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OWi II: Wenn der „KHK“ während einer Dienstfahrt zu schnell fährt, oder: Gleiches Recht für alle

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Die zweite Entscheidung des Tages kommt vom AG Landstuhl. Das hat sich im AG Landstuhl, Urt. v. 11.05.2021 – 2 OWi 4211 Js 4647/21 – mit der Geschwindigkeitsüberschreitung eines KHK, also eine Polizeibeamten befasst. Dre war auf einer BAB statt der durch Verkehrszeichen angeordneten zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h mit einer Geschwindigkeit von 119 km/h gefahren. Eingelassen hatte sich der KHK wie folgt:

„Er habe sich mit einem zivilen Dienst-Kfz auf dem Weg zu einem Dienstgeschäft befunden und sei wegen eines Rückstaus in Zeitverzug gewesen. „Um das Dienstgeschäft, welches terminiert war, zeitgerecht erledigen zu können, fuhr ich 119 km/h auf der BAB6“ (Bl. 27 d.A.) Die Sicht auf die Verkehrszeichen sei durch neben ihm fahrende Kraftfahrzeuge (LKW) verwehrt gewesen und er habe die Beschilderung übersehen. Das Dienstgeschäft hat er als jährlichen Pflichtleistungsnachweis (Prüfung) mit der Dienstpistole konkretisiert und die Befürchtung mitgeteilt, zum Termin zu spät zu kommen (Bl. 40 d.A.). Ihm sei die Beschilderung nicht bekannt gewesen, er fahre die Strecke nach Enkenbach nicht regelmäßig. Die Beschilderung sei nicht wiederholt worden, sondern es handle sich um einen Verkehrstrichter. Zudem sei er durch ein „wichtiges dienstliches Telefonat“ (mit dem LKA Hamburg) ab 12:44 Uhr abgelenkt gewesen (Bl. 83 d.A.).“

Die Einlassung hat ihm nichts genutzt. Das AG hat ihn wegen einer vorsätzlichen Geschwindigkeitsüberschreitung verurteilt, ein Fahrverbot verhängt und die Geldbuße erhöht:

„…..

Ein Augenblicksversagen kann hier nicht angenommen werden. Der Betroffene hat telefoniert während des Verstoßes. Schon dieses Verhalten lässt sich mit den Anforderungen der obergerichtlichen Rechtsprechung an die Annahme eines Augenblicksversagens nicht in Übereinstimmung bringen.

V.

Der Betroffene hat sich deshalb wegen der vorsätzlichen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften zu verantworten, §§ 24 StVG, 41, 49 StVO.

Gegen den Betroffenen spricht die Vermutung der hohen Überschreitung der Geschwindigkeit, hier in Form einer Überschreitung von 39 km/h bzw. mehr als 40%, die einen Rückschluss auf das Wollenselement des wenigstens bedingten Vorsatzes erlaubt, sowie die beidseitig sichtbar aufgestellten Verkehrszeichen, die von einem Verkehrsteilnehmer gesehen werden müssen und so einen Rückschluss auf das Wissenselement des wenigstens bedingten Vorsatzes ermöglichen (Vgl. BeckOK/Krenberger, § 3 StVO, Rn. 221 m.w.N.).

Eine dies widerlegende Einlassung erfolgte nicht. Im Gegenteil hat der Betroffene anhand seiner eigenen Einlassungen gerade dargelegt, dass er hier mit wenigstens bedingtem Vorsatz die Geschwindigkeit überschritten hat. Er hat mitgeteilt, dass er unter Zeitdruck mit konkreter Geschwindigkeit gefahren sei und trotz des Zeitdrucks und der für ihn wenig bekannten Gegend während der Fahrt ein Telefonat angenommen und geführt habe. Dass er also in einer Situation, die von ihm gerade höhere Aufmerksamkeit erfordern würde (Eile, fremde Gegend) auch noch sein Aufmerksamkeitsniveau vorsätzlich absenkt – denn ein Telefonat kann man nicht fahrlässig führen -, zeigt, dass es ihm nicht nur gleichgültig war, ob er dadurch Verkehrsregeln verletzen würde, sondern dass er billigend in Kauf genommen hat die Verkehrszeichen zu übersehen, ohne seine Geschwindigkeit vorher aktiv anzupassen. Dies gilt erst recht, da er sich auf einer Dienstfahrt befindet und seine grundgesetzlich verankerten Pflichten insbesondere die penible Achtung der Verkehrsregeln erfordern.

Die Beschilderung vor Ort (Geschwindigkeitstrichter, sonstige Hinweise) ist auch gerade darauf angelegt, die Aufmerksamkeit des Fahrers auf sich zu ziehen. Ein Übersehen der Schilder wegen LKW-Verkehr auf der rechten Spur ist schon denklogisch bei beidseitig aufgestellten Schildern nicht möglich.

Dass der Betroffene sein Fehlverhalten im Nachhinein auch noch mit dem mehrfachen Verweis auf die Dienstlichkeit seines Handelns zu relativieren versucht, zeigt eine bedenkliche Einstellung des Betroffenen zu Verkehrsregeln und Rechtsanwendung auf.

VI.

Durch den genannten Verstoß hat der Betroffene zunächst eine Geldbuße zu tragen. Diese ergibt sich zunächst als Regelsatz in Höhe von 120 EUR gemäß Ziffer 11.3.6 des Anhangs zur BKatV, die für das Gericht in Regelfällen einen Orientierungsrahmen bildet (BeckOK StVR/Krenberger, § 1 BKatV, Rn. 1). Von diesem kann das Gericht bei Vorliegen von Besonderheiten nach oben oder unten abweichen. Vorliegend bestehen keine Umstände, die ein Abweichen vom Regelsatz nach unten bedingen würden. Insbesondere sind die dienstliche Veranlassung der Fahrt außerhalb des Anwendungsbereichs von § 35 StVO oder auch die Nutzung eines zivilen Dienstfahrzeugs keine Aspekte, die geeignet wären, eine Abweichung vom Regelfall zu begründen.

Angesichts der vorsätzlichen Begehensweise ist die Regelgeldbuße zu verdoppeln, § 3 Abs. 4a BKatV…..“

Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass das AG über die Einlassung und das Agieren des KHK „not amused“ war. Es ist zutreffend nach dem Grundsatz: „Gleiches Recht für alle“ verfahren. Dann auch bei einem „zivilen Betroffenen“ hätte man mit der Einlassung kein Augeblicksversagen begründen können.

OWi III: Urteilsformel bei der Geschwindigkeitsüberschreitung, oder: Keine Überladung

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Und die dritte Entscheidung stammt dann noch einmal vom OLG Düsseldorf. Das hat im OLG Düsseldorf, Beschl. v. 01.10.2020 – 2 RBs 129/20 – zu den Anforderungen an die Urteilsformel Stellung genommen. Die Staatsanwaltschaft hatte eine Ergänzung der amtsgerichtlichen Urteilsformel beantragt. Das OLG hat den Antrag – nach Zulassung der Rechtsbeschwerde – abgelehnt:

Der Erörterung bedarf lediglich der Antrag der Generalstaatsanwaltschaft auf Ergänzung der Urteilsformel, dem nicht zu entsprechen ist.

1. Gemäß § 71 Abs. 1 OWiG, § 260 Abs. 4 Satz 1 StPO ist in dem Urteil die rechtliche Bezeichnung der Tat anzugeben. Auch in Bußgeldsachen ist die Tat in der Urteilsformel, sofern nicht gesetzliche Überschriften zu verwenden sind, mit Worten anschaulich und verständlich zu bezeichnen. Die angewendeten Vorschriften sind erst nach der Urteilsformel aufzuführen (vgl. OLG Düsseldorf [1. Senat für Bußgeldsachen] NZV 2000, 382; NZV 2001, 89, 90). Indes ist die Urteilsformel von allem freizuhalten, was nicht unmittelbar der Erfüllung ihrer Aufgaben, nämlich der Mitteilung von Schuldspruch und zu vollstreckendem Rechtsfolgenausspruch, dient (vgl. BGH NStZ 1983, 524; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl. 2020, § 260 Rdn. 20).

Vorliegend hat der Betroffene ordnungswidrig gehandelt (§ 49 Abs. 3 Nr. 4 StVO), indem er entgegen Nr. 49 der Anlage 2 zu § 41 Abs. 1 StVO die durch Zeichen 274 angeordnete zulässige Höchstgeschwindigkeit überschritten hat. Diese Regelung wird jedenfalls bei einer Herabsetzung (hier: 30 km/h) der allgemein festgelegten Höchstgeschwindigkeit nicht durch § 3 Abs. 3 StVO verdrängt (vgl. BayObLG NZV 1999, 50; OLG Hamm VRS 97, 212, 213; Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 45. Aufl. 2019, § 3 StVO Rdn. 56). Für die Verwirklichung des auf die Missachtung des Vorschriftzeichens abstellenden Tatbestands („Wer ein Fahrzeug führt, darf nicht schneller als mit der jeweils angegebenen Höchstgeschwindigkeit fahren.“) und damit den Schuldspruch kommt es mangels eines entsprechenden Merkmals nicht darauf an, ob die durch Zeichen 274 angeordnete Geschwindigkeitsbeschränkung innerhalb oder außerhalb geschlossener Ortschaften zu beachten war.

Diese Unterscheidung gehört hier nicht zur rechtlichen Bezeichnung der Tat und hat lediglich Bedeutung für die Zumessung der Rechtsfolgen nach Maßgabe der Regelsätze für Geldbußen und die Anordnung eines Fahrverbots (Tabelle 1, Anhang zu Nr. 11 BKat). Tatmodalitäten, die keinen eigenen Tatbestand beschreiben und lediglich die Zumessung der Rechtsfolgen betreffen, sind indes nicht in die Urteilsformel aufzunehmen (vgl. statt vieler: BGH NStZ 1999, 205; Ott in: Karlsruher Kommentar, StPO, 8. Aufl. 2019, § 260 Rdn. 31).

Abgesehen davon würde die Urteilsformel selbst mit der beantragten Ergänzung („wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften“) aus sich heraus nicht die Einordnung in eine der Stufen der vorgenannten Regelsatztabelle ermöglichen. Denn dazu müssten auch die Art des Kraftfahrzeugs (Pkw, Lkw, Kraftomnibus etc.) und die Höhe der Geschwindigkeitsüberschreitung in km/h in der Urteilsformel mitgeteilt werden.

2. Die in der Antragsschrift nicht näher begründete Auffassung der Generalstaatsanwaltschaft, der Zusatz „innerhalb geschlossener Ortschaften“ sei erforderlich, damit das Urteil vollstreckbar und im Fahreignungsregister eintragungsfähig ist, kann nicht nachvollzogen werden.

Die Rechtsfolgen (Geldbuße von 160 Euro und einmonatiges Fahrverbot) sind in der Urteilsformel eindeutig bestimmt. Die Vollstreckbarkeit des Urteils hängt nicht von der beantragten Ergänzung der Urteilsformel ab. Dem Senat ist kein Fall bekannt, in dem ein Urteil nicht hätte vollstreckt werden können, weil der Zusatz „innerhalb geschlossener Ortschaften“ oder „außerhalb geschlossener Ortschaften“ in der Urteilsformel nicht enthalten war. Ein solcher Fall ist in der Antragsschrift der Generalstaatsanwaltschaft auch nicht aufgezeigt worden.

Auch für die Eintragungsfähigkeit im Fahreignungsregister ist nicht erforderlich, dass die Urteilsformel den Zusatz „innerhalb geschlossener Ortschaften“ enthält. Dieses Sachverhaltselement kann bei der Mitteilung an das Kraftfahrt-Bundesamt den Urteilsgründen entnommen werden. Für eine Privilegierung durch Aufnahme in die Urteilsformel besteht gegenüber den weiteren mitzuteilenden Sachverhaltselementen, wozu neben der Höhe der Geschwindigkeitsüberschreitung in km/h (unter Angabe der zulässigen und der nach Toleranzabzug festgestellten Geschwindigkeit in km/h) und der Kraftfahrzeugart auch das Datum der Tat, der Tatort und die Art der Verkehrsbeteiligung gehören, kein Anlass. Erforderlichenfalls kann zur Abklärung der mitzuteilenden Sachverhaltselemente auch auf den Bußgeldbescheid und den sonstigen Akteninhalt zurückgegriffen werden, was beim Absehen von Urteilsgründen (§ 77b OWiG) ohnehin notwendig ist.

In der Literatur (vgl. Fromm, Verteidigung in Straßenverkehrs-OWi-Verfahren, 2. Aufl. 2014, Kapitel 3, A. Geschwindigkeitsüberschreitungen, XII. Tenorierung, abrufbar bei juris) ist zur Frage der Tenorierung etwa vorgeschlagen worden, die Verurteilung „wegen einer fahrlässigen Ordnungswidrigkeit des Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um mehr als 23 km/h“ auszusprechen. Abgesehen davon, dass der zusätzliche Informationswert bei diesem Beispiel gering ist, weil die für die Einordnung in eine der Stufen der Tabelle 1, Anhang zu Nr. 11 BKat, erforderliche Kraftfahrzeugart nicht benannt worden ist und auch die Höhe der Geschwindigkeitsüberschreitung nach oben offen bleibt, hält es der Senat nicht für sachgerecht, die rechtliche Bezeichnung der Tat in der Urteilsformel mit einzelnen Sachverhaltselementen zu überfrachten.

Die Urteilsformel ist nicht der Ort, um dort die für die Eintragung im Fahreignungsregister erforderlichen Sachverhaltselemente zu beschreiben. Bezogen auf die Höhe der Geschwindigkeitsüberschreitung in km/h, die Kraftfahrzeugart, das Datum der Tat, den Tatort und die Art der Verkehrsbeteiligung ist eine Ergänzung der Urteilsformel auch nicht beantragt worden. Es erschließt sich allerdings nicht, weshalb ein bei Missachtung des Zeichens 274 nicht zur rechtlichen Bezeichnung der Tat gehörendes Sachverhaltselement („innerhalb geschlossener Ortschaften“) isoliert in der Urteilsformel hervorgehoben werden sollte. Ein Erkenntnisgewinn ergibt sich daraus nicht.

Die Übermittlungsstandards für das Fahreignungsregister (vgl. BAnz AT vom 11. Juli 2018 B9-B11 und BAnz AT vom 8. Juli 2019 B5-B6) erfordern besondere Kenntnisse der mit den Mitteilungen an das Kraftfahrt-Bundesamt befassten Sachbearbeiter der Staatsanwaltschaft, die dem gerichtlich festgestellten Sachverhalt etwa auch eine Tatbestandsnummer nebst Punktzahl aus dem Bundeseinheitlichen Tatbestandskatalog – dieser stellt als schlichte Verwaltungsvorschrift des Kraftfahrt-Bundesamtes keine eigenständige Rechtsgrundlage dar (vgl. OLG Hamm BeckRS 2016, 18440) – zuzuordnen haben. Bei der Bearbeitung kann auf die Urteilsgründe sowie auf den Bußgeldbescheid und den gesamten Akteninhalt zurückgegriffen werden. Es ist für die Eintragungsfähigkeit ohne Belang, ob die Urteilsformel bei einer Verurteilung wegen (fahrlässiger oder vorsätzlicher) Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit den Zusatz „innerhalb geschlossener Ortschaften“ oder „außerhalb geschlossener Ortschaften“ enthält. Dies gilt umso mehr, als die weiteren mitzuteilenden Sachverhaltselemente ohnehin nicht aus einer solchen geringfügig ergänzten Urteilsformel hervorgehen.

3. Angesichts dessen ist anzumerken, dass ein solcher Zusatz auch dann entbehrlich erscheint, wenn sich die zulässige Höchstgeschwindigkeit aus der allgemeinen Regelung des § 3 Abs. 3 StVO ergibt.

Dies gilt auch unter Berücksichtigung des Umstands, dass die Bezeichnungen „innerhalb geschlossener Ortschaften“ und „außerhalb geschlossener Ortschaften“ bei der allgemeinen Festlegung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit ausdrücklich Niederschlag im Tatbestand der Norm gefunden haben. Während die zulässige Höchstgeschwindigkeit „innerhalb geschlossener Ortschaften“ für alle Kraftfahrzeuge gleichermaßen 50 km/h beträgt (§ 3 Abs. 3 Nr. 1 StVO), richtet sich die zulässige Höchstgeschwindigkeit „außerhalb geschlossener Ortschaften“ nach den in § 3 Abs. 3 Nr. 2 lit. a bis c StVO bezeichneten Kraftfahrzeugarten, so dass in diesem Fall der Zusatz „außerhalb geschlossener Ortschaften“ streng genommen noch um die Kraftfahrzeugart zu erweitern wäre, um die Tat rechtlich differenziert zu bezeichnen.

Aus praktischen Erwägungen ist in den verkehrsrechtlichen Massenverfahren demgegenüber zu bevorzugen, in der Urteilsformel allein den Obersatz des § 3 Abs. 3 StVO („zulässige Höchstgeschwindigkeit“) im Sinne einer Überschrift aufzugreifen und den Tenor nicht weiter zu fassen als bei einer Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit unter Missachtung des Zeichens 274. Für die rechtliche Bezeichnung des konkreten Unterfalls genügt – wie bei der Verwendung einer vorhandenen Überschrift – die Angabe der entsprechenden Norm in der Liste der angewendeten Vorschriften (z.B. § 3 Abs. 3 Nr. 2 lit. c StVO).“

OWi III: Fahrverbot, oder: „Unbenannte Beharrlichkeit und „eine Tat, aber zwei Tatbestände“

Und dann zum Schluss des Tages noch zwei Entscheidungen zum Fahrverbot, und zwar:

Verstöße gegen § 23 Abs. 1a StVO stehen wegen ihrer regelmäßig gravierenden Beeinträchtigung der Fahrleistung bei gleichzeitig massiver Steigerung des Gefährdungspotentials für Dritte wertungsmäßig anderen typischen Massenverstößen im Straßenverkehr wie Geschwindigkeitsüberschreitungen und Abstandsunterschreitungen gleich, weshalb bei Vorliegen entsprechender Vorahndungen die Anordnung eines Fahrverbots wegen eines (unbenannten) beharrlichen Pflichtenverstoßes vielfach naheliegen wird. Insoweit ist ohne Belang, ob der Verstoß gegen § 23 Abs. 1a StVO als relevante Vorahndung oder aber als Anlasstat selbst die Frage nach der Notwendigkeit einer Fahrverbotsanordnung aufwirft. (Anschluss an BayObLG, Beschl. v. 22.03.2019 – 202 ObOWi 96/19 = zfs 2019, 588 = DAR 2019, 630 = OLGSt StVG § 25 Nr 74 und 29.10.2019 – 202 ObOWi 1997/19 = zfs 2020, 172).

1. Erfüllt eine Tat zwei Fahrverbotsregeltatbestände, so verbietet sich eine unreflektierte Verdoppelung zu einem zweimonatigen Fahrverbot.

2. Die Erhöhung des Fahrverbots über die Dauer eines Monats hinaus kommt aber in Betracht, wenn gewichtige, für den Betroffenen nachteilige Umstände vorliegen, die erkennen lassen, dass ein Fahrverbot von einem Monat nicht ausreicht, um ihn nachhaltig zu beeindrucken; diese Gründe sind im Urteil darzulegen.

OWi II: Vorsätzliche Geschwindigkeitsüberschreitung, oder: Relatives Maß der Überschreitung maßgeblich

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Und als zweite Entscheidung stelle ich den OLG Zweibrücken, Beschl. v. 14.04. 2020 – 1 OWi 2 SsBs 8/20 – vor. Thematik: Vorsatz bei der Geschwindigkeitsüberschreitung, welches Maß ist zugrunde zu legen? Das OLg sagt – wie auch die wohl h.M. der OLG -: Es kommt auf das relative Maß der Überschreitung an:

„Demgegenüber begegnen die beweiswürdigenden Ausführungen des Amtsgerichts zur Begründung des subjektiven Tatelements durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

a) Das Amtsgericht musste sich allerdings mangels entsprechender konkreter Anhaltspunkte nicht ausführlicher als geschehen mit der Möglichkeit befassen, dass der Betroffene das die Geschwindigkeitsbeschränkung anordnende Verkehrszeichen übersehen haben könnte. Denn der Tatrichter darf ohne Rechtsfehler davon ausgehen, dass Verkehrsschilder in aller Regel wahrgenommen werden, wenn der Betroffene nicht einwendet, das Verkehrsschild übersehen zu haben und anderweitige greifbare Anhaltspunkte für ein solche Geschehen nicht vorliegen (OLG Hamm, Beschluss vom 27.12.2018 – III-4 RBs 374/18, juris Rn. 3; OLG Bamberg, Beschluss vom 01.03.2019 – 3 Ss OWi 126/19, juris Rn. 6; Burhoff in ders., Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 5. Aufl., Rn. 2290, jew. m.w.N.).

b) Seine Überzeugung, dass der Betroffene bewusst schneller als die von ihm wahrgenommene zulässige Höchstgeschwindigkeit gefahren ist, hat das Amtsgericht mit der Überlegung begründet, eine erhebliche Geschwindigkeitsübertretung, die außerorts „ab einer Überschreitung um mindestens 40 km/h anzunehmen“ sei, sei dafür ein „beweiskräftiges Indiz“ (UA S. 6). Ein solcher Erfahrungssatz existiert nach Auffassung des Senats nicht. Dies entzieht der Annahme eines vorsätzlichen Verhaltens die Grundlage.

aa) Das Amtsgericht hat im Ausgangspunkt zwar zutreffend beachtet, dass der Rückschluss vom Maß der Geschwindigkeitsüberschreitung auf Vorsatz bei einer erheblichen bzw. massiven Überschreitung der am Tatort zulässigen Höchstgeschwindigkeit zulässig sein kann (vgl. die Nachweise bei Burhoff aaO. Rn. 2294). Für die Frage, ob die Geschwindigkeitsübertretung (bereits) so eklatant ist, dass sie dem Betroffenen nicht verborgen geblieben sein kann, ist nach der neueren Rechtsprechung, der auch der Senat folgt, aber nicht auf das absolute, sondern auf das relative Maß der Überschreitung, mithin auf das Verhältnis zwischen der gefahrenen und der vorgeschriebenen Geschwindigkeit abzustellen (vgl. Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 11.11.2016 – 2 SsOWi 161/16 (89/16), juris Rn. 10 sowie die weiteren Nachweise bei Burhoff aaO. Rn. 2299). Je höher die prozentuale Überschreitung ausfällt, desto eher wird sie vom Kraftfahrer zur Kenntnis genommen und umso eher kann ein vorsätzliches Verhalten angenommen werden. Die Grenze, ab der der Tatrichter in der Regel von einer vorsätzlichen Begehungsweise ausgehen kann, sieht der Senat in Übereinstimmung mit der obergerichtlichen Rechtsprechung bei Übertretungen um mindestens 40% der zulässigen Höchstgeschwindigkeit (vgl. Beschluss vom 24.11.2017 – 1 OWi 2 SsBs 87/17, juris Rn. 6; s.a.: OLG Celle, Beschluss vom 10.06.2010 – 322 SsBs 161/10, juris Rn. 8; OLG Hamm, Beschluss vom 10.05.2016 – III-4 RBs 91/16, juris Rn. 2; KG Berlin, Beschluss vom 25.03.2015 – 3 Ws (B) 19/15, juris Rn. 5; Burhoff aaO. Rn. 2300). Überschreitet ein Kraftfahrzeugfahrer die ihm bekannte zulässige Höchstgeschwindigkeit in einem solchen Maß, wird ihm dies aufgrund der Motorengeräusche, der sonstigen Fahrgeräusche, der Fahrzeugvibration und der Schnelligkeit, mit der sich die Umgebung ändert, regelmäßig nicht verborgen bleiben. Ist das relative Maß der Geschwindigkeitsüberschreitung demgegenüber geringer, so bedarf es zusätzlicher Indizien, die den Rückschluss auf ein vorsätzliches Verhalten erlauben (OLG Braunschweig, Beschluss vom 13.05.2013 – 1 Ss (OWiZ) 85/13, juris Rn. 11).

bb) Soweit das Amtsgericht auf Rechtsprechung des OLG Koblenz hinweist, steht diese hierzu nicht im Widerspruch. Zwar sei „nach ständiger Rechtsprechung des OLG Koblenz außerorts ab einer Überschreitung um mindestens 40 km/h (..) ein beweiskräftiges Indiz dafür [gegeben], dass der Kraftfahrer die erlaubte Geschwindigkeit zumindest mit bedingtem Vorsatz überschreitet“ (OLG Koblenz, Beschluss vom 26.08.2013 – 2 SsBs 128/12, juris Rn. 15). Der zitierten Entscheidung lag aber – ebenso wie weiteren veröffentlichten Entscheidungen (vgl. Beschlüsse vom 07.05.2014 – 2 SsBs 22/14, vom 21.12.2017 – 1 OWi 6 SsBs 107/17, vom 17.07.2018 – 1 OWi 6 SsBs 19/18, vom 03.08.2018 – 2 OWi 6 SsBs 48/18 und vom 29.09.2018 – 1 OWi 2 SsBs 99/18, jew. zit. nach Juris) – eine zulässige Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h zugrunde. Das relative Maß der Geschwindigkeitsüberschreitung war mit dem Wert der absoluten Überschreitung in diesem Fall somit identisch. Soweit anderen Entscheidungen des OLG Koblenz abweichende Höchstgeschwindigkeitswerte zugrunde lagen, betrug die jeweils festgestellte relative Geschwindigkeitsüberschreitung mehr als 40 % (Beschlüsse vom 02.10.2009 – 2 SsBs 100/09, vom 01.12.2017 – 1 OWi 6 SsBs 99/17 und vom 18.04.2018 – 1 OWi 4 SsBs 27/17 jew. zit. nach Juris).

cc) Das relative Maß der Geschwindigkeitsüberschreitung beträgt im vorliegenden Fall (lediglich) 35 %. Zur Annahme einer bewussten Übertretung hätte es daher neben dem Ausmaß der Übertretung weiterer für die Annahme vorsätzlichen Verhaltens sprechende Indizien bedurft. Solche hat das Amtsgericht nicht festgestellt. Dies bedingt die Aufhebung der Entscheidung.“

OWi I: Fahrlässige Geschwindigkeitskeitsüberschreitung?, oder: Verkehrszeichen nur in anderer Richtung

entnommen wikimedia.org

Für den OWi-Bereich liegen mir derzeit nicht so viele Entscheidungen vor. Aber für einen weiteren OWi-Tag heute reicht es dann doch (noch) 🙂 .

Ich starte mit dem OLG Oldenburg, Beschl. 30.04.2020 – 2 Ss (OWi) 111/20. Die Problematik: Kann eine Geschwindigkeitsüberschreitung auch dann in Betracht kommen, wenn in der Fahrtrichtung, in der der Betroffene gefahren ist, kein Verkehrszeichen passiert wurde?

Das OLG meint: Grundsätzlich ja. Zu entscheiden war folgender Sachverhalt:

„Der Betroffene befuhr in Ort3 eine innerstädtische Straße in nördlicher Richtung. Er passierte dabei das die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf 30 km/h begrenzende Verkehrszeichen 274 in Kombination mit Verkehrszeichen 123 (Arbeitsstelle). Anschließend bog er auf den Parkplatz seiner Arbeitsstätte ab. Nach mehreren Stunden verließ er mit seinem Fahrzeug den Parkplatz, um nunmehr in südlicher Richtung auf der oben genannten Straße zurückzufahren. Bis zur Messstelle passierte er in dieser Fahrtrichtung kein die zulässige Höchstgeschwindigkeit begrenzendes Verkehrszeichen, da dieses nördlich des Parkplatzes aufgestellt war.“

Das AG hat verurteilt. Dagegen die Rechtsbeschwerde des Betroffenen. Er meint, die sei zuzulassen zur Klärung der Frage, ob eine Beschilderung einer Geschwindigkeitsbegrenzung in Verbindung mit dem Hinweis auf eine Baustelle im Bereich der Baustelle auch für den Gegenverkehr gilt, der auf dieser Fahrspur die dort vorhandene Beschilderung der Geschwindigkeitsbegrenzung nicht passiert hat.

Dazu das OLG:

„Die Rechtsbeschwerde ist hier nicht zur Fortbildung des materiellen Rechts zuzulassen.

Die in diesem Zusammenhang relevanten Rechtsfragen sind geklärt.

Das Streckenverbot galt im vom Betroffenen befahrenen Bereich auch in südlicher Richtung. Zwar soll unter anderem das Zeichen 274 hinter Kreuzungen und Einmündungen wiederholt werden, an denen mit dem Einbiegen ortsunkundiger Kraftfahrer zu rechnen ist. Selbst wenn man die Zufahrt zum Parkplatz mit einer Einmündung gleichsetzen würde, wäre allein hierdurch das Streckenverbot aber nicht aufgehoben worden (vergleiche Senat, NJW 2011, 3593).

Grundsätzlich entfalten Verkehrszeichen das Gebot einer Geschwindigkeitsbeschränkung aber nur in der Fahrtrichtung für die sie aufgestellt und für den Betroffenen auch sichtbar sind (Senat VRS 89, 53; OLG Celle DAR 2000, 578; OLG Bamberg Beschluss vom 17. Juli 2013, 3 SsOWi 944/13, juris).

Insoweit unterscheidet sich der hier vorliegende Sachverhalt von demjenigen, der der Entscheidung des Senats NJW 2011, 3593 zugrunde lag, da dort der Betroffene nach Verlassen des Parkplatzes in derselben Richtung weitergefahren war. Auf dem Hinweg war er an dem Verkehrszeichen vorbeigefahren.

Hier hatte der Betroffene jedoch in seiner –späteren- Fahrtrichtung kein Verkehrszeichen passiert.

Der hier zu entscheidende Sachverhalt ist jedoch vergleichbar mit demjenigen, der der Entscheidung BGHSt 11, 7 ff. zugrunde lag. Dort war es so, dass „die Angeklagten“ mit einem unbeladenen Lastzug ein Verkehrszeichen passiert hatten, mit dem die Straße für Fahrzeuge über 6 t Gesamtgewicht gesperrt war. Unterwegs beluden sie den Lastzug in einem abseits gelegenen Waldstück mit Holz, sodass die Grenze von 6 t überschritten war und fuhren anschließend auf dem Waldweg zurück zur Landstraße, um in die Richtung zurückzufahren, aus der sie gekommen waren, wobei in diesem Streckenverlauf kein Verbotsschild aufgestellt war.

Der BGH hat ausgeführt, dass die Verkehrsbeschränkung für den gesamten Straßenabschnitt, ohne dass die Anordnung für denjenigen, der das Schild an einem der beiden Anfangspunkt wahrgenommen hatte, unterwegs durch zusätzliche Verbotstafeln wiederholt zu werden brauchte, gegolten hätte. „Wenn also ein Kraftfahrer sein Fahrzeug vor Erreichen des Endpunktes der Sperrstrecke über das zugelassene Höchstgewicht beladen und die Fahrt in gleicher Richtung fortgesetzt hätte, könnte er nicht erfolgreich geltend machen, das für die ganze Strecke gültige Verbot sei auch nicht in ihrem letzten Teilstück durch amtliche Verkehrszeichen sichtbar gemacht“ (BGH a. a. O.).

Weiter heißt es dort:

„Ob nun die Fahrt in derselben oder in der entgegengesetzten Richtung fortgesetzt wird, in beiden Fällen wird vom Kraftfahrer verlangt, dass er sich ein für längere Strecke geltendes Verbotsschild mindestens dann merkt und einprägt, wenn es zuvor wahrgenommen hat.“ Diese Ansicht bedeute kein Abgehen vom Sichtbarkeitsgrundsatz. Sie wolle nur seiner allzu weitgehenden Übersteigerung, die zu kaum verständlichen Ergebnissen im Verkehr führen würde, entgegentreten. „Die Angeklagten“ hätten das Verbotszeichen auf der einheitlichen Fahrt befolgen müssen, solange sie diese Straße genutzt hätten. Die noch am selben Tag unmittelbar an das Beladen sich anschließende Rückfahrt über die gleiche Strecke könne nämlich nicht unabhängig von der vorangegangenen Benutzung als neue, selbständige Fahrt angesehen werden.

Der BGH hat seine Entscheidung weiter damit begründet, dass die dortige Belastungsbeschränkung erkennbar für beide Fahrtrichtungen gegolten hätte.

Dieser Gedanke lässt sich allerdings nicht in jedem Fall auf die Anordnung einer Geschwindigkeitsbegrenzung übertragen. Zwar mag in der Praxis häufig eine Geschwindigkeitsbeschränkung für beide Richtungen eines Streckenabschnitts gelten, wobei sich die Streckenabschnitte mit beschränkter Geschwindigkeit für die gegenläufigen Fahrtrichtungen aber keineswegs decken müssen (OLG Celle a. a. O.).

Sowohl das OLG Celle als auch das OLG Bamberg halten es in den oben genannten Entscheidungen jedoch für möglich, dass ein Betroffener aufgrund der Umstände davon ausgehen muss, dass auch für die Gegenfahrbahn ein entsprechendes Geschwindigkeitsgebot bestand. Anders als in den Sachverhalten, die den dortigen Entscheidungen zugrunde lagen, sind hier aber vom Amtsgericht Umstände festgestellt worden, aufgrund derer der Betroffene davon ausgehen musste, dass die Geschwindigkeitsbeschränkung auch für seine Fahrtrichtung galt:

Zum einen war die Begrenzung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit in Kombination mit dem Verkehrszeichen „Arbeitsstelle“ angeordnet worden. Zum anderen befand sich die Baustelle nach den Feststellungen des Amtsgerichtes mittig auf den nicht durch Leitplanken getrennt Fahrbahnen. Wenn bei einer derartigen Örtlichkeit eine Geschwindigkeitsbegrenzung für eine Fahrtrichtung angeordnet worden ist, drängt sich auf, dass für die entgegengesetzte Fahrtrichtung nichts anderes gilt.

Letztlich ist die Frage, ob dem Betroffenen aufgrund der Örtlichkeit ein Fahrlässigkeitsvorwurf zu machen ist, aber eine solche des konkreten Einzelfalles und deshalb der Fortbildung des Rechts nicht zugänglich, während die sonstigen Fragen in diesem Zusammenhang geklärt sind.“

Ich habe meine Zweifel, ob die Auffassung des OLG zutreffend ist, wobei – hier – allerdings nicht übersehen werden darf, dass der Betroffene ortskundig war. Allerdings stellt sich die Frage, ob man die Sorgfaltsanforderungen nicht überspannt. Letztlich ist die Frage, ob einem Betroffenen aufgrund der (ihm bekannten) Örtlichkeit ggf. ein Fahrlässigkeitsvorwurf zu machen ist, aber eine des konkreten Einzelfalles – so auch das OLG – und kann deshalb wohl mit einem Zulassungsantrag zur Fortbildung des Rechts nicht angegriffen werden. Allerdings bietet das für den Verteidiger wiederum ein Einfallstor, um vorzutragen, warum sich dem Betroffenen im Einzelfall die Geschwindigkeitsbeschränkung nicht aufdrängen musste.