Schlagwort-Archive: OLG München

Klage eines „besoffenen“ (?) Fußgängers abgewiesen, aber: – OLG München watscht LG Passau ab

© Alex White - Fotolia.com

© Alex White – Fotolia.com

Beim Lesen des OLG München, Urt v. 16.01.2015 – 10 U 1930/14 – habe ich nur gedacht: Man da holt sich das LG aber eine Abfuhr ab bzw. wird „abgewatscht“. Abgewiesen worden war vom LG die Schmerzensgeldklage eines Fußgängers, der von einem Pkw beim Überqueren der Fahrbahn in einer Fußgängerfurt erfasst wurde. Das LG hatte eine Sorgfaltspflichtverletzung des Kraftfahrers verneint und war davon ausgegangen, dass die Haftung für Betriebsgefahr von grobem Mitverschulden des Klägers – offenbar wegen einer vom LG angenommen Alkoholisierung – verdrängt werde. Das gefällt dem OLG so aber nun gar nicht – man könnte auch sagen, dass das LG seine Hausaufgaben nicht gemacht hat. Jedenfalls spricht das OLG-Urteil eine deutliche Sprache, wenn es heißt:

  • Dieses Ergebnis entbehrt jeglicher tragfähiger Grundlage
  • Das Landgericht hatte die für den Streitgegenstand entscheidungserheblichen Tatsachen verfahrensfehlerhaft nicht ansatzweise vollständig festgestellt.“
  • Der „unstreitige Tatbestand des Ersturteils steht einer erneuten Sachprüfung nicht entgegen, weil er hinsichtlich der Alkoholisierung des Klägers widersprüchlich und sich nicht auf erwiesene Tatsachen stützen kann. Eine Atemluftalkoholkonzentration von 1,09 mg/l um 19.00 Uhr (EU 3 = Bl. 71 d.A.) ist niemals festgestellt worden und steht in beweisvernichtendem Widerspruch (§ 314 S. 2 ZPO) zum Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 07.04.2014, (Bl. 50/60 d.A.). ...“

In der Schule würde es heißen: Setzen, mangelhaft …. :-).

Oder vielleicht doch noch mehr? Denn:

„(2) Das Landgericht hat auch die Auswirkungen der zum Unfallzeitpunkt wirksamen Alkoholbeeinflussung des Klägers auf die Unfallursache nicht geklärt. Es ist rechtsfehlerhaft, den angetrunkenen Zustand eines Unfallbeteiligten allein aufgrund einer Atemluftalkoholmessung für geklärt zu halten, die von der Polizei als nicht gerichtsverwertbar eingeschätzt wird. Dies gilt verstärkt, wenn naheliegende Aufklärungsmöglichkeiten, etwa die Vernehmung des die Kontrolle durchführenden Polizeibeamten, ohne jeden Grund außer Acht gelassen werden.

und:

„Dagegen war die Rechtsauffassung des Erstgerichts, nach Sachlage seien Sorgfaltspflichtverletzung und Verschulden des Beklagten zu 1) ausgeschlossen, mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelungen nicht vereinbar und deswegen nicht mehr vertretbar. Hinsichtlich der verkehrsrechtlichen Sorgfaltspflichten von Kraftfahrern gegenüber Fußgängern, die die Fahrbahn queren wollen, wird ergänzend auf die ausführlichen Hinweise des Senats (v. 22.10.2014, S. 2-5 = Bl. 101/105 d.A., unter a), aa) – ee) Bezug genommen.

In gleicher Weise und aus den gleichen Gründen war die Rechtsauffassung des Erstgerichts, das Mitverschulden des Klägers sei so gewichtig, dass es sogar die Betriebsgefahr des Fahrzeugs der Beklagten verdränge, nicht mehr vertretbar.“

Lassen wir die Frage der endgültigen Benotung offen. Eins ist allerdings sicher: An dem landgerichtlichen Urteil passte aber nun auch gar nichts….

Der Überholer war besoffen – wie wird gehaftet?, oder: Erschüttert das den Anscheinsbeweis?

© ExQuisine - Fotolia.com

© ExQuisine – Fotolia.com

Das OLG München, Urt. v. 23.01.2015 – 10 U 299/14 – geht von folgendem Sachverhalt aus: Zugrunde liegt ein Zusammenstoß am 29.04.2011 gegen 17.15 Uhr zwischen dem klägerischen Pkw Mercedes Sprinter und dem Pkw Renault Laguna des Beklagten zu 1). Das klägerische Fahrzeug, gesteuert von seinem Angestellten F., wollte – auf Höhe des Anwesens Nr. 3 in der H.-Straße in M. in südwestlicher Richtung fahrend – nach links in eine Grundstückseinfahrt abbiegen oder wenden, als der Beklagte zu 1) sich zum Überholen entschlossen hatte. Es kam zur Kollision und die Parteien habden dann darum gestritten, wer wie haftet.

Das OLG München sagt:

1. Kommt es zu einer Kollision eines nach links in eine Grundstückseinfahrt abbiegenden Fahrzeugs mit einem überholenden Fahrzeug, so haftet der Linksabbieger allein, wenn sich der Überholvorgang als verkehrsgerecht darstellt und er insbesondere den Nachweis, dass der Fahrtrichtungsanzeiger betätigt wurde, nicht führen kann.
2. Dabei ist eine nachgewiesene Alkoholisierung des überholenden Fahrers ohne Bedeutung, wenn nicht feststeht, dass sie für den Unfall ursächlich geworden ist. Hiervon ist nicht auszugehen, wenn sich der Überholvorgang bei geringer Geschwindigkeit als verkehrsgerecht dargestellt hat.

Im Urteil dann ganz interessante Ausführungen des OLG zum Anscheinsbeweis, vor allem auch im Hinblick auf die Auswirkungen der Alkoholisierung des Beklagten, mit denen der Kläger gegen den gegenihn als Linksabbbier sprechenden Anscheinsbeweis argumentiert hatt:

„(3) Zuletzt wird eine Anscheinsbeweislage nicht aufgehoben durch die Alkoholisierung des Beklagten, unabhängig davon, ob die im unstreitigen Tatbestand des Ersturteils festgestellte Blutalkoholkonzentration von 1,04 Promille, oder – wie vom Kläger gewünscht – bis zu 1,4 Promille zugrunde gelegt wird. Selbst eine Alkoholisierung im Bereich der absoluten Fahruntüchtigkeit erlaubt keinen Rückschluss auf die Unfallursache, darf vielmehr bei der Abwägung nach § 17 StVG nur berücksichtigt werden, wenn sie sich nachweislich in dem Unfall niedergeschlagen hat (BGH NJW 1995, 1029 [BGH 10.01.1995 – VI ZR 247/94]). Aus diesem Grund ist ein unfallursächlicher Verstoß das alkoholisierten Kraftfahrers vorauszusetzen, bevor – aufgrund der Alkoholisierung, gegebenenfalls in Form eines Anscheinsbeweises – darauf geschlossen werden kann, der Unfall habe sich in einer Verkehrslage ereignet, die ein nüchterner Kraftfahrer problemlos hätte meistern können (BGH NJW 1976, 897 [BGH 24.02.1976 – VI ZR 61/75]: Fußgänger, zusätzlich zur Alkoholisierung unmotiviertes Liegen auf der Fahrbahn; OLG Stuttgart r + s 1988, 329 [Volltext BeckRS 2008, 19041: zusätzlich stark überhöhte Geschwindigkeit; OLG Hamm NZV 1995, 483 [OLG Hamm 10.10.1994 – 6 U 334/91]; OLG Köln VersR 2002, 1040; KG Urt. v. 21.06.1990 – 12 U 3456/89 [BeckRS 1990, 07643: Alkoholisierung nicht ursächlich, weil ohnehin schuldhaftes Überholen einer unübersichtlichen Kolonne]; OLG Celle, Urt. v. 29.09.2010 – 14 U 27/10 [BeckRS 2011, 14566: zusätzlicher Verstoß gegen § 1 II StVO gefordert, aber nicht erweislich]; Senat, Beschl. v. 12.11.2014 – 10 U 3222/14: zusätzlich zur Alkoholisierung nicht rechtzeitige Ausweichreaktion erforderlich).

Deswegen ist ein Zusammenstoß des Linksabbiegers mit dem Überholenden nicht schon dann „nicht mehr typisch“, wenn und weil der Überholende alkoholisiert war. Anderenfalls stünde jede der bisherigen Anscheinsbeweislagen unter dem Vorbehalt, dass keiner der beteiligten Fahrzeugführer alkoholisiert wäre, während andererseits neue Anscheinsbeweislagen mit alkoholisierten Beteiligten zu entwickeln wären. Zudem verlöre die ständige Rechtsprechung des BGH, dass die Unfallursächlichkeit der Alkoholisierung festzustellen sei, jeden Anwendungsbereich. Die Anscheinsbeweislagen des Abbiegens in ein Grundstück oder Wendens einerseits, der alkoholbedingten absoluten Fahruntüchtigkeit andererseits stehen in einem Stufenverhältnis: Zunächst ist bei anzuwendendem Anscheinsbeweis gegen den Linksabbieger zu klären und im Strengbeweisverfahren festzustellen, ob ein Fehlverhalten des anderen Verkehrsteilnehmers vorliegt, dass den Anscheinsbeweis erschüttert. Sollte das nicht der Fall sein, kommt es auf dessen Alkoholisierung nicht mehr an. Werden dagegen eine Pflichtwidrigkeit oder ein Sorgfaltsverstoß des zunächst vom Anscheinsbeweis Begünstigten festgestellt, spricht jedenfalls im Fall der absoluten Fahruntüchtigkeit ein Beweis des ersten Anscheins dafür, dass die Alkoholisierung unfallursächlich geworden ist, wenn sich der Unfall in einer Verkehrslage und unter Umständen ereignet hat, die ein nüchterner Fahrer hätte meistern können.

Verteidigung zum (teilweisen) Nulltarif – gibt es den im NSU-Verfahren?

© mpanch - Fotolia.com

© mpanch – Fotolia.com

Über die Gebührenentscheidungen des 6. Strafsenats des OLG München im NSU-Verfahren habe ich ja schon mehrfach berichtet (vgl. u.a. hier den OLG München, Beschl. v. 09.09.2013 –  6 St (K) 1/13  und das  Das Sonderopfer des Pflichtverteidigers – bei 6,49 €/Stunde nicht?) sowie der OLG München, Beschl. v. 04.08. 2014 – 6 St (K) 22/14, und dazu Das NSU-Verfahren schreibt auch “Gebührengeschichte”, oder: Ein bitterer Beschluss des OLG München). Und die „Gebührengeschichte“ geht weiter mit dem OLG München, Beschl. v. 15.09.2014 – 6 St (K) 24/14 (1), der den Beschluss vom 04.08.2014 fortführt, allerdings m.E. nicht im Guten.

Es geht um folgendes: Der Pflichtverteidiger hatte einen weiteren Vorschuss auf seine Pauschgebühr beantragt (§ 51 Abs. 1 Satz 5 RVG) und die u.a. mit dem 27.05.2014 geplatzten Hauptverhandlungstermin begründet. Das hatte der Senat abgelehnt. Dazu nimmt er nun aufgrund einer Gegenvorstellung des Pflichtverteidigers noch einmal Stellung:

Die Gegenvorstellung des Antragstellers gegen den Beschluss des Senates vom 8.9.2014, 6 St (k) 24/14, ist jedenfalls unbegründet.

a) Der Senat hat die Erinnerung des Antragstellers gegen die Entscheidung des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle vom 27.6.2014, mit der dieser die für den abgesetzten Hauptverhandlungstag vom 27.5.2014 in Ansatz gebrachte gesetzliche Terminsgebühr abgelehnt hatte, als unbegründet verworfen. Auf den dem Antragsteller bekannten Beschluss des Senats vom 4.9.2014, 6 St (k) 22/14, wird Bezug genommen.

Mit Senatsbeschluss vom 8.9.2014, 6 St (k) 24/14, hat der Senat die Bewilligung eines Vorschusses auf eine zu erwartende Pauschvergütung für den abgesetzten Hauptverhandlungstermin vom 27.5.2014 abgelehnt.

Der Antragsteller meint mit Telefaxschreiben vom 9,9.2014, das als Gegenvorstellung gegen des Senatsbeschluss vom 8.9.2014, 6 St (k) 24/14, auszulegen ist, es sei ihm nicht zuzumuten, diesen Tag, an dem er abgesehen von einem Haftbesuch bei seiner Mandantin wegen Kanzleiabwesenheit anwaltlich nicht habe tätig werden können, nicht vergütet zu bekommen. Die Bewilligung einer Pauschvergütung setze das Entstehen einer regulären Terminsgebühr nicht voraus.

b) Dem Antragsteller kann für den abgesetzten Hauptverhandlungstermin am 27.5.2014 ein Vorschuss auf eine zu erwartende Pauschvergütung nicht bewilligt werden, da bereits eine gesetzliche Terminsgebühr, wie der Senat in seinem Beschluss vom 4.8.2014, 6 St (k) 22/14, ausgeführt hat, nicht angefallen ist. Die Voraussetzungen, unter denen ein derartiger Vorschuss bewilligt werden kann, ergeben sich aus § 51 Abs. 1 RVG. Nach § 51 Abs. 1 Satz 1 RVG kann eine Pauschvergütung bewilligt werden, wenn die „in den Teilen 4 bis 8 des Vergütungsverzeichnisse bestimmten Gebühren“ nicht zumutbar sind. § 51 Abs. 1 Satz 3 RVG legt fest, dass „die Gebühren nach dem Vergütungsverzeichnis zu bezeichnen sind, an deren Stelle die Pauschvergütung tritt“, wenn sich die Bewilligung auf einzelne Verfahrensabschnitte beschränkt. Die Bewilligung einer Pauschvergütung bzw. eines Vorschusses auf eine zu erwartende Pauschvergütung setzt damit den Anfall einer gesetzlichen Gebühr voraus, deren Höhe aber unzumutbar ist. Der Gesetzeswortlaut ist eindeutig. Die Vergütung anwaltlicher Tätigkeit ergibt sich aus dem Gesetz (§ 1 Abs. 1 Satz 1 RVG) und nicht aus allgemeinen Überlegungen.“

Zwar starke Worte, aber m.E. leider falsch. Denn, wenn man schon den abgesetzten Hauptverhandlungstermin vom 27.05.2014 nicht mit einer Terminsgebühr honorieren will, wie es das OLG im Beschl. v. 4. 8. 2014 (getan hat, dann muss man m.E. aber die vom Verteidiger insoweit erbrachten Tätigkeiten bei der Bemessung der gerichtlichen Verfahrensgebühr Nr. 4118 VV RVG heranziehen. Alles andere würde bedeuten, dass der Rechtsanwalt seine insoweit erbrachten Tätigkeiten nicht erstattet bekommen würde. Das würde dann aber sicherlich zu einem unzumutbaren Sonderopfer führen. Die Vergütung anwaltlicher Tätigkeit ergibt sich, das hat das OLG richtig erkannt – aus dem Gesetz (§ 1 Abs. 1 Satz 1 RVG). Maßgeblich ist insoweit i.d.R. die Verfahrensgebühr, die alle Tätigkeiten des Rechtsanwalts, wenn nicht besondere Gebühren vorgesehen sind (Vorbem. 4 Abs. 2 VV RVG), wie z.B. Terminsgebühren. Verneint man aber eine Terminsgebühr für den geplatzten Hauptverhandlungstermin (Nr. 4120 VV RVG), muss man die insoweit erbrachten Tätigkeiten bei der gerichtlichen Verfahrensgebühr (Nr. 4118 VV RVG berücksichtigen. Alles andere führt zu einer Verteidigung zum teilweisen „Nulltarif“. Aber vielleicht will das OLG den ja auch einführen.

Das NSU-Verfahren schreibt auch „Gebührengeschichte“, oder: Ein bitterer Beschluss des OLG München

© Alex White - Fotolia.com

© Alex White – Fotolia.com

Das NSU-Verfahren beim OLG München wird sicherlich nicht nur wegen seines Inhalts und seiner Dauer Rechtsgeschichte schreiben, sondern: Es schreibt auch „Gebührengeschichte“. Über den OLG München, Beschl. v. 09.09.2013 –  6 St (K) 1/13  betreffend den Vorschuss auf eine Pauschgebühr hatte ich ja schon berichtet (vgl. Das Sonderopfer des Pflichtverteidigers – bei 6,49 €/Stunde nicht?). In die Kategorie der „bemerkenswerten“ gebührenrechtlichen Entscheidungen des Einzelrichters des Senats gehört m.E. auch der OLG München, Beschl. v. 04.08. 2014 – 6 St (K) 22/14, der sich mit dem Anfall der Terminsgebühr für einen sog. „geplatzten Termin“ (Vorbem. 4 Abs. 3 Satz 2 VV RVG) befasst.

Grundlage der FehleEntscheidung war folgender Sachverhalt: Im Verfahren waren Hauptverhandlungstermine für den 26., 27. und 28.05.2014 anberaumt. Einer der Pflichtverteidiger, in Köln ansässig, hielt sich bereits wegen des Hauptverhandlungstermins vom 26.05.2014 am 26.05.2014 in München auf. An diesem Tag wurde der Hauptverhandlungstermin vom 27.o5.2014 abgesetzt und der Rechtsanwalt abgeladen. Der Pflichtverteidiger hat dann später beantragt, für die Teilnahme an der Hauptverhandlung in der Zeit vom 06.05. 2014 bis zum 05.06. 2014 (110. bis 119. Hauptverhandlungstag) gesetzliche Gebühren festzusetzen. Dabei hat er auch für den ausgefallenen eigentlichen 116. Hauptverhandlungstag am 27.05.2014 eine Terminsgebühr Nr. 4121 VV RVG in Ansatz gebracht. Diese ist nicht gewährt worden. Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle hat das damit begründet, dass die Abladung am 26.05.2014 rechtzeitig erfolgt sei. Für den Anfall der Gebühr genüge nicht die Anreise zum Termin, mit der Absicht, an diesem teilzunehmen. Die dagegen gerichtete Erinnerung des Rechtsanwalts hatte keinen Erfolg.

Das OLG befasst sich zunächst noch einmal, mit der Frage, wann grundsätzlich eine Gebühr für einen „geplatzten Termin“ entstehen kann. Und: Wie nicht anders zu erwarten: Es zementiert seine Sinn und Zweck der Vorschrift widersprechende Auffassung, dass das Entstehen der Terminsgebühr von der Teilnahme an bzw. dem Erscheinen zu einem anberaumten Termin abhängig ist. Zu einem Termin erscheine ein Rechtsanwalt aber (nur), wenn er im Gerichtsgebäude mit dem Ziel der Teilnahme an dem Gerichtstermin körperlich anwesend ist (OLG München RVGreport 2008, 109 = NStZ-RR 2008, 159 = RVGprofessionell 2008, 104 = AGS 2008, 233 = StRR 2008, 199 = NJW 2008, 1607 = JurBüro 2008, 418 m. abl. Anm. Kotz; Beschl. v. 14.o3.2014 – 6 St (K) 5/14; Beschl. v. 19. 7. 2013, 6 St (K) 15/13). So weit – zwar nicht so gut, aber alles andere als diesen Beton hätte mich überrascht. Dazu ist auch schon manches gesagt, es bringt nichts, es zu wiederholen. Es interessiert offenbar nicht.

Viell schlimmer finde ich dann die Argumentation des OLG zur „rechtzeitigen Abladung“, die dahin geht: Selbst wenn der Verteidiger im Gericht erschienen wäre, wäre die Terminsgebühr nicht angefallen, da dem  Verteidiger zu diesem Zeitpunkt bekannt gewesen sei, dass der Termin rechtzeitig abgesetzt worden war. Der Hauptverhandlungstermin vom 27.05.2014 wurde durch Verfügung des Senatsvorsitzenden vom 26.05.2014 abgesetzt worden; die Prozessbeteiligten seien am 26.05. 2014 zwischen 13:21 Uhr und 15:42 Uhr per Telefax abgeladen worden. Der Rechtsanwalt stehe auf dem Sendeprotokoll an zweiter Stelle; der Sendevermerk trage den Kommentar „ok“. Es obliege dem Rechtsanwalt sicherzustellen, dass er von eingehenden Telefaxschreiben zeitnah Kenntnis nehmen könne. Allein die Anreise zu den Terminen vom 26., 27. und 28.05.2014 könne eine Terminsgebühr nicht begründen, so dass es nicht mehr darauf ankomme, ob der Antragsteller mit der Anreise zum 26.05. 2014 zugleich für die Folgetermine am 27. und 28.05.2014 angereist sei.

Dazu an dieser Stelle (nur). Wenn man für den Anfall der Terminsgebühr die Frage stellen will/muss, wann der Rechtsanwalt zu einem Termin angereist ist, dann will das OLG offenbar an der Stelle (demnächst) „das Fass aufmachen“ und in vergleichbaren Fällen sagen, die Anreise zu einem ersten von drei nacheinander terminierten Hauptverhandlungsterminen sei nicht zugleich auch die Anreise zu dem zweiten und dritten. Wie – bitte schön – soll der Rechtsanwalt dann zu diesen Terminen anreisen? Das muss das OLG dann aber auch sagen, wenn man nicht die Gebühr Vorbem. 4 Abs. 3 Satz 2 VV RVG, die dem OLG, was m.E. deutlich erkennbar ist, nicht schmeckt, nicht ad absurdum führen will.Damit korrespondieren die für mich nicht nachvollziehbaren, wenn nicht sogar zynischen, zumindest aber besonders bitteren Ausführungen des OLG zur Rechtzeitigkeit der Abladung. Denn danach gilt: In – dem hier entschiedenen Fall – vergleichbaren Fällen soll auch die Abladung, die den Rechtsanwalt erst vor Ort erreicht, immer (noch) rechtzeitig sei. Folge: Der Rechtsanwalt kann in diesen Fällen also nie die Festsetzung einer Terminsgebühr nach  erreichen, weil ihm immer Satz 3 entgegen gehalten werden kann und im Zweifel auch, wie schon die Argumentation der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle zeigt, auch entgegen gehalten wird. Damit befindet sich der Rechtsanwalt in einem Teufelskreis und die Terminsgebühr Vorbem. 4 Abs. 3 Satz 2 VV RVG ist Makulatur, aber die (bayerische) Staatskasse ist auf der sicheren Seite.

Welche Möglichkeiten bleiben dem Pflichtverteidiger? Nun, er hat – wenn man dem OLG München folgt – keinen andere Möglichkeit, als den nutzlosen Zeitaufwand – später oder über einen Vorschussantrag – im Rahmen einer Pauschgebühr nach § 51 RVG geltend zu machen. Ob das wirklich hilft oder die „Rettung“ ist, wird man sehen. Denn zur Pauschgebühr hört man aus München auch nichts unbedingt Gutes (s.o.).

Das Sonderopfer des Pflichtverteidigers – bei 6,49 €/Stunde nicht?

© PhotoSG - Fotolia.com

In der vergangenen Woche hat die Richterbesoldung die Presse und auch ein wenig die Blogs beschäftigt. Der Kollege Laudon hat dazu unter: Nur 12 Euro netto gepostet, ich hatte die Frage dann auch noch einmal aufgegriffen und auf den Beitrag in der „SZ“ zur mündlichen Verhandlung vor dem BVerfG hingewiesen (vgl. hier “Die Grenze der Geduld”, oder Deutschland ist Nachbar von Armenien, zumindest beim Richtereinstiegsgehalt). Heute will ich dann zur Kehrseite (?) dieser Problematik ausführen, na ja, ob es die Kehrseite ist, weiß ich nicht. Jedenfalls aber zur „anderen Seite“, nämlich den Rechtsanwälten/Verteidigern. Und ein „schönes“ Beispiel ist da immer die Pauschgebühr des Pflichtverteidigers (§ 51 RVG). Das ist die Domäne der OLG, wo wir in den Beschlüssen immer viel – unter Hinweis auf die Rechtsprechung des BVerfG – vom „Sonderopfer der Anwaltschaft“ lesen – schreibt sich gut, wenn man selbst an der Stelle keine Opfer bringen muss. Oder, was dazu passt, dass nicht kostendeckend gearbeitet werden muss. Und wenn der Pflichtverteidiger einen Stundensatz ansetzt, dann heißt es immer: „Abrechnung auf Stundenbasis“ ist nicht vorgesehen“.

Diese Argumente finden wir dann auch alle wieder im OLG München, Beschl. v. 09.09.2013 –  6 St (K) 1/13 – ergangen im NSU-Verfahren auf Antrag des Kollegen Stahl, der einen Vorschuss auf seine demnächstige Pasuchgebühr beantragt hatte (§ 51 Abs. 1 Satz 5 RVG). Die Entscheidung hat ja bereits im vergangenen Jahr einiges Aufsehen erregt. Das ist m.E. angesichts der Zahlen, die eine Rolle spielen, auch nachvollziehbar. Und zwar muss man mal gegenüberstellen:

  • Der Kollege hat geltend gemacht, er habe im vorbereitenden Verfahren 770 Stunden für das Verfahren aufgewendet – die Zahl wird vom OLG in seinem Beschluss auch nicht in Abrede gestellt.
  • Ein Anspruch auf gesetzliche Gebühren hat zum Zeitpunkt der Antragstellung nur auf die Gebühren Nrn. 4101, 4105 VV RVG bestanden, das waren nach altem Recht 299,00 €.
  • Die Wahlanwaltshöchstgebühren haben für die Gebühren Nrn. 4101, 4105 VV RVG  687,50 € betragen.
  • Beantragt hatte der Kollege 77.000 € auf der Grundlage eines Stundensatzes von 100,00 €/Stunde.
  • Zuerkannt hat das OLG München 5.000,00 €.

Nun lassen wir aus dem o.a. Beschluss die Frage des „besonderen Umfangs“ und/oder der „besonderen Schwierigkeit“ außen vor. Denn die liegen m.E. auf der Hand. Dazu braucht man nicht viel Worte zu machen. Und auch die zu erwartende lange Dauer des Verfahrens war voraussehbar. Zur Höhe führt das OLG dann u.a. aus:

„bb) Der festgesetzte Vorschuss auf die zu erwartende Pauschgebühr des Vorverfahrens in Höhe von 5.000,00 € übersteigt die gesetzlichen Höchstgebühren des Wahlverteidigers um das 7,3-fache.

In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass eine Überschreitung der Wahlverteidigerhöchstgebühren in Ausnahmefällen möglich ist, wenn sie auch in den Höchstgebühren keine angemessene Entschädigung mehr darstellt (vgl. OLG Hamm NStZ 2000, 555; OLG Köln JurBüro 2003, 81; OLG Nürnberg Anw.Bl. 2000, 56).

Die Höhe des Pauschvergütungsanspruchs eines bestellten Verteidigers nach § 51 RVG ist nicht in analoger Anwendung des § 42 Abs. 1 Satz 4 RVG auf das Doppelte der Höchstgebühr eines Wahlverteidigers beschränkt (OLG Stuttgart, Beschluss vom 24.4.2008, 2 ARs 21/08, zit. nach juris, Rdn. 8; OLG Jena, BeckRS 2009 Nr. 86298; Burhoff in Gerold/Schmidt, RVG, 22. Aufl., § 51 Rdn. 40; a.A ohne Begründung Hartmann, Kostengesetze, 42 Aufl., § 51 RVG, Rdn. 33). § 51 RVG enthält keine Obergrenze des Pauschvergütungsanspruchs. Insoweit handelt es sich nicht um eine planwidrige Regelungslücke; der Gesetzgeber hat die Pauschvergütungsregelungen der §§ 42 und 51 RVG zeitgleich und in bewusst gleicher Terminologie geregelt (BTDrucks. 15/1971 S. 198). Beide Regelungen unterschieden sich zudem darin, dass bei einer Pauschvergütung nach § 42 RVG die Gesichtspunkte des § 14 RVG – und damit auch die Bedeutung der Sache und die Einkommens-/Vermögensverhältnisse des Auftraggebers – zum Tragen kommen, Gesichtspunkte, die bei der Bemessung der Pauschvergütung nach § 51 RVG keine Rolle spielen (OLG Jena NJW 2006, 933).

Im Hinblick auf den außergewöhnlichen Umfang des Verfahrens und die besonderen Schwierigkeiten im tatsächlichen Tatnachweis hält der Senat die aufgezeigte Überschreitung der Wahlverteidigerhöchstgebühren bei einer Gesamtbetrachtung der anwaltlichen Tätigkeit des Antragstellers im Vorverfahren für vertretbar.

cc) Die Möglichkeit nach § 51 Abs. 1 RVG pauschal abzurechnen, soll dem Pflichtverteidiger nicht eine angemessene Vergütung gewährleisten, sondern ein unzumutbares Sonderopfer ausgleichen. Bei der Bestellung zum Pflichtverteidiger handelt es sich nämlich um eine besondere Form der Indienstnahme Privater zu öffentlichen Zwecken, deren Sinn nicht darin besteht, dem Anwalt zu seinem eigenen Nutzen und Vorteil eine zusätzliche Gelegenheit beruflicher Tätigkeit zu verschaffen, Zweck ist vielmehr allein, im öffentlichen Interesse dafür zu sorgen, dass der Angeklagte in schwerwiegenden Fällen rechtskundigen Beistand erhält (BVerfG NJW 2007, 3420). Diesen gesetzlichen Zweck, der durch den bewilligten Vorschuss erreicht wird, übersieht der Antragsteiler, wenn er der Ansicht ist, dass ein besonderer Umfang oder eine besondere Schwierigkeit des Verfahrens auch eine „besonders hohe Pauschgebühr“ erfordere.

Die beantragten 77.000,00 € übersteigen die Höchstgebühr des Wahlverteidigers um das 112-fache. Ein derartiger Vorschuss auf die Pauschgebühr ist auch nicht ansatzweise durch den Umfang und die Schwierigkeit des Verfahrens veranlasst.

Soweit der Antragsteller den Vorschuss auf die Pauschgebühr für das vorbereitende Verfahren nach seinem Zeitaufwand von ca. 770 Stunden und einem fiktiven Stundensatz von 100 € berechnet, übersieht er, dass das Gebührensystem nach § 51 RVG eine Abrechnung auf Stundenbasis nicht vorsieht. Es ist deshalb in der Rechtsprechung, der sich der Senat anschließt, anerkannt, dass die pauschalierte Vergütung nicht nach einem fiktiven Stundenlohn festzusetzen ist (KG NStZ-RR 2013, 232; OLG Schleswig, Beschluss vom 1. Februar 2013, 1 StR 25/12 zit. nach www.burhoff.de).“

Da haben wir sie also wieder die o.a. Argumente. Und das Besondere/Absonderliche ist: Man kann dem OLG noch nicht einmal einen Vorwurf machen, denn es bewilligt einen Vorschuss, der das rund 7,3-Fache der Wahlanwaltshöchstgebühren beträgt. Man hat also die „heilige Kuh“ der OLG – die Wahlanwaltshöchstgebühr – „geknackt“. Das ist, wenn man weiß, wie schwer sich OLG damit tun – und ich weiß es 🙂 – eine Menge.

Also: Wie löst man das Problem? Ich habe auch kein Patentrezept für solche Verfahren, meine aber, wenn man dem Pflichtverteidiger gerecht werden will, muss man aus dem System, das die OLG in den letzten Jahren aufgebaut haben, ausbrechen. Es passt einfach nicht für Mammutverfahren. Denn rechnen wir doch mal ein wenig – wobei die 770 – vom OLG anerkannten – Stunden – die Grundlage sein sollen:

  • 299,00 € gesetzliche Gebühren bedeutet einen Stundensatz von 0,38 €/Stunde.
  • Wahlanwaltshöchstgebühren von 687,50 € bedeutet 0,89 €/Stunde.
  • 77.000 € ergeben einen Stundensatz von 100,00 €/Stunde.
  • Die zuerkannten 5.000,00 € führen zu einem Stundensatz von 6,49 €.

Und bitte: Alles vor Steuer und mit einem Büro im Nacken.

Ich weiß noch, dass ich dem Kollegen, nachdem er mir den Beschluss geschickt hatte, darauf geantwortet habe: Er soll sich die Daumen drücken, dass bei der kurz danach anstehenden Bundestagswhl die SPD mit in die Regierung kommt. Dann stehe ihm irgendwann zumindest der Mindestlohn von 8,50 €/Stunde zu.

Wie gesagt: ich weiß nicht, wie man das Dilemma löst. Nur lösen muss man es. Denn man kann m.E. nicht ernsthaft behaupten, dass diese 5.000,00 € kein Sonderopfer sind.