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Entziehung der Fahrerlaubnis – langes Rechtsmittelverfahren

Häufig dauern Rechtsmittelverfahren lange. Fraglich ist, ob das dann Auswirkungen auf die Entziehung der Fahrerlaubnis hat bzw. ob (allein) wegen langen Zeitablaufs von der Entziehung abgesehen werden kann/muss.

Das KG, Urt. v. 01.11.2010 – (3) 1 Ss 317/10 (108/10) weist noch einmal darauf hin, dass das nicht der Fall ist und der bloße Zeitablauf – z.B. während des Berufungs- oder Revisionsverfahrens – ein Absehen von der Maßregel der Entziehung der Fahrerlaubnis nicht rechtfertigt. Es müssen schon weitere besondere Umstände vorliegen.

Allerdings: Übersehen werden darf nicht, dass Verfahren, in denen die Entziehung droht, beschleunigt zu führen sind, so das BVerfG.

Pflichtverteidigerentpflichtung: Lieber Herr Kollege, was soll das?

Vielleicht bin ich ja noch nicht lange genug als Rechtsanwalt tätig, um das Verhalten eines Berliner Kollegen, das dieser in der Hauptverhandlung beim LG an den Tag gelegt hat, zu verstehen. Vielleicht kann mir ja mal jemand erläutern, was es dem Mandanten eigentlich bringen soll, wenn ich mich als Verteidiger so verhalte – wobei ich davon ausgehe, dass das Verhalten in KG, Beschl. v. 09.02.2011 – 4 Ws 16/11 zutreffend dargestellt ist. Dort heißt es:

„Einzelne Situationen der ursprünglich auf vier Tage anberaumten und inzwischen 49 Tage andauernden Hauptverhandlung belegen dies:

  • Am 26. Oktober 2010, als er als einziger Verteidiger des Angeklagten X. anwesend war, stand er demonstrativ während der laufenden Hauptverhandlung auf, packte seinen Aktenkoffer und erklärte auf die Aufforderung des Vorsitzenden, er möge sich wieder setzen, er könne aufstehen, wann er wolle, er sei ein freier Mensch. Nach langer Diskussion mit dem Vorsitzenden setzte sich der Anwalt zwar wieder, gab aber unentwegt weitere störende lautstarke Erklärungen ab, bis er die Unterbrechung der Hauptverhandlung schließlich erzwungen hatte.
  • Nach einer Inaugenscheinnahme weigerte er sich mit den Worten, „Sie können mich nicht zwingen“, wieder an seinen Platz zu gehen und gab erneut mit erhobener, den Vorsitzenden übertönender Stimme Erklärungen ab.
  • Am 21. Juni 2010 bestand Rechtsanwalt Y. anlässlich einer Zeugenvernehmung darauf, das gesamte Vernehmungsprotokoll eines Mitangeklagten als Vorhalt vorzulesen und verbat sich lautstark und vehement jede Unterbrechung durch den Vorsitzenden.
  • Einige Tage später erhob sich Rechtsanwalt Y. während der laufenden Hauptverhandlung, ging zu einem Mitverteidiger und unterhielt sich mit ihm. Auf die Ermahnung, er störe die Hauptverhandlung, behauptete er, hierzu berechtigt zu sein.

Dabei hat es sich ausweislich der angefochtenen Entscheidung auch nicht um ein situationsgebundenes einmaliges Versagen, sondern um von dem Rechtsanwalt trotz Beanstandung durch den Vorsitzenden wiederholt während der Hauptverhandlung praktizierte Verfahrensweisen gehandelt.

Hinzu kommen ferner die zahlreichen in dem angefochtenen Beschluss aufgeführten verbalen Ausfälle Rechtsanwalt Y. in der Hauptverhandlung.

  • So beriet er unter anderem bei einer Gewährung rechtlichen Gehörs seinen Mandanten lautstark, er „müsse auf diesen Unsinn nicht antworten“ und gegen den Vorsitzenden gerichtet, „den ganzen Dreck“ könne dieser sich sparen.
  • Gegenüber einer Sachverständigen erklärte er, sie missachte das Rechtsstaatsprinzip und zeige eine obrigkeitliche Repressionshaltung, indem sie Mechanismen, die aus der Diktatur stammen, anwende.
  • Als der Vorsitzende eine Frage des Rechtsanwalts an einen Zeugen beanstandete, entgegnete ihm Rechtsanwalt Y.: “Wäre nett, Sie halten den Mund; ich fordere Sie auf, halten Sie den Mund“.

Sorry, und wenn ich dann noch lese, dass die Hauptverhandlung ursprünglich für 4 Tage gedacht war, dann aber mindestens 49 Tage gedauert hat, kann ich nur sagen: da fällt mir nicht mehr ein, außer: Lieber Herr Kollege, was soll das bzw. was bringt das?

Brandaktuell: KG zur Anwendung der Rechtsprechung des EGMR zur Sicherungsverwahrung

Brandaktuell ist die Entscheidung des KG, Beschl. v. 03.03.2011 – 2 Ws 642/10 die mir ein Kollege heute zur Verfügung gestellt hat. Sie behandelt die Anwendung der Entscheidung des EGMR v. 17.09.2009 zur Sicherungsverwahrung.

Hier die Leitsätze:

Das Urteil des EGMR vom 17. Dezember 2009 – 19359/04 – gibt Anlaß, die mehr als zehn Jahre dauernde (erste) Sicherungsverwahrung in allen „Altfällen“ für erledigt zu erklären.

So zu entscheiden sind die Oberlandesgerichte durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, des 5. Strafsenats des Bundesgerichtshofs und mehrerer Oberlandesgerichte gehindert.

Gleichwohl wären eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht unzulässig und eine Vorlage an den BGH derzeit untunlich.

So lange müssen die vom 5. Strafsenat des BGH in seinen Entscheidungen vom 21. Juli 2010 – 5 StR 60/10 – (BGHR StGB § 66b Abs. 1 Satz 2 Voraussetzungen 4 = NJW 2010, 3315) und vom 9. November 2010 (Anfragebeschluß, NJW 2011, 240) aufgestellten Maßstäbe berücksichtigt werden, bis der letztere durch einen Vorlagebeschluß bestätigt worden ist und der Große Senat für Strafsachen darüber entschieden hat, oder – wenn dies früher geschieht – das Bundesverfassungsgericht über die ihm vorliegenden und am 8. Februar 2011 in mündlicher Verhandlung beratenen Verfassungsbeschwerden befunden hat.

Das führt in den Fällen, in denen von dem Untergebrachten infolge seines Hanges aktuell erhebliche Straftaten mit schwerer körperlicher oder seelischer Schädigung der Opfer zu erwarten sind und auch eine Aussetzung der Maßregel zur Bewährung nicht in Betracht kommt, dazu, daß über die sofortige Beschwerde derzeit nicht entschieden werden kann.

U-Haft, Strafhaft, sonstige Haft – was hat Vorrang?

Ziemlich unbekannt ist noch die verhältnismäßig neue Vorschrift des § 116b StPO, die das Verhältnis von U-Haft und anderen freiheitsentziehenden Maßnahmen regelt. Geregelt ist dort, dass die Vollstreckung von U-Haft z.B. der Auslieferungshaft vorgeht, andererseits aber die Vollstreckung einer rechtskräftigen Freiheitsstrafe Vorrang vor der U-Haft hat.

Damit setzt sich der Beschl. des KG v. 01.11.2010 – 2 Ws 551/10 auseinander. Danach gilt:

1. Der Verurteilte hat keinen Anspruch darauf, vor Einleitung der Vollstreckung einer rechtskräftig verhängten Freiheitsstrafe angehört zu werden. Ein solcher ergibt sich auch nicht aus der neuen gesetzlichen Regelung des § 116b Satz 2 StPO. Diese schreibt vielmehr gesetzlich fest, daß nunmehr die Vollstreckung einer rechtskräftig verhängten Freiheitsstrafe von Gesetzes wegen der Vollstreckung von Untersuchungshaft vorgeht. Diese Folge tritt automatisch mit dem Eingang des Aufnahmeersuchens in der Justizvollzugsanstalt ein.

2. Nur wenn der Zweck der Untersuchungshaft dies erfordert, was nur bei besonderen Gefahren, insbesondere der Verdunkelungsgefahr angenommen werden darf, kann das für die Untersuchungshaft zuständige Gericht eine abweichende Entscheidung – nach Anhörung der Verfahrensbeteiligten – jederzeit treffen.

Auch du mein Sohn Brutus – KG ändert Rechtsprechung

Auch du also, habe ich gedacht, als der Kollege mir die Entscheidung des KG v. 24.06.2010 – 1 Ws 22/10 übersandte.

Das KG hat nämlich- ohne Vorwarnung – seine Rechtsprechung zur Frage des Umfangs der Pflichtverteidigerbestellung geändert. Bisher war es der Auffassung, dass diese auch das Adhäsionsverfahren umfasst. Nun hat es sich der abweichenden Auffassung der OLG angeschlossen.

Für den Pflichtverteidiger hatte das zur Folge, dass ihm für die Revisionsinstanz die Gebühr Nr. 4143, 4144 VV RVG entgangen ist. Ein wenig ist er aber auch selbst schuld an dem Verlust. Denn er hatte es an sich richtig gemacht und beim LG die Erweiterung seiner Bestellung beantragt (= beantragt, nach PKH-Grundsätzen beigeordnet zu werden). Das hatte das LG auch gemacht. Der Pflichtverteidiger hatte nur übersehen, dass diese Beiordnung nur für den jeweiligen Rechtszug gilt und er beim BGH den Antrag hätte wiederholen müssen.