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OWi II: Vorsatz und Geschwindigkeitsüberschreitung, oder: Muss der Umfang dem Betroffenen bekannt sein?

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Mit der zweiten Entscheidung, dem OLG Hamm, Beschl. v. 07.02.2022 – 5 RBs 12/22 –, dann noch einmal etwas zum Vorsatz bei der Geschwindigkeitsüberschreitung:

„Ergänzend zur Antragsschrift der Generalstaatsanwaltschaft ist anzumerken, dass der Umstand, dass einem Betroffenen der Umfang einer Geschwindigkeitsüberschreitung möglicherweise nicht exakt bekannt ist, der Annahme von Vorsatz nicht entgegensteht. Vorsätzliches Handeln setzt eine solche Kenntnis nämlich nicht voraus. Vielmehr genügt das Wissen, schneller als erlaubt zu fahren (Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschl. v.19.02.2021 – 1 OLG 53 Ss-OWi 684/20 -juris; vgl. auch BayObLG NZV 1999, 97; OLG Düsseldorf NZV 1996, 463). Dem Betroffenen war damit bewusst, dass er die zulässige Höchstgeschwindigkeit jedenfalls nicht unerheblich erheblich überschritten hat. Wenn er es im Bewusstsein dessen unterließ, seine Geschwindigkeit durch den ihm jederzeit problemlos möglichen Blick auf den Tachometer zu kontrollieren und herabzumindern, brachte er dadurch hinreichend deutlich zum Ausdruck, dass er eine Geschwindigkeitsüberschreitung auch in dem tatsächlich realisierten Ausmaß zumindest billigend in Kauf nahm.“

OWi II: Toleranzwert bei der Messung mit Nachfahren, oder: OLG Köln ändert Rechtsprechung

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Die zweite Entscheidung, die ich vorstelle, betrifft eine Geschwindigkeitsüberschreitung. Gemessen worden ist durch Nachfahren.

Zum Tatgeschehen hatte „das Amtsgericht festgestellt, dass der Betroffene am 20. Oktober 2020 gegen 0:45 Uhr in A die innerorts gelegene Kölner Straße über eine Strecke von 1.200 m mit einer vorwerfbaren Geschwindigkeit von 84 km/h befuhr. Die Überzeugung von diesem Verstoß hat sich das Tatgericht auf der Grundlage der Angaben von drei polizeilichen Zeugen verschafft, die dem von dem Betroffenen geführten Fahrzeug mit einem zivilen Fahrzeug über die genannte Strecke in einem Abstand von 60-70 m gefolgt sind und währenddessen von dem nicht justierten Tachometer eine gleichbleibende Geschwindigkeit von 105 km/h abgelesen haben. Die vorwerfbare Geschwindigkeit von 84 km/h hat das Tatgericht sodann im Wege eines Toleranzabzugs von 20% ermittelt.“

Das AG hat den Betroffenen zu einer Geldbuße von 185 EUR verurteilt und ein Fahrverbot von einem Monat angeordnet. Das OLG Köln hebt im OLG Köln, Beschl. v. 03.01.2021 – 1 RBs 254/21 – im Rechsfolgenausspruch auf und ändert seine Rechtsprechung zum sog. Toleranzwert zumindest teilweise.

Hier stelle ich nur den Leitsatz = das Ergebnis der Ausführungen des OLG Köln vor. Wer mag und Interesse kann die Begründung im Volltext nachlesen:

Bei der Geschwindigkeitsermittlung durch Nachfahren in einem Fahrzeug mit nicht justiertem Tachometer ist regelmäßig ein erster Toleranzabzug von der abgelesenen Geschwindigkeit von 10% zuzüglich 4 km/h für mögliche Eigenfehler des Tachometers sowie ein weiterer Toleranzabzug zwischen 6 und 12% der abgelesenen Geschwindigkeit erforderlich, um weiteren Fehlerquellen, wie Ablesefehlern sowie solchen Fehlern, die aus Abstandsveränderungen und/oder der Beschaffenheit des Fahrzeugs resultierten zu begegnen (teilweise Aufgabe der bisherigen Senatsrechtsprechung).

OWi II: Leivtec kein standardisiertes Messverfahren, oder: Toleranzwert bei der Messung durch Nachfahren

Das zweite Posting des Tages enthält zwei OLG-Entscheidungen zur Geschwindigkeitsüberschreitung, und zwar zu den Anforderungen an die Urteile in diesen Fällen bzw. zur Berücksichtigung von Toleranzwerten beim Nachfahren.

Zunächst hier der OLG Koblenz, Beschl. v. 15.12.2021 – 3 OWi 32 SsRs 108/21 –,  zu den Darlegungsanforderungen bei Verurteilungen wegen Geschwindigkeitsverstößen, die mit dem Messgerät Leivtec XV3 ermittelt wurden. Das OLG geht – wie die h.M. in der Rechtsprechung der OLG – anders nur das OLG Schleswig – davon aus, dass derzeit bei dem Messverfahren die Voraussetzungen eines standardisierten Messverfahrens nicht mehr gegeben sind.

Bei der zweiten Entscheidung handelt es sich um den OLG Köln, Beschl. v. 03.12.2021 – III-1 RBs 254/21 -, der folgenden (gerichtlichen Leitsatz hat:

Bei der Geschwindigkeitsermittlung durch Nachfahren in einem Fahrzeug mit nicht justiertem Tachometer ist regelmäßig ein erster Toleranzabzug von der abgelesenen Geschwindigkeit von 10% zuzüglich 4 km/h für mögliche Eigenfehler des Tachometers sowie ein weiterer Toleranzabzug zwischen 6 und 12% der abgelesenen Geschwindigkeit erforderlich, um weiteren Fehlerquellen, wie Ablesefehlern sowie solchen Fehlern, die aus Abstandsveränderungen und/oder der Beschaffenheit des Fahrzeugs resultierten zu begegnen (teilweise Aufgabe der bisherigen Senatsrechtsprechung).

Beim Fahren sechs Sekunden auf das Handy geschaut, oder: Vorsätzliche Geschwindigkeitsüberschreitung

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Bei der zweiten Entscheidung des Tages handelt es sich um den KG, Beschl. v. 30.08.2021 – 3 Ws (B) 140/21 – zum Vorsatz bei der Geschwindigkeitsüberschreitung. Die Entscheidung ist schon etwas älter, aber „erst gestern reingekommen.“ 🙂

Worum es geht, ergibt sich aus den Beschlussgründen bzw. dem Zusatz zur Verwerfung:

„Ergänzend zu der Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft vom 15. Juli 2021, deren Ausführungen sich der Senat zu Eigen macht, merkt der Senat lediglich an:….

2. Die Verurteilung des Betroffenen wegen einer vorsätzlich begangenen Tat hält einer Überprüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht stand.

Zwar kann regelmäßig aus einer kurzfristigen Unachtsamkeit mangels genügender Beobachtung des Verkehrsgeschehens ohne das Hinzutreten weiterer Anhaltspunkte nicht auf eine vorsätzliche Tatbegehung geschlossen werden, denn denkbar ist auch, dass der Fahrzeugführer darauf vertraut hat, es verbleibe bei den zuletzt wahrgenommenen Verkehrsregelungen (hier bezüglich der zulässigen Höchstgeschwindigkeit). Dies gilt jedoch dann nicht, wenn der Betroffene wegen vorangegangener, durch Aufmerksamkeitsdefizite bedingte Fahrfehler gewarnt war oder aus genereller Gleichgültigkeit gegenüber Anordnungen gehandelt hat (vgl. Senat, Beschluss vom 29. Juli 2020 – 3 Ws (B) 147/20 -).

Auf der Grundlage dessen ist gegen die Annahme des Amtsgerichts, der Betroffene habe vorsätzlich gehandelt, durch den Senat nichts zu erinnern. Denn im vorliegenden Fall kann schon von einem kurzen Augenblick der Unachtsamkeit nicht die Rede sein. Nach den getroffenen Feststellungen wendete sich der Betroffene über 100 Meter, bei einer Geschwindigkeit von festgestellten 56 km/h also für eine Zeit von ca. sechseinhalb Sekunden, auf einer – allseits bekannt – vielbefahrenen mehrspurigen Straße mitten im Berufsverkehr der „Lektüre irgendwelcher Speichermedien“ (UA S. 5) zu, statt den Straßenverkehr zu beobachten. Dies lässt den Schluss zu, dass der Betroffene aus genereller Gleichgültigkeit gegenüber dem Verkehrsgeschehen gehandelt hat, mithin auch gegenüber etwaigen verkehrsrechtlichen Anordnungen (hier durch Zeichen 274). Ob der Einlassung des Betroffenen überhaupt hätte Glauben geschenkt werden können, kann dahinstehen, denn dies zu prüfen, oblag allein dem Amtsgericht.“

Also: Finger weg vom Handy und/oder Augen auf das Verkehrsgeschehen gerichtet 🙂 .

OWi II: Wenn der „KHK“ während einer Dienstfahrt zu schnell fährt, oder: Gleiches Recht für alle

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Die zweite Entscheidung des Tages kommt vom AG Landstuhl. Das hat sich im AG Landstuhl, Urt. v. 11.05.2021 – 2 OWi 4211 Js 4647/21 – mit der Geschwindigkeitsüberschreitung eines KHK, also eine Polizeibeamten befasst. Dre war auf einer BAB statt der durch Verkehrszeichen angeordneten zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h mit einer Geschwindigkeit von 119 km/h gefahren. Eingelassen hatte sich der KHK wie folgt:

„Er habe sich mit einem zivilen Dienst-Kfz auf dem Weg zu einem Dienstgeschäft befunden und sei wegen eines Rückstaus in Zeitverzug gewesen. „Um das Dienstgeschäft, welches terminiert war, zeitgerecht erledigen zu können, fuhr ich 119 km/h auf der BAB6“ (Bl. 27 d.A.) Die Sicht auf die Verkehrszeichen sei durch neben ihm fahrende Kraftfahrzeuge (LKW) verwehrt gewesen und er habe die Beschilderung übersehen. Das Dienstgeschäft hat er als jährlichen Pflichtleistungsnachweis (Prüfung) mit der Dienstpistole konkretisiert und die Befürchtung mitgeteilt, zum Termin zu spät zu kommen (Bl. 40 d.A.). Ihm sei die Beschilderung nicht bekannt gewesen, er fahre die Strecke nach Enkenbach nicht regelmäßig. Die Beschilderung sei nicht wiederholt worden, sondern es handle sich um einen Verkehrstrichter. Zudem sei er durch ein „wichtiges dienstliches Telefonat“ (mit dem LKA Hamburg) ab 12:44 Uhr abgelenkt gewesen (Bl. 83 d.A.).“

Die Einlassung hat ihm nichts genutzt. Das AG hat ihn wegen einer vorsätzlichen Geschwindigkeitsüberschreitung verurteilt, ein Fahrverbot verhängt und die Geldbuße erhöht:

„…..

Ein Augenblicksversagen kann hier nicht angenommen werden. Der Betroffene hat telefoniert während des Verstoßes. Schon dieses Verhalten lässt sich mit den Anforderungen der obergerichtlichen Rechtsprechung an die Annahme eines Augenblicksversagens nicht in Übereinstimmung bringen.

V.

Der Betroffene hat sich deshalb wegen der vorsätzlichen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften zu verantworten, §§ 24 StVG, 41, 49 StVO.

Gegen den Betroffenen spricht die Vermutung der hohen Überschreitung der Geschwindigkeit, hier in Form einer Überschreitung von 39 km/h bzw. mehr als 40%, die einen Rückschluss auf das Wollenselement des wenigstens bedingten Vorsatzes erlaubt, sowie die beidseitig sichtbar aufgestellten Verkehrszeichen, die von einem Verkehrsteilnehmer gesehen werden müssen und so einen Rückschluss auf das Wissenselement des wenigstens bedingten Vorsatzes ermöglichen (Vgl. BeckOK/Krenberger, § 3 StVO, Rn. 221 m.w.N.).

Eine dies widerlegende Einlassung erfolgte nicht. Im Gegenteil hat der Betroffene anhand seiner eigenen Einlassungen gerade dargelegt, dass er hier mit wenigstens bedingtem Vorsatz die Geschwindigkeit überschritten hat. Er hat mitgeteilt, dass er unter Zeitdruck mit konkreter Geschwindigkeit gefahren sei und trotz des Zeitdrucks und der für ihn wenig bekannten Gegend während der Fahrt ein Telefonat angenommen und geführt habe. Dass er also in einer Situation, die von ihm gerade höhere Aufmerksamkeit erfordern würde (Eile, fremde Gegend) auch noch sein Aufmerksamkeitsniveau vorsätzlich absenkt – denn ein Telefonat kann man nicht fahrlässig führen -, zeigt, dass es ihm nicht nur gleichgültig war, ob er dadurch Verkehrsregeln verletzen würde, sondern dass er billigend in Kauf genommen hat die Verkehrszeichen zu übersehen, ohne seine Geschwindigkeit vorher aktiv anzupassen. Dies gilt erst recht, da er sich auf einer Dienstfahrt befindet und seine grundgesetzlich verankerten Pflichten insbesondere die penible Achtung der Verkehrsregeln erfordern.

Die Beschilderung vor Ort (Geschwindigkeitstrichter, sonstige Hinweise) ist auch gerade darauf angelegt, die Aufmerksamkeit des Fahrers auf sich zu ziehen. Ein Übersehen der Schilder wegen LKW-Verkehr auf der rechten Spur ist schon denklogisch bei beidseitig aufgestellten Schildern nicht möglich.

Dass der Betroffene sein Fehlverhalten im Nachhinein auch noch mit dem mehrfachen Verweis auf die Dienstlichkeit seines Handelns zu relativieren versucht, zeigt eine bedenkliche Einstellung des Betroffenen zu Verkehrsregeln und Rechtsanwendung auf.

VI.

Durch den genannten Verstoß hat der Betroffene zunächst eine Geldbuße zu tragen. Diese ergibt sich zunächst als Regelsatz in Höhe von 120 EUR gemäß Ziffer 11.3.6 des Anhangs zur BKatV, die für das Gericht in Regelfällen einen Orientierungsrahmen bildet (BeckOK StVR/Krenberger, § 1 BKatV, Rn. 1). Von diesem kann das Gericht bei Vorliegen von Besonderheiten nach oben oder unten abweichen. Vorliegend bestehen keine Umstände, die ein Abweichen vom Regelsatz nach unten bedingen würden. Insbesondere sind die dienstliche Veranlassung der Fahrt außerhalb des Anwendungsbereichs von § 35 StVO oder auch die Nutzung eines zivilen Dienstfahrzeugs keine Aspekte, die geeignet wären, eine Abweichung vom Regelfall zu begründen.

Angesichts der vorsätzlichen Begehensweise ist die Regelgeldbuße zu verdoppeln, § 3 Abs. 4a BKatV…..“

Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass das AG über die Einlassung und das Agieren des KHK „not amused“ war. Es ist zutreffend nach dem Grundsatz: „Gleiches Recht für alle“ verfahren. Dann auch bei einem „zivilen Betroffenen“ hätte man mit der Einlassung kein Augeblicksversagen begründen können.