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LG Hagen: Die Unschuldsvermutung gilt auch im Adhäsionsverfahren, oder: Steine statt Brot

© helmutvogler - Fotolia.com

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Ist/war ein Adhäsionsverfahren anhängig, stellt sich, wenn das Strafverfahren z.B. nach § 153a StPO eingestellt wird, die Frage: Wer trägt eigentlich die dem Adhäsionskläger entstandenen Kosten und Auslagen? Ausgangspunkt für die Antwort ist § 472a StPO. Was bei seiner Anwendung zu beachten ist, ergibt sich noch einmal aus dem LG Hagen, Beschl. v. 09.01.2017 – 44 Qs 6/17 – mit folgendem Sachverhalt:

Gegen die Angeklagten war ein Strafverfahren anhängig, das vom AG nach vollständiger Auflagenerfüllung gem. § 153a Abs. 2 StPO eingestellt worden ist. Von der Entscheidung über einen anhängigen Adhäsionsantrag wurde gem. § 406 Abs. 1 Satz 3 StPO abgesehen. Den Angeklagten wurden die durch den Adhäsionsantrag des Geschädigten entstandenen gerichtlichen Auslagen und die durch den Adhäsionsantrag angefallenen Auslagen des geschädigten Adhäsionsklägers als Gesamtschuldner auferlegt. Zur Begründung hat das AG angeführt, dass die Angeklagten der Einstellung des Verfahrens zugestimmt hätten und der Angeklagte zu 1) den dem Adhäsionskläger entstandenen Schaden wieder gut gemacht habe und die Angeklagten sich dadurch letztlich freiwillig in die Rolle der Unterlegenen im Adhäsionsverfahren begeben hätten. Daher erscheine es angemessen, den Angeklagten die gerichtlichen und außergerichtlichen Kosten des Adhäsionsklägers aufzuerlegen. Das gegen diese Kostenentscheidung gerichtete Rechtsmittel der Angeklagten hatte keinen Erfolg.

Allerdings:  Das LG weist zunächst daraufhin, dass die in Art. 6 Abs. 2 EMRK verankerte Unschuldsvermutung, auch für Entscheidungen über Kosten und Auslagen gilt. Vor Schuldspruchreife dürfen sie in keinem Fall ausdrücklich oder sinngemäß auf Erwägungen zur Schuld gestützt werden. Erwägungen zu einem nicht ausgeräumten Tatverdacht berühren die Unschuldsvermutung hingegen grundsätzlich nicht, weil sie nicht mit dem für eine Strafe typischen sozialethischen Unwerturteil verbunden sind. Es sei daher regelmäßig zulässig, einem Beschuldigten unter Hinweis auf einen verbleibenden Tatverdacht die Erstattung eigener Auslagen zu versagen. Für die Auferlegung von Verfahrenskosten oder anderer als eigener Auslagen des Strafverfahrens könne dies indes nicht in gleicher Weise gelten. Die mit Verdachtserwägungen begründete Auferlegung von Kosten oder Auslagen habe vielmehr regelmäßig einen sanktions- und strafähnlichen Charakter, weil sie den Schluss nahelegen kann, die Kostenfolge trete an die Stelle einer Bestrafung. Verdachtserwägungen sind deshalb grundsätzlich nicht geeignet, die Auferlegung von Kosten und anderer als eigener Auslagen zu rechtfertigen.

Dieser Maßstab ist nach Auffassung des LG auch anzuwenden, soweit die StPO die vereinfachte Geltendmachung zivilrechtlicher Entschädigungsansprüche gegen den Beschuldigten nach §§ 403 ff. StPO im Verbund mit dem Strafverfahren ermöglicht und hierzu in § 472a Abs. 2 StPO eine eigenständige Bestimmung über Auslagen enthält. Den Anforderungen an die Beachtung der Unschuldsvermutung werde die angegriffene amtsgerichtliche Auslagenentscheidung auch nicht gerecht. Schon die Begründung des AG, dass sich der Beschwerdeführer freiwillig in die Rolle des Unterlegenen im Adhäsionsverfahren begeben habe, verkenne den Charakter einer Zustimmung zur Verfahrenseinstellung nach § 153a StPO sowie das Verhältnis von Straf- und Adhäsionsverfahren. Die Zustimmung zur Einstellung des Strafverfahrens enthalte weder ein Eingeständnis strafrechtlicher Schuld noch irgendeine Erklärung zu den im Adhäsionsverfahren verfolgten vermögensrechtlichen Ansprüchen des Verletzten.

Dann heißt es allerdings weiter:

„b) Allerdings können den Beschwerdeführern die Auslagen im Adhäsionsverfahren auferlegt werden, wenn sie einen nachvollziehbaren Anlass für den Adhäsionsantrag gegeben hat. Dabei dürfen aber ebenfalls nur solche Umstände zugrunde gelegt werden, die keiner weiteren Aufklärung bedürfen (vgl. dazu Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin, aaO, m.w.N).

Im Rahmen der Hauptverhandlung vom 09.11.2015 haben sich die Angeklagten dahingehend geäußert, dass der Angeklagte pp.1 dem Geschädigten eine Kopfnuss gegeben habe und pp2. beim Losreißen den Geschädigten getroffen haben könnte. Dadurch haben sie zumindest einen nachvollziehbaren Anlass für die Stellung eines Adhäsionsantrages gegeben, so dass den Angeklagten die Auslagen im Adhäsionsverfahren auferlegt werden durften.“

Anzumerken ist: Die Ausführungen zur Geltung der Unschuldsvermutung bei einer Einstellung nach § 153a StPO sind lesenswert und zutreffend. Sie entsprechen vor allem auch der Rechtsprechung des BVerfG (grundlegend BVerfG NJW 1992, 1612). Zutreffend ist es auch, wenn das LG sie auf das Verhältnis Angeklagter/Adhäsionskläger ausdehnt, denn insoweit kann nichts anderes gelten.

Allerdings hat den Angeklagten das hier nichts gebracht. Denn das LG hat dei Einlassung der Angeklagten herangezogen, die es erlaube, den Angeklagten die Auslagen im Adhäsionsverfahren aufzuerlegen. Letztlich gibt die Entscheidung mit diesen Erwägungen m.E. den Angeklagten „Steine statt Brot“. Zwar wird die Bedeutung Unschuldsvermutung betont, aber: Im Ergebnis wird sie dann doch nicht beachtet, wenn die Einlassung der Angeklagten herangezogen wird.

Kleines Schmankerl: In die Abhilfeentscheidung gehört eine Kostenentscheidung

© Alex White _Fotolia.com

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Ein kleines Schmankerl ist der OLG Nürnberg, Beschl. v. 02.09.2016 – 1 Ws 299/16. Er behandelt eine kostenrechtliche Frage, nämlich: Wenn im Beschwerdeverfahren eine vollständige Abhilfe (§ 306 Abs. 2 StPO) erfolgt, was ist dann mit den Kosten des Beschwerdeverfahrens? M.E. eine Problematik, die  in der Praxis gar nicht so selten ist. Das zeigt mir auch eine Anfrage eines Kollegen, die mich gerade erst während meines Urlaubs erreicht hatte. Dem Kollegen konnte ich dann mit dem Beschluss des OLG Nürnberg (aus)helfen.

Im vom OLG Nürnberg entschiedenen Fall war der Beschwerde des Angeklagten vollständig abgeholfen worden. Eine Kostenentscheidung hatte die Strafkammer nicht getroffen worden. Das OLG hat dann die Kosten der Beschwerde des Angeklagten – einschließlich seiner dadurch bedingten notwendigen Auslagen – der Staatskasse auferlegt und führt dazu kurz aus:

„Die Staatskasse hat die Kosten der Beschwerde des Angeklagten – einschließlich seiner dadurch bedingten notwendigen Auslagen – zu tragen.

Die Strafkammer hat der Beschwerde in vollem Umfang abgeholfen und damit das Beschwerdever­fahren beendet, ohne eine Kostenentscheidung getroffen zu haben (zur Notwendigkeit einer Kosten­entscheidung bei vollständiger Abhilfeentscheidung vgl. Gieg in Karlsruher Kommentar zur StPO 7. Aufl. § 464 Rn. 3; Hilger in Löwe-Rosenberg 26. Aufl. § 473 StPO Rn. 14; jeweils. m.w.N.).

Der Senat hat damit nur noch gem. § 473 StPO eine Kostenentscheidung zu treffen.“

M.E. ist das zutreffend. Denn bei einer vollständigen Abhilfeentscheidung handelt es sich um eine verfahrensabschließende Entscheidung , bei der gem. § 464 Abs. 1 StPO eine Kostenentscheidung zu treffen ist. Als Verteidiger darf man das auf keinen Fall übersehen und muss ggf. eine Ergänzung der Abhilfeentscheidung beantragen. Denn nur mit einer Kostengrundentscheidung kann er, wenn überhaupt, für den Mandanten die diesem im Beschwerdeverfahren entstandenen Kosten erstattet verlangen.

Wer hätte es gewusst?, oder: Kostenentscheidung bei Mithaftung mehrerer Verurteilter

entnommen open clipart.org

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Das LG hat den Angeklagten sowie zwei Mitangeklagte wegen versuchter schwerer räuberischer Erpressung verurteilt; zudem hat es den drei Angeklagten die Kosten des Verfahrens auferlegt. Gegen die Kostenentscheidung hat der Angeklagte sofortige Beschwerde eingelegt. Die hatte beim OLG Hamm keinen Erfolg. Das führt dazu im OLG Hamm, Beschl. v. 01.09.2016 – 4 Ws 253/16 – aus:

Die Kostenentscheidung des Landgerichts entspricht dem Gesetz(§ 465 Abs. 1 StPO). Für die vom Angeklagten I angestrebte Kostenregelung gibt es keine Rechtsgrundlage. Soweit eine ausschließliche Haftung einzelner Mitangeklagter gem. § 466 StPO in Betracht kommt, ist diese erst im Kostenansatzverfahren zu berücksichtigen (zu vgl. BGH, NStZ 1986, 210; Hilger, in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 466 Rdnr. 11; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl., § 466 Rdnr. 3 jeweils m.w.N.).

Tja, wer hätte es gewusst? Die Beschwerde war zu früh. § 466 StPO regelt die Haftung mehrerer Verurteilter/Angeklagter für Auslagen der Staatskasse. Vorgesehen ist in § 466 Satz 1 StPO eine gesamtschuldnerische Haftung. In § 466 Satz 2 StPO wird davon zwar eine Ausnahme gemacht u.a. für die Pflichtverteidigergebühren, Auslagen eines Dolmetschers, für die durch die Untersuchungshaft eines Angeklagten oder durch eine nur gegen einen Angeklagten gerichtete Untersuchungshandlung (§ 81a StPO) entstandenen Kosten. Für diese Kosten haften nicht alle Angeklagte als Gesamtschuldner, sondern nur derjenige Angeklagte, den die Kosten betreffen. Das ergibt sich aber aus der StPO und muss daher in der Kostenentscheidung nicht ausdrücklich bestimmt werden. Bedeutung erlangen die Fragen vielmehr erst im Kostenansatzverfahren. Dann werden die Kosten auf die jeweiligen Angeklagten/Verurteilten verteilt; die Verteilung steht nach § 8 Abs. 3 KostVfG im pflichtgemäßen Ermessen des Kostenbeamten. Gegen die in dem Verfahren ergehende Entscheidung steht dem Verurteilten dann, wenn er nicht einverstanden ist, Erinnerung und ggf. Beschwerde und weitere Beschwerde nach § 66 GKG zu.

Kurioses aus dem Norden, oder: Bei Rücknahme des unzulässigen Rechtsmittels keine Kostenerstattung

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Ein Kollege hat mich vor ein paar Tagen angeschrieben und folgenden Sachverhalt geschildert:

„mein hier zuständiges Landgericht Stralsund hat mal wieder kuriose Ansichten zum Gebührenrecht. Bevor ich eine abschließende Stellungnahme schreibe wollte ich mal nach Ihrer Meinung hierzu fragen.

Ich habe einen Nebenkläger vertreten. In der Berufungsinstanz hat der Angeklagte nach mehreren Verhandlungstagen ein Angebot nach § 153 a StPO angenommen.

Ihm wurden die dem Nebenkläger entstandenen Kosten durch Beschluss auferlegt.

Hiergegen wandte er sich mit einem als Beschwerde bezeichneten Rechtsmittel zu dem ich angehört wurde. Ich habe Stellung genommen und das LG hat einen Nichtabhilfebeschluß gefertigt und die Sache dem OLG vorgelegt. In diesem Verfahren hat der Generalstaatsanwalt deutlich gemacht dass eine Beschwerde unzulässig sei und ggf. in einen Antrag auf Nachholung rechtlichen Gehörs umgedeutet werden müsse, auch dieser hätte aber keinen Erfolg. Hierauf hat der Beschwerdeführer sein Rechtsmittel zurückgenommen.

Ich habe beantragt die notwendigen Auslagen des Nebenklägers im Beschwerdeverfahren dem Angeklagten aufzuerlegen. Dies will das Gericht nach bisherigen Hinweis ablehnen, da ja eine Beschwerde schon unzulässig gewesen sei und § 473 damit nicht greift.

Nach meiner Ansicht muss auch derjenige Zahlen der unzulässige Rechtsmittel einlegt, nicht erst dann wenn diese unbegründet sind.

Liege ich da falsch ?“

Also: Ich war dann doch ein wenig erstaunt. Und habe das in meiner Antwort auch zum Ausdruck gebracht:

„Hallo,

in meinen Augen Blödsinn.  § 473 Abs. 1 Satz 2 StPO unterscheidet doch nicht zwischen einem unzulässigen und einem unbegründeten Rechtsmittel.“

Ich habe dann auch nochmal ein wenig geforscht. Ich denke, dass meine Antwort richtig ist und es sich wirklich um „Kurioses aus dem Norden“ handelt

 

Der BGH ist für Reichsbürger nicht zuständig……

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Gerade auf der Homepage des BGH eingestellt ist der BGH, Beschl. v. 07.07.2016 – 2 ARs 209/16. Es geht um die „sofortige Beschwerde“ gegen eine Kosten- und Auslagenentscheidung des LG, das diese nach einer Einstellung des Verfahrens nach § 154 Abs. 2 StPO gegen den (ehemaligen) Angeklagten getroffen hat.

Bei dem Angeklagten dürfte es sich um einen „Reichsbürger“ handeln. Dafür spricht die Formulierung im BGH, Beschl.:  „Er betrachtet sich nicht als Staatsangehöriger der Bundesrepublik Deutschland und bestreitet die Legitimation der Gerichte der Bundesrepublik Deutschland zur Rechtsprechung in seinen Angelegenheiten.

Vom ehemaligen Angeklagten war „sofortige Beschwerde an den Bundesgerichtshof“ eingelegt. Das LG hat die Akten dem BGH übersandt. Der hat das Verfahren an das LG zurückgegeben:

„Die Einstellung des Verfahrens gemäß § 154 Abs. 2 StPO ist mangels Beschwer grundsätzlich nicht mit Rechtsmitteln anfechtbar (vgl. BGH, Urteil vom 21. Dezember 1956 – 1 StR 337/56, BGHSt 10, 88, 91). Nur für Ausnahmefälle wird eine Anfechtungsmöglichkeit in Betracht gezogen (vgl. OLG Zweibrücken, Beschluss vom 16. November 1995 – 1 Ws 205/95, NJW 1996, 866). Die Kosten- und Auslagenentscheidung ist ebenfalls nicht anfechtbar (§ 464 Abs. 3 Satz 1 StPO; vgl. BVerfG, Beschluss vom 29. Januar 2002 – 2 BvR 1965/01, NJW 2002, 1867). Auch hiervon wird in besonderen Fällen eine Ausnahme in Betracht gezogen (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 30. Dezember 1982 – 2 Ws 199/82, NStZ 1983, 328). Ob hier ein Ausnahmefall vorliegt (vgl. zur Argumentation der „Reichsbürgerbewegung“ Caspar/ Neubauer LKV 2012, 529 ff.; Werner DRiZ 2016, 130 f.), ist nicht vom Bundesgerichtshof zu prüfen, denn dieser besitzt im vorliegenden Fall keine sachliche Zuständigkeit als Beschwerdegericht. Daher ist die Sache an das Landgericht zurückzugeben, das ein Abhilfeverfahren durchzuführen und die Beschwerde danach gegebenenfalls dem Kammergericht vorzulegen hat.“

Also: Der BGH ist für „Reichsbürger“ – jedenfalls in diesem Fall – nicht zuständig. Nun ja, die Entscheidung beruht nicht darauf, dass es sich beim Beschwerdeführer um einen „Reichsbürger“ gehandelt hat, sondern mit dem allgemeinen Instanzenzug bei Einstellungen nach § 154 Abs. 2 StPO. Warum das LG dem BGH vorgelegt hat, erschließt sich mir nicht.