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Sexueller Missbrauch (s)eines Kindes – minder schwerer Fall?

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Das AG Warendorf hat einen Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes, seiner Stieftochter, in den Jahren 1996 – 1999 zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Das OLG Hamm hat die Verurteilung im OLG Hamm, Beschl. v. 05.04.2016 – 4 RVs 30/16 – aufgehoben. Ihm passt die Beweiswürdigung nicht, sie ist ihm angesichts der „Aussage-gegen-Aussage-Situation“ zu knapp. Und: In der „Segelanweisung“ gibt es m.E. ganz interessante Anmerkungen zur Strafzumessung, nämlich zur Frage des minder schweren Falles:

„b) Es bedarf – jedenfalls wenn das neue Tatgericht zu vergleichbaren Feststellungen kommt wie das frühere Tatgericht – einer näheren Erörterung des Vorliegens eines minder schweren Falles i.S.v. § 176 Abs. 1 2. Halbsatz StGB i.d.F. vom 10.03.1987 bzw. i.S.v. § 176a Abs. 3 StGB i.d.F. v. 26.01.1998 auch ohne eines ausdrücklich in der Hauptverhandlung gestellten Antrages i.S.v. § 267 Abs. 3 S. 2 StPO. Der Aus-nahmestrafrahmen eines minder schweren Falles bedarf zwar keiner ausdrücklichen Erwähnung, wenn seine Nichtanwendung nach Maßgabe aller Umstände auf der Hand liegt (BGH NStZ-RR 2010, 57 f.). Andererseits bedarf es aus materiellrechtlichen Gründen der Erörterung des Vorliegens eines minder schweren Falles, wenn die gesamten strafzumessungsrelevanten Umstände die Anwendung des Ausnahmestrafrahmens nahelegen (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Januar 2002 – 1 StR 548/01 –juris; BGH, Beschl. v. 06.01.2004 – 5 StR 517/03 – juris; BGH NStZ-RR 2012, 308). Dies ist hier – auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen – der Fall. Danach liegen erhebliche strafmildernde Umstände vor:

Der Angeklagte ist nicht vorbestraft.

Die Taten liegen sehr lange zurück. Eine lange Zeitspanne zwischen Tat und Ver-urteilung ist in der Regel ein bestimmender Strafzumessungsgerichtspunkt, ohne, dass es auf die Dauer des Strafverfahrens ankommt (BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verfahrensverzögerung 6; zeitlicher Abstand dort: 9 ½ Jahre; BGH NStZ-RR 1999, 108; zeitlicher Abstand dort: 5 ¾ Jahre). Eine Erörterung dieses Umstands ist bei einem zeitlichen Abstand zwischen Taten und Verurteilung von hier inzwischen rund 20 bzw. 17 Jahren unerlässlich. Dabei ist insbesondere zu sehen, dass die Strafe ? die bisherigen Feststellungen zu Grunde gelegt – keinerlei spezialpräventive Wirkungen entfaltet, da der Angeklagte auch ohne Bestrafung weder vorher noch nachher wieder straffällig geworden ist. Da das staatsanwaltschaftliche Aktenzeichen des vorliegenden Verfahrens bereits aus dem Jahre 2012 stammt, drängt sich im vorliegenden Fall zudem die Erörterung einer langen (wenn auch ggf. noch nicht rechtsstaatswidrigen) Verfahrensdauer auf.

Demgegenüber liegen kaum (ordnungsgemäß festgestellte) straferschwerende Umstände vor:

Sollte die Zeugin tatsächlich noch „schwerwiegend unter den Folgen der Taten“ leiden, so bedarf es auch hierzu näherer Feststellungen. Im angefochtenen Urteil ist lediglich festgestellt, dass ihr seinerzeit „das Ganze auch gefallen habe“; zu spätere Beeinträchtigungen aufgrund der Taten ist gar nichts festgestellt.

Will das neue Tatgericht auch „immer wieder“ vorgekommene „sexuelle Übergriffe“ zwischen den beiden Taten strafschärfend berücksichtigen, bedarf es hierzu näherer Feststellungen.

Es erscheint auch zweifelhaft, ob das „schleichende“ Überschreiten der Grenzen zum sexuellen Missbrauch ein strafschärfender Gesichtspunkt ist. Es erschließt sich – jedenfalls ohne nähere Begründung – nicht, warum das schleichende Überschrei-ten schlimmer sein soll, als ein plötzlicher Übergriff.“

Der „gerade idealtypische Drogenkurierfall“

© eyetronic Fotolia.com

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Mal wieder etwas aus dem BtM-Bereich, dazu habe ich schon länger nicht mehr gepostet. Es geht im BGH, Beschl. um die Annahme eines minder schweren Falles beim „gerade idealtypischen Drogenkurier“. Die hoch verschuldete Angeklagte wird gezwungen, Drogen zu schmuggeln. Dazu werden ihr zehn verpackte Presstücke Kokain mit 89,3 Gramm Kokaingemisch in den Anus eingeführt und sie führt s 197,4 Gramm verpacktes Kokain in ihre Vagina einzuführen. Damit sollte sie über F. und Z. nach B. fliegen. Sie erhielt 350 schweizerische Franken Spesengeld und sollte für den Transport eine Belohnung von 1.000 € erhalten sowie den Erlass ihrer Schulden erlangen. Auf dieser Reise wurde sie in F. von Zollbeamten kontrolliert, stritt zuerst den Verdacht des Drogentransports ab, räumte diesen dann aber ein und wies auf die Bedrohungssituation hin. Das von der Angeklagten im Körper mitgeführte Kokaingemisch hatte einen Wirkstoffanteil von 212,9 Gramm. Das LG hatte ausgeführt, eine Rechtfertigung oder Entschuldigung der Tat durch eine Notstandslage komme nicht in Betracht, weil sich die Angeklagte jedenfalls bei ihrer Einreise nach Deutschland nicht mehr in einer Notstandslage befunden habe und sich hier sogleich habe offenbaren können. Bei der Strafzumessung hat sie einen minder schweren Fall verneint. Dazu der BGH im BGH, Beschl. v. 19.03.2015 – 2 StR 35/15:

„“Einen minder schweren Fall gemäß § 30 Abs. 2 BtMG hat sie [die Strafkammer]verneint. Der Sonderstrafrahmen sei vom Gesetzgeber geschaffen worden, um außergewöhnliche Fallkonstellationen zu erfassen. Eine solche liege hier nicht vor. Vielmehr handele es sich „um einen geradezu idealtypischen Drogenkurierfall“. Die Angeklagte sei eine junge Frau aus dem Ausland, die erstmals straffällig geworden sei, sich aufgrund einer desolaten wirtschaftlichen Situation und einer Bedrohung durch einen erfahrenen Hintermann dazu habe „verleiten oder zwingen“ lassen, einen unter Umständen für sie lebensgefährlichen Drogentransport für geringen Kurierlohn auszuführen. Damit entspre-che sie einem verbreiteten „Drogenkuriertypus“, auf den die Merkmale des minder schweren Falls nicht zuträfen. Das gelte auch im Hinblick darauf, dass sie frühzeitig ein Geständnis abgelegt, nur mit bedingtem Vorsatz in Bezug auf Art und Wirkstoffgehalt des Kokaingemischs gehandelt habe und die Droge sicher-gestellt worden sei. Die Menge der eingeführten Drogen sei nicht atypisch gering, da die Angeklagte als Körperschmugglerin tätig geworden sei, weshalb die transportierte Menge von vornherein begrenzt gewesen sei.
…..
2. Die Strafzumessung begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
Nach der Rechtsprechung ist für das Vorliegen eines minder schweren Falles entscheidend, ob das gesamte Tatbild einschließlich aller subjektiven Momente und der Täterpersönlichkeit vom Durchschnitt der erfahrungsgemäß gewöhnlich vorkommenden Fälle in einem so erheblichen Maß abweicht, dass die Anwendung des milderen Strafrahmens geboten erscheint. Für das Verbrechen der unerlaubten Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gilt nichts anderes.
Die Ausführungen der Strafkammer zur Strafrahmenwahl lassen besorgen, dass sie von einem falschen Maßstab ausgegangen ist. Bei der Prüfung, ob § 30 Abs. 2 BtMG zur Anwendung kommt, ist nicht darauf abzustellen, ob ein „typischer Drogenkurierfall“, auch in der Variante des Körperschmuggels, vorliegt. Die Frage, ob der Einzelfall vom Durchschnitt der üblicherweise anzutreffenden Fälle derart abweicht, dass die Anwendung des Normalstrafrahmens unangemessen erscheinen müsste, ist vielmehr am Durchschnitt aller Fälle der Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu messen. Das Landgericht führt, auch bei der Strafzumessung im engeren Sinne, eine ganze Reihe erheblicher Strafmilderungsgründe auf, so dass die Annahme eines minder schweren Falls bei der gebotenen Gesamtbetrachtung nicht ausgeschlossen erscheint.

Kantholz

entnommen: openclipart.org

Die Frage: minder schwerer Fall, ja oder nein? hat bei der gefährlichen Körperverletzung (§ 224 StGB) für die Strafzumessung erhebliche Bedeutung. Zwar ist das Tatgericht in der Beurteilung der Strafzumessungserwägungen verhältnismäßig frei – „ureigene Aufgabe des Tatrichters“ – bei Rechtsfehlern kann und darf das Revisionsgericht aber eingreifen. Das musste sich jetzt eine Strafkammer des LG Detmold vom OLG Hamm sagen lassen. Das LG hatte einen minder schweren Fall angenommen, und zwar auf der Grundlage folgender Feststellungen:

Nach den Feststellungen des Amtsgerichts bestanden zwischen dem Angeklagten und dem späteren Geschädigten T schon seit einiger Zeit Streitigkeiten und Spannungen, weil T ein (Liebes-)Verhältnis mit der Freundin des Bruders des Angeklagten unterhielt. Am 17. April 2012 trafen der Angeklagte und T vor dessen Wohnung, die sich in unmittelbarer Nachbarschaft zu dem Betrieb, in dem der Angeklagte als Lager- und Versandarbeiter tätig ist, befindet, zusammen. Der Angeklagte sprach T, der gerade aus seinem Pkw ausgestiegen war, an, und es entwickelte sich eine heftige Diskussion, in deren Verlauf der Angeklagte T aufforderte, er solle innerhalb von vier Wochen aus seiner Wohnung ausziehen, anderenfalls werde er, der Angeklagte, ihn „totschlagen“. Nachdem es in der Folge dieser verbalen Auseinandersetzung noch zu einer „Rangelei“ zwischen dem Angeklagten und T gekommen war, begab sich T zunächst in das Haus, in dem sich seine Wohnung befindet. Er ärgerte sich jedoch über das Verhalten des Angeklagten und begab sich wieder nach draußen. Dort erklärte er dem Angeklagten, dieser habe ihm, T, nichts zu sagen und könne ihn „am Arsch lecken“. Der Angeklagte nahm daraufhin einen Holzbalken (Kantholz) von einer in der Nähe stehenden Palette und schlug mit diesem Holzstück mindestens zweimal gegen das Gesicht des T. T gelang es, den ersten Schlag abzuwehren. Der zweite Schlag traf ihn indes im Bereich des linken Ohres. T konnte den Angeklagten danach packen, woraufhin beide Kontrahenten zu Boden gingen. Als Folge des – zweiten – Schlages blutete das linke Ohr des T, er erlitt zudem eine Schädelprellung mit einer hämatösen Prellmarke.

Das OLG Hamm hat das – wohl zu Recht – anders gesehen und kommt im OLG Hamm, Beschl. v. 21.05.2013 – 3 RVs 27/13 – zur Aufhebung, denn:

Gemessen an diesem Maßstab, begegnet die Annahme eines minder schweren Falles der gefährlichen Körperverletzung durch das Landgericht durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Bereits nach dem Gesamtbild der Tat liegt die Annahme, dass der vorliegende Fall sich nach dem Gewicht von Unrecht und Schuld vom Durchschnitt vorkommender Fälle so zu Gunsten des Angeklagten abhebt, dass die Anwendung des Strafrahmens für minder schwere Fälle geboten erscheint, eher fern. Die Ausführungen des Landgerichts lassen überdies besorgen, dass die Strafkammer bei der Abwägung einseitig nur (vermeintlich) zugunsten des Angeklagten sprechende Gesichtspunkte berücksichtigt hat. In mehrfacher Hinsicht fehlt es an der gebotenen Auseinandersetzung mit gegen den Angeklagten sprechenden Aspekten. Die Erwägung der Strafkammer, die Tat habe sich aus der Situation heraus ergeben und sei darauf zurückzuführen, dass der Geschädigte T nach der ursprünglichen Auseinandersetzung noch einmal zu dem Angeklagten gegangen sei und diesen angesprochen habe, lässt eine Auseinandersetzung mit dem Umstand vermissen, dass nach dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen Ausgangspunkt des gesamten Tatgeschehens ein provozierendes Verhalten des Angeklagten war und die der gefährlichen Körperverletzung unmittelbar vorausgehende Ansprache des Angeklagten durch den Geschädigten eine nachvollziehbare – wenn auch in der Wortwahl sicher teilweise unsachliche – Reaktion auf die vorangegangenen Aggressionen des Angeklagten darstellte. Von einer Tatprovokation durch den Geschädigten – hierauf will das Landgericht vermutlich hinaus – kann vor diesem Hintergrund kaum die Rede sein. Warum der Umstand, dass der Angeklagte zum Zeitpunkt der gefährlichen Körperverletzung keinen Nötigungsvorsatz (mehr) hatte, die Körperverletzungstat also nicht zugleich – tateinheitlich – noch einen weiteren Straftatbestand erfüllte, zur Begründung der Annahme eines minder schweren Falles geeignet sein soll, erschließt sich dem Senat nicht. Bei einer blutenden Wunde und einer Schädelprellung handelt es sich auch keineswegs nur um geringfügige Verletzungen. Die Strafkammer setzt sich auch nicht hinreichend mit dem Umstand auseinander, dass es letztlich nur den Abwehrbewegungen des Geschädigten zu verdanken sein dürfte, dass es trotz der erheblichen konkreten Gefährlichkeit der von dem Angeklagten ausgeführten Schläge nicht zu noch schlimmeren Verletzungen gekommen ist. Es ist nicht ohne Weiteres nachvollziehbar – wenn nicht sogar widersprüchlich -, dass das Landgericht einerseits zur Begründung der Annahme eines minder schweren Falles auf die nach seiner Ansicht geringfügigen Verletzungsfolgen hinweist, andererseits aber insbesondere im Rahmen der Anwendung des § 47 Abs. 2 StGB der konkreten Gefährlichkeit der Schläge ein ganz besonderes Gewicht beimisst.

Strafzumessung: 3 Raubtaten – kein minder schwerer Fall mehr, auch wenn nicht maskiert….

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Das LG Hamburg verurteilt den Angeklagten wegen schweren Raubes, besonders schwerer räuberischer Erpressung in drei Fällen, vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in fünf Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Betrug, wegen Betruges, Diebstahls in zwei Fällen, vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung und vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis, wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort in Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis sowie wegen falscher Verdächtigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren. Dagegen die Revision der Staatsanwaltschaft, der das zu niedrig ist.
Und das BGH, Urt. v. 28.03.2013 – 4 StR 467/12 – hebt im Rechtsfolgenausspruch auf. Der BGH findet „mehrere Haare in der Suppe“.

„a) Bereits die Annahme eines minder schweren Falles des Raubes bzw. der besonders schweren räuberischen Erpressung in den Fällen II. 3, 4, 5 und 6 der Urteilsgründe begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

So lässt der knappe Hinweis auf die bisherige Delinquenz, das Bewährungsversagen und das jeweils raffinierte und planvolle Vorgehen nicht erkennen, ob das Landgericht die erforderliche Gesamtwürdigung unter Einbeziehung aller für die Abwägung erheblichen Umstände vorgenommen hat. Dazu gehört hier vor allem die Tatsache, dass der Angeklagte nicht nur einen Raubüberfall begangen hat, sondern dass er kurz danach an drei aufeinanderfolgenden Tagen im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit unterschiedlichen Mittätern ähnliche Taten begangen hat, wobei er die Tatobjekte zur Begehung der Raubüberfälle ausgekundschaftet und die Taten unter Berücksichtigung der jeweils gegebenen Umstände geplant und ausgeführt hat. Dies drängt zu der Annahme, dass die Begehung dieser sowie der nunmehr insgesamt über 80 Straftaten durch den zur Zeit der tatrichterlichen Hauptverhandlung 25-jährigen Angeklagten nicht Ausdruck einer durch häufige Tatbegehung abgesunkenen Hemmschwelle war, sondern auf eine verfestigte rechtsfeindliche Gesinnung und damit auf eine erhöhte kriminelle Intensität schließen lässt, zumal der Angeklagte bislang mehrere Bewährungschancen nicht genutzt und bereits Jugendstrafe verbüßt hat. Dies war auch nicht erst bei der Bildung der Gesamtstrafe zu berücksichtigen. Da die Schuld des Täters in Bezug auf die Einzeltaten durch eine Mehrheit von Taten erhöht werden kann, ist dieser Umstand vielmehr auch bei der Bemessung der Einzelstrafe und schon bei der Erwägung mit in Betracht zu ziehen, ob jeweils ein minder schwerer Fall bejaht werden kann (vgl. BGH, Urteil vom 30. November 1971 – 1 StR 485/71, BGHSt 24, 268, 271; Senatsurteil vom 23. Februar 1989 – 4 StR 8/89, BGHR StGB § 46 Abs. 1 Beurteilungsrahmen 7).“

Und auch die strafmildernde Berücksichtigung des Umstandes, dass der Angeklagte nicht maskiert war, findet beim BGH keinen Gefallen:

„Zu Recht beanstandet die Beschwerdeführerin in diesem Zusammenhang auch die Erwägung des Landgerichts, zu Gunsten des Angeklagten sei zu berücksichtigen, dass dieser bei den Taten gegenüber den Opfern unmaskiert aufgetreten sei. Damit wird der zu Lasten des Angeklagten berücksichtigte Um-stand, er sei bei diesen Taten jeweils raffiniert und planvoll vorgegangen, nicht nur in widersprüchlicher und daher kaum nachvollziehbarer Weise relativiert (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 22. Oktober 1986 – 2 StR 516/86, BGHR StGB § 46 Abs. 2 Wertungsfehler 4). Die Formulierung lässt auch besorgen, dass sich die Strafkammer den Blick dafür verstellt hat, dass die fehlende Maskierung gerade Bestandteil des mit erheblicher krimineller Energie erdachten Tatplanes war, wonach die jeweils Geschädigten zunächst durch Vortäuschen von Kaufabsicht in Sicherheit gewiegt werden sollten, um die anschließende Tatausführung unter Ausnutzung des Überraschungsmoments zu erleichtern.“

Da wollte eine Strafkammer offenbar etwas Gutes tun, hat aber nicht geklappt.

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Da wollte eine Strafkammer beim LG Berlin den Angeklagten offenbar etwas Gutes tun, nämlich nicht so hohe Strafen verhängen. Das hat aber nicht geklappt. Der BGH hat das ihm zu milde Urteil mit dem BGH, Urt. v. 29.11.2012 – 5 StR 493/12 – aufgehoben.

Verhängt hatte das LG wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung gegen den Angeklagten S. eine Freiheitsstrafe von drei Jahren und gegen den Angeklagten B. eine solche von drei Jahren und vier Monaten verhängt. Nach den Feststellungen des LG hatten sich die Angeklagten und ein unbekannt gebliebener Mittäter unter einem Vorwand Zugang zur Wohnung der Nebenklägerin, einer Arbeitskollegin des Angeklagten S. verschafft. Der Angeklagte B. forderte die Nebenklägerin und ihren anwesenden Partner auf, Geld und Marihuana herauszugeben, und bedrohte beide mit einem großen „machetenartigen“ Messer; er drohte, den Partner der Nebenklägerin „abzustechen“ und ihm die Finger abzuschneiden, wobei er mehrfach Stichbewegungen in unmittelbare Nähe des Körpers des Mannes ausführte. Zudem drohte er, die Nebenklägerin im Badezimmer zu vergewaltigen. Währenddessen stand der Angeklagte S. mit einem Teleskopschlagstock an der Tür zum Flur, der dritte Täter hielt ein Messer in den Händen. Die Nebenklägerin übergab aus einer Geldkassette 20 € und etwas Marihuana, woraufhin der Angeklagte B. ihnen weiter drohte, sie „sollten ihn nicht ‚verarschen?, sonst käme er mit allen seinen Leuten“ (UA S. 5). Als daraufhin der Partner der Nebenklägerin die Geldkassette durch die geschlossene Balkontür warf und laut um Hilfe rief, flüchteten die Täter mit der Beute.
Zur Strafzumessung führt der BGH aus:

Das Landgericht hat im Rahmen der Strafzumessung bei jedem der Angeklagten einen minder schweren Fall nach § 250 Abs. 3 StGB angenommen. Dabei hat es zu ihren Gunsten neben den „umfassenden“ Geständnissen und der erwartbar geringen Beute vor allem berücksichtigt, dass „die Schlag- und Stichwaffen nicht so gefährlich waren, wie etwa eine scharfe Schusswaffe“ (UA S. 7). Als maßgeblich für die Strafrahmenwahl erachtete es die Strafkammer zudem, dass die Tatausführung „dilettantisch und unprofessionell“ gewesen sei, weil die Täter nicht maskiert waren und der Angeklagte S. der Nebenklägerin bekannt war (UA S. 8). Die Anwendung des Strafrahmens nach § 250 Abs. 2 StGB hielt sie „für nicht geboten und unangemessen, zumal die Mindeststrafe wegen des Gewichts der straferhöhenden Umstände bei der Festsetzung der Strafen nicht nur unbeträchtlich erhöht werden müsste“ (UA S. 8).

 2. Diese Begründung für die Annahme minder schwerer Fälle nach § 250 Abs. 3 StGB bei beiden Angeklagten hält sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

Durchgreifenden Bedenken begegnet bereits die Erwägung, die verwendeten Schlag- und Stichwaffen seien nicht so gefährlich, wie eine „scharfe Schusswaffe“. Das Landgericht berücksichtigt dabei nicht ausreichend die konkreten Umstände des Waffeneinsatzes (Überfall in einer Ein-Zimmer-Wohnung durch drei bewaffnete Täter; körpernahe Stichbewegungen mit dem „machetenartigen“ Messer), die für die Beurteilung der Gefährlichkeit der Waffen von erheblicher Bedeutung sind. Bei der Bewertung der Tatausführung als „dilettantisch und unprofessionell“ aufgrund der unterlassenen Maskierung der Täter zieht das Landgericht nicht in Betracht, dass die Nebenklägerin wusste, „dass der Angeklagte S. mit einer Rockergruppierung in Kontakt stand“ (UA S. 7), und sich die Angeklagten deshalb möglicherweise darauf verließen, von ihr nicht angezeigt zu werden. An anderer Stelle hat das Landgericht der Drohung des Angeklagten B. , er werde „seine Leute“ vorbeischicken, in diesem Zusammenhang besonderes Gewicht beigemessen (UA aaO). Angesichts des Tatbildes und insbesondere der Reaktion des Angeklagten B. auf die Übergabe eines nur geringen Bargeldbetrages und einer kleinen Menge Rauschgift ist auch die Annahme einer geringen Beuteerwartung der Täter nicht ohne Weiteres nachvollziehbar.

Sachlich unzutreffend und mithin rechtsfehlerhaft ist schließlich die Kontrollerwägung des Landgerichts, dass bei Anwendung des Regelstrafrahmens die Mindeststrafe erheblich hätte erhöht werden müssen. Es ist abwegig anzunehmen, dass unter Berücksichtigung der hier gegebenen straf-mildernden Gesichtspunkte eine erhebliche Erhöhung der in § 250 Abs. 2 StGB vorgesehenen Mindeststrafe zwingend erforderlich gewesen wäre. Die hohe Untergrenze dieses strengen Strafrahmens trägt der hohen Gefährlichkeit der umfassten Taten bereits Rechnung. Dies zwingt bei Vorliegen von Milderungsgründen, wenn sie nicht zur Annahme eines minder schweren Falles hinreichen, ungeachtet – wie hier – gegebener Erschwerungsgründe nicht zu deren Anhebung.“

Also mit der Begründung ein untauglicher Versuch. Und „abwegig“ liest man nicht so gerne.