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Berufung der StA – (doch) kein Pflichtverteidiger?

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In der Praxis wird i.d.R. dann, wenn die StA gegen ein freisprechendes Urteil mit dem Ziel der Verurteilung Berufung einlegt, dem Angeklagten ein Pflichtverteidiger nach § 140 Abs. 2 StPO beigeordnet. Man geht davon aus, dass die Sache dann i.d.R. „schwierig“ ist.

Anders sieht es jetzt das OLG Köln, Beschl. v. 02.02.2012 – 2 Ws 91/12:

Der vorliegende Fall ist jedoch so gelagert, dass eine Ausnahme vom Regelfall anzunehmen ist, weil der Angeklagte wegen der einfachen Sachlage keines juristischen Beistands bedarf. Die Staatsanwaltschaft hat das Rechtsmittel nicht eingelegt, weil sie die erhobenen Beweise anders würdigt als die erste Instanz, sondern weil sie die Auffassung vertritt, das Amtsgericht habe es versäumt, die Zeugen PK’in Ka. und K. zu vernehmen. Die Strafkammer hat zu der auf den 22.02.2012 anberaumten Hauptverhandlung neben dem erstinstanzlich vernommenen Zeugen PK M. auch die Zeugen PK’in Ka. und K. geladen. Damit wird nunmehr die alle Beweismittel erschöpfende Beweisaufnahme durchgeführt, die eigentlich bereits in erster Instanz sachgerecht und geboten gewesen wäre. Im Rahmen des erstinstanzlichen Verfahrens war aber eine Beiordnung nach Maßgabe des § 140 Abs. 2 StPO ersichtlich nicht erforderlich – und ist im Übrigen von dem Angeklagten auch nicht beantragt worden. Eine abweichende Aussage des in erster Instanz vernommenen Zeugen PK M., der den Angeklagten als Verkäufer der Betäubungsmittel nicht identifizieren konnte, ist nicht zu erwarten, so dass auch unter diesem Gesichtspunkt die Beweiswürdigung keine besondere Schwierigkeit aufweist. Schließlich ist auch nicht deshalb eine notwendige Verteidigung zu bejahen, weil die Berufungsbegründung auf das gegen den Zeugen K. geführte Strafverfahren verweist. Das Hauptverhandlungsprotokoll vom 24.05.2011 in der Strafsache gegen den Zeugen K. kann in der Berufungshauptverhandlung genauso wie das gegen den Zeugen K. ergangene Urteil verlesen werden. Ausweislich des Protokolls hat der Zeuge die ihm zur Last gelegte Straftat umfassend eingeräumt, ohne Angaben zur Person des Verkäufers der Betäubungsmittel zu machen; auch insoweit ist eine abweichende Aussage ausgeschlossen. Demnach ist auch der den Zeugen K. betreffende Sachverhalt so einfach gelagert, dass in der Hauptverhandlung Fragen dazu gestellt werden können, ohne dass eine sachgerechte Verteidigung vorherige Gewährung von Akteneinsicht erfordern würde. Der vorliegende Fall rechtfertigt somit eine andere Beurteilung als der der o.a. Senatsentscheidung vom 20.05.2003 zugrunde liegende Sachverhalt.“

Na ja, kann man auch anders sehen.

Längenzuschlag: Mit oder ohne Wartezeit? – Natürlich mit

Manche Probleme spielen in Rechtsprechung und Literatur eine Zeit lang eine – manchmal erhebliche – Rolle, dann sind sie aber auf einmal verschwunden. Es erinnert dann häufig nur später noch einmal ein Gerichtsbeschluss, dass es da mal eine (Streit)Frage gab. So ist es mit dem gebührenrechtlichen Problem der Berechnung der für den dem Pflichtverteidiger zustehenden Längenzuschlag maßgeblichen Hauptverhandlungszeit (vgl. z.B. Nr. 4110 VV RVG).

Umstritten war u.a. die Frage, ab welchem Zeitpunkt gerechnet wird: Ab angesetzter Terminsstunde oder erst ab Aufruf der Sache. Je nachdem, ab wann man rechnet, können die für den Längenzuschlag erforderlichen fünf bzw. acht Stunden Hauptverhandlungszeit erreicht sein oder nicht.

Ganz h.M. in der Rspr. der OLG ist es, dass ab angesetzter Terminsstunde gerechnet wird, wenn der Pflichtverteidiger zu dem Zeitpunkt anwesend ist.

Dieses Gebührenproblem hat jetzt noch einmal das OLG Köln, Beschl. v. 27.03.2012 – 2 Ws 227/12 in Erinnerung gerufen. Er schließt sich der h.M. an, so dass nun nur noch das OLG Rostock und das OLG Saarbrücken a.A. sind. Und: Das OLG Köln, a.a.O., verweist auf unseren RVG-Kommentar. Liest man natürlich gern, denn (ein wenig) eitel ist man als Kommentator ja doch 🙂 :-).

Nur zur Abrundung: Pflichtverteidiger bei § 81a StPO im Bußgeldverfahren

Nur zur Abrundung weise ich auf den OLG Köln, Beschl. v.27.10.2011 – III – 1 RBs 253/11 hin. Danach ist auch im Bußgeldverfahren, wenn die mit der Verwertung einer Blutentnahme zusammenhängenden Fragen streitig werden., ein Pflichtverteidiger beizuordnen.

Der Senat folgt insoweit der Auffassung des OLG Bremen (NStZ-RR 2009, 353 = StV 2011, 83 = DAR 2009, 710) und des OLG Brandenburg (NJW 2009, 1287), wonach von einem Fall notwendiger Verteidigung auszugehen ist, wenn in der Hauptverhandlung eine Auseinandersetzung mit der Frage erforderlich ist, ob das Ergebnis eines Blutalkoholgutachtens wegen Verletzung des Richtervorbehalts einem Verwertungsverbot unterliegt (vgl. a. OLG Hamm NStZ-RR 2009, 353 Ls = DAR 2009, 710). Dazu mag in der obergerichtlichen Rechtsprechung mittlerweile zu den Grundzügen eine weitgehende Klärung herbeigeführt worden sein (vgl. aber etwa Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl. 2011, § 81a Rdnr. 25b: „uneinheitliche Rspr. kaum noch überschaubar“; Ludovisy/Eggert/Burhoff, Praxis des Straßenverkehrsrechts, 5. Aufl. 2011, Rdnr. 635: „Die zu der gesamten Problematik nach nunmehr mehr als drei Jahren vorliegende Rechtsprechung ist inzwischen unüberschaubar geworden.“). Dennoch sind in einem solchen Fall umfangreiche und komplizierte Erwägungen anzustellen (OLG Hamm a. a. O.), zu denen die Verteidigungsfähigkeit eines 23-jährigen Betroffenen im Regelfall nicht ausreichen wird. Dass es sich hier ausnahmsweise anders verhalten haben sollte, ist durch nichts belegt.“

Was ist darüber hinaus anzumerken:

  1. Die vom OLG angeführte Entscheidung des OLG Brandenburg betrifft nicht das Bußgeldverfahren, sondern ist im Strafverfaharen ergangen.
  2. In den Segelanweisungen dann das Bekannte: Ein Beweiserhebungsverbot hat zwar ggf. vorgelegen, aber darauf folgt dann ein Beweisverwertungsverbot. Da macht die neue Hauptverhandlung dann doch gleich Freude :-).

Das „Schweizer Offiziersmesser“ – ein gefährliches Werkzeug…

Das Amtsgericht hat den Angeklagten wegen „Diebstahls geringwertiger Sachen“ schuldig gesprochen, ihn verwarnt und sich die Verurteilung zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 40,- € vorbehalten. Dagegen die Berufung der StA, zu der das LG folgende Feststellungen trifft:

Der Angeklagte begab sich am 30.01.2010 gegen 14:45 Uhr in die Verkaufsräume der Firma S in K. Dort entnahm er einer Auslage die Verpackung eines Head-Sets und öffnete mit einem mitgeführten Taschenmesser die Verpackung. Sodann entnahm er die Ware und versteckte die leere Verpackung. An der Kasse bezahlte er sodann einen anderen Gegenstand und verließ das Ladenlokal, ohne das entnommene Head-Set, im Wert von 40,95 € zu bezahlen. Nachdem der Angeklagte das Ladenlokal verlassen hatte, wurde er von Detektiven, die den Diebstahl beobachtet hatten, auf den Diebstahl angesprochen. Der Angeklagte räumte die Tat ein und bezahlte nachträglich die Ware. Die Firma S stellte Strafantrag wegen Diebstahls. Bei dem vom Angeklagten mitgeführten Taschenmesser handelt es sich um ein sog. Schweizer Offiziersmesser mit einer heraus klappbaren Klinge von 6 cm Länge und maximal 1,2 cm Breite, wobei eine Seite der Klinge scharf und die andere stumpf ist.“

Die Berufung der StA mit dem Ziel der Verurteilung wegen Diebstahls mit Waffen (§ 244 Abs. 1 Nr. 1 a StGB) wird verworfen. Dagegen dann die Revision, die beim OLG Köln Erfolg hat. Das OLG Köln, Urt. v. 10.01.2012 – III-1 RVs 258/11 sagt: Das verwendete „Schweizer Offiziersmesser“ mit der Klingenlänge von 6 cm ist zwar keine Waffe, aber ein gefährliches Werkzeug i.S. des § 244 Abs. 1 Nr. 1 a StGB, denn es bleibt bleibt die latente Gefahr des Einsatzes gegenüber Menschen. Auf den Umstand, dass der Einsatz des Messers gegen Menschen konkret nicht gedroht habe, komme es nicht.

Damit Änderung des Schuldspruchs möglich, aber dennoch Zurückverweisung. Denn:

Es fehlt aber bisher an Feststellungen zur subjektiven Tatseite (Vorsatz) des Qualifikationstatbestandes (vgl. insoweit Fischer a.a.O. § 244 Rn. 31). Dass der Angeklagte das Messer zur Wegnahme – zum Öffnen der Verpackung des Head-Sets – eingesetzt hat, erübrigt solche Feststellungen nicht. Der Vorsatz muss sich auch auf die Gefährlichkeit des Werkzeugs erstrecken (vgl. OLG Schleswig NStZ 2004, 212; Fischer a.a.O.).

Munition für die Vollmachtsverweigerer…

bietet das OLG Köln, Beschl. v. 05.10.2011 – III-1 RBs 278/11, das sich nach seinem Leitsatz mit einer ganz anderen Frage, nämlich der ausreichenden Begründung einer Verfahrensrüge und der Verletzung des rechtlichen Gehörs, wenn gegen den von der Verpflichtung zum Erscheinen entbundenen Betroffenen ein Abwesenheitsurteil nach § 74 Abs. 1 Satz 1 OWiG ergangen, obwohl sein Verteidiger  zu dem Termin nicht geladen worden und nicht erschienen ist, befasst. In den Beschlussgründen führt das OLG dann aber auch aus:

„Hierbei schadet es nicht, dass die Verteidigerin bis heute keinen Nach­weis in Form einer Vollmacht für ihre Verteidigerbeauftragung erbracht hat. Grundsätzlich genügt die Anzeige des Verteidigerverhältnisses gegenüber dem Gericht bzw. wie vorliegend erfolgt im Verwaltungsver­fahren (vgl. OLG Braunschweig DAR 92, 392; Meyer-Goßner 53. Auf­lage, vor § 137 StPO, Rdnr. 9). Eine Wiederholung der Bestellungsan­zeige an das Gericht nach vorheriger Abgabe im Verwaltungsverfahren war nicht erforderlich (vgl. KG Berlin Beschluss vom 08.11.2000 – 2 Ss 192/00 -; OLG Koblenz VRS 94, 219; OLG Düsseldorf DAR 1979, 340).

Überliest man schnell. War mir zunächst auch passiert.