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OWi III: Bezugnahme auf Messfoto, oder: „… Datenfeld mit fünf Spalten und jeweils drei bzw. zwei Zeilen“

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Und zum Tagesschluss dann nochmals eine Entscheidung zur Bezugnahme (§ 267 Abs. 3 Satz 1 StPO). Aber nicht in Zusammenhang mit der Fahreridentifizierung, sondern im Hinblick auf eine Bezugnahme auf das Datenfeld auf dem Messfoto. Insoweit ist ja nicht ganz unstreitig, ob darauf verwiesen werden kann.

Das OLG Hamm nimmt dazu im OLG Hamm, Beschl. v. 09.03.2021 – 4 RBs 44/21 – wie folgt Stellung:

„Das Amtsgericht hat die Betroffene wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit zu einer Geldbuße von 160 Euro verurteilt und gegen sie ein einmonatiges Fahrverbot – unter Gewährung der sog. „Viermonatsfrist – festgesetzt. Gegen das Urteil wendet sich die Betroffene mit der Rechtsbeschwerde. Sie rügt die Verletzung materiellen Rechts und erhebt Verfahrensrügen und beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Paderborn zurückzuverweisen. Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Rechtsbeschwerde als offensichtlich unbegründet zu verwerfen.

II.

Die zulässige Rechtsbeschwerde hat auf die Sachrüge hin Erfolg und führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht Paderborn (§§ 79 Abs. 3, 6 OWiG, 354 Abs. 2 StPO).

Die getroffenen Feststellungen zur gefahrenen bzw. gemessenen Geschwindigkeit sind (womöglich infolge von Schreibversehen oder Rechenfehlers) widersprüchlich und tragen die Verurteilung wegen des der Betroffenen vorgeworfenen Geschwindigkeitsverstoßes daher nicht. In den Feststellungen (II. der Urteilsgründe) heißt es, dass das Fahrzeug der Betroffenen „mit einer Geschwindigkeit von 82 km/h“ gemessen worden sei. Nach Abzug des Sicherheitsabschlags von 3 km/h ergebe sich eine „vorwerfbare Geschwindigkeit von 83 km/h und somit eine Überschreitung von 32 km/h“. Wäre das von der Betroffenen geführte Fahrzeug tatsächlich mit einer Geschwindigkeit von 82 km/h gemessen worden, so wäre nach Abzug des Sicherheitsabschlages von 3 km/h eine tatsächlich gefahrene Geschwindigkeit von nur 79 km/h zu Grunde zu legen. Mit dem vom Amtsgericht zu Grunde gelegten Wert von 82 km/h tatsächlicher gefahrener Geschwindigkeit korrespondiert zwar die Angabe in der Beweiswürdigung, dass sich aus dem „gefertigten Messfoto nebst Datenfeld (Bl. 7 der Akte)“ eine Geschwindigkeit von 85 km/h habe ablesen lassen. Der Senat kann aber letztlich mit dem ihm zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen (maßgeblich für die Überprüfung des angefochtenen Urteils auf die Sachrüge hin ist allein der Inhalt des Urteils) nicht feststellen, welche der Angaben bzw. ob überhaupt eine von ihnen zutrifft. Der Senat kann im Rahmen der Überprüfung auf die Sachrüge hin auch nicht auf das Datenfeld des Messfotos zurückgreifen. Soweit in der Beweiswürdigung ein Klammerzusatz „Blatt 7 der Akte“ als Bezugnahme i.S.v. § 267 Abs. 1 S. 3 StPO auf das Datenfeld des Messfotos verstanden werden könnte, ist ein solcher Verweis grundsätzlich unzulässig. Eine Bezugnahme ist nach § 267 Abs. 1 S. 3 StPO nur auf Abbildungen möglich. Bei dem Datenfeld auf dem Messfoto handelt es sich aber um eine Urkunde (vgl. OLG Hamm NStZ-RR 2016, 121 m.w.N.; Krenberger jurisPR-VerkR 8/2016 Anm. 5). Soweit in einer Entscheidung des KG Berlin (NStZ-RR 2016, 27, 28) vertreten wird, ein Verweis sei – obwohl es sich bei dem Datenfeld um eine Urkunde handele – dann ausnahmsweise zulässig, wenn dessen gedanklicher Inhalt sich ausnahmsweise auf einen Blick erfassen lasse, kann der Senat dem nicht folgen. Letztendlich kann das aber dahinstehen, da sich der gedankliche Inhalt hier – bei eine Datenfeld mit fünf Spalten und jeweils drei bzw. zwei Zeilen – auch nicht auf einen Blick erfassen lässt. Hinzu kommt, dass der Klammerzusatz „Blatt 7 der Akte“ auch schon keine wirksame Bezugnahme i.S.v. § 267 Abs. 1 S. 3 StPO darstellt. Eine solche Bezugnahme muss eindeutig und zweifelsfrei sei. Im Einzelfall kann auch ein bloßer Klammerzusatz mit der Fundstelle genügen (BGH NStZ-RR 2016, 178). Im vorliegenden Fall ergibt sich nicht zweifelsfrei, dass der genannte Klammerzusatz tatsächlich eine Bezugnahme darstellen soll. Das Amtsgericht hat an einer Vielzahl von Stellen solche Klammerzusätze mit Fundstellenangaben vorgenommen, welche schon nach der Mitteilung im angefochtenen Urteil eindeutig keine Abbildungen (sondern Urkunden) enthalten (Schulungsnachweis des Messbeamten, Messprotokoll, Eichschein). Es kann daher nicht eindeutig davon ausgegangen werden, dass hier tatsächlich Bezugnahmen i.S.v. § 267 Abs. 1 S. 3 StPO vorgenommen werden sollten oder sonstige – letztlich im Straf- und Ordnungswidrigkeitenverfahren überflüssige – Fundstellennachweise.

Angesichts dessen kommt der Senat nicht umhin, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache an das Amtsgericht zurückzuverweisen. Da Gründe, warum nicht der Richter des ersten Rechtszuges erneut entscheiden sollte, nicht ersichtlich sind (vgl. KK-Hadamitzky, OWiG, 5. Aufl., § 79 Rdn. 161), bedurfte es der Zurückverweisung an eine andere Abteilung des Amtsgerichts nicht.“

„kommt der Senat nicht umhin“ – auch mal wieder eine Formulierung, bei der man merkt, dass dem OLG die eigene Entscheidung nicht gefällt.

Wiedereinsetzung I: Nachholung von Verfahrensrügen, oder: Nicht zur Reparatur „handwerklicher Mängel“

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Heute ist dann ein Wiedereinsetzungstag mit zwei BGH-Entscheidungen und zwei OLG-Entscheidungen. M.E. sind diese Fragen schon von Bedeutung. Denn Wiedereinsetzungsanträge haben ja häufig keinen Erfolg, weil bei der Antragstellung Fehler gemacht werden.

Ich beginne mit zwei Entscheidungen zur Wiedereinsetzung zur Nachholung von Verfahrensrügen.

Dazu hat zuletzt u.a. auch der BGH noch einmal Stellung genommen. Er führt dazu im BGH, Beschl. v. 02.12.2020 – 2 StR 267/20 – aus:

„1. Der Antrag des Angeklagten, ihm Wiedereinsetzung in die Frist zur Begründung der Revision gegen das Urteil des Landgerichts Köln vom 31. Januar 2020 zu gewähren, ist unzulässig, weil seine Revision bereits von seinen Pflichtverteidigern frist- und formgerecht begründet worden ist.

Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Nachholung von Verfahrensrügen kommt nur ausnahmsweise bei besonderen Verfahrenslagen in Betracht, in denen dies zur Wahrung des Anspruchs des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) unerlässlich erscheint (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschlüsse vom 21. Februar 1951 – 1 StR 5/51, BGHSt 1, 44, 46; vom 23. August 2012 – 1 StR 346/12; vom 14. November 2019 – 5 StR 505/19 je mwN). Ein solcher Ausnahmefall liegt hier – wie vom Generalbundesanwalt näher ausgeführt – nicht vor, auch nicht mit Blick darauf, dass die Urteilszustellung an den Wahlverteidiger zunächst nicht bewirkt werden konnte. Durch die sodann erfolgte spätere Zustellung der Urteilsurkunde wurde die Revisionsbegründungsfrist für den Beschwerdeführer insgesamt sogar verlängert.

2. Der weitere Antrag des Angeklagten auf Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Heilung der Mängel von nicht den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO entsprechenden Verfahrensrügen ist ebenfalls unzulässig. Die Zulässigkeit des Wiedereinsetzungsgesuchs ergibt sich insbesondere nicht daraus, dass geltend gemacht wird, den Angeklagten treffe an den Mängeln kein Verschulden. Könnte ein Angeklagter, dem durch die Antragsschrift des Generalbundesanwalts ein formaler Mangel in der Begründung einer Verfahrensrüge aufgezeigt worden ist, diese unter Hinweis auf ein Verschulden seines Verteidigers nachbessern, würde im Ergebnis die Formvorschrift des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO außer Kraft gesetzt. Dies würde nicht mit dem öffentlichen Interesse in Einklang stehen, einen geordneten Fortgang des Verfahrens zu sichern und ohne Verzögerung alsbald eine klare Verfahrenslage zu schaffen. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Nachbesserung einer Verfahrensrüge kommt daher nur in besonderen Prozesssituationen ausnahmsweise in Betracht, wenn dies zur Wahrung des Anspruchs des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) unerlässlich erscheint (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschlüsse vom 28. August 1991 – 4 StR 384/91, wistra 1992, 28; vom 25. September 2012 – 1 StR 361/12, wistra 2013, 34). Eine solche Ausnahmesituation liegt ersichtlich nicht vor.“

Ähnlich das OLG Hamm im OLG Hamm, Beschl. v. 06.01.2021 – 4 RVs 131/20 – mit folgenden Leitsätzen zu diesem Komplex:

1. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Nachholung einzelner Revisionsrügen ist in der Regel jedenfalls dann ausgeschlossen, wenn der Angeklagte und sein Verteidiger in der tatrichterlichen Hauptverhandlung anwesend waren. Ist die Revision des Angeklagten infolge der rechtzeitig erhobenen Sachrüge frist- und formgerecht begründet worden, kommt eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Nachholung von Verfahrensrügen nur ausnahmsweise bei besonderen Verfahrenslagen in Betracht, in denen dies zur Wahrung des Anspruchs des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) unerlässlich erscheint. Ist Gegenstand der Verfahrensrüge und Anlass für das Wiedereinsetzungsgesuch die Nichtgewährung von Akteneinsicht, muss der Beschwerdeführer zur Zulässigkeit seines Wiedereinsetzungsbegehrens für jede Rüge ausreichend darlegen, dass er gerade durch die fehlende Akteneinsicht an einer ordnungsgemäßen Begründung gehindert war.

2. Die §§ 44 ff. StPO dienen nicht dazu, etwaige (vom Angeklagten unverschuldete) handwerkliche Mängel in der Rechtsmittelbegründung seines Verteidigers nachträglich zu beheben, sondern nur dazu, über eine (vom Angeklagten nicht verschuldete) Fristversäumnis hinwegzuhelfen.

 

OWi III: Zweimal Zitiergebot/StVO-Novelle 2020, oder: OLG Hamm und OLG Braunschweig

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Und zur Abrundung am Tagesschluss dann noch zwei Entscheidungen zum „Zitiergebot“ – Stichwort: StVO-Novelle 2020.

Das OLG Hamm meint im OLG Hamm, Beschl. v. 25.01.2021 – III-1 RBs 226/20:

Die Frage, ob die 54. Verordnung zur Änderung straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften wegen Verstoßes gegen das verfassungsrechtliche Zitiergebot aus Art. 80 Abs. 1 S. 3 GG unwirksam ist, kann offen bleiben, denn selbst wenn das anzunehmen wäre, führt dies nicht dazu, dass die BKatV in ihrer bisherigen Form keine Grundlage mehr für die Ahndung von Verkehrsordnungswidrigkeiten darstellt (Anschluss: BayObLG, Beschl. v. 11.11.2020 – 201 ObOWi 1043/20).

Und dann noch das OLG Braunschweig mit dem OLG Braunschweig, Beschl. v. 04.12.2020 – 1 Ss (OWi) 173/20 -, der folgende Leitsätze hat:

1. Die Straßenverkehrsordnung in der Fassung vom 6. März 2013 verletzt das Zitiergebot nicht. Durch die in der Eingangsformel erfolgte Nennung einzelner Buchstaben des § 6 Abs. 1 Nr. 3 StVG ist auch der erste Halbsatz von § 6 Abs. 1 Nr. 3 StVG – der die allgemeine Ermächtigungsgrundlage zum Erlass für Vorschriften, unter anderem zur Erhaltung der Sicherheit und Ordnung auf öffentlichen Straßen, beinhaltet – mitumfasst. Denn der den Buchstaben nachfolgende Text bildet mit dem vorhergehenden ersten Satzteil (§ 6 Abs. 1 Nr. 3 Halbsatz 1 StVG mit dem jeweils nachfolgenden zweiten Satzteil der verschiedenen Buchstaben) eine untrennbare Einheit.

2. Eine etwaige (Teil-) Nichtigkeit der am 28. April 2020 in Kraft getretenen 54. Verordnung zur Änderung straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften vom 20. April 2020 wegen des fehlenden Zitats der für die Einführung der erweiterten Regelfahrverbote maßgeblichen Ermächtigungsgrundlage des § 26a Abs. 1 Nr. 3 StVG steht der Ahndung einer zuvor begangenen Verkehrsordnungswidrigkeit auf der Grundlage der vorherigen Fassung der BKatV nicht entgegen.

Geldbuße I: Verstöße gegen Corona-VO, oder: Vorsatz bzw. Jugendlicher

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Heute dann Entscheidungen zur Geldbuße – mal nicht nur zu Corona, wie an den letzten Montagen. Aber ganz ohne Corona geht es auch nicht. Denn hier im ersten Posting habe ich zwei OLG-Entscheidungen, die sich mit der Höhe der Gledbuße bei Corona-Verstößen befassen.

In dem Zusammenhnag weise ich zunächst noch einmal auf den OLG Hamm, Beschl. v. 28.01.2021 – 4 RBs 446/20 – hin, über den ich ja schon berichtet hatte (Corona II: “Zusammenkunft oder Ansammlung” schon bei zwei Personen, oder: CoronaschutzVO NRW ist ok). In der Entscheidung hat das OLG auch Ausführungen zur Bußgeldbemessung gemacht, und zwar:

b) Die Höhe der verhängten Geldbuße hat jedoch keinen Bestand.

Die Bußgeldbemessung liegt grundsätzlich im Ermessen des Tatrichters, weshalb sich die Überprüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht darauf beschränkt, ob der Tatrichter von rechtlich zutreffenden Erwägungen ausgegangen ist und von seinem Ermessen rechtsfehlerfrei Gebrauch gemacht hat (OLG Karlsruhe NStZ-RR 2001, 278).

Der Bußgeldkatalog der CoronaSchVO NRW (Stand 30.03.2020) sieht für vorsätzliche oder fahrlässige Verstöße gegen das Ansammlungsverbot gemäß § 12 Abs. 1 CoronaSchVO NRW für jeden Beteiligten ein Bußgeld in Höhe von 200,00 Euro vor. Auch wenn dieser als Verwaltungsrichtlinie keine Rechtsatzqualität hat und damit für die Gerichte nicht bindend ist, darf er mit Blick auf eine möglichst gleichmäßige Behandlung aller gleichgelagerten Fällen nicht gänzlich außer Betracht bleiben (vgl. Göhler/Gürtler, a.a.O, § 17 Rn. 32).

Vorliegend hat das Amtsgericht allein unter Hinweis auf die vorsätzliche Begehung der Tat auf eine erhöhte Geldbuße von 230,00 Euro erkannt. Den Urteilsgründen ist jedoch nicht zu entnehmen, ob das Amtsgericht überhaupt bedacht hat, dass der Bußgeldkatalog grundsätzlich für einen vorsätzlichen Verstoß, sofern es sich nicht um eine Wiederholungstat handelt, eine Geldbuße von 200,00 Euro vorsieht. Die Begründung für die Höhe der verhängten Geldbuße reicht deshalb nicht aus. Einer Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht bedarf es deswegen jedoch nicht. Der Senat entscheidet vielmehr nach § 79 Abs. 6 OWiG in der Sache selbst und hält eine Geldbuße in Höhe von 200,00 Euro für schuldangemessen. Erschwerende Tatumstände waren nicht ersichtlich. Insbesondere handelte es sich um einen Erstverstoß. Soweit der Betroffene nach den Urteilsfeststellungen einige Tage zuvor gemeinsam mit anderen Personen beim Picknick bzw. Grillen von der Polizei angetroffen worden war, ist es lediglich zu einer Verwarnung gekommen.“

Die zweite Entscheidung kommt vom OLG Oldenburg. Das AG hatte die Betroffene, die zur Tatzeit knapp 16 Jahre alt war, wegen Verstoßes gegen die Niedersächsische Verordnung über die Beschränkung sozialer Kontakte zur Eindämmung der Corona Pandemie vom 7.4.2020 zu einer Geldbuße von 250 € verurteilt. Das passt dem OLG so nicht. Es hat im OLG Oldenburg, Beschl. v. 11.01.2021 – 2 Ss (OWi) 3/21 – den Rechtsfolgenausspruch des AG-Urteils aufgehoben:

„2. Als rechtsfehlerhaft erweist sich allerdings die Bemessung der Geldbuße durch das Amtsgericht.

Das Amtsgericht hat insoweit festgestellt, dass die Betroffene Schülerin sei. Sie lebe mit ihren älteren Geschwistern und ihren Eltern in einem Haushalt. Ihr Vater bestreite das Familieneinkommen. Derzeit beziehe dieser ein Krankengeld in Höhe von 1.000 €. Die Betroffene verfüge über ein monatliches Taschengeld in Höhe von 15 €. Über sonstiges Einkommen verfüge sie nicht.

Nicht zu beanstanden ist, dass das Amtsgericht eine Geldbuße gegen die Betroffene verhängt und sich dabei zunächst an der vorgesehenen Regelgeldbuße orientiert hat.

Eine Reduzierung allein deshalb, weil ein Betroffener Jugendlicher oder Heranwachsender ist, ist nicht geboten. Umgekehrt ist es aber nicht geboten, allein deshalb nicht zu reduzieren, weil gemäß § 98 OWiG die Geldbuße bei Nichtzahlung unter anderem in die Erbringung von Arbeitsleistungen umgewandelt werden kann, da diese Vorschrift lediglich das Vollstreckungsverfahren betrifft.

Es gelten vielmehr die allgemeinen Grundsätze für die Geldbußenbemessung (vgl. OLG Düsseldorf NZV 1992, 418; BeckOK OWiG, Stand 01.10.2020 – Graf, § 17 Rn. 21). Gemäß § 17 Abs. 3 OWiG ist Grundlage für die Zumessung der Geldbuße die Bedeutung der Ordnungswidrigkeit und der Vorwurf, der den Täter trifft. Auch die wirtschaftlichen Verhältnisse des Täters kommen in Betracht; bei geringfügigen Ordnungswidrigkeiten bleiben sie jedoch in der Regel unberücksichtigt.

Dem angefochtenen Urteil lässt sich nicht entnehmen, ob die eingeschränkten wirtschaftlichen Möglichkeiten der Betroffenen berücksichtigt worden sind.

Dabei kann dahinstehen, ab wann eine geringfügige Ordnungswidrigkeit anzunehmen ist (vergleiche hierzu OLG Hamm DAR 2020, 214), da auch bei einer solchen die wirtschaftlichen Verhältnisse gemäß § 17 Abs. 3 Satz 2 OWiG nur „in der Regel“ unberücksichtigt bleiben. Liegen aber Anhaltspunkte für schlechte finanzielle Verhältnisse des Betroffenen vor, was unter anderem auch bei jugendlichem Alter der Fall sein kann (vergleiche Göhler-Gürtler/Thoma, OWiG 18. Aufl. § 17 Rn. 24), ist die Feststellung der wirtschaftlichen Verhältnisse angezeigt.

Dementsprechend hat das Amtsgericht hier in jedem Fall zu Recht Feststellungen getroffen.

Die Betroffene verfügt danach nur über ein „Einkommen“ in Höhe von 15 Euro, das im Hinblick auf die Regelgeldbuße außergewöhnlich niedrig ist. Die Geldbuße beträgt nämlich das knapp 17fache eines „Monatseinkommens“. Die Regelsätze des Bußgeldkataloges gehen aber von durchschnittlichen wirtschaftlichen Verhältnissen aus. Die nach den bisher getroffenen Feststellungen deutlich unterdurchschnittlichen wirtschaftlichen Verhältnisse wären deshalb im Rahmen der Bemessung der Geldbuße zu berücksichtigen gewesen.

Zwar sind die Feststellungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen der Betroffenen rechtsfehlerfrei getroffen worden. Gleichwohl hebt der Senat sie auf, da nicht auszuschließen ist, dass sich zum Zeitpunkt der neuen Hauptverhandlung insoweit Änderungen ergeben haben. Maßgebend ist nämlich der Zeitpunkt der Entscheidung (Göhler a.a.O. Rn. 21). Um einer derartigen zumindest denkbaren Änderung Rechnung tragen zu können und die wirtschaftlichen Verhältnisse eines Taschengeldempfängers nicht nur aus dem Taschengeld, sondern im wesentlichen aus allen ihm zufließenden Leistungen, insbesondere auch Unterhalt und seinem Vermögen bestehen (vergleiche OLG Düsseldorf NZV 1997, 410) und auch nicht gänzlich auszuschließen ist, dass die Betroffene über Vermögenswerte verfügt, entscheidet der Senat nicht in der Sache selbst, sondern verweist die Sache im Umfang der Aufhebung zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht zurück.“

U-Haft II: Mehr als zwei Jahre Untersuchungshaft, oder: Wechsel im Kammervorsitz

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Die zweite Entscheidung kommt vom OLG Hamm. Der OLG Hamm, Beschl. v. 23.07.2020 – 1 Ws 279/20 – war mir bisher durchgegangen; Dank auch hier an Oliver Garcia.

Ergangen ist er im Haftprüfungsverfahren in einem beim LG Dortmund anhängigen Verfahren. Zur Last gelegt wird dem Angeklagten ein „Heimtückemord“. Das OLG hat den Haftbefehl aufgehoben, nachdem sich der Angeklagte seit Juni 2018 in Haft befunden hat. Denn – so die Leitsätze:

1. Bei über zwei Jahre andauernder Untersuchungshaft ist dem Beschleunigungsgebot in besonderem Maß Rechnung zu tragen und bei hiergegen gerichteten Verstößen die Fortdauer der Untersuchungshaft auch bei zu erwartender lebenslanger Freiheitsstrafe als unverhältnismäßig anzusehen.

2. Ein notwendiger bevorstehender Wechsel des Kammervorsitzes infolge Verhinderung des/der bisherigen Vorsitzenden wegen besonderer gesundheitlicher Risiken (hier im Rahmen der Corona-Pandemie) vermag weitere Verzögerungen des Verfahrens bei bereits lange andauernder Untersuchungshaft nicht zu rechtfertigen, wenn die umgehende Durchführung der Hauptverhandlung nach Maßgabe der Vertretungsregelungen unter dem Vorsitz der mit dem Verfahrensgegenstand vertrauten stellvertretenden Vorsitzenden möglich ist. Gleiches gilt für einen mehrfach angezeigten Verteidigerwechsel, wenn die Fortführung des Verfahrens unter Mitwirkung des bereits bestellten Pflichtverteidigers und Bestellung eines weiteren Pflichtverteidigers gesichert werden kann.

„Interessant“ die Ausführungen des OLG zum Vorsitzendenwechsel und zur Verteidigerbestellung:

„Auch der zwischenzeitliche Vorsitzendenwechsel mit Wirkung zum 01. Mai 2020 stand dem Neubeginn der Hauptverhandlung am 20. April 2020 mit Fortsetzungsterminen im Mai 2020 nicht als wichtiger Grund im Sinne des § 121 Abs. 1 StPO entgegen.

Denn selbst wenn man angesichts der vor dem Hintergrund der Covid 19-Pandemie bestehenden individuellen Gesundheitsgefahren, die letztlich Grund für den Wechsel des Kammervorsitzenden waren, annähme, die Durchführung der Hauptverhandlung sei dem früheren Vorsitzenden, der über den 01. Mai 2020 hinaus für Fortsetzungstermine Mitglied der 39. großen Strafkammer geblieben und (vorrangig) zuständig gewesen wäre, mit der Annahme einer daraus resultierenden Verhinderung nicht zumutbar gewesen, hätte die Hauptverhandlung unter Eingreifen der kammerinternen (und ggfls. sonstigen geschäftsplanmäßigen) Vertretungsregelungen am 20. April 2020 begonnen und wie vorgesehen mit Fortsetzungsterminen im Mai 2020 durchgeführt werden können bzw. unter besonderer Beachtung des Beschleunigungsgebots werden müssen. Denn gerade für den Fall der Verhinderung ist durch die Vertretungsregelungen Vorsorge getroffen und daher die weitere Sachbehandlung möglich und gewährleistet (vgl. dazu BVerfG, Beschluss vom 19. Juli 1993 zu 2 BvR 1265/93, NJW 1994, 2081, 2082). Das hätte nach Lage der II.-Akten dazu geführt, dass die Hauptverhandlung unter dem Vorsitz der stellvertretenden Vorsitzenden, der die Sache bereits aus der stattgehabten, aber unter dem 12. März 2020 ausgesetzten Hauptverhandlung bekannt war, sowie den beiden weiteren Kammermitgliedern durchgeführt worden wäre. Dem entgegenstehende wichtige Gründe i.S.d. § 121 Abs. 1 StPO sind den dem Senat übersandten II.-Akten nicht zu entnehmen. Insbesondere kommt es nicht mehr darauf an, dass der neue Kammervorsitzende ausweislich dem Senat übersandter Aufstellungen mit Ausnahme des 7. Mai 2020 an den für hiesiges Verfahren vorgesehenen Terminen Fortsetzungstermine in Verfahren seiner vormaligen Kammer (35. Strafkammer) vorrangig vor Terminen für die übernommene 39. Strafkammer wahrzunehmen hatte. Allerdings bemerkt der Senat lediglich ergänzend in diesem Zusammenhang, dass zumindest im Hinblick auf das vorliegende Verfahren und den insoweit besonders zu beachtenden Beschleunigungsgrundsatz die unter dem 24. April 2020 beschlossene Übernahme des Vorsitzes in der der 39. Strafkammer durch den überwiegend im Mai 2020 (noch) durch Fortsetzungstermine für die 35. Strafkammer gebundenen Vorsitzenden zumindest als unbehelflich anzusehen ist und – wenn es darauf ankäme – nicht als wichtiger Grund im Sinne des § 121 Abs. 1 StPO anzusehen wäre.

Dem Neubeginn der Hauptverhandlung am 20. April 2020 mit den vorgesehenen Fortsetzungsterminen stand auch nicht als wichtiger Grund im Sinne des § 121 Abs. 1 StPO entgegen, dass der Angeklagte mit seiner ohnehin erst am 22. April 2020 beim Landgericht eingegangenen privatschriftlichen Eingabe vom 15. April 2020 seinem (damaligen) Wahlverteidiger Rechtsanwalt C das Mandat gekündigt und die Entpflichtung seines (damaligen) Pflichtverteidigers Rechtsanwalt E1 beantragt hatte bzw. dass dem aus dem Kreis I stammenden Rechtsanwalt E1 der Zutritt zum Gerichtsgebäude zur Haftbefehlsverkündung am 31. März 2020 verwehrt worden war, woraus aus damaliger Sicht zumindest das eventuelle Risiko einer dauerhaften Zutrittsverweigerung und damit der Nichtteilnahme an den vorgesehenen Hauptverhandlungsterminen resultierte. Denn es wäre ohne weiteres möglich und unter besonderer Beachtung des Beschleunigungsgebots geboten gewesen, die ordnungsgemäße Verteidigung des Angeklagten rechtzeitig, und zwar schon Ende März bzw. Anfang April 2020 durch Bestellung des damaligen Wahlverteidigers Rechtsanwalt C zum weiteren Pflichtverteidiger zur Sicherung des Verfahrens zu gewährleisten. Denn ausweislich des Protokolls der Haftbefehlsverkündung vom 31. März 2020 wurde u.a. diese Frage ausdrücklich erörtert, wobei Rechtsanwalt C nochmals seine Beiordnung zum weiteren Pflichtverteidiger anregte und der Vertreter der Staatsanwaltschaft keine Bedenken erhob, nachdem die Staatsanwaltschaft Dortmund und Rechtsanwalt E1 bereits jeweils unter dem 25. März 2020 insoweit keine Bedenken erhoben bzw. sich ausdrücklich dafür ausgesprochen hatten. Vor diesem Hintergrund wäre die Bestellung von Rechtsanwalt C zum weiteren Pflichtverteidiger bereits am 31. März 2020, spätestens indes zeitnah nach seiner Erinnerung daran durch Schriftsatz vom 07. April 2020, geboten gewesen. Demgegenüber ist nicht ersichtlich, aus welchem Grund die Beiordnung unterblieben ist.“