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Gutgläubiger Pkw-Erwerb vom Nichtberechtigten, oder: Verkauf/Übergabe eines Gebraucht-Pkw auf Parkplatz

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Und dann ist „Kessel-Buntes-Zeit“, denn es ist Samstag.

Da gibt es heute zunächst mal etwas aus dem Sachenrecht, und zwar den OLG Celle, Beschl. v. 28.2.2025  – 14 U 183/24 – zum gutgläubigen Erwerb vom Nichtberechtigten bei Verkauf und Übergabe eines gebrauchten Pkw auf einem Parkplatz.

Die Parteien streiten um die Herausgabe eines Fahrzeugs VW T 6 Multivan. Zum Sachverhalt teilt der Beschluss leider nur wenig mit, weil er hemäß § 522 Abs. 2 S. 4 ZPO hinsichtlich der tatsächlichen Feststellungen auf das angefochtene Urteil Bezug genommen.

Jedenfalls hat das LG der Klage stattgegeben. Aus seinen vom OLG refererierten Ausführungen ergibt sich ein wenig, worum es geht:

„Der Kläger habe gegen die Beklagte gemäß § 985 BGB einen Anspruch auf Herausgabe des von ihm am 05.04.2023 erworbenen Pkw-Mehrzweckfahrzeuges VW T 6 nebst den zugehörigen Fahrzeugpapieren sowie der Schlüssel. Der Kläger habe von dem nichtberechtigten Verkäufer S. D. gutgläubig gemäß § 932 BGB das Eigentum an dem von der Beklagten zuvor vermieteten Pkw erworben. Der gutgläubige Erwerb sei nicht nach § 935 Abs. 1 S. 1 BGB ausgeschlossen, denn die Sache sei nicht abhandengekommen. Der Kläger habe gutgläubig iSd § 932 Abs. 2 BGB und nicht grob fahrlässig gehandelt.

Eine Sorgfaltspflichtverletzung des Klägers liege nicht vor. Der Kläger habe das Fahrzeug unstreitig zu einem für ein solches Fahrzeug üblichen Preis erworben. Zwar könne die Entgegennahme des Fahrzeugs ohne Zweitschlüssel unter Umständen ein Indiz für das Vorliegen grober Fahrlässigkeit sein. Der Kläger habe vorliegend jedoch mit dem Einbehalt eines Teilbetrages des Kaufpreises reagiert und die Höhe des Einbehalts mit der eigenen Kenntnis von den Kosten für das Kodieren eines neuen Zweitschlüssels durch den Hersteller plausibel begründet. Der Kläger sei auch nicht gehalten gewesen, sich umgehend die Kontaktdaten des Bruders des Verkäufers nennen zu lassen, um die Möglichkeit der sofortigen Abholung des Schlüssels prüfen zu können. Zudem habe sich der Kläger die wesentlichen Unterlagen zum Fahrzeug, insbesondere die beiden Zulassungsbescheinigungen, aushändigen lassen. Er habe die Dokumente eingesehen und die Fahrgestellnummer abgeglichen. Anlass zu einer weiteren Nachforschung habe insoweit nicht bestanden. Der Treffpunkt für die Übergabe sei ebenfalls kein Anlass für erweiterte Nachforschungen des Klägers gewesen. Bei einem Fahrzeug als Kaufgegenstand liege es auf der Hand, dass Besichtigung und Probefahrt nicht in der Wohnung des Verkäufers erfolgen könnten. Insoweit erscheine es auch naheliegend, „die Formalitäten“ direkt an dem Ort mit zu erledigen, an dem das Fahrzeug präsentiert werde. Es sei auch nichts dafür ersichtlich, dass der Parkplatz aufgrund von Besonderheiten, etwa seiner Lage (besonders einsam bzw. abgelegen, schlecht einsehbar etc.) den Kläger zu weiteren Nachforschungen hätte veranlassen müssen. Zudem habe der Verkäufer nach dem unbestrittenen Vortrag des Klägers einen sachlichen Grund für die Durchführung der Verhandlung auf dem Parkplatz genannt, indem er mitgeteilt habe, die Wohnung stehe wegen der aus Anlass des Ramadans zahlreich erschienen Familie nicht zur Verfügung.

Gegen das LGUrteil wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung, mit der sie die Klageabweisung weiterverfolgt und meint:

„Das Landgericht hat die materiell-rechtlichen Voraussetzungen eines Anspruchs auf Herausgabe eines vermeintlich gutgläubig erworbenen Fahrzeugs zu Unrecht angenommen.

Es komme darauf an, ob die Sache der Beklagten abhandengekommen sei, was abweichend von der Rechtsauffassung des Landgerichts zu bejahen sei. Der Mieter des Wagens sei vorliegend als Besitzdiener zu betrachten, denn dieser befinde sich hinsichtlich der vertraglichen Vereinbarungen in einem Weisungsverhältnis zum Vermieter. Die Erkennbarkeit des Weisungsverhältnisses könne und müsse sich vorliegend nicht äußerlich erkennbar ergeben. Zwar sei der Gegenstand auch hier dem räumlichen Einflussbereich der Beklagten entzogen, eine Kontrollmöglichkeit im Bedarfsfall hinsichtlich des Verbleibs des Wagens verbleibe ihr aber über die Ortung des Fahrzeugs per GPS. Ein irgendwie gearteter Besitzdienerwille zur Begründung des Besitzdienerverhältnisses sei nicht erforderlich. Ein Bruch der Mietbedingungen – wie hier die Unterschlagung und der anschließende Verkauf des Wagens – führten dazu, dass die Benutzung des Gegenstandes gegen den Willen des Berechtigten ausgeübt werde, die Sache komme mithin abhanden. Jedenfalls sei die Beklagte in der konkreten Situation mittelbare Besitzerin gewesen, denn sie habe zwar den Wagen im Rahmen des Mietvertrages willentlich herausgegeben, dies jedoch verbunden mit der Bedingung, dass der Wagen gemäß den Mietbedingungen entsprechend genutzt werde. Durch den Bruch der Mietbedingungen sei ein Abhandenkommen der Sache zu bejahen.

Hinsichtlich einer Bösgläubigkeit des Klägers habe das Landgericht nicht berücksichtigt, dass eine Häufung sogenannter Verdachtsmomente ausreiche, um die Pflicht auszulösen, sich der Eigentümerstellung des Verkäufers zu vergewissern. Der Kläger habe sich von dem Verkäufer sagen lassen, es sei in Ordnung die alten Kennzeichen „einfach zu entsorgen“. Ein Schlüssel habe aufgrund eines vorgeblichen Urlaubs des Bruders gefehlt. Dem Kläger hätte zudem spätestens bei Besichtigung des Fahrzeuges auffallen müssen, dass abweichend von der Anzeige kleinere Schäden vorhanden gewesen seien und die im Foto erkennbare Chromzierleiste gänzlich gefehlt habe. Auch die gefälschten Zulassungsbescheinigungen, Teil I und II, hätten einen verständigen Menschen, auch einen Laien, zu der Frage veranlassen müssen, ob das in Angriff genommene Geschäft wirklich das sei, was es zu sein vorgebe. Zwar seien die Fälschungen von höherer Qualität, dennoch hätte man erkennen können, dass verschiedene Schriftarten zum Ausfüllen der Zulassungsbescheinigung Teil II verwendet worden und dass Siegelung und Aussteller der Zulassungsbehörde unterschiedlich seien.

Das OLG hat die Berufung zurückgewiesen. Hier die Leitsätze zu der recht umfangreich begründeten Entscheidung:

1. Nach § 932 Abs. 2 BGB ist der Erwerber nicht in gutem Glauben, wenn ihm bekannt oder infolge grober Fahrlässigkeit unbekannt ist, dass die Sache nicht dem Veräußerer gehört. Der Vorwurf der grob fahrlässigen Unkenntnis vom fehlenden Eigentum des Veräußerers setzt dabei zunächst das Bestehen einer Pflicht des Erwerbers voraus, sich Kenntnis zu verschaffen.

2. Im Fall des Erwerbs eines gebrauchten Fahrzeugs begründet der Besitz des Fahrzeugs allein noch nicht den für den Gutglaubenserwerb nach § 932 BGB erforderlichen Rechtsschein. Zu den Mindesterfordernissen für einen gutgläubigen Erwerb eines gebrauchten Kraftfahrzeugs gehört in der Regel, dass sich der Erwerber den Kraftfahrzeugbrief bzw. die Zulassungsbescheinigung Teil II vorlegen lässt, um die Berechtigung des Veräußerers zu prüfen. Auch wenn der Veräußerer im Besitz des Fahrzeugs und des Briefs ist, kann der Erwerber bösgläubig sein, wenn besondere Umstände seinen Verdacht erregen mussten und er diese unbeachtet lässt. Eine allgemeine Nachforschungspflicht des Erwerbers besteht nicht.

3. Durch die Vermietung des Fahrzeugs wird der unmittelbare Besitz freiwillig aufgegeben. Der Mieter des Fahrzeugs erwirbt den unmittelbaren Besitz gem. § 854 Abs. 1 BGB an diesem und ist nicht Besitzdiener nach § 855 BGB.

4. Die Übergabe eines Schlüssels bewirkt allerdings nur dann einen Besitzübergang, wenn der Übergeber die tatsächliche Gewalt an der Sache willentlich und erkennbar aufgegeben und der Empfänger des Schlüssels sie in gleicher Weise erlangt hat. Hieran fehlt es etwa, wenn der Schlüssel zwecks bloßer Besichtigung des Fahrzeugs übergeben wird.

 

Achtung, Vorfrist für die Rechtsmittelbegründung, oder: Die Sorgfaltspflicht bei der Fristenkontrolle

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Und als letztes „Entscheidungsposting“ des Jahres hier etwas ganz Kurzes zum BGH, Beschl. v. 24.10.2023 – VI ZB 53/22betreffend die Sorgfaltspflicht des Rechtsanwalts hinsichtlich der sog. Vorfris. Ich beschränke michauf dne Leitsatz, der lautet:

Ein Rechtsanwalt hat durch geeignete organisatorische Vorkehrungen dafür Sorge zu tragen, dass Fristversäumnisse möglichst vermieden werden. Hierzu gehört die allgemeine Anordnung, bei Prozesshandlungen, deren Vornahme ihrer Art nach mehr als nur einen geringen Aufwand an Zeit und Mühe erfordert, wie dies regelmäßig bei Rechtsmittelbegründungen der Fall ist, außer dem Datum des Fristablaufs noch eine grundsätzlich etwa einwöchige Vorfrist zu notieren. Die Eintragung einer Vorfrist bietet eine zusätzliche Fristensicherung. Sie kann die Fristwahrung in der Regel selbst dann gewährleisten, wenn die Eintragung einer Rechtsmittelbegründungsfrist versehentlich unterblieben ist.

 

(Liege)Radfahrer überholt Reiterinnen, oder: Obacht!

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Im „Kessel Buntes“ stelle ich heute zwei zivilrechtliche Entscheidungen vor. Beide haben mit „Fahrradunfällen“ zu tun.

Im LG Frankenthal, Urt. v. 22.05.2020 – 4 O 10/19 – geht es um die Sorgfaltspflicht eines Radfahrers beim Überholen von Pferden. Der Fahrer eines Liegefahrrads – der Kläger – wollte auf einem Radweg zwei Pferde überholen. Beim Überholen schlug eines der Pferde mit den Hufen aus und brachte den Radfahrer zu Fall. Der erlitt Prellungen, Schürfwunden und eine Verletzung an der Hand. Der Radfahrer hat seinen Schaden geltend gemacht und ein Schmerzensgeld. Das LG ist von der Tierhalterhaftung der Reiterinnen ausgegangen, aber auch von einem hältigen Mitverschulden des klagenden Radfahrers:

„Bei der gebotenen Abwägung im Rahmen des § 254 Abs. 1 BGB ist in erster Linie das Maß der Verursachung maßgeblich, in dem die Beteiligten zur Schadensentstehung beigetragen haben; das beiderseitige Verschulden ist nur ein Faktor der Abwägung (vgl. etwa BGH, Urteil vom 9. Juli 1968 – VI ZR 171/67VersR 1968, 1093, 1094 m.w.N.; vom 20. Januar 1998 – VI ZR 59/97VersR 1998, 474, 475). Es kommt danach für die Haftungsverteilung entscheidend darauf an, ob das Verhalten des Schädigers oder das des Geschädigten den Eintritt des Schadens in wesentlich höherem Maße wahrscheinlich gemacht hat (vgl. BGH, Urteile vom 20. Januar 1998 – VI ZR 59/97 – aaO; vom 12. Juli 1988 – VI ZR 283/87VersR 1988, 1238, 1239 m.w.N.).

Vorliegend ist dem Kläger ein Verstoß gegen § 5 Abs. 4 S. 2 StVO anzulasten. Auch auf Radwegen sind die Vorschriften der StVO zu beachten. Aus dem Umstand, dass der Reiter den Radweg nicht benutzen darf, folgt nicht, dass hierdurch die Verkehrsregeln diesem gegenüber außer Kraft treten. Gemäß § 5 Abs. 4 S. 2 StVO muss beim Überholen ein ausreichender Seitenabstand zu anderen Verkehrsteilnehmern eingehalten werden. Auch Radfahrer haben den nach § 5 Abs. 4 Satz 2 StVO erforderlichen Seitenabstand einzuhalten. Welcher Abstand geboten ist, hängt von den konkreten Bedingungen des Einzelfalls ab. Der Abstand muss so groß sein, dass Schreckreaktionen der überholten Verkehrsteilnehmer nicht zu erwarten sind. Beim Überholen von Pferden und Zugtieren ist gehörig Abstand zu halten (Helle in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 1. Aufl., § 5 StVO (Stand: 22.07.2019) Rn. 68 ff.). Dabei ist zwar grundsätzlich ein Seitenabstand beim Passieren eines anderen Verkehrsteilnehmers von einem Meter ausreichend. Dies gilt aber nicht, wenn zum Beispiel ein Radfahrer oder ein Reiter passiert werden muss, weil im ersteren Fall mit Schlenkern und beim Reiter oder auch anderen Tieren mit einer plötzlichen Reaktion des Tiers gerechnet werden muss (OLG Celle NJW-RR 2018, 728; OLG Celle, Urt. v. 19.12.2002 – 14 U 94/02, BeckRS 2002, 30299252), sodass ein Seitenabstand von wenigstens 1,5 bis etwa 2 m einzuhalten ist (OLG Celle NJW-RR 2018, 728; OLG Brandenburg, NJW-RR 2011, Seite 1400; Hentschel/König/Dauer, StraßenverkehrsR, 44. Aufl. 2017, § 5 StVO Rn. 54, 55). Diesen auch hier erforderlichen Seitenabstand hat der Kläger nach eigenem Vortrag nicht eingehalten. Er hat im Rahmen seiner informatorischen Anhörung selbst angegeben, dass er in einem Abstand von einem „guten Meter“ an dem Pferd vorbeigefahren ist. Als das Pferd dann ausgetreten habe, sei er seitlich neben dem Pferd, mit dem Oberkörper vielleicht noch 30-40 cm seitlich hinter den Hinterbeinen gewesen (Seite 3 des Sitzungsprotokolls, Bl. 126 d.A.). Dass ein größerer Abstand aufgrund der geringen Breite des Radweges nicht eingehalten werden konnte, kann den Kläger nicht entlasten. Es war ihm unbenommen, sich mit den Reitern über die Möglichkeit eines Passierens oder eines Ausweichortes zu verständigen. Unabhängig davon, ob durch die  Reiter der Versuch einer Verständigung unternommen wurde, hätte ein solcher auch von dem Kläger ausgehen können. Es ist auch nicht deshalb ein geringerer Seitenabstand zu fordern, weil es sich nicht um ein Kraftfahrzeug, sondern um ein Liegefahrrad handelt. Der Seitenabstand dient der Vermeidung von Schreckreaktionen. Diese können ebenso durch ein Liegefahrrad, das hier noch mit einer Fahne ausgestattet war, ausgelöst werden.

Unabhängig von diesem Verstoß gegen § 5 Abs. 4 S. 2 StVO ist im Rahmen des Mitverschuldens der Verletzungsbeitrag zu berücksichtigen, den der Kläger durch das Sich-Nähern an ein Pferd von hinten mit einem zu geringen Abstand gesetzt hat. Dieser ist dann von Bedeutung, wenn der Verletzte „ohne Not an einem fremden Pferd so nahe vorbeigeht, dass er den Angriffs- oder Verteidigungsbewegungen des Pferdes … ausgesetzt ist“ (RG JW 1906, 739; s. auch BGH JZ 1955, 87). Bei einer Entfernung von unter 150 cm besteht die Gefahr, beim Auskeilen von einem Huf getroffen zu werden. Dies ist auch nicht lediglich einem erfahrenen Reiter bekannt. Es ist allgemein bekannt, dass sich hinter einem Pferd ein spezifischer („Austreten“) Gefahrenbereich befindet (vgl. OLG Koblenz, Urteil vom 31. Januar 2002 – 5 U 465/01 –, juris, VersR 2003, 1317; OLG Stuttgart, Urteil vom 24. Januar 2011 – 5 U 114/10 –, juris Rn 23). Allein daraus, dass in den Entscheidungen, die sich auf einen Reiter beziehen, ausgeführt wird, dass dies jedem Reiter bekannt sei (OLG Hamm, Urteil vom 16. November 2018 – 9 U 77/17 –, juris), kann nicht der Umkehrschluss gezogen werden, dass es anderen Personen (Nicht-Reitern) nicht bekannt sei. Schließlich ist zu berücksichtigen, dass die Absicht der Reiter, die Konfrontation der Pferde mit dem Liegefahrrad zu vermeiden, für den Kläger erkennbar gewesen wäre. Denn die Reiter sind diesem zunächst entgegen geritten und haben dann, nachdem sie in Sichtweite waren, gewendet. Zwar ist nicht erwiesen, dass die Zeugen dem Kläger akustisch verständlich ihr Vorhaben erklärt haben. Die Zeugin A hat angegeben, sie hätten zwar auch was zu dem Radfahrer gesagt, aber sie vermute, dass er das nicht gehört habe (vgl. Seite 9 des Sitzungsprotokolls, Bl. 132). Allerdings ist das Gericht davon überzeugt, dass die Zeugen dem Kläger per Handzeichen mit einer Drehbewegung ihre Wendeabsicht angezeigt haben. Die Zeugin A hat angegeben, sie hätten versucht, dem Fahrradfahrer zu erklären, dass sie umdrehen, um auf die Wiese zu kommen. Sie hat angegeben, die Handzeichen habe der Zeuge B gemacht. Sie selbst könne nicht mehr sagen, wie genau er die Handzeichen gemacht habe (vgl. Seite 9 des Sitzungsprotokolls, Bl. 132). Auch der Zeuge B hat angegeben, sie hätten dem Kläger mit einem Handzeichen zu verstehen gegeben, dass sie umdrehen. Er hat auf Nachfrage eine Drehbewegung mit dem Zeigefinger in der Luft gemacht (vgl. Seite11 des Sitzungsprotokolls, Bl. 134 d.A.). Das Gericht erachtet die Zeugen als glaubwürdig und die Angaben als glaubhaft. Die jungen Zeugen ließen keinerlei Belastungseifer oder Entlastungstendenz erkennen. Vielmehr schilderten sie das Geschehen aus ihrer Erinnerung und ließen dabei auch für sie ungünstige Umstände nicht aus. So hat beispielsweise die Zeugin A selbst angegeben, dass der Kläger das, was sie sagten, vermutlich nicht hören konnte. Dass die Zeugin selbst sich an die konkrete Ausführung des Handzeichens, das sie selbst auch nicht gemacht hat, nicht erinnern konnte, ist demgegenüber nachvollziehbar und auch dies legte die Zeugin offen dar. Aufgrund des Handzeichens hätte der Kläger den nach dem Sichtkontakt erfolgten Wendevorgang der Reiter mit seiner Anwesenheit und der Enge des Radwegs in Verbindung bringen und damit die Absicht der Reiter, eine Konfrontation zu vermeiden, erkennen können.

Bei Abwägung der wie dargelegt aus § 833 BGB folgenden Haftung mit diesem aus dem unterschrittenen Sicherheitsabstand folgenden Verursachungsbeitrag erachtet die Kammer eine hälftige Haftungsverteilung für angemessen. Die Tiergefahr ist dabei bei einem Reitpferd schon im Hinblick auf die Größe, Masse und Kraft im Sinne einer „Betriebsgefahr“ hoch zu veranschlagen (vgl. OLG Koblenz, Urteil vom 31. Januar 2002 – 5 U 465/01 –, juris, VersR 2003, 1317). Zudem ist die grundsätzliche Kenntnis der Beklagten von der Nutzung des Radweges zu berücksichtigen. Allerdings ist auf der Klägerseite der Verstoß gegen § 5 Abs. 4 S. 2 StVO in die Bemessung einzustellen. Nach Auffassung der Kammer ist dieser Verursachungsbeitrag mit 50% zu gewichten. Zwar wurde in der Rechtsprechung vielfach in Fällen, in denen sich ein Reiter ohne Sicherheitsabstand hinter einem Pferd befand, ein etwas geringeres Mitverschulden von etwa 1/3 zugrunde gelegt. Der vorliegende Fall unterscheidet sich davon jedoch zum einen dadurch, dass sich der Kläger dem Pferd nicht lediglich zu Fuß, sondern mit einem ungewöhnlich und für das Pferd unbekannten Fahrzeug genähert hat, was eine Schreckreaktion gegenüber der bloßen Anwesenheit einer Person noch begünstigt. Zum anderen liegt nicht lediglich eine Verletzung der Sorgfalt vor, die zum Schutz der eigenen Person erforderlich ist, sondern zugleich ein Verstoß gegen § 5 Abs. 4 S. 2 StVO, der in den klägerseits angeführten Entscheidungen nicht zu berücksichtigen war. Im Falle eines einen Radweg benutzenden Fußgängers wurde dessen Haftungsquote bei einer Kollision mit einem Radfahrer mit lediglich 25% angenommen (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 13. Januar 2003 – I¬1 U 110/02 –, juris). Auch im Falle eines entgegen der Benutzungspflicht des Radweges auf der Fahrbahn fahrenden Radfahrers wurde dessen Haftungsquote bei einer Kollision mit einem den erforderlichen Sicherheitsabstand nicht wahrenden Pkw mit 25 % angenommen (OLG Hamm, Urteil vom 28. Oktober 1993 – 6 U 91/93 –, juris). Der aus einer verbotswidrigen Nutzung eines Radweges oder einer Fahrbahn folgende Verursachungsbeitrag wird demnach gegenüber einem Verstoß gegen den erforderlichen Seitenabstand, der letztlich den Eintritt des Schadens verursacht hat, als geringer angesehen. Vorliegend war diese Quote jedoch auf Beklagtenseite aufgrund der spezifischen Tiergefahr zu erhöhen. Nach Auffassung der Kammer haben vorliegend bei einer Abwägung der beiderseitigen Verursachungsbeiträge aufgrund der erörterten Umstände die spezifische Tiergefahr bei durch die Beklagte in Kauf genommener Benutzung des Radweges und der sorgfaltswidrige Überholvorgang durch den Kläger in gleicher Weise zu dem Schaden beigetragen und sind gleich zu gewichten.“

Wenn der Fußgänger unachtsam die Fahrbahn überquert, oder: Alleinhaftung.

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Author: MarianSigler

Im Straßenverkehrsrecht ist es grds. ja so, dass der Kfz-Führer gegenüber einem „schwächeren“ Verkehrsteilnehmern, wie z.B. Fußgängern oder Radfahrern, zu erhöhter Aufmerksamkeit verpflichtet ist. Der Kfz-Führer bleibt dahher dann bei einem Unfall meist auf seiner Betriebsgefahr sitzen. Anders hat vor einiger Zeit das OLG Dresden im OLG Dresden, Urt. v. 09.05.2017 – 4 O 1596/16 – entschieden. Da hatte ein Fußgänger aus Sicht des Kraftfahrzeugführers von links die Straße unmittelbar vor zwei weiteren sich im Gegenverkehr befindlichen Pkw unter Verstoß gegen § 25 Abs. 3 StVO überquert und war beim Erreichen der Gegenfahrbahn vom Fahrzeug des beklagten Pkw-Führer erfasst worden.

Das OLG Dresden ist von Alleinhaftung des Fußgängers ausgegangen. Das OLG sagt: Den Unfall hat er Fußgänger durch sein „grob fahrlässiges Verhalten allein verschuldet. Ein schuldhaftes Verhalten des Beklagten zu 1 lässt sich nicht feststellen. Die Haftung der Beklagten zu 2. und 3. aus Betriebsgefahr des Fahrzeugs und die Haftung des Beklagten zu 1. für vermutetes Verschulden tritt hinter dem grob schuldhaften Verhalten des Klägers zurück, denn die sorglose Fahrbahnüberquerung des Klägers durch „Hindurchschlängeln“ durch den zügig fließenden Fahrzeugverkehr stellt ein besonders grobes Eigenverschulden dar.“

Das OLG weiter: Ein Fußgänger darf die Fahrbahn nur dann betreten, wenn er sich zuvor vergewissert hat, dass er keinem Fahrzeug in den Weg tritt. Die Fahrbahn dient in erster Linie dem Fahrzeugverkehr. Wenn ein Fußgänger auf den Fahrzeugverkehr nicht entsprechend achtet, handelt er in der Regel grob fahrlässig. Das sorglose Überqueren der Fahrbahn ist ein besonders grobes Eigenverschulden dar, welches die Haftung des Kraftfahrzeugführers für vermutetes Verschulden aus der Betriebsgefahr vollständig zurücktreten lässt.

Verlassen eines Grundstücks – da muss man besonders aufmerksam sein

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Keine bahnbrechenden neuen Aussagen enthält das AG Schwarzenbek, Urt. v. 23.05.2016 – 2 C 741/15. Es erinnert aber noch einmal an die Sorgfaltspflichten des Fahrzeugführers bei Verlassen einer Einfahrt (§ 10 StVO). Dann gilt: Ein Fahrzeugführer hat sich bei Verlassen einer Einfahrt so zu verhalten, dass eine Gefährdung vorfahrtberechtigter anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Verletzt er diese Pflichten, tritt die Betriebshaftung des Fahrzeuges des Vorfahrtberechtigten hinter dieses Verschulden zurück und der die Einfahrt Verlassende haftet voll:

„Dementsprechend hat die Beklagte zu 2) den ihr obliegenden Beweis, dass sie dem Kläger ein gefahrloses Vorbeifahren an ihrem Fahrzeug ermöglicht hätte, nicht erbracht hat. Vielmehr hat sie durch ihre Fahrweise den Kläger zu einer Vollbremsung und einem anschließenden Ausweichmanöver gezwungen, um einen Zusammenstoß mit ihrem Fahrzeug zu vermeiden. Aufgrund der Verletzung dieser Kardinalpflicht aus § 8 StVO konnte und musste die von dem Fahrzeug des Klägers ausgehende Betriebsgefahr unberücksichtigt bleiben, so dass die Beklagten grundsätzlich zu 100 % haften.“