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Fußgänger überquert Fahrbahn bei Dunkelheit, oder: Vertrauen auf verkehrsgerechtes Verhalten zulässig?

Als zweite Entscheidung stelle ich dann das OLG Saarbrücken, Urt. v. 26.05.2023 – 3 U 4/23 – vor.

Gegenstand des Urteils ist ein Verkehrsunfalls am 16.11.2018 in Saarbrücken. Die zum Unfallzeitpunkt 64 Jahre alte Klägerin war gegen 17.40 Uhr bei Dunkelheit als Fußgängerin von ihrer damaligen Wohnung zu der Bushaltestelle in der Saarbrücker Straße unterwegs. Bei dem

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Versuch, die zweispurige und etwa acht Meter breite Saarbrücker Straße in Höhe der Hausnummern 119/121 zu überqueren, wurde sie von dem aus ihrer Sicht von rechts herannahenden von der Beklagten zu 1 geführten Pkw Opel Corsa erfasst. Die Beklagte zu 1 hatte die Klägerin, die noch ca. einen Meter von dem gegenüberliegenden Fahrbahnrand entfernt war, zuvor nicht wahrgenommen.

Die Klägerin, bei der bereits vor dem Unfall infolge eines Hüftleidens ein Grad der Behinderung von 70 % mit dem Merkzeichen G (erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit) vorlag, trug durch das Unfallereignis lebensgefährliche Verletzungen davon, aufgrund deren sie rollstuhlabhängig in einem Pflegeheim untergebracht werden musste.

Die Kfz-Versicherung der Beklagten erkannte vorgerichtlich ihre Einstandspflicht nach Maßgabe einer Haftungsquote von 1/3 an. Mit ihrer Klage hat die Klägerin, die eine Haftungsquote der Beklagten von 70 % für richtig hält, die Feststellung erstrebt, dass ihr die Beklagten in diesem Umfang zum Ersatz ihrer materiellen und immateriellen Schäden verpflichtet sind. Das LG hat unter Abweisung der weitergehenden Klage die Verpflichtung der Beklagten festgestellt, der Klägerin über die bisher regulierten Schadensbeträge hinaus 2/3 der vergangenen und zukünftigen immateriellen und materiellen Schäden aus dem Unfallereignis zu ersetzen, sofern die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind.

Die Berufung hatte keinen Erfolg. Auch hier verweise ich wegen der Einzelheiten auf den Volltext und stelle hier nur den Leitsatz ein, der lautet:

Ein Kraftfahrer, der einen die Fahrbahn aus seiner Sicht von links nach rechts überquerenden, trotz Dunkelheit bereits aus einiger Entfernung erkennbaren Fußgänger vor dem Zusammenstoß nicht bemerkt hat, darf nicht darauf vertrauen, der Fußgänger werde sich bei der Fahrbahnüberquerung verkehrsgerecht verhalten.

Rest dann bitte selbst lesen.

Verkehrsunfall bei Fahrbahnmarkierungsarbeiten, oder: Straßenbauarbeiter ist kein Fußgänger

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Im Kessel Buntes „schwimmen“ heute dann mal wieder zwei verkehrszivilrechtliche Entscheidungen. Und zwar zunächst hier das OLG Celle, Urt. v. 16.11.2022 – 14 U 87/22 – zur rechtlichen Einordnung eines Straßnebauarbeiters.

Folgender Sachverhal: Der klagende Straßenbauarbeiter ist bei einem Unfall verletzt worden. Er war im Bereich einer Straßenbaustelle als Fahrbahnmarkierer tätig. Dabei wurde er vom Pkw der Beklagten angefahren. Er verlangt nun materiellen Schadensersatz und Schmerzensgeld, wobei die Haftung der Beklagten dem Grunde nach zu jedenfalls 75 % außer Streit steht. Eine höheren Haftungsanteil hat das LG abgelehnt und meitn, der Kläger trage eine Mithaftung an dem Unfall. Er habe auf der Fahrbahn, vornübergebeugt und mit dem Rücken zum fließenden Verkehr, gearbeitet und dem fließenden Verkehr nicht die erforderliche Aufmerksamkeit geschenkt. Als Fußgänger auf der nicht abgesperrten Fahrbahn habe ihn eine gesteigerte Sorgfaltspflicht getroffen; ihm falle daher ein Verstoß gegen § 25 Abs. 3 StVO zur Last.

Das OLG hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen:

Die Einwände des Klägers gegen die Beweiswürdigung des Landgerichts und die rechtliche Würdigung greifen jedenfalls im Ergebnis nicht durch. Das Landgericht hat zu Recht ein Mitverschulden des Klägers angenommen, auch die Haftungsquote von 75 zu 25 zu Lasten der Beklagten erscheint sachgerecht. Im Einzelnen:

„1. Die vom Kläger geltend gemachten Ansprüche folgen dem Grunde nach aus §§ 7 Abs. 1, 9 StVG, 253, 254, 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, S. 4 VVG. Mit dem Landgericht hält der Senat eine Quote von 25 : 75 zu Lasten der Beklagten für angemessen. Dem Kläger steht – ausgehend von dieser Quote – aufgrund des streitgegenständlichen Verkehrsunfalls gegen die Beklagten aus §§ 7 Abs. 1, 9 StVG, 253, 254 BGB, 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, S. 4 VVG ein Anspruch auf materiellen und immateriellen Schadensersatz dem Grunde nach im Umfang von 75 % zu; im Übrigen haftet der Kläger für das Unfallgeschehen selbst. Im Einzelnen gilt zum Grunde Folgendes:

a) Die Haftung der Beklagten ergibt sich zunächst aus §§ 7 Abs. 1 StVG, 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG. Unstreitig kam es bei dem Betrieb des bei der Beklagten zu 1 haftpflichtversicherten und von der Beklagten zu 2 gehaltenen und gefahrenen Pkw im Straßenverkehr zu einer Kollision mit dem Kläger, wodurch dieser verletzt worden ist. Ein Fall des § 7 Abs. 2 StVG (Haftungsausschluss wegen höherer Gewalt) liegt ersichtlich nicht vor.

b) Da der Kläger selbst nicht aus § 7 Abs. 1 StVG haftet, kommt die Anrechnung eines etwaigen Mitverschuldens des Klägers nicht über § 17 Abs. 1 und 2 StVG, sondern nur nach § 9 StVG i.V.m. § 254 BGB in Betracht. Auf einen Haftungsausschluss wegen Unabwendbarkeit des Verkehrsunfalls im Sinne von § 17 Abs. 3 StVG kann sich damit ebenfalls keiner der Unfallbeteiligten berufen.

Im Rahmen von §§ 9 StVG, 254 BGB ist in erster Linie das ursächliche Verhalten der Beteiligten gegeneinander abzuwägen und dabei die Betriebsgefahr des Kraftfahrzeuges zu berücksichtigen, wobei nur erwiesene Verursachungsfaktoren in die Abwägung einbezogen werden dürfen (vgl. und näher König in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 45. Aufl., § 9 StVG Rn. 7 mit Rechtsprechungsnachweisen). Die Abwägung setzt die Feststellung eines haftungsbegründenden Tatbestandes auf der Seite des Geschädigten voraus. Die für die Abwägung maßgebenden Umstände müssen feststehen, d. h. unstreitig, zugestanden oder nach § 286 ZPO bewiesen und für die Entstehung des Schadens ursächlich geworden sein. Nur vermutete Tatbeiträge oder die bloße Möglichkeit einer Schadensverursachung aufgrund geschaffener Gefährdungslage haben außer Betracht zu bleiben. Die Beweislast für einen unfallursächlichen Mitverschuldensanteil der Geschädigten, hier also des Klägers, trägt dabei nach allgemeinen Beweisgrundsätzen der Schädiger, mithin hier die Beklagten (vgl. BGH Urteil vom 24. September 2013 – VI ZR 255/12, Rn. 7, juris). Der Kläger wiederum ist beweispflichtig für etwaige Verkehrsverstöße der Fahrerin des Beklagten-Pkw, d.h. der Beklagten zu 2.

aa) Der Kläger muss sich einen Verstoß gegen § 1 Abs. 2 StVO vorwerfen lassen.

(1) Allerdings erscheint durchaus diskutabel, ob der Kläger überhaupt als Verkehrsteilnehmer i.S.v. § 1 StVO anzusehen ist. Denn in der Rechtsprechung ist in ähnlichen Fällen eine Verkehrsteilnahme jedenfalls zum Teil verneint worden (vgl. die Beispiele bei König in: Hentschel/König/Dauer, aaO, § 1 StVO, Rn. 18 mit Rechtsprechungsnachweisen, z.B. Beschilderung einer Arbeitsstelle durch Arbeiter, Bauarbeiter als solche, Müllwerker, Personen, die sich zum Zweck der Straßenreinigung auf der Straße befinden). Allerdings ist Verkehrsteilnehmer grundsätzlich jede Person, die sich selbst verkehrserheblich verhält, das heißt körperlich und unmittelbar auf den Ablauf eines Verkehrsvorgangs einwirkt (vgl. nur BGH, Urteil vom 8. März 2022 – VI ZR 1308/20, Rn. 12 mwN, juris; König in: Hentschel/König/Dauer, aaO, § 1 StVO, Rn. 17). Nach dem eigenen Bekunden des Klägers im Rahmen seiner informatorischen Befragung durch das Landgericht hat er sich bei seinen Arbeiten am Unfalltag dergestalt verhalten, dass er während der Rotphasen für Pkw die Fahrbahn betreten und dort Markierungen gesetzt hat, vor der Kollision mit dem Beklagtenfahrzeug habe er sich ein Stück neben den Baken auf dem Fahrbahnbereich befunden (vgl. Bl. 238 d.A.). Der Kläger ist daher jedenfalls immer dann, wenn er sich außerhalb des durch Baken abgetrennten Baustellenbereichs auf der – freigegebenen – Fahrbahn aufhielt, als Verkehrsteilnehmer i.S.v. § 1 StVO anzusehen, mithin hier unmittelbar vor und im Zeitpunkt des streitgegenständlichen Unfalls.

(2) Der Kläger hat nach eigenem Bekunden zwar Warnkleidung getragen, aber seine Arbeit unmittelbar vor dem Unfall in vornübergebeugter Haltung verrichtet, d.h. Markierungen gesetzt und dabei den Oberkörper nach vorne und nach unten gebeugt. Er hat nicht auf den Verkehr geachtet. Nach dem Vortrag in der Klagschrift („rücklings“, vgl. Bl. 4 d.A.) und den entsprechenden, unangegriffenen Feststellungen des Landgerichts im Tatbestand des Urteils (LGU S. 3) arbeitete der Kläger zudem mit dem Rücken zu dem aus der Straße Am G. kommenden Verkehr. Die Beklagte zu 2 hatte unstreitig „Grün“, als sie von der Straße Am G. in die Unfallörtlichkeit einbog. Angesichts dieser Umstände ist es nicht zu beanstanden, dass das Landgericht dem Kläger ein sorgfaltspflichtwidriges Verhalten vorgeworfen hat. Es wäre zwingend geboten gewesen, für eine Absicherung zu sorgen und nicht ohne eine solche Absicherung auf der für den Fahrzeugverkehr freigegebenen Fahrbahn Markierungsarbeiten vorzunehmen und dabei nicht einmal auf den Verkehr zu achten (vgl. insofern auch die Richtlinien für die verkehrsrechtliche Sicherung von Arbeitsstellen an Straßen, RSA, die umfangreiche Sicherungsmaßnahmen bei Arbeiten auf Straßen vorgeben und die dem Kläger bekannt sein müssen). Durch das Vornüberbeugen und das Arbeiten mit dem Rücken zum fließenden Verkehr hatte der Kläger keine Chance, auf den Verkehr zu achten. Die Art und Weise der Arbeitsausführung durch den Kläger, wie geschehen, erscheint übermäßig und unangemessen gefahrenträchtig. Es waren im Übrigen andere Arbeiter auf der Baustelle anwesend, so dass auch die Möglichkeit bestand, zumindest mit deren Hilfe für eine Absicherung zu sorgen.

(3) Angesichts der genannten Umstände kommt es nicht weiter darauf an, ob der Kläger als „Profi“ mit einer gesteigerten Sorgfaltspflicht anzusehen ist, wie das Landgericht meint. Denn es ist für jedermann offensichtlich, dass das Verhalten des Klägers unangebracht gefahrenträchtig war und eine Absicherung geboten gewesen wäre. Demnach kommt es auch nicht weiter auf die vom Landgericht herangezogenen Gerichtsentscheidungen und die Einwände des Klägers hiergegen an. Denn maßgeblich für die vorstehende Wertung sind die konkreten Umstände des vorliegenden Falls.

bb) Demgegenüber muss sich der Kläger aus Rechtsgründen nicht (auch) einen Verstoß gegen § 25 Abs. 3 StVO vorwerfen lassen, wie das Landgericht meint. Denn zu Recht macht der Kläger geltend, dass er kein Fußgänger i.S.v. § 25 StVO war. Fußgänger sind solche Verkehrsteilnehmer, die sich zu Fuß von einem Ort an einen anderen bewegen (König in: Hentschel/König/Dauer, aaO, § 25 StVO, Rn. 12). Personen, die sich zum Zweck der Straßenreinigung auf der Fahrbahn aufhalten, sind dagegen keine Fußgänger im Sinne des § 25 StVO, was sich aus dem Wortsinn und mittelbar auch aus der Sonderregelung des § 35 Abs. 6 Satz 1 und 4 StVO, wonach Personen, die unter anderem bei der Reinigung von Straßen eingesetzt sind, bei ihrer Arbeit außerhalb von Gehwegen und Absperrungen auffällige Warnkleidung zu tragen haben, ergibt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 18. Juni 2015 – 9 B 3/15 –, Rn. 7, juris). Für einen Bauarbeiter, wie hier, der auf einer Straße Markierungsarbeiten verrichtet, kann nichts Anderes gelten.

cc) Wenn die Eigenschaft des Klägers als Verkehrsteilnehmer i.S.v. § 1 StVO entgegen der Ansicht des Senats zu verneinen wäre, würde das Verhalten des Klägers gleichwohl ein vorwerfbares Verhalten i.S.v. §§ 254 Abs. 1, 276 Abs. 2 BGB darstellen, weil er die gebotene Sorgfalt außer Acht gelassen hat, indem er ohne Absicherung und Beachtung des fließenden Verkehrs auf der für den fließenden Verkehr freigegebenen Fahrbahn Arbeiten verrichtet hat.

dd) Der Beklagten zu 2 und Versicherungsnehmerin der Beklagten zu 1 kann ein Verstoß gegen § 1 Abs. 2 StVO vorgeworfen werden, wie dies das Landgericht angenommen hat (vgl. LGU S. 12f.). Die Beklagten haben diese Wertung nicht angegriffen, durchgreifende Zweifel an der Richtigkeit der zugrundeliegenden Feststellungen und der rechtlichen Würdigung sind auch nicht ersichtlich.

ee) Weitere Verkehrsverstöße auf Beklagtenseite sind nicht bewiesen, wie dies das Landgericht zutreffend angenommen hat. Der Sachverständige hat nämlich mehrfach betont, dass sich insbesondere die Sichtmöglichkeiten nicht genau rekonstruieren lassen, auch weil der Standort der Baken nachträglich verändert worden war. Danach verfangen die Einwände des Klägers in der Berufungsbegründung und in der Berufungsverhandlung nicht. Er legt auch nicht dar und es ist auch sonst nicht ersichtlich, dass bzw. inwiefern der Unfallhergang noch weiter aufklärbar wäre. Soweit der Kläger auf die „Wurfweite“ verweist, ist festzustellen, dass sich der Sachverständige damit im Rahmen seiner mündlichen Befragung eingehend befasst hat und insbesondere mit Verweis auf die Schäden am Beklagtenfahrzeug dabei blieb, dass die Kollisionsgeschwindigkeit bei maximal 20 km/h gelegen haben kann (vgl. Bl. 379 d.A.). Danach verbleibt es mangels konkreter Anhaltspunkte, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit entscheidungserheblicher Feststellungen begründen, bei der Bindung an die Tatsachenfeststellungen des ersten Rechtszuges gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO.

ff) Eine Abwägung der jeweiligen Haftungsgründe der Parteien lässt eine Haftungsquote von 75 zu 25 zu Lasten der Beklagten als sachgerecht erscheinen. Sie belastet den Kläger, der allein Berufungsführer ist, jedenfalls nicht unangemessen. Die Beklagte zu 2 hat selbst bekundet, gesehen zu haben, dass sie in einen Baustellenbereich abbiegt und dass Baubetrieb herrschte (vgl. Bl. 240 d.A.). Nach den Feststellungen des Landgerichts hätte sie den Kläger auch sehen können und müssen. Andererseits hat sich auch der Kläger sorgfaltswidrig verhalten, wie dargelegt. Unter Berücksichtigung der Betriebsgefahr des Beklagten-Pkw erscheint es danach sachgerecht, den Beklagten den überwiegenden Haftungsanteil zuzuweisen. Ein durchgreifender Grund, von der vom Landgericht ausgeurteilten Haftungsquote zu Gunsten des Klägers abzuweichen, liegt nicht vor. Insbesondere stellt sich kein Fehlverhalten als so gravierend oder überragend dar, dass eine andere Haftungsquote geboten wäre.“

Wenn der Fußgänger unachtsam die Fahrbahn überquert, oder: Alleinhaftung.

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Author: MarianSigler

Im Straßenverkehrsrecht ist es grds. ja so, dass der Kfz-Führer gegenüber einem „schwächeren“ Verkehrsteilnehmern, wie z.B. Fußgängern oder Radfahrern, zu erhöhter Aufmerksamkeit verpflichtet ist. Der Kfz-Führer bleibt dahher dann bei einem Unfall meist auf seiner Betriebsgefahr sitzen. Anders hat vor einiger Zeit das OLG Dresden im OLG Dresden, Urt. v. 09.05.2017 – 4 O 1596/16 – entschieden. Da hatte ein Fußgänger aus Sicht des Kraftfahrzeugführers von links die Straße unmittelbar vor zwei weiteren sich im Gegenverkehr befindlichen Pkw unter Verstoß gegen § 25 Abs. 3 StVO überquert und war beim Erreichen der Gegenfahrbahn vom Fahrzeug des beklagten Pkw-Führer erfasst worden.

Das OLG Dresden ist von Alleinhaftung des Fußgängers ausgegangen. Das OLG sagt: Den Unfall hat er Fußgänger durch sein „grob fahrlässiges Verhalten allein verschuldet. Ein schuldhaftes Verhalten des Beklagten zu 1 lässt sich nicht feststellen. Die Haftung der Beklagten zu 2. und 3. aus Betriebsgefahr des Fahrzeugs und die Haftung des Beklagten zu 1. für vermutetes Verschulden tritt hinter dem grob schuldhaften Verhalten des Klägers zurück, denn die sorglose Fahrbahnüberquerung des Klägers durch „Hindurchschlängeln“ durch den zügig fließenden Fahrzeugverkehr stellt ein besonders grobes Eigenverschulden dar.“

Das OLG weiter: Ein Fußgänger darf die Fahrbahn nur dann betreten, wenn er sich zuvor vergewissert hat, dass er keinem Fahrzeug in den Weg tritt. Die Fahrbahn dient in erster Linie dem Fahrzeugverkehr. Wenn ein Fußgänger auf den Fahrzeugverkehr nicht entsprechend achtet, handelt er in der Regel grob fahrlässig. Das sorglose Überqueren der Fahrbahn ist ein besonders grobes Eigenverschulden dar, welches die Haftung des Kraftfahrzeugführers für vermutetes Verschulden aus der Betriebsgefahr vollständig zurücktreten lässt.

Kollision Fußgänger/Lkw – wie wird gehaftet?

entnommen wikimedia.org Author: MarianSigler

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Author: MarianSigler

Eine unheilvolle Begegnung „der besonderen Art“ hat das OLG München, Urt. v. 08.05.2015 – 10 U 4543/13 – zum Gegenstand, nämlich die eines die Straße überquerenden Fußgängers mit einem Lkw. Die Klägerin war auf der rechten Gehwegseite eine Straße gegangen. An der Einmündung einer anderen Straße wollte sie diese geradeaus überqueren. Dabei kam es zum Zusammenstoß mit dem von rechts kommenden Lkw der Beklagten. Die Klägerin trägt vor, dass sie sich vor Überquerung der anderen Straße versichert habe, dass sie gefahrlos die Straße überqueren könne. Es sei kein Kraftfahrzeug zu sehen gewesen. Als sie die Straße mehr als zur Hälfte überquert habe, sei ein Kraftfahrzeug aus dieser  mit überhöhter Geschwindigkeit auf sie zugekommen. Sie habe den Fahrer noch mit erhobener Hand Zeichen gegeben, anzuhalten, dieser habe jedoch seine Geschwindigkeit nicht verringert und nicht gebremst, sondern sei direkt auf sie zu gefahren und habe sie auf der rechten Seite so stark getroffen, dass sie mit der linken Seite, insbesondere mit der Schulter, auf die Straße geprallt sei, sich durch den Aufprall gedreht habe und auf ihrer rechten Seite zum Liegen gekommen sei.

Das OLG hat eine Haftungsverteilung von 25/75 als angemessen angesehen. Die Entscheidung kann man etwa in folgenden Kernsätzen zusammen:

  • Ein Fahrzeugführer hat den gesamten Verkehrsraum, auch bezüglich von links kommender Fußgänger, sorgfältig zu beobachten, sowie rechtzeitig und richtig auf etwaige Fehler anderer Verkehrsteilnehmer zu reagieren.
  • Auch bei unachtsamem Verhalten eines Fußgängers bestehen Brems- und Ausweichpflichten, sowie die Notwendigkeit, die Geschwindigkeit herabzusetzen, sobald der Fahrer sieht, dass ein Fußgänger die Straße betritt.
  • Gegenüber Fußgängern, die aus Sicht des Kraftfahrzeugführers von links kommend eine mehrspurige Fahrbahn überqueren wollen, gelten die genannten Verpflichtungen im Grundsatz ebenso.
  • Ein Fahrzeugführer darf sich nicht ohne weiteres darauf verlassen, dass Fußgänger in der Fahrbahnmitte oder vor seiner Fahrbahnbegrenzung noch warten werden, um ihn vorbeifahren zu lassen.

Dazu aus dem Urteil:

„Auch bei erheblich verkehrswidrigem Verhalten des Fußgängers ist im Regelfall nicht jeglicher Schadensersatz zu versagen (BGH VersR 1969, 373; OLG Oldenburg, VRS 69, 101 = S. 252; BGH VersR 1989, 491; OLG Köln r+s 1987, 67; OLG Düsseldorf, r+s 1987, 66; OLG Hamm r+s 1989, 396; OLG Stuttgart VersR 1980, 243: „25 % trotz Rotlichtverstoß des Fußgängers“), sondern lediglich in Fällen der Unvermeidbarkeit für den Fahrzeugführer oder bei besonderen Umständen (BGH VersR 1964, 947 = VRS 27, 107: Aussteigen aus dem haltenden Fahrzeug; VersR 1966, 877: Hervortreten aus einer Lücke zwischen abgestellten Fahrzeugen; OLG Hamm, r+s 1988, 102; KG VersR 1993, 201; OLG Dresden NZV 2001, 378; KG NZV 2007, 80: Betreten der Fahrbahn von rechts).

Wer als Fußgänger Fahrbahnen ohne Beachtung des Straßenverkehrs überquert – egal in welche Richtung – (§ 25 III 1 StVO), handelt aber in erheblichem, nicht mehr nachvollziehbarem Umfang unsorgfältig (BGH NJW 2000, 3069: „besondere Vorsicht“; NJW 1984, 50]), weil das Achten auf von rechts kommende Fahrzeuge eine elementare Grundregel des Straßenverkehrs darstellt, die jedem Fußgänger, der eine Straße überschreiten will, einleuchten muss (OLG Hamm NZV 1993, 314; NZV 2001, 41; OLG Koblenz NZV 2012, 177; KG VersR 1981, 332; NZV 2004 579; OLG Celle MDR 2004, 994; OLG Bremen, VersR 66, 962; OLG Düsseldorf VRS 56, 2). Dies gilt umso mehr, wenn nicht spätestens bei Erreichen der Fahrbahnmitte oder der Fahrbahnabgrenzung zur Gegenfahrspur erneut nach rechts geblickt, um sich zu vergewissern, dass ein gefahrloses Weitergehen möglich ist (OLG Saarbrücken NJW 2010, 2525 ; OLG Düsseldorf r+s 1987; BGH VersR 1967, 608).“

Der besoffene Fußgänger auf der BAB – MPU

© monticellllo - Fotolia.com

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Gegenstand des VG Neustadt a.d. Weinstraße, Beschl. v. 16.6.2015 – 1 L 442/15.NW – war etwa folgender Sachverhalt: Dem Antragsteller des Verfahresn war nach Entziehung seiner Fahrerlaubnis wegen eines Alkoholdelikts diese im Anschluss an eine positiv verlaufene medizinisch-psychologische Begutachtung im Jahr 2011 wiedererteilt worden. Im Rahmen der Untersuchung wurde ausführlich auf den vorangegangenen Alkoholmissbrauch eingegangen, konkret: auf die Frage, ob der Antragsteller künftig in der Lage sein würde, zu einem kontrollierten Trinkverhalten zurück zu finden und Fahren vom Alkoholkonsum zu trennen. Der Antragsteller hatte insoweit auch vorgetragen, er werde künftig nur noch zu bestimmten Anlässen Alkohol konsumieren und bestimmte Alkoholmengen nicht überschreiten. Auf Grundlage dieser Angaben des Antragstellers sah die Begutachtungsstelle keine Gefahr von Überkonsum und Kontrollverlusten. Am 14.2.2015 wurde der Antragsteller, der als Fußgänger auf der Autobahn nach Hause unterwegs war, von der Verkehrspolizei aufgegriffen. Die gemessene Blutalkoholkonzentration betrug 1,79 Promille, zudem war der Antragsteller orientierungslos und lief in Schlangenlinien.

Die Straßenverkehrsbehörde nahm diesen Vorfall zum Anlass, den Antragsteller erneut zur Beibringung eines medizinisch-psychologischen Fahreignungsgutachtens aufzufordern. Dies wurde mit der Befürchtung begründet, der Antragsteller könnte in seinen früheren Alkoholmissbrauch zurückgefallen sein. Nachdem der Antragstellers dieser Aufforderung nicht nachkam, entzog die Behörde die Fahrerlaubnis wegen nicht ausgeräumter Zweifel auf der Grundlage von §§ 11 Abs. 8, 46 FeV. Der dagegen gerichtete Eilantrag hatte beim VG dann keinen Erfolg:

„Aufgrund des Vorfalls vom 14. Februar 2015 sind indessen berechtigte Zweifel aufgekommen, ob die im Gutachten zugrunde gelegte Verhaltensänderung des Antragstellers als Voraussetzung für eine positive Bewertung seiner Fahreignung weiterhin anhält.

Zwar hat er bei diesem Vorfall nach seinen Angaben „anlassbezogen“ im Sinne des Gutachtens vom 12. Dezember 2011 getrunken, dabei aber offensichtlich die zugestandenen Grenzen eines mäßigen, kontrollierten Trinkens überschritten. Insoweit greift sein Vortrag, er habe sich innerhalb der Vorgaben des medizinisch-psychologischen Gutachtens vom 12. Dezember 2012 gehalten, zu kurz. Dass der Antragsteller die auf die Höchstmenge des konsumierten Alkohols bezogenen Vorgaben des Gutachtens am 14. Februar 2015 überschritten hat, zeigt zum einen die bei ihm gemessene Atemalkoholkonzentration von 1,79 ‰, die jedenfalls einen deutlich über 40 g hinausgehenden Alkoholgenuss belegt, auch unter Berücksichtigung des Umstands, dass keine Blutalkoholkonzentration gemessen wurde (vgl. die Berechnung des Beklagten Bl. 67 VA) . Zum anderen zeigt aber auch das Verhalten des Antragstellers, dass er alkoholbedingt einen erheblichen, wenn nicht vollständigen Verlust seiner Steuerungsfähigkeit erlitten hatte, als er zu Fuß nach Hause gehen wollte und orientierungslos, in Schlangenlinien laufend auf der Autobahn von der Polizei aufgegriffen wurde. Dieses unkontrollierte Verhalten wies entgegen seiner Auffassung durchaus einen Verkehrsbezug auf, als damit eine erhebliche Unfallgefahr auch für andere Verkehrsteilnehmer einherging. Zudem ist hier zu berücksichtigen, dass der Antragsteller bereits in der Vergangenheit alkoholisiert im Straßenverkehr auffällig wurde. Aus diesen Gründen sind die von ihm zitierten Entscheidungen des OVG RP vom 5. Juni 2007 (10 A 10062/07.OVG) und des BayVGH vom 4. Januar 2006 (11 CS 05.1878) auf seinen Fall nicht übertragbar. Vielmehr besteht aufgrund der neuerlichen Auffälligkeit des Antragstellers Anlass zur Klärung, ob er in den früheren missbräuchlichen Konsum von Alkohol zurück gefallen ist und damit erneut die Gefahr besteht, dass er nicht hinreichend sicher zwischen Trinken und Fahren trennen kann (vgl. OVG RP, Beschluss vom 15. Juni 2010 – 10 B 10465/120.OVG -).

Dies gilt unabhängig davon, ob diese Gefahr am 14. Februar 2015 nicht bestand, weil der Antragsteller sein Fahrzeug bei dem konkreten Anlass nicht mit sich geführt hat. Voraussetzung für ein dauerhaft zuverlässiges Trennen zwischen Trinken und Fahren ist nämlich nach dem Gutachten vom 12. Dezember 2011, dass der Antragsteller einen alkoholbedingten Kontrollverlust hinreichend sicher vermeiden kann. Ob die dazu im Zeitpunkt des Gutachtens erarbeiteten Strategien noch tragfähig sind, kann nur durch eine erneute medizinisch-psychologische Begutachtung geklärt werden.“