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KCanG III: Neufestsetzung der Strafe nach dem KCanG, oder: Mildere Strafe ==> Nachträgliche Strafmilderung?

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Und dann noch der OLG Hamm, Beschl. v. 20.08.2024 – 5 Ws 230/24. Gestritten wird um eine Neufestsetzung von Einzel- und Gesamtstrafen. Das hatte die Strafkammer Recht abgelehnt. Das OLG sagt: Zu Recht.

„Die Strafkammer hat eine Neufestsetzung der im Urteil des Landgerichts Hagen vom 22. November 2021 festgesetzten Einzel- und Gesamtstrafen zu Recht abgelehnt.

Der Anwendungsbereich des Art. 313 Abs. 3 und Abs. 4 EGStGB ist nicht eröffnet. Die mit der Einführung des Konsumcannabisgesetzes (KCanG) zum 1. April 2024 geschaffene Regelung des Art. 316p EGStGB sieht eine Verweisung auf Art. 313 EGStGB ausdrücklich nur für solche Fälle vor, die nach dem neuem Recht des KCanG weder strafbar noch mit Bußgeld bedroht sind. Das abgeurteilte Verhalten des Angeklagten ist dagegen auch nach der Einführung des KCanG noch strafbar (§ 34 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 3 KCanG). Allein der Umstand, dass das Handeltreiben mit Marihuana in nicht geringer Menge nach der neuen Gesetzeslage im Vergleich zu der in dem Urteil des Landgerichts Hagen noch zur Anwendung gelangten Strafvorschrift (§ 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG) mit einer geringeren Strafe bedroht ist, führt nicht zu einer nachträglichen Strafmilderung (vgl. BGH, Urt. v. 23. Mai 2024 – 5 StR 68/24 -, BeckRS 2024, 13152; OLG Jena, Beschl. v. 25. Juni 2024 – 1 Ws 204/24 -, BeckRS 2024, 16416; OLG Brandenburg Beschl. v. 21. Mai 2024 – 2 Ws 54/24 -, BeckRS 2024, 12707; LG Karlsruhe, Beschl. v. 15. Mai 2024 – 20 StVK 228/24 -, BeckRS 2024, 10817; AG Köln, Beschl. v. 16. Mai 2024 – 583 Ds 135/22 -, BeckRS 2024, 12051).

Die Voraussetzungen für eine analoge Anwendung des Art. 313 Abs. 3 und Abs. 4 EGStGB liegen nicht vor. Da es sich bei den genannten Normen um Ausnahmevorschriften handelt, ist bei der Annahme einer Analogie grundsätzlich Zurückhaltung geboten, zumal diese die Abänderung rechtskräftiger Entscheidungen ermöglichen. Gemessen daran vermag der Senat eine für den Analogieschluss erforderliche planwidrige Regelunglücke weder dem Wortlaut und der Systematik des Gesetzes, noch dem Willen des Gesetzgebers (vgl. BT-Drucks. 20/8704, S. 155) zu entnehmen (so im Ergebnis auch LG Karlsruhe a.a.O.; a.A. BeckOK StGB/Seel, 62. Ed., Art. 316p EGStGB, Rn. 2). Der Gesetzgeber hat im Zusammenhang mit der Einführung des KCanG keine eigenständige Amnestieregelung schaffen wollen, sondern mit dem Verweis in Art. 316p EGStGB die bereits 1974 in Kraft getretenen Regelungen des Art. 313 EGStGB zur Anwendung gebracht. Hierzu war bereits höchstrichterlich anerkannt, dass diese Regelungen keine Fälle erfassen, in denen die Strafandrohung durch das neue Gesetz lediglich gemildert wird (BGH, Urt. v. 16. August 1977 – 1 StR 390/77 -, BeckRS 1977, 233). Es ist nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber bei der Einführung des KCanG diesbezüglich von der bestehenden Rechtslage abweichen wollte. Aus einer allgemein geänderten Risikobewertung des Gesetzgebers in Bezug auf den Umgang mit Cannabis (vgl. BeckOK StGB/Seel a.a.O.) lässt sich nichts Gegenteiliges ableiten.“

KCanG I: Erneut „alte“ Überwachungserkenntnisse, oder: Einige OLG für, einige gegen Verwertbarkeit

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Und dann heute nach längerer Zeit mal wieder einige Entscheidungen zum KCanG.

Ich beginne mit einer Zusammenstellung der mir vorliegenden Rechtsprechung der OLG zu den Auswirkungen des KCanG auf die Verwertbarkeit „alter“ EncroChat-ANOM_Überwachungsdaten. Dazu habe ich hier vier Entscheidungen, und zwar:

Für eine Verwertbarkeit von vor Inkrafttreten des KCanG gewonnenen Überwachungsdaten haben sich ausgesprochen:

Vergehen nach § 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 KCanG rechtfertigen als „schwere Straftaten“ weiterhin die Anordnung einer Telekommunikationsüberwachung nach § 100a StPO (§ 100a Abs. 2 Nr. 7a StPO). Sie gehören indes nicht zu den Delikten, die als „besonders schwere Straftaten“ nach § 100b Abs. 2 StPO die Anordnung einer Online-Durchsuchung erlauben würden. Das hat aber keinen Einfluss auf die Verwertbarkeit von vor dem Inkrafttreten des KCanG durch eine EncroChat-Maßnahme gewonnene Daten.

Zur – bejahten _ Verwertbarkeit von EncroChat- und SkyECC-Daten nach Einführung des KCanG.

Gegen eine Verwertbarkeit von vor Inkrafttreten des KCanG gewonnenen Überwachungsdaten haben sich ausgesprochen:

1. Erkenntnisse aus der Auswertung des über den Kryptomessenger-Dienst ANOM geführten Chatverkehrs sind unter Berücksichtigung des Grundgedankens der Verwendungsschranke des § 100e Abs. 6 StPO verwertbar. Eine Beweisverwertung derart erlangter Daten ist demnach stets unzulässig, sofern diese den Kernbereich privater Lebensführung i. S. v. § 100d Abs. 2 S. 1 StPO betreffen. Darüber hinaus dürfen die Erkenntnisse in einem Strafverfahren ohne Einwilligung der überwachten Person nur zur Aufklärung des Verdachts einer Katalogtat i. S. v. § 100b Abs. 2 StPO oder zur Ermittlung des Aufenthalts der einer solchen Straftat beschuldigten Person verwendet werden. Ferner sind die einschränkenden Voraussetzungen des § 100b Abs. 1 Nr. 2 und 3 StPO zu beachten, wonach die Straftat auch im Einzelfall besonders schwer wiegen und die Erforschung des Sachverhalts oder die Ermittlung des Aufenthaltsorts auf andere Weise wesentlich erschwert oder aussichtslos sein muss.

2. Für die Prüfung, ob die Voraussetzungen einer Katalogtat i. S. v. § 100b StPO erfüllt sind, ist auf den Zeitpunkt der Verwendung der Beweisergebnisse abzustellen. Vor dem 01.04.2024 im Zuge der Überwachung der „ANOM“-Chats erlangte Erkenntnisse sind demnach nur verwertbar, wenn die betreffenden Delikte auch im Verwertungszeitpunkt noch den Anforderungen des § 100e Abs. 6 StPO genügen, wenn sie also auch nach Inkrafttreten des KCanG zum 01.04.2024 noch als Katalogtaten i. S. v. § 100b Abs. 2 StPO einzustufen sind.

Der Senat hält auch in Anbetracht der zwischenzeitlich zur Frage der Verwertbarkeit der bei dem Krypto-Dienstanbieter EncroChat in Frankreich gesicherten und den deutschen Strafverfolgungsbehörden übermittelten Daten ergangenen, in der Sache divergierenden obergerichtlichen Rechtsprechung daran fest, dass diese Daten nur in denjenigen Fällen verwertbar sind, in denen sich der Tatvorwurf auf eine Katalogtat im Sinne des § 100b Abs. 2 StPO bezieht. Hiervon nicht umfasst sind Straftaten gemäß § 34 Abs. 3 Satz 2 KCanG, also Fälle wie– das gewerbsmäßige Handeltreiben mit Cannabis in nicht geringer Menge gemäß § 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 und Nr. 4 KCanG und die Abgabe von Cannabis in nicht geringer Menge gemäß § 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 KCanG.

Edit: Die Entscheidung des OLG Hamm muss man genau lesen. Das hatte ich erst nicht, habe ich dann aber auf netten Hinweis noch einmal getan und dann den Beitrag und die Überschrift etwas abgeändert

Bewährung III: Kein Widerruf der Strafaussetzung, oder: Unwirksamer Verlängerungsbeschluss

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Und dann noch die dritte Entscheidung. Erneut OLG Hamm, und zwar der OLG Hamm, Beschl. v. 27.08.2024 – 3 Ws 295/24 – zum Widerruf von Strafaussetzung zur Bewährung. In dem Verfahren war die Strafaussetzung wiederrufen worden aufgrund einer Straftat, die in der verlängerten Bewährungszeit begangen worden war. Das OLG hat da beanstandet, weil der Verlängerungsbeschluss unwirksam war:

„1. Die sofortige Beschwerde führt zur Aufhebung des angefochtenen Widerrufsbeschlusses der 19. Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Bielefeld vom 19. Juni 2024 und zur Zurückweisung des Widerrufsantrages der Staatsanwaltschaft Wuppertal vom 29. April 2024.

a) Gemäß § 57 Abs. 5 S. 1 StGB i. V. m. § 56f Abs. 1 S. 1 Nr. 1 StGB widerruft das Gericht die Straf- bzw. Strafrestaussetzung, wenn die verurteilte Person in der Bewährungszeit eine Straftat begeht und dadurch zeigt, dass die Erwartung, die der Strafaussetzung zugrunde lag, sich nicht erfüllt hat.

Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.

aa) Die am 11. Oktober 2023 begangene Tat, die Gegenstand der Verurteilung vom 15. Februar 2024 durch das Amtsgerichts Wuppertal war, kann den Widerruf der Strafrestaussetzung zur Bewährung nicht begründen. Die Tat lag tatsächlich außerhalb der Bewährungszeit. Der Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Bielefeld vom 24. Mai 2022, mit dem die Verlängerung der am 21. September 2022 endenden Bewährungszeit bis zum 21. September 2024 angeordnet worden ist, erweist sich als rechtswidrig mit der Folge, dass die Bewährungszeit tatsächlich bereits mit Ablauf des 21. September 2022 endete. Die zeitlich deutlich später begangene Anlasstat vom 11. Oktober 2023 fiel nicht mehr in die Bewährungszeit und konnte demnach von der Strafvollstreckungskammer nicht als Widerrufsgrund herangezogen werden. Der Verlängerungsbeschluss vom 24.05.2022 war zu Unrecht ergangen, was im vorliegenden Widerrufsverfahren incident mit zu prüfen ist.

(1) In der Rechtsprechung unbestritten ist, dass Verstöße gegen Auflagen und Weisungen gemäß § 56b StGB und § 56c StGB im Rahmen des Bewährungsverfahrens nur dann zum Widerruf der Strafaussetzung führen können, wenn sie rechtlicher Nachprüfung standhalten. (MüKoStGB/Groß/Kett-Straub, 4. Aufl. 2020, StGB § 56f, beck-online; Hubrach in: Leipziger Kommentar zum StGB, 13. Auflage, § 56f StGB, Rn. 18; OLG Hamm, Beschluss vom 18. Juli 2017 – III-3 Ws 301/17; KG Berlin, Beschluss vom 30. Oktober 2020 – 5 Ws 198-199/20 -, jeweils juris). Denn nach dem Rechtsstaatsprinzip können derart einschneidende Entscheidungen nur auf rechtlich einwandfreier Grundlage getroffen werden (vgl. OLG Zweibrücken, Beschluss vom 12. Februar 1993 – 1 Ws 73 – 75/93 -, juris). Das Gericht ist deshalb im Widerrufsverfahren gehalten, von Amts wegen prüfen, ob die erteilten Weisungen und Auflagen überhaupt rechtlich zulässig sind, auch wenn der Verurteilte die Weisung nicht angefochten oder beanstandet hatte (OLG Frankfurt, Beschluss vom 23. März 2010 – 3 Ws 241/10 -, juris; OLG Zweibrücken, a.a.O.).

(2) Dieselben Grundsätze gelten, wenn das Gericht für die Widerrufsentscheidung auf Widerrufsgründe in Form von begangenen Auflagen- bzw. Weisungsverstößen oder Straftaten (§ 56f Abs. 1 S. 1 Nr. 1 bis Nr. 3 StGB) zurückgreift, die nur deshalb „formal“ in die Bewährungszeit fallen, weil diese zwischenzeitlich – in unzulässiger Weise – verlängert worden ist. Dies ist anerkannt insbesondere in Fällen, in denen die Bewährungszeit unrechtmäßiger Weise über das gesetzlich in § 56f Abs. 2 S. 2 StGB vorgesehene Höchstmaß hinaus verlängert worden ist (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 14. Juni 2000 – 2 Ws 147-149/2000 -, juris).

(3) Nichts anderes kann aufgrund der vergleichbaren prozessualen Ausgangssituation gelten, wenn zwar nicht die gesetzliche Höchstfrist überschritten worden ist, der formell wirksame Verlängerungsbeschluss hingegen aus anderen Gründen einer rechtlichen Überprüfung nicht standhält. Ein Verlängerungsbeschluss, der auf keiner bzw. einer rechtswidrigen Grundlage beruht, kann keine Basis für einen Widerruf der Strafaussetzung sein. Es wäre nämlich unverhältnismäßig, insbesondere mit dem Freiheitsgrundrecht eines Verurteilten nicht vereinbar, die Strafaussetzung zu widerrufen, obwohl die materiellen Voraussetzungen für einen Bewährungswiderruf nicht gegeben sind. (vgl. OLG Brandenburg, Beschluss vom 06. Oktober 2011 – 1 Ws 151/11, beck-online in einem Fall, in dem die zur Verlängerung führende „Anlasstat“ nicht strafbar war vgl. aus Hurbach in LK-StGB, 13 Auflage, § 56f, Rn. 46). Dafür, dass inzident im Rahmen der Widerrufsentscheidung auch die Zulässigkeit einer vorherigen Verlängerungsentscheidung zu prüfen ist, spricht schließlich aber auch, dass der Verlängerungsbeschluss jederzeit bereits auf die einfache – fristungebundene – Beschwerde des Verurteilten gemäß § 453 Abs. 2 StPO der Aufhebung unterliegt. Einem Widerruf der Strafaussetzung wegen einer innerhalb der unzulässig verlängerten Bewährungszeit begangenen Verfehlung im Sinne der § 56f Abs. 1 S. 1 Nr. 1 bis Nr. 3 StGB ist damit von vornherein die Grundlage entzogen. Zugunsten des Beschwerdeführers dürfte jedenfalls in entsprechender Anwendung des Rechtsgedankens des § 300 StPO und im Sinne eines effektiven Rechtsschutzes davon auszugehen sei, dass er (spätestens) mit seiner sofortigen Beschwerde gegen die Widerrufsentscheidung zugleich auch eine Überprüfung der zugrundeliegenden Verlängerungsentscheidung im Rahmen einer notfalls zugleich eingelegten einfachen Beschwerde begehrt, so dass eine Inzidentprüfung der Zulässigkeit der Verlängerungsentscheidung auch aus diesem Grunde zwingend erscheint.

bb) Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe erweist sich im vorliegenden Fall der Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Bielefeld vom 24. Mai 2022, mit dem die am 21. September 2022 endende Bewährungszeit um weitere 2 Jahre, mithin bis zum 21. September 2024, verlängert worden ist, als rechtswidrig. Denn die Verlängerungsentscheidung beruht ausschließlich auf der durch Urteil des Amtsgerichts Castrop-Rauxel vom 26. August 2021 festgestellten Straftat vom 30. Dezember 2019. Ebenjenen Verlängerungsgrund hatte die Strafvollstreckungskammer allerdings bereits in ihrem zuvor gefassten Verlängerungsbeschluss vom 04. November 2021 herangezogen.

Ein Bewährungsverstoß, der in der Vergangenheit bereits Anlass für eine gerichtliche Maßnahme nach § 56f Abs. 2 StGB war, ist indessen „verbraucht“ und steht daher als alleinige Grundlage für eine spätere Entscheidung nicht mehr zur Verfügung (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 2. Juli 1996 – 3 Ws 552/96 -, juris), es sei denn, er ist – was hier aber nicht der Fall ist – erst nachträglich bekannt geworden (vgl. Hubrach in: Leipziger Kommentar zum StGB, 13. Auflage, § 56f StGB Rn. 45 mit Verweis u. a. auf OLG Karlsruhe Beschluss vom 09. März 2020 – 3 Ws 34/20-, juris). Der Beschluss der Strafvollstreckungskammer vom 24. Mai 2022 erweist sich deshalb als rechtswidrig und konnte eine Verlängerung der Bewährungszeit tatsächlich nicht bewirken.

Da die Bewährungszeit vor diesem Hintergrund bereits am 21. September 2022 endete, konnte der mit Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Bielefeld vom 19. Juni 2024 ausgesprochene Widerruf nicht auf die deutlich später, nämlich am 11. Oktober 2023 begangene und damit außerhalb der Bewährungszeit liegende Straftat gestützt werden.

b) Soweit die Strafvollstreckungskammer in ihrem angefochtenen Beschluss zur Begründung des Widerrufs ergänzend auf ein weiteres laufendes Strafverfahren Bezug nimmt, in dem am 11. Dezember 2023 gegen die Beschwerdeführerin Anklage beim Amtsgericht Wuppertal erhoben worden ist, kann hierauf ein Widerruf der Strafaussetzung nicht gestützt werden, weil kein Widerrufsgrund vorliegt. Zum einen ist das Strafverfahren nach Angaben der Bewährungshelferin in ihrem Bericht vom 07. Juni 2024 bereits am 27. Mai 2024 nach § 154 Abs. 2 StPO eingestellt worden. Zum anderen betraf die Anklage einen Diebstahlvorwurf vom 03. August 2023, der mithin ebenfalls außerhalb der Bewährungszeit liegt.

2. Die Strafvollstreckungskammer wird nach Maßgabe der obigen Ausführungen nunmehr zu prüfen haben, ob anderweitige – ggfls. noch nicht aktenkundige – Widerrufsgründe bestehen oder aber die zur Bewährung ausgesetzte Restfreiheitsstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Wuppertal vom 26. August 2015 aufgrund der abgelaufenen Bewährungszeit nunmehr gemäß § 56g Abs. 1 StGB erlassen ist.“

Bewährung II: Anforderungen an „Legalprognose“, oder: Was sind „besondere Umstände“?

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Im zweiten Posting komme ich dann noch einmal auf das OLG Hamm, Urt. v. 19.09.2024 – 5 ORs 37/24 – zurück, über das ich neulich schon berichtet hatte (vgl. Strafe III: TOA nach Böllerwurf im Fußballstadion, oder: Wiedergutmachung bei mehreren Geschädigten?). In der Entscheidung hat das OLG auch zur Frage der Bewährung, und zwar sowohl zur „Legalsprognose“ als auch zum Vorliegen „besonderer Umstände“ i.S. von § 56 Abs. 2 StGB  Stellung genommen, und zwar wie folgt:

„c) Schließlich hat das Landgericht auch die Strafaussetzung zur Bewährung nicht rechtsfehlerfrei begründet. Auch bezüglich der Strafaussetzung zur Bewährung kann das Revisionsgericht nur unter den oben genannten Voraussetzungen zur Strafzumessung eingreifen (OLG Hamm, Urteil vom 21.03.2017 – III-4 RVs 18/17 -, Rn. 15, juris). Vorliegend erweist sich sowohl die Beurteilung der Legalprognose nach § 56 Abs. 1 StGB als auch die Bejahung der besonderen Umstände nach § 56 Abs. 2 StGB als rechtsfehlerhaft.

aa) Nach § 56 Abs. 1 StGB ist eine Freiheitsstrafe zur Bewährung auszusetzen, wenn zu erwarten ist, dass der Angeklagte sich schon die Verurteilung selbst zur Warnung dienen lassen und auch ohne die Einwirkung des Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen wird. Grundlage der Prognose des Tatgerichts müssen sämtliche Umstände sein, die Rückschlüsse auf die künftige Straflosigkeit des Angeklagten ohne Einwirkung des Strafvollzugs zulassen, insbesondere die in § 56 Abs. 1 S. 2 StGB „namentlich“ aufgeführten. Dabei ist für die günstige Prognose keine sichere Erwartung eines straffreien Lebens erforderlich. Es reicht schon die durch Tatsachen begründete Wahrscheinlichkeit aus, dass der Angeklagte künftig auch ohne die Einwirkung des Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen wird (ständige Rechtsprechung; zuletzt: OLG Braunschweig, Urteil vom 22.03.2023 – 1 Ss 40/22 -, Rn. 40, juris).

bb) Besondere Umstände im Sinne im Sinne von § 56 Abs. 2 StGB sind solche, die im Vergleich mit gewöhnlichen, durchschnittlichen, allgemeinen oder einfachen Milderungsgründen von besonderem Gewicht sind und eine Strafaussetzung trotz des erheblichen Unrechtsgehalts und Schuldgehalts der Taten, wie er sich in der Höhe der Strafe widerspiegelt, als nicht unangebracht und den vom Strafrecht geschützten Interessen nicht zuwiderlaufend erscheinen lassen. Dazu können auch solche gehören, die schon für die Prognose nach § 56 Abs. 1 StGB zu berücksichtigen waren. Wenn auch einzelne durchschnittliche Milderungsgründe eine Aussetzung nicht rechtfertigen, verlangt § 56 Abs. 2 StGB keine „ganz außergewöhnlichen“ Umstände. Vielmehr können sich dessen Voraussetzungen auch aus dem Zusammentreffen durchschnittlicher Milderungsgründe ergeben. Die besonderen Umstände müssen jedoch umso gewichtiger sein, je näher die Strafe an der Obergrenze von zwei Jahren liegt. Bei der Prüfung ist eine Gesamtwürdigung von Tat und Persönlichkeit des Angeklagten in einer für das Revisionsgericht nachprüfbaren Weise vorzunehmen (ständige Rechtsprechung; zuletzt: OLG Braunschweig, Urteil vom 22.03.2023 – 1 Ss 40/22 -, Rn. 45, juris).

cc) Ausgehend von diesem Maßstab hält weder die Beurteilung der Legalprognose noch die Bejahung besonderer Umstände rechtlicher Nachprüfung stand.

Es lässt sich bereits nicht nachvollziehen, aus welchen Gründen das Landgericht von einer Stabilisierung der familiären Verhältnisse des Angeklagten ausgegangen ist. Nach den persönlichen Feststellungen ist der Angeklagte stets einer geregelten Tätigkeit nachgegangen und war bereits im Tatzeitpunkt Vater einer Tochter. Dass er gegenwärtig mit seinem Einkommen zum Familienunterhalt beiträgt und zwischenzeitlich Vater eines Sohnes geworden ist, hat seine Lebenssituation nicht grundlegend verändert.

Ferner erschließt sich nicht, aus welchen Gründen das Landgericht meint, dass der Angeklagte nunmehr seine Alkoholproblematik im Griff habe. Diesbezüglich wird lediglich ausgeführt, dass dieser auf Alkohol verzichte und psychotherapeutische Hilfe in Anspruch genommen habe. Weder werden der Umfang und der Behandlungsverlauf der psychotherapeutischen Unterstützung dargelegt, noch wird die Einlassung des Angeklagten, dass er mittlerweile keinen Alkohol mehr trinke, sowie die Belastbarkeit einer etwaigen Alkoholabstinenz kritisch überprüft.

Schließlich wird den verfestigten kriminellen Neigungen des Angeklagten zu geringe Bedeutung beigemessen. So stand der mehrfach vorbestrafte Angeklagte im Tatzeitpunkt nicht nur in zwei Strafverfahren unter laufender Bewährung, so dass ihm gleich doppeltes Bewährungsversagen zur Last fällt. Er hat zudem nach seiner Haftverschonung im Februar 2022 bereits im August 2022 eine weitere Straftat begangen. Hierdurch hat er eindrücklich seine rechtsfeindliche Einstellung dokumentiert. Damit liegen ganz erhebliche Strafschärfungsgründe vor. Diese stehen ersichtlich nicht nur einer positiven Legalprognose im Sinne von § 56 Abs. 1 StGB, sondern auch Milderungsgründen von besonderem Gewicht im Sinne von § 56 Abs. 2 StGB entgegen.“

Strafe III: TOA nach Böllerwurf im Fußballstadion, oder: Wiedergutmachung bei mehreren Geschädigten?

entnommen wikimedia.org
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Und im dritten Posting dann hier das OLG Hamm, Urt. v. 19.09.2024 – 5 ORs 37/24.

Das AG hat den Angeklagten wegen Herbeiführens einer Sprengstoffexplosion in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in vier rechtlich zusammentretenden Fällen zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und zwei Monaten verurteilt. Im Berufungsverfahren hat das LG das Urteil dahingehend abgeändert, dass der Angeklagte wegen Herbeiführens einer Sprengstoffexplosion in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in vier Fällen zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt wird, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wird.

Nach den tatsächlichen Feststellungen des LG-Urteils zündete der Angeklagte im Jahr 2022 beim Regionalligaspiel J. gegen N. anlässlich des Ausgleichstors von N. einen Knallkörper des Typs Crazy Robots (sogenannter Polenböller) in Kenntnis von dessen Gefährlichkeit und warf diesen zielgerichtet und mit Verletzungsvorsatz in Richtung der Nebenkläger. Bei den Nebenklägern handelt es sich um Ersatzspieler des N., die sich neben dem Spielfeld aufwärmten, den Athletiktrainer des Vereins sowie einen in der Nähe befindlichen Balljungen. Durch die Explosion des Knallkörpers erlitten die Nebenkläger im Einzelnen dargestellte Verletzungen, vor allem Knalltraumen, Hörstörungen und Ohrenschmerzen. Das Regionalligaspiel wurde daraufhin abgebrochen, das zuständige Sportgericht sprach dem Verein N. für das Spiel drei Punkte zu und belegte den Verein J. mit einer Geldstrafe.

Im Rahmen der Strafzumessung hat das Landgericht insbesondere ausgeführt, dass zu Gunsten des Angeklagten zwar keine Strafrahmenverschiebung nach § 46a StGB vorzunehmen sei, weil das in Aussicht gestellte Schmerzensgeld deutlich zu gering ausfalle. Der Täter-Opfer-Ausgleich sei im Rahmen der allgemeinen Strafzumessung jedoch strafmildernd zu berücksichtigen. Dagegen die Revision der StA, die Erfolg hatte:

„a) Die Strafzumessung ist grundsätzlich Sache des tatrichterlichen Ermessens und vom Revisionsgericht nur darauf zu prüfen, ob Rechtsfehler vorliegen. Das Revisionsgericht darf daher nur eingreifen, wenn die Strafzumessungserwägungen des Urteils in sich rechtsfehlerhaft sind, wenn der Tatrichter die ihm nach § 46 StGB obliegende Pflicht zur Abwägung der für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände verletzt, insbesondere rechtlich anerkannte Strafzwecke nicht in den Kreis seiner Erwägungen einbezogen hat, oder die Strafe bei Berücksichtigung des zur Verfügung stehenden Strafrahmens unvertretbar hoch oder niedrig ist (zuletzt OLG Hamm, Beschluss vom 19.11.2020 – III-4 RVs 129/20 -, Rn. 18, juris unter Hinweis auf die ständige Rechtsprechung des BGH; vgl. BGH, Urteil vom 27.01.2015 –1 StR 142/14 -, juris m.w.N.; s. auch: Schmitt, in: Meyer-Goßner, 67. Auflage 2024, § 337 StPO Rn. 34).

aa) Ein solcher Rechtsfehler liegt vorliegend im Hinblick auf die strafmildernde Würdigung des Täter-Opfer-Ausgleichs bzw. der Schadenswiedergutmachungsbemühungen vor.

(1) Sind durch eine Straftat – wie vorliegend mehrere Opfer betroffen – so setzt ein Täter-Opfer-Ausgleich nach ständiger Rechtsprechung voraus, dass hinsichtlich jedes Geschädigten in jedem Fall eine Alternative des § 46a StGB erfüllt sein muss (BGH, Urteil vom 12.01.2012 – 4 StR 290/11 -, juris m.w.N.). Der nach § 46a Abs. 1 Nr. 1 StGB notwendige kommunikative Prozess (vgl. hierzu: BGH, Urteil vom 11.09.2013 – 2 StR 131/13 -, Rn. 8, juris) hat nach den allein maßgeblichen Urteilsfeststellungen indes ausschließlich in der Hauptverhandlung am 21.08.2023 mit dem Nebenkläger D., nicht indes mit den weiteren, im Termin nicht anwesenden Nebenklägern stattgefunden.

(2) Soweit das Landgericht rechtsfehlerhaft den Täter-Opfer-Ausgleich bejaht hat, hat es allerdings keine Strafrahmenverschiebung vorgenommen, da das in Aussicht gestellte Schmerzensgeld deutlich zu gering bemessen sei. Vielmehr hat es die Bemühung des Angeklagten ausschließlich „im Rahmen der allgemeinen Strafzumessung“ berücksichtigt. Das Landgericht verweist damit auf die im Katalog des § 46 Abs. 2 StGB genannte Zumessungstatsache „sein Bemühen, den Schaden wiedergutzumachen“.

In den Urteilsfeststellungen werden indes keine entsprechenden Bemühungen des Angeklagten dargelegt. Nach diesen hat der Angeklagte in der Berufungshauptverhandlung lediglich eine unverbindliche Absichtserklärung abgegeben und keine konkreten Anstrengungen zur Schadenswiedergutmachung unternommen. Obgleich der Angeklagte ausweislich der Feststellungen zur Person mit seiner Familie in geregelten finanziellen Verhältnissen lebt, überdies noch von seinem Vater finanziell unterstützt wird und die Tat im Urteilszeitpunkt bereits eineinhalb Jahre zurücklag, hat er nicht an einen einzigen Geschädigten die angebotene, aber ohnehin deutlich zu geringe Schmerzensgeldzahlung geleistet. Anhaltspunkte dafür, dass der Angeklagte tatsächlich Bemühungen entfaltet, seine Ankündigung umzusetzen, sind den Urteilsfeststellungen nicht zu entnehmen.“

Die Entscheidung ist im Übrigen auch wegen der weiteren vom OLG angesprochenen Umstände von Interesse.