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KCanG I: Handel mit „nicht geringer Menge“ strafbar?, oder: Einmal hopp, einmal topp zum neuen KCanG

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In die neue Woche starte ich heute mit Entscheidungen zu Betäubungsmittelfragen.

Es kommt hier zunächst der KG, Beschl. v. 30.04.2024 – 5 Ws 67/24 – zur Strafbarkeit des Handeltreibens mit Cannabis in nicht geringer Menge nach Inkrafttreten des CanG. Es handelt sich um die erste obergerichtliche Entscheidung zu der Frage

Ergangen ist der Beschluss in einem Verfahren, in dem dem Angeschuldigten zur Last gelegt wird, in zwei Fällen mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge Handel getrieben zu haben. Im Fall 1 soll sollen der Angeschuldigte und sein Mittäter unter Nutzung kryptierter Mobiltelefone des Anbieters „EncroChat“ an einen anderen User dieses Dienstes 30 Kilogramm Marihuana aus der Ernte einer von ihnen in der Umgebung von G. (Brandenburg) betriebenen Cannabisplantage verkauft haben. Durch den Verkauf sollen die beiden Angeschuldigten mindestens 70.000 EUR erlangt haben.

Im Fall 2 der Anklage sollen sich drei der fünf Angeschuldigten sowie einer gesondert Verfolgte zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt zusammengeschlossen haben, um in arbeitsteiligem Zusammenwirken mehrere Cannabisplantagen an mehreren Standorten zu betreiben und deren Ertrag gewinnbringend – entsprechend der zuvor gefassten Bandenabrede – an unbekannte Abnehmer zu verkaufen.

Das LG Berlin hat den Haftbefehl gegen den Angeschuldigetn außer Vollzug gesetzt. Dagegen die Haftbeschwerde der Staatsanwaltschaft. Die hatte Erfolg. Das KG hat den Haftbefehl wieder in Vollzug gesetzt, allerdingsnur „teilweise“. Einen Vorwurf, nämlich den der Tat 1 hat man entfallen lassen.

In dem Zusammenhang führt das KG aus zur Verwertung der EncroChat-Daten aus::

„Daraus folgt: Die erlangten Informationen dürfen auf der Grundlage des § 261 StPO (im Ermittlungsverfahren nach § 161 Abs. 1 StPO) nur zur Verfolgung von auch im Einzelfall besonders schwerwiegenden Straftaten im Sinne des § 100b Abs. 2 StPO verwendet werden, wenn die Erforschung des Sachverhalts auf andere Weise wesentlich erschwert oder aussichtlos und der Kernbereich privater Lebensführung nicht berührt ist (vgl. BGH, a. a. O., Rn. 69 ff.; Senat, Beschluss vom 31. Mai 2022 – 5 Ws 52/22 –).

Für die Prüfung, ob diese Voraussetzungen erfüllt sind, ist auf den Zeitpunkt der Verwertung der Beweisergebnisse abzustellen (vgl. BGH, a. a. O., Rn. 70). In der Verwendung der aus einem anderen Strafverfahren stammenden personenbezogenen Daten in einem anhängigen Verfahren und in deren Verwertung in einer in diesem Verfahren zu treffenden gerichtlichen Entscheidung liegt ein eigenständiger Grundrechtseingriff. Ob für diesen eine gesetzliche Grundlage besteht, kann lediglich nach der für den Verwendungs- bzw. Verwertungszeitpunkt geltenden Rechtslage beurteilt werden. Bei sich im Verlaufe eines anhängigen Strafverfahrens ändernden strafprozessualen Vorschriften ist die neue Rechtslage maßgebend (vgl. BGH, Beschluss vom 21. November 2012 – 1 StR 310/12 –, juris Rn. 45, m. w. Nachw. = BGHSt 58, 32 ff.). Eine zulässige Verwertung muss danach dann ausscheiden, wenn der Charakter als Katalogtat durch die Gesetzesänderung entfällt und es an entsprechenden Übergangsbestimmungen mangelt (vgl. Köhler in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 66. Aufl., § 479 Rn. 7).

(2) Das ist vorliegend der Fall. Zu den Katalogtaten des § 100b Abs. 2 StPO gehört zwar das Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge nach § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG (§ 100b Abs. 2 Nr. 5.b) StPO), der auf den Fall 1 des Haftbefehls betreffenden Vorwurf bislang zur Anwendung kam. Dieser Straftatbestand erfasst nach der am 1. April 2024 in Kraft getretenen gesetzlichen Neuregelung durch das Gesetz zum kontrollierten Umgang mit Cannabis und zur Änderung weiterer Vorschriften (Cannabisgesetz – CanG, BGBl. I 2024, Nr. 109) jedoch nicht mehr den dort beschriebenen Umgang mit Cannabis. Dieses wird durch das Gesetz nicht weiter als Betäubungsmittel behandelt und unterliegt damit jetzt nicht mehr den Vorschriften des BtMG (vgl. Art. 3 CanG; BT-Drs. 20/8704, S. 56, 151). Die dem Angeschuldigten zur Last gelegte Tat ist nunmehr stattdessen (als besonders schwerer Fall) nach § 34 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 3 Satz 1 und Satz 2 Nr. 4 KCanG mit Strafe bedroht. Dadurch hat das Handeltreiben mit Cannabis in nicht geringer Menge nicht nur seinen Verbrechenscharakter, sondern auch seine Eigenschaft als Katalogtat nach § 100b Abs. 2 StPO verloren. Auch diese Vorschrift hat durch das Cannabisgesetz eine Neuregelung erfahren (Art. 13a Nr. 2 CanG) und umfasst aus dem Konsumcannabisgesetz (lediglich) – im Fall 1 nicht vorliegende – Straftaten nach § 34 Abs. 4 Nr. 1, 3 oder 4 KCanG (§ 100b Abs. 2 Nr. 5a. StPO).

Wie die Generalstaatsanwaltschaft Berlin in ihrer Zuschrift vom 3. April 2024 zutreffend ausführt, dürfen die im Wege der „EncroChat“-Überwachung gewonnenen Beweisergebnisse im vorliegenden Strafverfahren nach der derzeit gültigen Rechtslage daher nicht (weiter) verwertet werden und haben bei der Beurteilung des dringenden Tatverdachts im Rahmen der hier zu treffenden gerichtlichen Entscheidung über die Fortdauer der Untersuchungshaft außer Betracht zu bleiben. Weitere (verwertbare) Beweismittel, die im Fall 1 des Haftbefehls des Landgerichts Berlin I vom 13. März 2024 einen dringenden Tatverdacht gegen den Angeschuldigten – der sich bislang nicht zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen eingelassen hat – stützen könnten, liegen nicht vor. Der Haftbefehl war daher durch den Senat im Wege eigener Sachentscheidung nach § 309 Abs. 2 StPO entsprechend anzupassen.“

Und zum Fall 2 – nicht geringe Menge:

bb) Der Angeschuldigte ist der ihm in dem Haftbefehl des Landgerichts Berlin vom 13. März 2024 zur Last gelegten Tat zu 2. nach dem in der Anklageschrift dargestellten Ermittlungsergebnis aufgrund der dort aufgeführten Beweismittel unverändert dringend verdächtig. Er ist dem Vorwurf im Verfahren vor dem Senat auch nicht entgegengetreten. Diese Beweismittel, die durch weitere Ermittlungen auf der Grundlage der im „EncroChat“-Komplex gewonnenen und jetzt nicht mehr verwertbaren Erkenntnisse bekannt geworden sind, unterliegen keinem eigenständigen Verwertungsverbot. Das Beweisverwertungsverbot beschränkt sich auf die Tat zu 1.; ihm kommt insoweit keine Fernwirkung zu (vgl. BGH, Beschluss vom 7. März 2006 – 1 StR 316/05 –, juris Rn. 21 ff., m. w. Nachw.). Die Strafbarkeit in Fall 2 beurteilt sich gemäß § 2 Abs. 3 StGB nach der neuen (milderen) Gesetzeslage und insoweit – da er das Handeltreiben mit Cannabis in nicht geringer Menge als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung solcher Taten verbunden hat, betrifft – nach §§ 1 Nr. 8, 2 Abs. 1 Nr. 4, 34 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 4 Nr. 3 KCanG.

Der Senat sieht keine Veranlassung, in Ansehung der geänderten Rechtslage von dem von der obergerichtlichen Rechtsprechung festgelegten Grenzwert der nicht geringen Menge Cannabis von 7,5 g Tetrahydrocannabinol (THC) abzuweichen.

(1) In seiner diesbezüglichen Grundsatzentscheidung hat der Bundesgerichtshof herausgestellt, dass für die Bestimmung der nicht geringen Menge insbesondere der Wirkungsweise und Gefährlichkeit des jeweiligen Rauschmittels sowie den Konsumgewohnheiten entscheidende Bedeutung zukommt. Dabei hat er sich an einer durchschnittlichen Konsumeinheit für einen Rauschzustand orientiert und erläutert, dass die Wirkung von Cannabisprodukten vom dem Anteil des reinen Wirkstoffes THC abhängt (vgl. BGH, Urteil vom 18. Juli 1984 – 3 StR 183/84 –, juris Rn. 5 ff. = BGHSt 33, 8 ff.). Für die Hauptkonsumform, das Rauchen, hat er nach Auswertung verschiedener wissenschaftlicher Studien, die sich insbesondere mit den klinischen und psychologischen Auswirkungen von Cannabis bei Menschen beschäftigt hatten, die für die Erzielung eines Rauschzustandes erforderliche Einzeldosis mit 15 mg THC bestimmt (vgl. BGH, a. a. O., Rn. 15 ff.). Hauptsächlich wegen der im Vergleich zu anderen Drogen (insbesondere Heroin) geringeren Gefährlichkeit von Cannabis hat der Bundesgerichtshof – der dabei auch berücksichtigt hat, dass dessen Konsum gleichwohl unter anderem zu Denk- und Wahrnehmungsstörungen, Depressionen, bisweilen bis hin zu Psychosen, führen kann und diesem eine erhöhte Gefahr des Umsteigens auf harte Drogen innewohnt – für den Grenzwert der nicht geringen Menge ein Vielfaches der zum Erreichen eines Rauschzustands notwendigen Wirkstoffmenge als maßgeblich und den Wert von 500 durchschnittlichen Konsumeinheiten und damit 7,5 g THC als dafür erforderlich, aber auch ausreichend erachtet (vgl. BGH, a. a. O., Rn. 23 ff.). Dabei hat er zudem den Unsicherheitsfaktoren bei der Bestimmung des THC-Gehalts einer durchschnittlichen Konsumeinheit von Cannabisprodukten unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Qualität der in der Drogenszene tatsächlich auftauchenden Stoffe ausdrücklich Rechnung getragen (vgl. BGH, a. a. O., Rn. 26).

(2) Es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die maßgeblichen Grundlagen dieser Bewertung seither eine Änderung erfahren hätten. Dementsprechend hat die Rechtsprechung an dem so ermittelten Grenzwert bis heute durchgängig festgehalten (vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 30. Mai 1995 – 1 StR 223/95 –, juris Rn. 2, 20. Dezember 1995 – 3 StR 245/95 –, juris Rn. 13 ff., 6. August 2013 – 3 StR 212/13 –, juris Rn. 2, und 14. November 2023 – 6 StR 505/23 –, juris Rn. 3).

Es ist daher nicht nachzuvollziehen, wenn der Gesetzgeber des Cannabisgesetzes fordert, der Wert der nicht geringen Menge sei von der Rechtsprechung aufgrund einer geänderten Risikobewertung neu zu entwickeln und deutlich höher zu bemessen (vgl. BT-Drs., a. a. O., S. 132). Weder teilt er mit, worauf diese geänderte Bewertung beruhen soll, noch lassen sich der Gesetzesbegründung Vorgaben oder Maßstäbe für die von ihm für erforderlich gehaltene Neubestimmung entnehmen (vgl. BGH, Beschluss vom 18. April 2024 – 1 StR 106/24 –, juris Rn. 21, und Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, Beschluss vom 9. April 2024 – 5 Ws 19/24 –, juris Rn. 30). Die Aufforderung erscheint umso unverständlicher, als im Gesetzgebungsverfahren an anderer Stelle die gesundheitlichen Risiken des Cannabiskonsums – insbesondere für junge Menschen – ausdrücklich betont werden und der Gesundheitsschutz neben anderen Beweggründen der Legitimation der Gesetzesnovellierung dienen soll (vgl. BT-Drs., a. a. O., S. 1, 68 ff.). Es trifft zwar zu, dass Cannabis vom Schwarzmarkt das Risiko für Schäden an der Gesundheit zusätzlich verstärkt, da sein THC-Gehalt in der Regel unbekannt ist – was die Gefahr von Überdosierungen erhöht – und es giftige Beimengungen und Verunreinigungen sowie synthetische Cannabinoide mit nicht abschätzbarer Wirkungsweise enthalten kann (vgl. BT-Drs., a. a. O., S. 1, 68, 72, 113). Die unterschiedliche Qualität der in der Drogenszene im Verkehr befindlichen Stoffe hatte der Bundesgerichtshof bei der Bestimmung des Grenzwerts der nicht geringen Menge aber bereits berücksichtigt. Ungeachtet der von möglichen Zusatzstoffen ausgehenden zusätzlichen Gesundheitsgefahren enthält auch das vom Gesetzgeber nunmehr privilegierte „Konsumcannabis“ den reinen Wirkstoff THC, dem allein schon unverändert die gesundheitsgefährdende Wirkung innewohnt, welcher der Bundesgerichtshof bei der von ihm vorgenommenen Grenzziehung maßgebliche Bedeutung beigemessen hat. Soweit die gesellschaftliche Akzeptanz des Rauschmittels Cannabis – worauf ein stetig wachsendes Konsumverhalten der Bevölkerung Hinweis bieten könnte (vgl. BT-Drs., a. a. O., S. 71 ff.) – mittlerweile eine Änderung erfahren haben sollte, hat diese in dem nach der neuen Rechtslage teilweise legalisierten Umgang sowie den milderen Strafrahmen für die vom Gesetzgeber weiterhin als strafwürdig bewerteten Handlungsweisen bereits Niederschlag gefunden. Vor dem Hintergrund der ungeachtet dessen unveränderten Wirkungsweise und Gefährlichkeit von Cannabisprodukten besteht aus Sicht des Senats jedoch kein Grund zu einer zusätzlichen Privilegierung in der Weise, dass der Grenzwert der nicht geringen Menge anzuheben wäre (so auch BGH, a. a. O.; Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, a. a. O., Rn. 28 ff.).

(3) Auch gesetzliche Wertungswidersprüche, die es insbesondere vor dem Hintergrund des gemäß §§ 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 und 3, 3 und 9 KCanG nunmehr großzügig für straflos erklärten Besitzes und privaten Eigenanbaus unvertretbar erscheinen ließen, an dem für die nicht geringe Menge Cannabis entwickelten Grenzwert festzuhalten (so aber BT-Drs., a. a. O.), sind nicht ersichtlich (vgl. BGH, a. a. O., Rn. 14 ff.; Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, a. a. O., Rn. 32 f.).

Das Merkmal der nicht geringen Menge erlangt für drei Strafvorschriften des Konsumcannabisgesetzes Bedeutung.Soweit § 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 KCanG sich auf sämtliche Tathandlungen nach § 34 Abs. 1 KCanG erstreckt, sofern sich diese auf eine nicht geringe Menge beziehen, ist damit zwar auch der Besitz Volljähriger von mehr als 30 Gramm Cannabis außerhalb des eigenen Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts zum Zwecke des Eigenkonsums bzw. der Besitz von mehr als 60 Gramm Cannabis auch an diesen Orten erfasst und überschreiten diese verbotenen Mengen die nach § 3 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 KCanG erlaubten – die nach den am Markt vorkommenden Wirkstoffgehalten unterschiedlicher und immer weiter steigender Qualität insbesondere bei Haschisch und Cannabisblüten vereinzelt auch eine Wirkstoffmenge von 7,5 Gramm THC oder mehr erwarten lassen können (vgl. Patzak/Dahlenburg, NStZ 2022, 146 ff.) – nicht wesentlich. Jedoch hat diese Norm den Charakter eines benannten besonders schweren Falles, der es erlaubt, auch in Fällen des Vorliegens des Regelbeispiels im Einzelfall von der Anwendung des erhöhten Strafrahmens abzusehen (vgl. Fischer, StGB 71. Aufl., § 46 Rn. 91) und damit insbesondere der vom Gesetzgeber angenommenen geringeren Strafwürdigkeit des unerlaubten Besitzes in Grenzfällen Rechnung zu tragen. Das KCanG bezweckt zudem lediglich, den Konsumenten zu privilegieren. Die Strafwürdigkeit der übrigen in § 34 Abs. 1 KCanG enthaltenen und nach § 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 KCanG in Bezug genommenen Handlungsweisen (etwa das Handeltreiben mit Cannabis in nicht geringer Menge) bleibt davon unberührt (vgl. Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, a. a. O., Rn. 33).

Bei dem – vorliegend einschlägigen – Verbrechenstatbestand des § 34 Abs. 4 Nr. 3 KCanG handelt es sich um eine Qualifikation, die Handlungsweisen erfasst, die jedenfalls im Zusammenhang mit dem weiteren unrechtserhöhenden Merkmal der bandenmäßigen Begehungsweise typischerweise gegen den (ausschließlichen) Umgang mit Cannabis zum Zwecke des Eigenverbrauchs sprechen.

Vergleichbares gilt für die in § 34 Abs. 4 Nr. 4 KCanG aufgeführten Begehungsformen, die mit dem weiteren, das Unrecht der Tat ebenfalls besonders erhöhenden Umstand des Mitsichführens einer Schusswaffe oder eines sonstigen seiner Art nach zur Verletzung von Personen geeigneten und bestimmten Gegenstandes verknüpft sind, weshalb der im Vergleich zum Grundtatbestand des § 34 Abs. 1 KCanG erhöhte Strafrahmen selbst im Falle eines Sichverschaffens nicht geringer Mengen Cannabis ausschließlich zum Eigenverbrauch gerechtfertigt erscheint.

Strafantrag II: Beschränkung eines Strafantrages, oder: Wenn sich Strafanträge widersprechen….

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Und als zweite Entscheidung dann das KG, Urt. v. 30.11.2023 – 2 ORs 31/23 – 121 Ss 130/23 -, also auch nicht mehr ganz taufrisch. zur Beschränkung eines Strafantrages2 ORs 31/23

Das AG hatte den Angeklagten  wegen Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes in zwei Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe verurteilt. Auf die hiergegen gerichtete Berufung des Angeklagten hat das LG das Urteil aufgehoben und den Angeklagten aus rechtlichen Gründen frei gesprochen.

Zu dem für das Verfahren bdeutsame Geschehen hat das LG im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:

„„1. Am 4. Juli 2020 gegen 15:30 Uhr führten die Zeugen PM L und PM Ko am G S in Berlin-T eine Kontrolle des Motorrades des Angeklagten durch. Die beiden Polizeibeamten hatten sich vor Ort im Zusammenhang mit zwei Großdemonstrationen, namentlich einer Motorraddemonstration sowie einer Anti-Rassismus-Demonstration, postiert. Die Unterredung der beiden Polizeibeamten mit dem Angeklagten während der insgesamt etwa achtminütigen Kontrolle erfolgte mit lauten und deutlich vernehmbaren Stimmen. In einem Abstand von nur etwa zwei bis drei Metern zu der Maßnahme hielten sich kurzzeitig mehrere unbekannt gebliebene Personen – insbesondere zwei einzelne Männer sowie ein Paar – auf. Einer der Männer, der ersichtlich das gesprochene Wort der beiden Polizeibeamten und des Angeklagten akustisch wahrnahm, unterhielt sich über eine Minute lang mit dem Zeugen Ko, während der Zeuge L mit dem Angeklagten und dessen Unterlagen zu dem Motorrad befasst war. Der unbekannte Mann schaltete sich zudem gegen Ende der Kontrollmaßnahme mit einem eigenen – nicht näher feststellbaren – Wortbeitrag in die Kommunikation zwischen den beiden Beamten und dem Angeklagten ein. Darüber hinaus passierten zahlreiche Fußgänger, Fahrrad- und Rollerfahrer in einem Abstand von wenigen Metern den unmittelbaren Nahbereich der polizeilichen Maßnahme.

Der Angeklagte nahm die Polizeikontrolle – ohne das Wissen der beiden Zeugen L und Ko – in Wort und Bild mittels einer an seinem Motorradhelm befestigten Kamera auf und speicherte die Aufzeichnungen ab. In der Folge machte er die Aufnahmen zunächst auf seinem Instagramprofil und ab dem 8. Juli 2020 auf seinem unter seinem Künstlernamen „Ku“ betriebenen Y-Kanal einer breiten Öffentlichkeit zugänglich, wobei er einen Weichzeichner verwendete, um die beiden Beamten unkenntlich zu machen.

Der Zeuge L stellte fristgerecht Strafantrag, den er auf die Strafverfolgung wegen der Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes und der Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen nach §§ 201, 201a Abs. 2 StGB beschränkte.

2. Am 30. März 2021 zwischen 16:20 Uhr und 17:00 Uhr führten die Zeugen PM N und POM B am Pa Platz in Berlin-M eine Kontrolle des Motorrades des Angeklagten sowie weiterer Motorräder der Begleiter des Angeklagten durch. Der Angeklagte und seine unbekannt gebliebenen Begleiter hielten sich gemeinsam mit den beiden Polizeibeamten in dem Kontrollbereich um die Motorräder auf. Zudem passierten während der Maßnahme zahlreiche unbekannt gebliebene Personen – zu Fuß und mit dem Fahrrad – in einem Abstand von wenigen Metern das Geschehen, wobei sie teilweise zwischen den kontrollierten Motorrädern hindurchliefen und sich mehrere von ihnen interessiert dem Geschehen zuwandten. Da die Kommunikation zwischen dem Angeklagten und den beiden Beamten jeweils mit lauter und deutlich wahrnehmbarer Stimme erfolgte, befanden sich sowohl die Begleiter des Angeklagten als auch die Passanten in Hörweite des Geschehens.

Der Angeklagte nahm auch diese Polizeikontrolle – ohne das Wissen der beiden Zeugen N und B – in Wort und Bild mittels der an seinem Motorradhelm befestigten Kamera auf und speicherte die Aufzeichnungen ab. In der Folge machte er die Aufnahmen auf seinem Y-Kanal einer breiten Öffentlichkeit zugänglich, wobei er die Identität der beiden Beamten mittels Verpixelung sowie Stimmenverzerrung unkenntlich machte.

Der Zeuge B stellte fristgerecht Strafantrag, den er auf die Strafverfolgung wegen der Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes nach § 201 StGB beschränkte.“

Gegen dieses Urteil hat die Staatsanwaltschaft  Revision eingelegt, mit der sie die Verletzung sachlichen Rechts rügt. Die Revision hatte teilweise Erfolg:

1. Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat die Berufungskammer in beiden verfahrensgegenständlichen Fällen eine Strafbarkeit wegen Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes gemäß § 201 Abs. 1 Nr. 1 StGB aufgrund einer sogenannten faktischen Öffentlichkeit (vgl. LG Kassel StV 2020, 161; MüKoStGB-Graf, 4. Aufl., § 201 Rdn. 17a; Fischer, StGB 69. Aufl. § 201 Rn. 4) sowie wegen der Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen nach § 201a Abs. 2 StGB verneint.

2. Ebenso zutreffend hat die Strafkammer hinsichtlich einer Strafbarkeit gemäß § 42 BDSG wegen der Tat vom 4. Juli 2020 ein Verfahrenshindernis angenommen.

a) Nach § 42 Abs. 3 Satz 1 BDSG handelt es sich bei den Straftatbeständen nach § 42 Abs. 1 und 2 BGSG jeweils um absolute Antragsdelikte. Die auf die allgemeine Sachrüge veranlasste Prüfung der Verfahrensvoraussetzungen durch den Senat ergab das Fehlen eines wirksamen Strafantrages sowohl in Bezug auf § 42 BDSG als auch hinsichtlich einer etwaigen Strafbarkeit nach § 33 Abs. 1 KunstUrhG, die gemäß § 33 Abs. 2 KunstUrhG ebenfalls einen wirksamen Strafantrag voraussetzt.

b) Der Zeuge PM L hat seinen innerhalb der Frist des § 77b Abs. 1 Satz 1 StGB gestellten Strafantrag – entgegen der Auffassung der Revisionsführerin – wirksam auf die Straftatbestände der Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes und der Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen nach § 201 und § 201a Abs. 2 StGB beschränkt.

Grundsätzlich gilt der Strafantrag bei idealkonkurrierenden Delikten für sämtliche in der Handlungseinheit verwirklichten Antragsdelikte (vgl. Senat, Beschluss vom 20. August 2021 – (2) 121 Ss 92/21(14/21) – mwN). Eine Beschränkung auf eine von mehreren zusammentreffenden Gesetzesverletzungen (§ 52 StGB) ist jedoch zulässig (vgl. Senat aaO mwN). Ist eine Beschränkung der gewünschten Strafverfolgung weder erklärt, noch sonst eindeutig erkennbar, umfasst der Strafantrag den gesamten geschichtlichen Vorgang, welcher der Beschuldigung zugrunde liegt (vgl. BGHSt 33, 114, 116; Senat aaO; LK-StGB/Greger/Weingarten, 13. Aufl., § 77 Rn. 20-21; MüKoStGB-Mitsch aaO § 77b Rn. 40).

Aufgrund der ausdrücklichen Beschränkung des von dem Zeugen PM L gestellten Strafantrags auf die beiden genannten Strafvorschriften und des eindeutigen Wortlauts des Antrags ist für eine Auslegung dahin, dass die Strafverfolgung wegen aller in Betracht kommender Delikte und damit auch solcher nach dem BDSG oder KunstUrhG gewünscht wird, kein Raum (vgl. SK-StGB/Wolter, 9. Aufl., § 77 Rn. 25).

3. Etwas anderes gilt für die Tat vom 30. März 2021 und den von dem Zeugen POM B deswegen fristgerecht gestellten Strafantrag. Der Zeuge hat nicht nur am Ende seines Berichts vom 10. April 2021 Strafantrag wegen der Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes gemäß § 201 StGB gestellt, sondern zusätzlich ein Strafantragsformular unterzeichnet, auf dem zwar das Datum neben der Unterschrift des Antragstellers fehlt, das ausweislich des Datums neben der Unterschrift des polizeilichen Sachbearbeiters aber am 21. April 2021 zu den Ermittlungsakten gelangte und seinem Wortlaut nach unbeschränkt ist. Damit widersprechen sich die beiden durch den Zeugen POM B jeweils form- und fristgerecht gestellten Strafanträge untereinander, so dass sich eine Beschränkung der gewünschten Strafverfolgung auf das Delikt der Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes dem Antrag jedenfalls nicht zweifelsfrei entnehmen lässt. Die bloße Hervorhebung einzelner tatsächlicher oder rechtlicher Gesichtspunkte stellt noch keine Antragsbeschränkung dar (vgl. LK-StGB/Greger/Weingarten aaO). Ist eine Beschränkung – wie hier – nicht eindeutig zum Ausdruck gebracht, ist der Strafantrag als unbeschränkter zu behandeln (vgl. BGHSt aaO; MüKoStGB-Mitsch aaO mwN).

4. Nach dem Vorstehenden ist die Berufungskammer hinsichtlich der Tat vom 30. März 2021 zu Unrecht vom Fehlen einer Verfahrensvoraussetzung im Hinblick auf über § 201 StGB hinausgehende Straftatbestände ausgegangen und hat folgerichtig lediglich Feststellungen zum (objektiven) Tatbestand des § 201 Abs. 1 StGB getroffen. Das angefochtene Urteil entspricht daher insoweit nicht den sich aus § 267 Abs. 5 Satz 1 StPO ergebenden Anforderungen an die Begründungspflicht bei freisprechenden Urteilen. …… „

StPO I: Einspruchsbeschränkung beim Strafbefehl, oder: Ausreichende Feststellungen getroffen?

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Es ist Ostermontag, hier geht es aber heute normal weitern. Feiern war gestern. Ich stelle dann zwei StPO-Entscheidungen vor.

Ich beginne hier mit einer Entscheidun aus dem Strafbefehlsverfahren, und zwar mit dem KG, Beschl. v. 31.01.2024 – 1 ORs 1/24 – 161 Ss 3/24 – zur Frage der ausreichenden Feststellungen in einem Strafbefehl im Hinblick auf die Wirksamkeit einer Einspruchbeschränkung. Dazu führt das KG da aus, was auch für eine Berufungsbeschränkung gilt: nämlich:

„a) Entgegen der Revisionsbegründung ist das Landgericht zu Recht von einer wirksamen Beschränkung des Einspruchs auf den Rechtsfolgenausspruch ausgegangen. Die Wirksamkeit der Beschränkung hat das Rechtsmittelgericht, ungeachtet dessen, in welchem Verfahrensstadium diese vorgenommen worden ist, wegen der damit verbundenen Frage der (Teil-)Rechtskraft der Entscheidung stets vom Amts wegen zu prüfen. Dabei steht nicht jeder Fehler im nicht angefochtenen Teil der Entscheidung der Wirksamkeit der Beschränkung entgegen. Vielmehr hat das Rechtsmittelgericht im. Fall eines auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten Rechtsmittels die Prüfung der Rechtsfolgenentscheidung grundsätzlich auf der Basis des Schuldspruchs des angefochtenen Urteils vorzunehmen, auch wenn dieser auf einer rechtsfehlerhaften Subsumtion und damit unzutreffenden rechtlichen Einordnung des Tatgeschehens beruht (vgl. BGH NStZ-RR 2022, 290; Schmitt in; Meyer-Goßner/Schmitt, 66. Aufl. 2023, § 318 Rn 17a; jew. m.w.N.). Erst wenn die dem Schuldspruch im angefochtenen Urteil zugrundeliegenden Feststellungen tatsächlicher oder rechtlicher Art unklar, lückenhaft, widersprüchlich oder so dürftig sind; dass sich Art und Umfang der Schuld nicht in dem zur Überprüfung des Strafausspruchs notwendigen Maß bestimmen lassen oder unklar bleibt, ob sich der Angeklagte überhaupt strafbar gemacht hat, ist die Beschränkung unwirksam (vgl. BGH NStZ 2018, 367 m.w.N.).

Art und Umfang der Schuld des Angeklagten sind in dem Strafbefehl in einem zur Überprüfung des Strafausspruchs notwendigen Maß bestimmt.“

Außerdem hat das KG dann u.a. noch zu den erfoderlichen Feststellungen bei der gefährlichen Körperverletzung Stellung genommen, und meint zum „gefährlichen Werkzeug“

Zu der Frage der Geeignetheit eines Gegenstandes zur Verletzung von Menschen, müssen nicht ausdrücklich zur Beschaffenheit usw. Feststellungen getroffen werden, wenn sich die Geeignetjeit bereits aus der hier festgestellten Art der konkreten Verwendung ergibt.

 

StPO II: Wiederaufnahme wegen weiterem SV, oder: Vorlage des neuen SV-Gutachtens erforderlich

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Und als zweite Entscheidung dann der KG, Beschl. v. 06.10.2023 – 2 Ws 79/23. Er behandelt einen Bereich, zu dem ich bislang noch nicht viel Entscheidungen vorgestellt habe. Es geht nämlich um ein Wiederaufnahmeverfahren.

Das LG hat den Verurteilten am 01.10.2021 iwegen Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge sowie wegen vorsätzlichen unerlaubten Besitzes eines Dopingmittels in nicht geringer Menge zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und einem Monat verurteilt. Zudem hat das LG gegen ihn die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 8.000,- EUR angeordnet. Wegen der Feststellungen des LG verweise ich auf den Volltext.

Am 30.03.2023 hat der Verurteilte die Wiederaufnahme des Verfahrens nach § 359 Nr. 5 StPO  beantragt, weil anhand eines neuen Beweismittels, nämlich eines weiteren Sachverständigen, eine neue Tatsache dargelegt werde, die dazu führe, dass nicht das BtMGetäubungsmittelgesetz, sondern das Grundstoffüberwachungsgesetz Anwendung finden würde. Dies müsse zu einer milderen Bestrafung des Verurteilten führen.

Das LG hat den Antrag abgelehnt. Dagegen dann die sofortige Beschwerde, die keinen Erfolg hatte. Hier dann nur der Leitsatz der Entscheidung:

Um prüfen zu können, ob ein im Wiederaufnahmeverfahren benannter neuer Sachverständige sein Gutachten aufgrund anderer Anknüpfungstatsachen erstatten wird und er überlegene Forschungsmittel verwendet ist schon im Wiederaufnahmeverfahren die Vorlage des neuen Gutachtens notwendig. Allerdings ist berücksichtigen sein, dass leicht behebbare Mängel eines Wiederaufnahmeantrags nicht ohne vorherige Gelegenheit zur Nachbesserung zu der Verwerfung eines Antrags als unzulässig führen.

Berufung III: Wann gibt es die Annahmeberufung?, oder: Auch bei Absehen von Strafe?

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Und dann noch die dritte Berufungsentscheidung, und zwar der KG, Beschl. v. 29.02.2024 – 4 Ws 7/24 – 161 AR 6/24, zur Frage, ob es auch bei Absehen von Strafe eine Annahmeberufung gibt.

Das AG die Angeklagte des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen für schuldig befunden und gemäß § 86a Abs. 3 StGB in Verbindung mit § 86 Abs. 5 StGB wegen geringer Schuld von einer Bestrafung abgesehen. Die gegen diese Entscheidung von der Angeklagten und der Staatsanwaltschaft eingelegten Berufungen hat das LG nach § 313 Abs. 2 Satz 2 StPO als unzulässig verworfen. Zwar erwähne § 313 Abs. 1 StPO das Absehen von Strafe nicht. Im Wege eines Erst-Recht-Schlusses müsse die Norm aber auch dann Anwendung finden, wenn – wie hier – wegen geringerer Schuld eine Rechtsfolge verhängt worden sei, deren Schwere hinter dem Gewicht der in § 313 Abs. 1 StPO aufgeführten Rechtsfolgen zurückbleibe; denn die Vorschrift diene gerade dem Zweck, die Berufungsgerichte zu entlasten, indem Fälle der Bagatellkriminalität nur unter bestimmten Voraussetzungen in die Berufungsinstanz gelangen könnten.

Dagegen die sofortige Beschwerde der Angeklagten, die Erfolg hatte:

„3. Auch in der Sache hat die sofortige Beschwerde Erfolg. Der Senat teilt nicht die von der Vorsitzenden der Strafkammer vertretene Rechtsauffassung, dass die Berufung in analoger Anwendung des § 313 Abs. 1 Satz 1 StPO der Annahme bedürfe.

a) Hat das Amtsgericht von Strafe abgesehen, gilt § 313 Abs. 1 Satz 1 StPO nach seinem Wortlaut nicht. Zu der Frage, ob in diesem Fall eine analoge Anwendung der Vorschrift in Betracht kommt, werden verschiedene Ansichten vertreten.

Ein Teil der Literatur lehnt eine analoge Anwendung unter Hinweis auf das Gebot der Rechtsmittelklarheit generell ab (vgl. Eschelbach in Graf, StPO 4. Aufl., § 313 Rn. 7; Reichenbach in Gercke/Temming/Zöller, StPO 7. Aufl., § 313 Rn. 6; Quentin in Münchener Kommentar, StPO 2. Aufl., § 313 Rn. 6; Gössel aaO, § 313 Rn. 29).

Die Gegenmeinung, der sich das Landgericht angeschlossen hat, wählt einen differenzierten Ansatz. Sie unterscheidet danach, ob das Absehen von Strafe – wie vorliegend – auf der geringen Schuld des Täters beruht oder – wie etwa bei § 60 StGB – auf anderen Erwägungen, und erachtet im ersteren Fall eine analoge Anwendung aufgrund eines Erst-Recht-Schlusses für geboten (vgl. OLG Stuttgart, aaO Rn. 8 [zu § 113 Abs. 4 Satz 1 StGB]; LG Hamburg, Beschluss vom 11. Mai 2007 – 711 Ns 27/07 –, juris Rn. 5 ff. [zu § 29 Abs. 5 BtmG]; LG Bad Kreuznach, NStZ-RR 2002, 217 [zu § 158 Abs. 1 StGB]; vgl. auch Meyer-Goßner/Schmitt, aaO, § 313 Rn. 3a; Paul in Karlsruher Kommentar zur StPO, 9. Aufl., § 313 Rn. 2a; Halbritter in Dölling/Duttge/Rössner, Gesamtes Strafrecht, 4. Aufl., § 313 Rn. 2; Beukelmann in Radtke/Hohmann, StPO, § 313 Rn. 2; Frisch in SK-StPO, 6. Aufl., § 313 Rn. 6a).

b) Der Senat folgt der erstgenannten Ansicht, nach der eine analoge Anwendung des § 313 Abs. 1 StPO nicht möglich ist.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verlangt das Gebot der Rechtsmittelklarheit, dass Rechtsbehelfe in der geschriebenen Rechtsordnung geregelt und in ihren Voraussetzungen für die Bürgerinnen und Bürger erkennbar sind. (vgl. BVerfG, Beschluss vom 30. April 2003 – 1 PBvU 1/02 –, juris Rn. 68 und Nichtannahmebeschluss vom 16. Januar 2017 – 1 BvR 2803/06 –, juris Rn. 5). Das Bundesverfassungsgericht folgert daraus einerseits, dass die Nichtanerkennung außerordentlicher Rechtsbehelfe weder willkürlich noch geeignet sei, die betroffene Person in ihrem Anspruch auf wirkungsvollen Rechtsschutz zu verletzen (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 16. Januar 2017 – 1 BvR 2803/06 –, juris Rn. 5), sowie andererseits, dass die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde nicht von der vorherigen Erhebung außerordentlicher Rechtsbehelfe abhängig gemacht werden dürfe (vgl. BVerfG, Beschluss vom 30. April 2003 – 1 PBvU 1/02 –, juris Rn. 71). Zur Analogiefähigkeit fachgerichtlicher Rechtschutzbestimmungen wird ein differenzierter Ansatz vertreten. Während jedenfalls hergebrachte, im Wege der Analogie geschaffene Rechtsmittel auch nach der Entscheidung zum Gebot der Rechtsmittelklarheit ohne Weiteres als Teil des zu erschöpfenden Rechtswegs angesehen werden (vgl. etwa BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 14. November 2023 – 1 BvR 1498/23 –, juris Rn. 9 [zum Antrag auf gerichtliche Entscheidung analog § 98 Abs. 2 Satz 2 StPO]), ist die noch nicht etablierte analoge Anwendung fachgerichtlicher Rechtschutzbestimmungen als mit dem Gebot der Rechtsmittelklarheit unvereinbar angesehen worden (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 11. August 2008 – 2 BvR 460/08 –, juris Rn. 9 [zur analogen Anwendung des § 33a StPO im Verfahren nach dem RUAStrGHG]).

Die Rechtsansicht, nach der § 313 Abs. 1 StPO im Fall des Absehens von Strafe analoge Anwendung finden soll, erscheint danach verfassungsrechtlich problematisch. Da eine gefestigte Rechtsprechung zur analogen Anwendbarkeit des § 313 Abs. 1 StPO im Fall des Absehens von Strafe nicht existiert, dürfte dessen analoger Heranziehung bereits das Gebot der Rechtsmittelklarheit entgegenstehen. Dies gilt umso mehr, als gerade bei rechtswegbeschränkenden Vorschriften besonders strenge Anforderungen an die Rechtsmittelklarheit zu stellen sein dürften (pauschal gegen eine Analogiefähigkeit rechtswegbeschränkender Normen: OLG Koblenz, Beschluss vom 9. Mai 2006 – 12 W 254/06 –, juris Rn. 8; Singer, Rechtsklarheit und Dritte Gewalt, Seite 294; a. A.: BGH, Beschluss vom 29. Mai 2006 – II ZB 5/06 –, juris Rn. 16 ff.).

Letztlich kann die vorgenannte Frage aber offenbleiben, denn eine analoge Anwendung des § 313 Abs. 1 StPO auf die Konstellation des Absehens von Strafe kommt jedenfalls deshalb nicht in Betracht, weil die Voraussetzungen einer Analogie nicht vorliegen. Es lässt sich nicht mit der Eindeutigkeit, die angesichts der Natur des § 313 Abs. 1 StPO als rechtswegbeschränkende Ausnahmevorschrift zu verlangen ist, feststellen, dass der Gesetzgeber die – bei Erlass des § 313 Abs. 1 StPO bereits existierenden – Vorschriften zum Absehen von Strafe lediglich versehentlich nicht in den Gesetzestext aufgenommen hätte und insoweit mithin von einer planwidrigen Regelungslücke auszugehen wäre.

Das Anliegen des Gesetzgebers, durch § 313 Abs. 1 StPO den Rechtsweg in Fällen „kleinerer Kriminalität“ und bei „Straftaten geringer Schwere, die häufig vorkommen“ (vgl. BR-Drs. 12/1217, Seite 39), zu beschränken, wurde flankiert von dem Bestreben, eine einfache, Zweifelsfragen nicht erlaubende Norm zu schaffen. Dem Gesetzgeber war bewusst, dass die von ihm gewählte Regelung nicht jeden Fall der Bagatellkriminalität erfassen und nicht frei von Wertungswidersprüchen sein würde. Er nahm dies „im Interesse der größtmöglichen Vereinfachung“ in Kauf (vgl. BR-Drs. 12/1217, Seite 39 f.: „Sind in dem Urteil für die Tat neben der Geldstrafe noch andere Rechtsfolgen, etwa Fahrverbot, Entzug der Fahrerlaubnis, Verfall, Einziehung usw. festgesetzt, so ist die Regelung […] nicht anwendbar; der Entwurf hat insoweit einer einfachen Abgrenzung den Vorzug gegeben. […] [Der Entwurf] stellt bei der Prüfung der Frage, ob die Berufung der Zulassung bedarf, im Interesse der größtmöglichen Vereinfachung auch ausschließlich auf das angefochtene Urteil ab. Beschränkungen der Berufung bleiben außer Betracht. […] Auch sie [die Geldbuße] führt, wenn sie zu einer Geldstrafe hinzutritt, zur Unanwendbarkeit des § 313. Auch insoweit hat der Entwurf einer raschen Klärung der Frage, ob die Berufung zulassungsbedürftig ist, den Vorzug vor einer Regelung gegeben, die eine Vielzahl von Fallgestaltungen hätte auffangen müssen und gleich in welcher Gestalt, zahlreiche Zweifelsfragen aufgeworfen hätte.“).

Eine Festlegung dahingehend, dass einzelne Bereiche der Bagatellkriminalität bewusst, andere hingegen nur versehentlich nicht geregelt wurden, erscheint vor dem Hintergrund einer explizit unvollständigen Regelung bereits im Ansatz problematisch und kann jedenfalls für die Rechtsfolge des Absehens von Strafe nicht erfolgen. Letztere ist für eine Vielzahl von Konstellationen vorgesehen und beruht auf vielgestaltigen kriminologischen Erwägungen. Neben den im allgemeinen Teil verorteten Vorschriften der §§ 23 Abs. 3, 46a Abs. 1, 46b Abs. 1 und 60 StGB finden sich in den §§ 86 Abs. 5, 86a Abs. 3, 113 Abs. 4, 157, 158 Abs. 1, 174 Abs. 1, 182 Abs. 6, 306e Abs. 1, 314a Abs. 2 StGB sowie in § 29 Abs. 5 BtmG auch tatbestandsakzessorische Regelungen. Dabei erfassen neben der Konstellation des § 60 StGB, auf die § 313 Abs. 1 StPO unstreitig keine Anwendung findet, auch zahlreiche weitere Fallgestaltungen Straftaten, die nicht oder jedenfalls nicht ohne Weiteres dem Bereich der „kleineren Kriminalität“ zuzuordnen sind; so etwa § 46a StGB (Absehen von Strafe bei ansonsten verwirkter Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr oder Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen), § 46b StGB (Absehen von Strafe bei ansonsten verwirkter Freiheitsstrafe von nicht mehr als drei Jahren) sowie die §§ 158 Abs. 1, 306e Abs. 1 und § 314a Abs. 2 StGB, die im Fall tätiger Reue auch bei Verbrechenstatbeständen ein Absehen von Strafe erlauben. Bei Beibehaltung der Grundkonzeption des § 313 Abs. 1 StPO wären demnach allenfalls einzelne, im Gesetzestext ausdrücklich anzuführende Anwendungsfälle des Absehens von Strafe für eine Einbeziehung in den Regelungsbereich des § 313 Abs. 1 StPO in Betracht gekommen. Die Benennung der entsprechenden Normen hätte zu einer fragmentierten Lösung geführt, die der Gesetzgeber aber gerade vermeiden wollte. Ebenso wie einem Versehen kann ihr Unterlassen daher einer bewussten gesetzgeberischen Entscheidung geschuldet sein und eine planwidrige Regelungslücke mithin nicht mit der erforderlichen Klarheit festgestellt werden.“