 Rn. 30; Lackner/Kühl/Heger/Heger, 30. Aufl. 2023, StGB § 356 Rn. 7a; MüKoStGB/Schreiner, 4. Aufl. 2022, StGB § 356 Rn. 69; Gillmeister in: Leipziger Kommentar zum StGB, 13. Auflage, § 356 StGB, Rn. 36; TK-StGB/Weißer/Bosch, 31. Aufl. 2025, StGB § 356 Rn. 22; Matt/Renzikowski/Matt, 2. Aufl. 2020, StGB § 356 Rn. 36; Weyland/Bauckmann, 11. Aufl. 2024, BRAO § 43a Rn. 70; BeckRA-HdB/Hamm, 12. Aufl. 2022, § 53. Rn. 47; Henssler/Prütting/Henssler, 6. Aufl. 2024, BRAO § 43a Rn. 251). Der Senat schließt sich dem an und teilt die Auffassung der Gesetzesbegründung zu § MediationsG, dass es dem Gebot der Unabhängigkeit und Neutralität in besonderem Maße widerspricht, wenn eine Mediatorin bzw. ein Mediator vor, während oder nach einer Mediation in derselben Sache für eine Partei tätig wird (BT-Drs. 17/5335, S. 16).

c) Auch im Übrigen tragen die Feststellungen des Landgerichts zum objektiven Tatbestand die Verurteilung wegen Parteiverrats gemäß § 356 Abs. 1 StGB.

Das Landgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass der Angeklagte für die Zeugin P. anwaltlich tätig geworden ist. Denn die Tätigkeit als Mediator ist, wenn sie von einem Rechts-anwalt vorgenommen wird, als Teilbereich der anwaltlichen Berufstätigkeit anzusehen; schlichten und vermitteln gehört seit jeher zum klassischen Aufgabenbereich des Rechtsanwalts (BGH, Beschluss vom 1. Juli 2002 – AnwZ (B) 52/01 –, juris, m. w. N.). § 18 BORA gibt diese klarstellend wieder (Henssler/Prütting/Busse, 6. Aufl. 2024, BORA § 18 Rn. 20; Kleine-Cosack/Kleine-Cosack, 9. Aufl. 2022, BORA § 18 Rn. 1). Entgegen der Revisionsbegründung stehen § 2 Abs. 3 RDG und § 45 BRAO dem nicht entgegen. Sie betreffen Fragen der nicht-anwaltlichen Mediation, die hier nicht in Rede steht.

Aufgrund der Feststellungen hat das Landgericht ebenfalls zu Recht angenommen, dass die Zeugin P. dem Angeklagten in der Auseinandersetzung mit ihrem Ehemann die Vertretung ihrer Interessen anvertraut hat. Denn dem Tatbestand des § 356 StGB unterfällt es auch, wenn dem Rechtsanwalt das Interesse an einer einvernehmlichen Lösung des Konflikts anvertraut wird (vgl. Lackner/Kühl/Heger/Heger, 30. Aufl. 2023, StGB § 356 Rn. 7a; Gillmeister in: Leipziger Kommentar zum StGB, 13. Auflage, § 356 StGB, Rn. 36). Die Kammer hat hierzu rechts-fehlerfrei festgestellt, dass der Angeklagte es übernommen hat, sowohl für sie als auch für ihren Ehemann tätig zu werden, um ihre gegensätzlichen Interessen „zu koordinieren“ und zwischen ihren widerstreitenden Interessen zu vermitteln.

Aus den Urteilsfeststellungen ergibt sich ferner, dass die Zeugin den Angeklagten zumindest faktisch mit der Vermittlung betraut hat, was für die Tatbestandserfüllung ausreicht (Wolter / Hoyer, SK-StGB – Kommentar, 10. Auflage 2023, § 356 StGB, Rn. 15; TK-StGB/Weißer/Bosch, 31. Aufl. 2025, StGB § 356 Rn. 8; OLG Köln, Beschluss vom 11.03.2002, 2 Ws 146/02, StraFo 2002, 205). Dass der ursprüngliche Auftrag an den Angeklagten den Feststellungen zufolge vom Ehemann und nicht von der Zeugin P. selbst erteilt worden ist, ist dabei unerheblich (BGH, Urteil vom 6. Oktober 1964 – 1 StR 226/64 –, BGHSt 20, 41-44, Rn. 3, juris; OLG Zweibrücken, Urteil vom 27.05.1994 – 1 Ss 12/94, beck-online). Auf das – teilweise ohnehin urteilsfremde – Revisionsvorbringen zu einem persönlichen Verhältnis des Angeklagten zum Ehemann kommt es ebenfalls nicht an, weil dies die anwaltlichen Pflichten des Angeklagten im Verhältnis zur Zeugin P. nicht berührt.

Soweit die Revision darauf abstellt, dass der Angeklagte nach der Formulierung des Landgerichts lediglich einen Mediationsversuch unternommen habe, ist damit ersichtlich der Versuch einer Einigung gemeint und nicht der Versuch, die Vermittlungen überhaupt zu beginnen. Die Feststellungen belegen, dass der Angeklagte nach dem langen Gespräch mit der Zeugin P. tatsächlich Handlungen mit dem Ziel der Vermittlung entfaltet und Kontakt zu ihrem Ehemann aufgenommen hat. Er handelte demnach bereits in Ausführung seines Auftrages. Der Begriff der Mediation schließt derartige Einzelgespräche ein (vgl. Greger/Unberath/Steffek/Greger, 2. Aufl. 2016, MediationsG § 2 Rn. 156).

Ebenfalls rechtsfehlerfrei ist die rechtliche Würdigung des Landgerichts, dass die einseitige Tätigkeit des Angeklagten im Scheidungsverfahren dieselbe Rechtssache wie seine vermittelnde Tätigkeit für beide Ehegatten betraf. Das Vorliegen desselben Rechtsstreits beurteilt sich nicht nach den geltend gemachten Ansprüchen, sondern nach der zumindest teilweisen Identität des Lebenssachverhalts (Gillmeister in: Leipziger Kommentar zum StGB, 13. Auflage, § 356 StGB, Rn. 109). Die häuslichen und ehelichen Beziehungen zwischen den Eheleuten begründen deshalb in Ehesachen dieselbe Rechtssache im Sinne des § 356 StGB, auch wenn aus ihnen verschiedenartige Ansprüche entspringen (MüKoStGB/Schreiner, 4. Aufl. 2022, StGB § 356 Rn. 51, beck-online; OLG Hamburg, Urteil vom 16. Dezember 2014 – 1 Rev 49/14 –, Rn. 15, juris; OLG Düsseldorf, Urteil vom 19. 2. 1958 – 2 Ss 14/58; RG, Urteil vom 05. Juli 1926 – III 357/26 –, RGSt 60, 298). Die dazu getroffenen Feststellungen des Landgerichts, wonach der Interessengegensatz bezüglich der Haushaltsgegenstände noch bis zur streitigen Scheidung andauere, tragen deshalb seine rechtliche Bewertung.

Zu Recht hat das Landgericht außerdem in der Vertretungsanzeige, der Vorlage der Vollmacht und dem Akteneinsichtsantrag im Scheidungsverfahren eine tatbestandsmäßige Dienstleistung des Angeklagten für den Ehemann der Zeugin P. erblickt (OLG Hamburg, Urteil vom 16. Dezember 2014 – 1 Rev 49/14 –, Rn. 19, juris, m. w. N.).

d) Die Feststellungen des Landgerichts zum subjektiven Tatbestand halten sachlich-rechtlicher Nachprüfung ebenfalls stand…..“

StGB III: Vertretung mehrerer Gläubiger im InsolvenzV, oder: Parteiverrat wegen widerstreitender Interessen

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Und dann zum Schluss des Tages noch den OLG Celle, Beschl. v. 02.10.2024 – 3 ORs 18/24 – zum Parteiverrat nach § 356 StGB.

Dazu folgender Sachverhalt:  Das AG und das LG haben den Angeklagten wegen Parteiverrat (§ 356 StGB) verurteilt. Der Angeklagte war als Rechtsanwalt damit beauftragt, in einem eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der T. P. GmbH die Interessen der Gläubigerinnen M. H. GmbH und M. P. GmbH & Co. KG zu vertreten und deren Forderungen durchzusetzen. Der Angeklagte gewann den Eindruck, dass der Geschäftsführer der Insolvenzschuldnerin der Insolvenzmasse Vermögensteile vorenthielt und dass der vorläufige Insolvenzverwalter und der vorläufige Gläubigerausschuss ihre Funktionen nicht ordnungsgemäß ausübten. Der Angeklagte wollte deshalb in der anberaumten Gläubigerversammlung eine Neubesetzung des Gläubigerausschusses erreichen. Um über die dafür notwendige Anzahl an Stimmen zu verfügen, benötigte der Angeklagte Vollmachten von weiteren Gläubigern. Diese wurden erteilt.

Der Angeklagte teilte dem AG seine Teilnahme an der Gläubigerversammlung als Vertreter von insgesamt sieben Gläubigern, darunter die M. H. GmbH, die M. P. GmbH & Co. KG sowie die Gläubiger J. und K., an und fügte als Anhang die Dateien der unterschriebenen Vollmachten bei. Im Prüfungsteil der Gläubigerversammlung bestritt der Angeklagte für die M. P. GmbH & Co. KG diverse angemeldete Forderungen. Darunter befanden sich auch die Forderungen des Gläubigers K. in Höhe von insgesamt 56.031,29 EUR und des Gläubigers J. in Höhe von insgesamt 60.834,01 EUR. Der Insolvenzverwalter hatte die Hauptforderungen K. und J. nicht bestritten. Ohne die Handlung des Angeklagten wären die Hauptforderungen der Gläubiger K. und J. in die Insolvenztabelle aufgenommen worden und diese hätten insoweit Zahlungstitel erlangt. Die Revision gegen das Berufungsurteil des LG war erfolgreich.

Ich stelle hier nur die Leitsätze des OLG ein. Wegen der Einzelheiten verweise ich auf den recht umfangreich begründeten Beschluss des OLG. Also:

1. Zwar beurteilen sich die anvertrauten Interessen im Sinne von § 356 Abs. 1 StGB nach dem Inhalt des dem Rechtsanwalt erteilten Auftrags, der maßgeblich vom Willen der Partei gestaltet wird. Beruhen die Feststellungen hierzu aber auf einer Beweiswürdigung, die einseitig auf die Sichtweise der Auftraggeber abstellt, kann dies rechtsfehlerhaft sein. Denn das Anvertrautsein einer Angelegenheit erfordert auch die Annahme des Auftrags durch den Rechtsanwalt, wobei diese ausdrücklich oder durch schlüssige Erklärung erfolgen kann.

2. Vertritt ein Rechtsanwalt mehrere Gläubiger und bevorzugt, nachdem ein Interessenkonflikt zwischen ihnen zu Tage getreten ist, einen der Gläubiger vor den anderen, so scheidet eine rechtfertigende Pflichtenkollision aus. Denn darin läge ein Wertungswiderspruch zu Sinn und Zweck des § 356 Abs. 1 StGB, der das Vertrauen der Allgemeinheit in die Zuverlässigkeit und Integrität der Rechtsanwaltschaft schützt. Außerdem bestehen bei einer solchen Sachlage keine gleichrangingen Pflichten gegenüber verschiedenen Mandanten; vielmehr hat die Pflicht zur Niederlegung aller Mandate Vorrang.

 

Divers II: Parteiverrat (§ 356 StGB) des Rechtsanwalts, oder: Begriff der „derselben Rechtssache“

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Als zweite Entscheidung dann der BayObLG, Beschl. v. 06.08.2021 – 201 StRR 66/21 – zum Begriff der „derselben Rechtssache“ i.S.v. § 356 Abs. 1 StGB.

Das LG hat den Angeklagten frei gesprochen und hat dazu folgende Feststellungen getroffen:

„1. Die Ehefrau des Zeugen Z ist Eigentümerin eines Grundstücks in der Gemeinde B, die der Verwaltungsgemeinschaft N (künftig: VG) angehört. Zwischen ihrem Grundstück und dem benachbarten Grundstück des T verläuft ein ca. 80 cm breiter Fußweg (Pfad), der als öffentlicher Weg in das Bestandsverzeichnis für öffentliche Straßen der Gemeinde eingetragen war. Im Jahr 2015 hatte die Gemeinde das Grundstück, auf dem der Pfad verläuft, an T veräußert, ohne die Eheleute Z hiervon in Kenntnis zu setzen. Dabei war seitens der Gemeinde übersehen worden, den noch als öffentliche Verkehrsfläche gewidmeten Pfad einzuziehen.

Am 28.08.2017 richtete der Zeuge Z an den als Rechtsanwalt tätigen Angeklagten per E-Mail eine Anfrage in Bezug auf den genannten Weg. Er machte darin deutlich, dass er den Pfad weiterhin nutzen möchte und fragte an, ob es ein Gewohnheitsrecht oder eine sonstige Rechtsgrundlage gäbe, auf die er sich berufen könne. Er wies darauf hin, dass ihm an einem guten Verhältnis zum Nachbarn gelegen sei und der Angeklagte daher mit diesem keinen Kon-takt aufnehmen solle.

Der Angeklagte antwortete dem Zeugen Z mit E-Mail vom 30.08.2017 und forderte ihn auf, zunächst bei der VG nachzufragen, ob das Wegegrundstück vor dem Verkauf als öffentliche Wegfläche im Straßenverzeichnis eingetragen war bzw. noch eingetragen ist, und ließ eine anwaltliche Handakte „Z gegen T wegen Wegerecht, Mandant: Z, Gegner: T“ anlegen. Der Zeuge Z erfuhr bei seiner Nachfrage bei der VG, dass der Pfad noch als öffentliche Wegfläche im Straßenbestandsverzeichnis eingetragen und dies beim Verkauf des Grundstücks an den Nachbarn offensichtlich übersehen worden ist. Dieser Fehler müsse nach Auskunft der VG korrigiert und die Entwidmung des Pfades in die Wege geleitet werden. Dies teilte der Zeuge Z dem Angeklagten mit E-Mail vom 01.09.2017 mit und machte deutlich, dass gegen die beabsichtigte Entwidmung „Einspruch“ eingelegt werden müsse; sein Nachbar plane, auf dem Weggrundstück einen Fahnenmast zu errichten. Der Angeklagte antwortete mit E-Mail vom 04.09.2017 dahingehend, dass die VG veranlasst werden könne, Baumaßnahmen auf dem Pfad zu verhindern, solange dieser noch öffentlich gewidmet ist.

Der Zeuge Z hatte mit weiterer E-Mail vom 03.09.2017 dem Angeklagten den Entwurf eines Schreibens an den damaligen Geschäftsstellenleiter der VG beigefügt, in welchem er auf die Bedeutung der Nutzung des Pfades für die Eheleute Z hinwies und aufzeigte, welche Möglichkeiten für ihn in Betracht kämen, um den Pfad weiter nutzen zu können. Dabei sprach er auch an, dass im Fall einer Entwidmung die Eheleute Z eine Klage gegen die Gemeinde beabsichtigen. Nachdem der Zeuge Z auf seine E-Mail vom 03.09.2017 entgegen seiner Erwartung keine Antwort erhalten hatte, rief er den Angeklagten zwischen dem 04.09.2017 und dem 08.09.2017 in der Kanzlei an. Der Angeklagte, der sich zu diesem Zeitpunkt möglicherweise in einem Mandantengespräch befand und an einem raschen Ende des Gesprächs mit dem Zeugen Z interessiert war, gab die Auskunft, dass der Zeuge Z allenfalls gegen den Nachbarn vor-gehen könne und nicht gegen die Gemeinde, gegen die er keine Chancen habe.

Nachdem der Angeklagte bis zum 16.11.2017 (Wiedervorlagetermin) nichts mehr von dem Zeugen Z gehört hatte, fragte er bei diesem an, ob sich die Angelegenheit für ihn erledigt habe, was dieser mit E-Mail vom selben Tag bejahte. Mit Schreiben vom 17.11.2017 übersandte der Angeklagte daraufhin eine Rechnung in Höhe der Erstberatungsgebühr.

Der Gemeinderat von B fasste in der Sitzung vom 17.11.2017 – was dem Angeklagten bis dahin nicht bekannt war – den Beschluss, den genannten Pfad als öffentlichen Weg einzuziehen. Dies wurde im Amtsblatt der Gemeinde vom 02.03.2018 bekannt gemacht. Mit Schriftsatz ihrer anwaltlichen Vertreter vom 28.03.2018 erhob die Ehefrau des Zeugen Z Klage zum Verwaltungsgericht gegen die VG mit dem Antrag, die Einziehung des Weges aufzuheben. Mit E-Mail vom 25.07.2018 bat die nunmehrige Geschäftsstellenleiterin der VG den Angeklagten darum, die Gemeinde B in der genannten Verwaltungsstreitsache anwaltlich zu vertreten. Der Ange-klagte machte nach Durchsicht der Handakte in Sachen „Z gegen T“ mit E-Mail vom 26.07.2018 darauf aufmerksam, dass er den Ehemann der Klägerin beraten und darauf hin-gewiesen habe, dass die verkaufte Wegfläche noch öffentlich gewidmet sei und “wir für die Verwaltungsgemeinschaft tätig sind und keine Möglichkeit sehen, gegen eine Entwidmung des Weges vorzugehen“; der Zeuge Z habe das Mandat mit E-Mail vom 16.11.2017 beendet. Er sei zur Vertretung der Gemeinde bereit, es solle aber zunächst beim zuständigen Bürgermeister nachgefragt werden, ob dieser aufgrund der Vorberatung für Herrn Z eine Befangenheit bzw. Interessenkollision sehe. Nachdem dies seitens der Geschäftsstellenleiterin verneint worden war, hat der Angeklagte mit E-Mail vom 03.08.2018 die Übernahme des Mandats bestätigt.

Mit Schriftsatz vom 27.08.2018 wiesen die gegnerischen Anwälte den Angeklagten darauf hin, dass er bereits einmal für ihre Mandantschaft tätig gewesen sei und baten um Überprüfung. Mit Schreiben vom 27.08.2018 antwortete der Angeklagte u.a., dass sich die vorgerichtliche Beratung auf den Hinweis beschränkt habe, dass der Weg erst noch entwidmet werden müsse und dass dagegen dann vorgegangen werden könne. An dieser Stelle sei sodann die Beratung einvernehmlich beendet worden.

Nachdem der Angeklagte die VG zunächst in der Verwaltungsstreitsache gegen Frau Z wegen Einziehung eines Weges vor dem Verwaltungsgericht vertreten hatte, zeigte er am 27.02.2019 gegenüber dem Verwaltungsgericht die Niederlegung seines Mandates an.“

Das BayObLG sieht das anders und hat aufgehoben und zurückverwiesen. Hier die Leitsätze der Entscheidung:

 

  1. Ob das Tätigwerden eines Rechtsanwalts „dieselbe Rechtssache“ i.S.v. § 356 Abs. 1 StGB betrifft, hängt entscheidend vom sachlich-rechtlichen Inhalt der anvertrauten Angelegenheit ab. Dieselbe Rechtssache ist daher auch gegeben, wenn in Verfahren verschiedener Art und ver-schiedener Zielrichtung ein und derselbe Sachverhalt maßgeblicher Verfahrensgegenstand ist. Zwar hängt es vom Willen des Rechtsanwalts ab, wie weit er ein Mandat übernehmen will, nicht aber, wie weit sich der Streitstoff erstreckt. Denn die rechtlichen Beziehungen eines Lebenssachverhaltes bestehen unabhängig vom Parteiwillen.

  2. Für die Pflichtwidrigkeit i.S.v. § 356 Abs. 1 StGB kommt es auf die Identität des Verfahrens-stoffes und die Gegensätzlichkeit der sich aus diesem Verfahrensstoff ergebenden Interessen zu dem Zeitpunkt an, zu dem der Rechtsanwalt von der weiteren Partei beauftragt wird; uner-heblich ist, ob eine solche Entwicklung vorauszusehen war, solange das frühere Auftragsver-hältnis Bestand hatte. Die rechtliche Gebundenheit des Rechtsanwalts an seinen Auftraggeber dauert über die Beendigung des Auftrags hinaus fort.

  3. Vorsatz hinsichtlich des Tatbestandsmerkmals „in derselben Sache“ erfordert, dass sich der Täter der Identität des materiellen Rechtsverhältnisses bewusst ist und in dem neuen Auftrag den alten Streitstoff wiedererkennt. Kennt er die Umstände nicht, aus denen sich der Begriff derselben Rechtssache ergibt, fehlt es am Vorsatz. Verkennt der Täter dagegen trotz Kenntnis der Sachlage die rechtliche Tragweite der Norm und irrt er über den gesetzlichen Begriff „derselben Rechtssache“, so unterliegt er einem Verbotsirrtum

TOA II: Täter-Opfer-Ausgleich beim Parteiverrat, oder: Opferloses Delikt

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Bei der zweiten Entscheidung, die ich vorstelle, handelt es sich um den BGH, Beschl. v. 14.07.2020 – 4 StR 611/19. Der Beschluss beendet ein Strafverfahren, das schon länger läuft und über das ich hier auch berichtet habe, und zwar mit: Parteiverrat?, oder: Wenn der Rechtsanwalt gegen die ausdrückliche Weisung des Mandanten handelt und mit: Schwerer Parteiverrat?, oder: Gemeinsames “Schädigungsbewusstsein” von Anwalt und Gegenseite erforderlich).

Der BGH hatte mit dem BGH, Beschl. v. 21.11.2018 – 4 StR 15/18 – ein erstes Urteil des LG Münster im Strafausspruch aufgehoben. Damit stand dann nur noch die Entscheidung über die Strafhöhe an. Über die hatte das LG Münster dann am 11.05.2019 entschieden, ich meine mit einer Freiheitsstrafe von 10 Monaten mit Strafaussetzung zur Bewährung. Dagegen dann noch einmal die Revision, die der BGH nun verworfen hat. Er „merkt“ nur noch an:

„Der Senat merkt an:

Wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift zutreffend ausgeführt hat, findet die Regelung des § 46a Nr. 1 StGB nach der vom Senat zur Unanwendbarkeit dieser Vorschrift auf „opferlose“ Delikte entwickelten Rechtsprechung (vgl. BGH, Urteil vom 4. Dezember 2014 ? 4 StR 213/14, BGHSt 60, 84; Schneider in LK-StGB, 13. Aufl., § 46a Rn. 12 ff.) auf Taten nach § 356 StGB keine Anwendung. Denn die Strafvorschrift des Parteiverrats schützt keine Individualrechtsgüter, sondern das Vertrauen der Allgemeinheit in die Zuverlässigkeit und Integrität der Anwalt- und Rechtsbeistandschaft (vgl. BGH, Urteile vom 21. Juli 1999 ? 2 StR 24/99, BGHSt 45, 148, 153; vom 24. Juni 1960 ? 2 StR 621/59, BGHSt 15, 332, 336; BVerfG, NJW 2001, 3180, 3181; HansOLG Hamburg, StV 2017, 184).“

Parteiverrat?, oder: Wenn der Rechtsanwalt gegen die ausdrückliche Weisung des Mandanten handelt

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In der vergangenen Woche ist beim LG Münster ein Strafkammerverfahren zu Ende gegangen, in dem der betroffene Rechtsanwalt wegen Parteiverrats (§ § 356 StGB) angeklagt war. Der Kollege ist vom LG wegen (schweren) Parteiverrats nach § 356 Abs. 2 StGB zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten auf Bewährung verurteilt worden. Gegen das Urteil ist Revision eingelegt.

Lassen wir jetzt mal die berufsrechtlichen Folgen dieser Verurteilung außen vor – Anwaltszulassung, Notarzulassung, Honorarprofessur, Bundesverdienstkreuz „wackeln“. Interessant ist m.E. vor allem auch die Frage, die der BGH beantworten muss, nämlich: Handelt es sich um Parteiverrat, wenn der Rechtsanwalt gegen den ausdrücklich erklärten Willen des Mandanten handelt? Das war hier nämlich wohl der Fall:

Ausgangspunkt ist ein Verfahren, das 2012 beim BVerwG anhängig war (vgl. auch hier). Der Kollege hat mehrere Kläger aus Oldenburg vertreten, darunter auch die Stadt, eine Wohnungsbaugesellschaft, eine Stiftung und Privatleute. Beklagte war die Deutsche Bahn, die die Bahnstrecke zum Tiefwasserhafen „Jade Weser Port“ im nahen Wilhelmshaven ausbauen will – streckenweise wohl mitten durch das Oldenburger Stadtgebiet. In dem Verfahren vor dem BVerwG hat die DB einen Vergleich angeboten, der Lärmschutzmaßnahmen für die betroffenen Wohngebiete in Oldenburg vorsah. Der Kollege hat seinen Mandanten geraten, das Angebot anzunehmen. Einige der Kläger, u.a. die Stadt Oldenburg, willigten ein. Nicht die privaten Kläger, die die ausdrückliche Weisung erteilt hatten, keinen Vergleich abzuschließen. Und darum ging es dann im Strafverfahren.

Das LG ist wegen des Vergleichsschlusses von Parteiverrat ausgegangen. Dazu aus der „WN„: Der münsterische Anwalt zeigt sich weiterhin überzeugt, dass er mit dem angestrebten Vergleich das Beste für alle seinen Mandanten habe erreichen können. Der Richter sieht das anders. „Es ist nun mal der Mandant, der die Prozessziele festlegt.“

Ich bin gespannt, was der BGH macht. Ganz „unstreitig“ war die (Rechts)Frage nicht. Die Staatsanwaltschaft und die GStA hatten nämlich die Tatbestandsmäßigkeit verneint. Das OLG Hamm hatte dann im Klageerzwingungsverfahren mit OLG Hamm, Beschl. v. 09.10.2014 – 4 Ws 227/14 – die Erhebung der Anklage angeordnet.