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StPO I: Vier Pflichtverteidigungsentscheidungen, oder: 3 x rückwirkende Bestellung, 1 x Betreuung

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So, heute dann ein StPO-Tag.

Zunächst stelle ich Pflichtverteidigungsentscheidungen vor.

Ich beginne mit drei Entscheidungen zur rückwirkenden Bestellung, dem Dauerbrenner zum neuen Recht, und zwar:

Als zulässig angesehen haben die rückwirkende Bestellung:

Als unzulässig angesehen hat die rückwirkende Bestellung, was unzutreffend ist und bleibt:

Und zu den Beiordnungsgründe der LG Schwerin, Beschl. v. 30.09.2021 – 31 Qs 56/21 – mit folgendem Leitsatz:

Einem Beschuldigten ist ein Pflichtverteidiger beizuordnen, wenn er unter einer besonders umfassenden Betreuung steht, so dass von einer fehlenden Verteidigungsfähigkeit auszugehen ist. Die Betreuung kann als umfassend eingestuft werden, wenn ihr Aufgabenkreis umfasst Behörden-, Versicherungs-, Renten- und Sozialleistungsangelegenheiten, die Entgegennahme, das Öffnen und Anhalten der Post im Rahmen der übertragenen Aufgabenkreise, Geltendmachung von Ansprüchen auf Sozialleistungen, Hilfe zum Lebensunterhalt, und Leistungen aus der Sozialversicherung, Gesundheitssorge, Vermögenssorge mit Einwilligungsvorbehalt und Wohnungsangelegenheiten umfasst.

Pflichti II: Beiordnungsgründe, oder: Unfähigkeit zur Selbstverteidigung, schwere Rechtsfolge, Beweislage

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Im zweiten „Pflichtverteidigerposting“ dann Beiordnungsgründe, und zwar:

Sowohl der Umstand, dass eine (ausländische) Beschuldigte Analphabetin ist, unter Betreuung steht und bei einem Unterlassungsdelikt (hier: § 95 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG, passloser Aufenthalt) wegen psychischer Erkrankung §§ 20, 21 StGB in Betracht kommen erfordern jeweils selbständig eine Bestellung eines Pflichtverteidigers wegen Unfähigkeit zur Selbstverteidigung. Jedenfalls begründet aber ansonsten die erforderliche Gesamtschau der angeführten Umstände die Bestellung.

Bei Einholung eines Sachverständigengutachtens ist nicht in jedem Fall die Beiordnung eines Verteidigers erforderlich. Indes kann eine schwierige Sachlage vorliegen, wenn ein Sachverständigengutachten das entscheidende Beweismittel gegen einen Angeklagten ist.

Zur (verneinten) schwierigen Beweislage.

Hätte man m.E. übrigens auch gut anders entscheiden können. Ausschreitungen bei einem Fußballspiel und dann keine schwierige Beweislage?

Die Schwere der zu erwartenden Rechtsfolge lässt die Mitwirkung eines Verteidigers nicht geboten erscheinen bei nur einem vergleichsweise geringfügiges Delikt, bei dem auch im Fall der Bildung einer Gesamtstrafe lediglich eine geringfügige, für den Beschuldigten nicht wesentlich ins Gewicht fallende Erhöhung der bereits rechtskräftig verhängten Freiheitsstrafe zu erwarten gewesen wäre.

 

 

Termin I: Ablehnung einer Terminsverlegung wegen „Geschäftslage“, oder: „Auf Biegen und Brechen“?

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Heute dann mal drei Entscheidungen rund um den Termin, also Terminierung, Ladung usw.

Ich beginne mit dem LG Schwerin, Beschl. v. 24.06.2021 – 33 Qs 47/21 jug, den mir der Kollege Tauber aus Rostock geschickt hat.

Gegenstand der Entscheidung ist die Terminierung in einem Verfahren wegen Nötigung und Bedrohung mit folgendem Sachverhalt:

„Durch Beschluss vom 21.04.2021 wurde die Anklage zur Hauptverhandlung zugelassen und das Hauptverfahren vor dem Amtsgericht, Jugendrichter, eröffnet. Am selben Tag wurde Termin zur Hauptverhandlung auf den 20.05.2021, 12:30 Uhr bestimmt. Die Ladung, die am 04.05.2021 durch die Geschäftsstelle abgearbeitet wurde, ging dem Wahlverteidiger des Angeklagten am Freitag, 07.05.2021 zu. Mit Schriftsatz vom 10.05.2021, eingegangen beim Amtsgericht am selben Tag, beantragte der Verteidiger Terminverlegung, da er am 20.05.2021 bereits in einem anderen Strafverfahren ab 10:00 Uhr beim Landgericht Rostock eingebunden sei. Der Angeklagte wünsche eine Verteidigung durch seine Person. Mit Schreiben vom 11.05.2021 lehnte das Amtsgericht die Terminverlegung mit den Sätzen „die Geschäftslage lässt eine Verlegung des Termins nicht zu. Im Übrigen liegt auch kein Fall notwendiger Verteidigung vor“ ab. Gegen dieses Schreiben, das am 17.05.2021 von der Geschäftsstelle versandt wurde, legte der Verteidiger des Angeklagten am 19.05.2021, eingegangen beim Amtsgericht am selben Tag, Beschwerde ein. Er begründet diese im Wesentlichen damit, dass die Ablehnung des Verlegungsantrages keine Ermessensentscheidung erkennen lasse und der zeitliche Ablauf den Verdacht errege, dass dem Angeklagten die prozessualen Rechte beschnitten werden sollten. Die Ablehnung des Verlegungsantrages sei mithin prozessordnungswidrig, da der Angeklagte so gehindert werde, durch seinen gewählten Verteidiger in der Hauptverhandlung verteidigt zu werden. In seiner, des Verteidigers, Teilnahme an der ganztägig anberaumten Hauptverhandlung vor dem Landgericht Rostock bei der es sich um eine Haftsache handele und dessen Terminierung bereits im Februar/ März 2021 erfolgt sei, liege ein Verlegungsgrund, der nicht zurückgewiesen werden dürfe.“

Das AG hat den Terminverlegungsantrag erneut zurückgewiesen. Verteidiger und Angeklagter sind nicht nur Hauptverhandlung erschienen. Gegen den Angeklagten ist ein Strafbefehl gemäß § 408a StPO ergangen. Gegen den ist Einspruch eingelegt. Und eben Beschwerde gegen die Ablehnung des Verlegungsantrags. Und die hatte beim LG Schwerin Erfolg:

„2. Die Bestimmung des Termins zur Hauptverhandlung durch den Vorsitzenden des Jugendgerichts auf den 20.05.2021, 12:30 Uhr, war ermessensfehlerhaft. Eine ausreichende Ermessensabwägung, diesen Termin bestehen zu lassen, ist insbesondere im Hinblick auf den zeitlichen Zusammenhang mit der Terminierung und der Bescheidung des Verlegungsantrages nicht erkennbar.

Zurecht führt das Amtsgericht in seinem Beschluss vom 20.05.2021 zunächst aus, dass die Verhinderung des gewählten Verteidigers für sich allein nicht ohne weiteres einen Anspruch auf Verlegung der Hauptverhandlung gibt. Dies folgt schon aus der Regelung des § 228 Abs. 2 StPO, wonach die Verhinderung des Wahlverteidigers dem rechtzeitig geladenen Angeklagten kein Recht gibt, die Aussetzung der Verhandlung zu verlangen. Dies gilt – anders als der Beschwerdeführer meint – auch, wenn der gewählte Verteidiger in anderen Strafverfahren unabkömmliche Termine hat. Dieser Gesichtspunkt hat lediglich Gewicht im Rahmen der Ermessenabwägung.

Das als Beschluss auszulegende Schreiben des Vorsitzenden vom 11.05.2021, mit dem der mit Terminüberschneidung begründete Antrag des Verteidigers mit zwei pauschalen Sätzen zurückgewiesen wurde, lässt allerdings nicht ausreichend erkennen, dass im Vorfeld der Entscheidung eine Ermessensabwägung stattgefunden hat. Es enthält keinerlei Anhaltspunkte für eine etwaig vorgenommene Abwägung. Der pauschale Verweis auf die Geschäftslage des Gerichts und dass kein Fall der notwendigen Verteidigung vorliege, genügt hierfür nicht. Insbesondere hätte der Vorsitzende bereits hier in den Blick nehmen müssen, dass die Ladung aus Gründen, die allein im Geschäftsbereich des Amtsgerichts Wismar lagen, den Verteidiger erst 12 Tage vor dem Hauptverhandlungstermin erreichte und diese sofort, nämlich am nächsten, auf die Ladungszustellung folgenden Werktag, einen mit einer Begründung versehenen Verlegungsantrag stellte.

Auch der Beschluss des Amtsgerichts vom 20.05.2021, mit der der Beschwerde gegen die Entscheidung vom 11.05.2021 nicht abgeholfen wurde und der Terminverlegungsantrag erneut zurückgewiesen worden ist, lässt eine ausreichende Interessenabwägung innerhalb des Ermessensspielraums nicht erkennen, auch wenn eine gewisse Verärgerung des Vorsitzenden über die Art und den unterschwelligen Ton des Beschwerdeschriftsatzes vom 19.05.2021 nachvollziehbar ist. Der Beschluss des Amtsgerichts erschöpft sich im Wesentlichen in allgemeinen Ausführungen, ohne dass erkennbar wird, dass der Vorsitzende innerhalb des ihm zustehenden weiten Ermessensspielraumes neben der Bedeutung der Sache sowohl in angemessener Weise die Geschäftslage des Gerichts als auch die Belange des Angeklagten bedacht und abgewogen hat. Dabei hat der Vorsitzende das grundsätzliche Recht des Angeklagten auf den Beistand eines Verteidigers seiner Wahl und seines Vertrauens als Ausdruck des Grundsatzes eines fairen Verfahrens verkannt. Er hat neben seiner Arbeitsbelastung nicht den Gesichtspunkt in den Blick genommen, dass die kurzfristige Bekanntgabe des anberaumten Hauptverhandlungstermins und die verzögerte Übersendung der Zurückweisung des Verlegungsantrages allein aus dem Geschäftsbereich des Amtsgerichts kamen und der Angeklagte sowie sein Verteidiger hierdurch auch in ihren Möglichkeiten, auf die verfahrensleitenden Anordnungen des Gerichts reagieren zu können, übermäßig eingeschränkt wurden. Selbst wenn der Angeklagte erwogen hätte, sich ggfs. um einen anderen anwaltlichen Beistand zu bemühen, so wäre dies aus zeitlichen Gründen, für die er keine Ursache gesetzt hatte, nur eingeschränkt möglich, wenn nicht gar unmöglich gewesen. Dem steht nicht entgegen, dass es sich um keinen Fall der notwendigen Verteidigung gehandelt hat. Auch insoweit besteht regelmäßig das Recht, sich eines Verteidigers seiner Wahl zu bedienen.

Angesichts der Tatsache, dass knapp sieben Monate zwischen Tatzeitpunkt und Anklageerhebung vergingen und es sich um keine Haftsache handelte, war trotz des in Jugendsachen grundsätzlich bestehenden Beschleunigungsgebotes keine Eile erforderlich, die eine Anberaumung der Hauptverhandlung innerhalb kürzester Zeit erforderte. Zudem handelte es sich um die erste Terminierung in dieser Sache, so dass auch keine wesentliche Verschleppung des Verfahrens drohte. Eine Terminierung frühestens im Herbst 2021, wie der Vorsitzende sie für möglich hält, dürfte auch in einem Verfahren nach JGG nicht gegen das Beschleunigungsgebot verstoßen.

Unter Berücksichtigung aller Gesamtumstände war es deshalb vorliegend ermessensfehlerhaft, den Belangen der zügigen Erledigung des Verfahrens den Vorrang vor dem Grundsatz des fairen Verfahrens einzuräumen.“

In meinen Augen auch so einer dieser Entscheidungen, bei denen man den Eindruck hat, dass der Termin auf „Biegen und Brechen“ durchgeführt werden soll.

StPO III: Aussetzung der Hauptverhandlung nach einem Ablehnungsantrag, oder: Beschwerde unzulässig

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Für die dritte und letzte Entscheidung des Tages geht es dann quer durch die Republik, und zwar zum LG Schwerin. Das hat im LG Schwerin, Beschl. v. 12.03.2021 – 33 Qs 18/21 – über die Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen einen Beschluss, mit dem die Hauptverhandlung ausgesetzt worden ist, entschieden.

Ergangen ist der Beschluss in einem Verfahrenwegen des Verdachtes der Zwangsprostitution. Das AG hatte die Hauptverhandlung auf den 02.03.2021 und den 16.03.2021 anberaumt. Zu dem Hauptverhandlungstermin am 02.03.2021 waren insgesamt sieben Zeugen geladen.

Zu Beginn der Hauptverhandlung stellten die Verteidiger des Angeklagten zwei Befangenheitsanträge, woraufhin das Gericht das Verfahren aussetzte. Dagegen dann die Beschwerde der Staatsanwaltschaft. Das LG sagt: Unzulässig:

§ 305 Satz 1 StPO bestimmt, dass Entscheidungen des erkennenden Gerichts, die der Urteilsfällung vorausgehen, nicht der Beschwerde unterliegen. Davon sind gemäß § 305 Satz 2 StPO bestimmte Entscheidungen ausgenommen, um die es hier jedoch ersichtlich nicht geht.

Ob es sich bei der Aussetzung der Hauptverhandlung um eine der Urteilsfällung vorausgehende Entscheidung handelt, hängt vom Einzelfall ab, nämlich davon, aus welchen Gründen und zu welchem Zweck sie beschlossen wird (Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 02. Mai 2013 — 2 Ws 76/13 —, juris; OLG Braunschweig NJW 1955, 565; KG JR 1959, 350). Wird die Aussetzung aus Gründen beschlossen, die in innerem Zusammenhang mit der Urteilsfällung stehen und soll durch diese das Urteil unmittelbar vorbereitet werden, ist die Beschwerde unzulässig.

So liegt der Fall hier:

Die Aussetzung des Verfahrens erfolgte im inneren Zusammenhang mit der Urteilsfällung:

Vor einer Urteilsfällung steht die ordnungsgemäße Durchführung der Hauptverhandlung, anders ausgedrückt, jede notwendig durchzuführende Verfahrenshandlung in der Hauptverhandlung steht in einem inneren Zusammenhang mit der späteren Urteilsfällung.

Die Staatsanwaltschaft Schwerin führte in ihrer Beschwerdebegründung selbst aus, der Vorsitzende habe die Aussetzung mündlich sinngemäß damit begründet, dass eine etwaige doppelte Zeugenvernehmung verhindert werden solle. Diese Begründung stellt einen ausreichenden inneren Zusammenhang mit der späteren Urteilsfällung her:

Nachdem die Befangenheitsanträge in der laufenden Verhandlung angebracht worden sind, durfte der abgelehnte Richter die Hauptverhandlung nach § 29 StPO bis zu einer Entscheidung über diese Anträge nur noch in beschränktem Umfang leiten. Nach § 29 Abs. 2 StPO wäre es ihm allerdings nicht verwehrt gewesen, die für diesen Sitzungstag vorgesehene Verhandlung hin bis zu einer Vernehmung der geladenen und anwesenden Zeugen durchzuführen, ohne zuvor auf eine Entscheidung über die Befangenheitsgesuche zu warten.

Allerdings stand die Entscheidung, ob zuerst der Verhandlungstag wie ursprünglich geplant durchgeführt wird oder ob ausgesetzt wird, im Ermessen des Gerichts, von dem es auch nach Auffassung der Kammer in nicht angreifbarer Weise Gebrauch gemacht hat. Es besteht nämlich keine Pflicht, von der Möglichkeit der Fortsetzung der Hauptverhandlung Gebrauch zu machen, sie stellt allenfalls eine Möglichkeit dar, Verfahrensverzögerungen durch (missbräuchliche) Befangenheitsgesuche entgegenzuwirken. Erkennbar hat das Gericht die Voraussetzungen, unter denen die Hauptverhandlung fortgesetzt werden kann, gesehen und abgewogen, indem es ausgeführt hat, die etwaige doppelte Vernehmung der Zeugen nach § 29 Abs. 4 StPO solle vermieden werden.

In dem vorliegenden Fall sprechen folgende Umstände für die Sichtweise des Amtsgerichts: Die angebrachten Befangenheitsgesuche dienten nicht offensichtlich einer Störung oder Verzögerung des Verhandlungsablaufes, ohne dass die Kammer sich eine Beurteilung der Begründetheit der Anträge anmaßt. So entwickelte sich der zweite Antrag aus dem Gang der Hauptverhandlung heraus und nachdem die Verteidigung Umstände zur zuvor erfolgten Akteneinsicht des Nebenklägerbeistandes erfahren hatte.

Es gibt gute Gründe, eine Zeugenvernehmung zu verhindern, die möglicherweise nach § 29 Abs. 4 StPO zu wiederholen wäre:

Jeder Zeugenvernehmung wohnt die Gefahr einer suggestiven Beeinflussung von Zeugen inne, was es aus aussagepsychologischen Gründen bereits zu vermeiden gilt. Insbesondere in Jugendschutzsachen, aber auch in anderen Verfahren, in denen es um angebliche sexuelle Übergriffe geht, ist darüber hinaus eine besondere emotionale Belastung von Verfahrensbeteiligten, auch des Angeklagten, denkbar.

Etwas Anderes würde möglicherweise gelten, wenn vor der Aussetzungsentscheidung bereits wesentliche Teile der Hauptverhandlung stattgefunden hätten. Hier aber hatte die Hauptverhandlung erst begonnen, die Anklageschrift war noch nicht einmal verlesen.

Demgegenüber steht allenfalls der Ablauf der Frist des § 121 Abs. 1 StPO. Hierauf hat das Gericht jedoch mit seiner Vorlageverfügung vom 08.03.21 (BI. 103 RS) an das Oberlandesgericht den gesetzlichen Regelungen entsprechend reagiert.“

Als Nichtraucher mit zwei Rauchern in der Haftzelle; dafür gibt es 500 €

entnommen wikimedia.org Urheber ??? ??????

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Urheber ??? ??????

Das LG Schwerin, Urt.v. 04.05.2015 – 4 O 165/15 – sorry, leider jetzt erst gefunden – wird auf ein geteiltes Echo treffen. Es geht um Schadensersatz für einen Nichtraucher. D.h.: Die Entscheidung wird Nichtraucher freuen, die Raucher werden nicht so begeistert sein. Um keinen zu verprellen, halte ich dann mal lieber den Mund und stelle die Entscheidung nur vor.

Das Urteil schließt ein Verfahren ab, das schon länger läuft. Der Kläger befand sich vor seiner strafrechtlichen Verurteilung in der Zeit vom 27.02.2010 bis zum 12.04.2011 in Untersuchungshaft in der Justizvollzugsanstalt Stralsund. Er hatte am Aufnahmetag und auch danach darauf hingewiesen, dass er Nichtraucher ist und aufgrund gesundheitlicher Probleme nicht mit Rauchern in eine Zelle gelegt werden wolle. Gleichwohl wurde er vom 27.02.2010 bis zum 03.03.2010 in einem 3-Personen-Haftraum zusammen mit zwei rauchenden Mitgefangenen untergebracht. Bei den Mitgefangenen handelte es sich um starke Raucher, die auch während der Nacht mehrmals geraucht haben. Trotz Lüftung durch Öffnen des Fensters – soweit möglich – war ein ständiger Rauchgeruch vorhanden und der Kläger war nach der ersten Nacht wegen Beschwerden in ärztlicher Behandlung. Der Kläger hatte dann beim LG Stralsund einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung gestellt und die Feststellung begehrt, dass die „Zulassung der Zufügung von körperlichen Schmerzen durch gesundheitsgefährdende Stoffe“ rechtswidrig gewesen sei. Die Sache ist dann bis zum BVerfG gegangen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 28.10.2012 – 2 BvR 737/11 und Nichtraucherschutz auch in der U-Haft). Letztlich hat dann das LG Stralsund hat mit Beschluss vom 17.12.2013 festgestellt, dass die Unterbringung des Klägers mit zwei rauchenden Gefangenen vom 27.02.2010 bis zum 03.03.2010 rechtswidrig gewesen ist.

Und dafür gibt es jetzt 500,– € Schadensersatz:

Zum Anspruchsgrund:

„- Das Vorliegen einer rechtswidrigen Verletzung von Amtspflichten ergibt sich bereits aus der Entscheidung des Landgerichts Stralsund mit Beschluss vom 17.12.2013 ( Anlage K 2), denn die Feststellung der Rechtswidrigkeit entfaltet für den Amtshaftungsprozess bindende Wirkung (vgl. BGH, Beschluss vom 28.09.2006, AZ: III ZB 89/05; juris).

– Diese Amtspflichtverletzung ist auch als schuldhaft anzusehen, denn die vom beklagten Land vorgetragenen Umstände – die zudem vom Kläger bestritten worden sind – rechtfertigen die von den Bediensteten der Justizvollzugsanstalt getroffene Unterbringungsentscheidung nicht, auch nicht für einen Zeitraum von fünf Tagen. Das beklagte Land hat durch hinreichende Organisationsmaßnahmen, so u.a. durch eine ausreichende Anzahl von Hafträumen und ausreichendes Personal sicherzustellen, dass die – wie vom beklagten Land angeführt – besonderen Haftvorgaben und -bedingungen sowie Haftzwecke sowohl für die Vollzugshäftlinge als auch für die Untersuchungshäftlinge gewährleistet und durchgesetzt werden können, ohne dass damit eine Beeinträchtigung des Schutzes des Häftlings vor einer gesundheitlichen Gefährdung und eine nicht nur unerhebliche Belästigung durch das Rauchen von Mithäftlingen verbunden ist.“

Und zur Anspruchshöhe:

– Der Kläger ist unfreiwillig als Nichtraucher dem Rauch zweier stark rauchender Mithäftlinge auf engstem Raum – sowohl tagsüber als auch nachts – ausgesetzt gewesen, wobei es trotz Lüftung zu einer starken Rauchentwicklung im Haftraum gekommen ist. Der Kläger war damit für fünf Tage durch dieses unfreiwillige „Passivrauchen“ einer nicht ausschließbaren Gesundheitsgefährdung ausgesetzt.

– Es ist beim Kläger auch zum Auftreten von Kopfschmerzen gekommen. Allerdings ist – soweit der Kläger diese mit „stark“ angibt – eine über das mit Kopfschmerzen in der Regel verbundene allgemeine Unwohlsein hinausgehende Intensität sowie die Dauer und Form einer damit ggf. verbundenen starken Lebensbeeinträchtigung mangels Darlegung hinreichend konkreter und objektivierbarer Beschwerdeumstände nicht feststellbar.

– Den hierzu erfolgten Beweisangeboten des Kläger war insoweit auch nicht nachzugehen. Weder für die Beiziehung der Gefangenenakte noch für die Vernehmung der angebotenen Zeugen lagen hinreichende Anknüpfungstatsachen vor. Sie waren vielmehr auf Ausforschung gerichtet und daher unzulässig, zumal es auch nicht Aufgabe des Gerichts ist, sich aus einer Akte die maßgebenden Umstände herauszusuchen. Ebenfalls war auch der Kläger nicht als Partei zu vernehmen, da weder das beklagte Land dieser zugestimmt hat, noch die Voraussetzungen des § 448 ZPO vorlagen.

– Der Kläger befand sich wegen dieser Beschwerden nach der ersten Nacht in ärztlicher Behandlung. Weitere Behandlungen haben erkennbar nicht stattgefunden.

– Das Gericht geht auch nicht davon aus, dass es zu weiteren erheblichen körperlichen Beeinträchtigungen gekommen ist. Soweit der Kläger das Auftreten von „Atembeschwerden“ behauptet ist mangels hinreichend konkreter Angaben zu den tatsächlichen Beschwerdeumständen (Form, Intensität, Zeit, Dauer) nicht von einer damit verbundenen erheblichen Lebensbeeinträchtigung auszugehen……

– Zu berücksichtigen ist weiterhin, dass der Kläger die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Unterbringung erst durch ein langwieriges Verfahren über mehrere Instanzen erreichen konnte sowie dass dem Kläger gegenüber – erkennbar – zum damaligen Zeitpunkt für die getroffenen Unterbringungsentscheidung keinerlei Begründung/Erklärungen abgegeben worden sind.

– Einzubeziehen ist auch der Umstand, dass der Entscheidung der Bediensteten der Justizvollzugsanstalt – erkennbar – kein schikanöses Verhalten zugrunde gelegen hat. Das beklagte Land hat ausführlich und nachvollziehbar dargelegt, aufgrund welcher besonderer Umstände es zu dieser Entscheidung gekommen ist. Dies lässt die Rechtswidrigkeit der Entscheidung zwar nicht entfallen, gleichwohl ist dies bei der Bemessung der Höhe einer möglichen Entschädigung zu berücksichtigen.

– Zu berücksichtigen ist zudem, dass es über die fünf Tage hinaus zu keinen weiteren körperlichen Beeinträchtigungen und insbesondere auch zu keinen dauerhaften Gesundheitsschäden gekommen ist.

– Auch handelt es sich bei den fünf Tagen, in denen der Kläger der erheblichen Rauchentwicklung durch die stark rauchenden Mitgefangenen ausgesetzt war, um einen relativ begrenzten Zeitraum.“