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Was Poliscan alles kann, oder: Das Rotlichtsystem PoliScan F1HP beim Rotlichtverstoß

© Thomas Pajot Fotolia.com

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Der KG, Beschl. v. 12. 11. 2015 – 3 Ws (B) 515/15 – ist in doppelter Hinsicht interessant. Der Betroffene war vom AG wegen eines Rotlichtverstoßes verurteilt worden. Dagegen die Rechtsbeschwerde, die das KG verwirft und dabei dass Ausführungen zum Messverfahren macht und zu den erforderlichen Feststellungen. Und zwar:

  • Die Messung, die der Verurteilung des Betroffenen wegen des Rotlichtverstoßes (§ 37 StVO) zugrunde gelegt worden war, war mit dem Rotlichtsystem PoliScan F1HP erfolgt. Das KG hat das Messverfahren als sog. standardisiertes Messverfahren angesehen.Also auch da „standardisiert“
  • Auf der Grundlage hatte der Amtsrichter dann aber ausreichende Feststellungen getroffen. Die Nennung der verwendeten Verfahrens reichte dem KG aus. Es hat unbeanstandet gelassen, dass keine Angaben zu dem ggf. in Abzug zu bringenden Toleranzwert gemacht worden waren. Begründung: Die auf den (Mess)Fotos eingeblendete Rotlichtzeit wurde direkt gemessen, als die Betroffene über die Haltelinie und nicht erst, als sie über einen Sensor fuhr, der sich erst hinter der Haltelinie befindet.
  • Unbeanstandet gelassen hat das KG auch, dass das AG nicht mitteilt hatte, dass es von einem standardisierten Verfahren ausgegangen ist. Der Verteidiger hatte das gerügt. Das ist m.E. zutreffend. Denn die Frage, ob ein Messverfahren als standardisiert anerkannt ist, wirkt sich im Ergebnis nur auf den Umfang der vom AG vorzunehmenden Feststellungen und dem vom OLG anzuwendenden Prüfungsmaßstab aus, u.a. auf den Umfang der Beweiserhebung und der Beweiswürdigung in den Urteilsgründen aus. Die ausdrückliche Erörterung der tatsächlichen Voraussetzungen dieses Prüfungsmaßstabes im amtsgerichtlichen Urteil wäre überflüssig. Mit der Nennung des Messverfahrens ist alles gesagt, was in dem Zusammenhang von Bedeutung ist.

Das OLG Nürnberg traut sich: BGH-Vorlage zum Fahren ohne Fahrerlaubnis

© sashpictures - Fotolia.com

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Heute dann nur noch leichte Kost 🙂 . Den Auftakt macht der OLG Nürnberg, Beschl. v. 21. 10. 2015 – 1 OLG 2 Ss 182/15. Mit dem traut sich das OLG 🙂 und legt dem BGH folgende (Rechts)Frage zur Entscheidung vor:

Kann ein Angeklagter seine Berufung wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränken, wenn er wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis verurteilt worden ist (§ 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG) und sich die Feststellungen darin erschöpfen, dass er wissentlich an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit ein Fahrzeug bestimmter Marke und mit einem bestimmten Kennzeichen geführt habe, ohne die dazu erforderliche Fahrerlaubnis zu besitzen?

OLG-Vorlagen nach § 121 GVG sind im Strafrecht ja verhältnismäßig selten, aus welchen Gründen auch immer. Hier traut sich mal ein OLG, den BGH „um Rat zu fragen“. Es geht um den Umfang der tatsächlichen Feststellungen bei einer Verurteilung wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis nach § 21 StVG. Dazu vertreten u.a. das OLG München (StraFo 2008, 210; zfs 2012, 472) und das OLG Bamberg (VRR 2013, 429) die Auffassung, dass das Amtsgericht zu der fraglichen Fahrt – oder den fraglichen Fahrten – Feststellungen treffen muss, die über Ort und Zeit der Fahrt, die Identität des Fahrzeugs sowie jenen Umstand hinausgehen, dass der Angeklagte nicht im Besitz der nötigen Fahrerlaubnis gewesen ist und vorsätzlich gehandelt hat. Das OLG Nürnberg will das im Hinblick auf die Wirksamkeit der Berufungsbeschränkung großzügiger handhaben. Mal sehen, was der BGH daraus macht.

Anfängerfehler: Trunkenheitsfahrt, oder: Auch dazu muss man etwas feststellen

© Shawn Hempel - Fotolia.com

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In meinen Augen selbstverständliche Ausführungen, quasi Grund-/Basiswissen, enthält der OLG Frankfurt, Beschl. v. 23.11.2015 – 1 Ss 386/15 – zur Trunkenheitsfahrt nach § 316 StGB. Allerdings so „selbstverständliches Basiswissen“ scheint die angesprochene Frage dann für das LG Gießen doch nicht gewesen zu sein, denn sonst hätte sich das OLG nicht damit befassen müssen. Für das OLG Frankfurt war es dann aber doch selbstverständlich, was sich m.E. daran zeigt, dass man einfach die Stellungnahme der GStA „einrückt. Und die lautete:

„In den Urteilsgründen wird zwar festgestellt, dass der Angeklagte zur Tatzeit — gegen 12.30 Uhr — eine Blutalkoholkonzentration von mindestens 1,82 Promille hatte (UA S. 11).

Es lässt sich dem Urteil allerdings nicht entnehmen, aufgrund welcher tatsächlichen Umstände das Gericht diese Feststellung getroffen hat. Die im Zusammenhang mit den Wahrnehmungen der Zeugen M.S. (UA S. 13) und K. und Sch. (UA S. 13) jeweils erwähnte „Blutalkoholuntersuchung“ lässt mangels weiterer Ausführungen hierzu näheres nicht erkennen, namentlich schon nicht, ob dem Angeklagten nach der Tat eine Blutprobe abgenommen worden ist, ob, wie und von wem diese untersucht wurde pp.

Will das Tatgericht dem Gutachten eines Sachverständigen folgen, muss es dies zunächst angegeben und dann in der Regel die wesentlichen Anknüpfungstatsachen und Ausführungen des Gutachters so darlegen, dass das Rechtsmittelgericht überprüfen kann, ob die Beweiswürdigung auf einer tragfähigen Tatsachengrundlage beruht und ob die Schlussfolgerungen nach den Gesetzen, den Erkenntnissen. der Wissenschaft und den Erfahrungssätzen des täglichen Lebens möglich sind (vgl. BGH StV 2014, 587; NStZ 2013, 420; OLG Frankfurt am Main -1 Ss 200/15-; -2 Ss 32/15-). Will sich der Tatrichter dem Ergebnis eines zur Blutalkoholkonzentration eingeholten Sachverständigengutachtens ohne Angabe eigener Erwägungen anschließen, so müssen in den Urteilsgründen die Berechnungsgrundlagen so wiedergegeben werden, dass das Revisionsgericht überprüfen kann, ob der Blutalkoholwert zutreffend ermittelt worden ist (vgl. OLG Frankfurt am Main -3 Ss 63/14-). Für die Bestimmung des Blutalkoholgehalts bedeutet dies, dass im Urteil grundsätzlich Angaben über den Zeitpunkt der Tat, über den Zeitpunkt der Blutentnahme, über den Blutalkoholgehalt zur Zeit der Entnahme und über den zugrunde gelegten Rückrechnungswert enthalten sein müssen (vgl. OLG Frankfurt am Main -3 Ss 342/15-; -3 Ss 34/09- Fischer, StGB, 62. Auflage, § 316 Rn. 16a).

Diesen Anforderungen genügt das angefochtene Urteil nicht.

Es fehlt sowohl an der Mitteilung, ob ein Sachverständigengutachten eingeholt wurde, als auch an der Angabe des Entnahmezeitpunktes, des Blutalkoholgehaltes zur Entnahmezeit und der für die Berechnung der Mindest- bzw. der Maximalblutalkoholkonzentration zugrunde gelegten Rückrechnungswerte.

Auch sonst fehlen jegliche Angaben dazu, worauf das Gericht den festgestellten Blutalkoholwert stützt. Für das Revisionsgericht ist daher nicht nachvollziehbar; ob das Tatgericht die Mindest- und Maximalblutalkoholkonzentration zutreffend ermittelt hat.

Da es an jeglichen Anknüpfungspunkten für eine Berechnung der Blutalkoholkonzentration fehlt, kann auch nicht ausgeschlossen werden, dass das angefochtene Urteil, mit dem der Angeklagte wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr verurteilt wurde, auf dem aufgezeigten Darlegungsmangel beruht (§ 337 StPO).

Ein Ausnahmefall, bei dem das Messergebnis in keiner Weise in Zweifel gezogen wird, ist hier nicht gegeben, da der Angeklagte seine Fahrereigenschaft in Abrede stellt und das Urteil insgesamt angreift (RB S.1 ff).

Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, ob die Feststellungen des angegriffenen Urteils die Annahme einer relativen Fahruntüchtigkeit getragen hätten. Denn zwar ist in den Urteilsgründen festgehalten, dass der Angeklagte am Tattag bereits morgens Alkohol getrunken hat (Aussage des Zeugen W., UA S. 15). Weiter, dass der Angeklagte entgegen der vorgegebenen Fahrtrichtung zwei Einbahnstraßen befahren hat (UA S. 11,12). Auch, dass der Angeklagte nach Absteigen vom Motorrad schwankend ins Lokal gegangen ist und deutlich unter Alkoholeinfluss gestanden habe, ist vom Zeugen M.S. beobachtet und in den Urteilsgründen festgehalten worden (UA S. 12). Die Zeugen K. und S. gaben an, der Angeklagte sei zunächst so aggressiv gewesen, dass man Verstärkung angefordert habe, und habe sich erst im weiteren Verlauf beruhigt (UA S. 13). Im Rahmen der Beweiswürdigung hat die Kammer diese Umstände aber nicht weiter bewertet, insbesondere nicht erkennbar als Zeichen einer Fahruntüchtigkeit behandelt oder Ausführungen zu einer relativen Fahruntüchtigkeit gemacht.“

Dazu das OLG nur: „Dem tritt der Senat bei.“ Ich auch.

Auch beim standardisierten Messverfahren darf es im Urteil etwas mehr sein….

entnommen wikimedia.org Urheber DBZ2313

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Urheber DBZ2313

Das OLG Bamberg hat eine eigene „Veröffentlichungsabteilung“, die – koordiniert für die Senate – nur das rausgibt/veröffentlicht, was man der juristischen Öffentlichkeit bekannt machen möchte. Ich bin dann immer froh, wenn ich von einem Kollegen mal einen Beschluss des OLG Bamberg zugesandt bekomme, der mal nicht durch diesen „Filter“ gelaufen ist.  Das ist häufig nichts Großes/Weltbewegendes, aber meist doch ganz interessant. Und das gilt dann auch für den OLG Bamberg, Beschl. v. 20.10.2015 – 3 Ss OWi 1220/15, der noch einmal schön zu den erforderlichen tatsächlichen Feststellungen bei der Geschwindigkeitsüberschreitung und/oder beim standardisierten Messverfahren Stellung nimmt. Hier dann die Leitsätze – nicht amtlich 🙂

  1. Bei einer Verurteilung wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung muss der Tatrichter in den Urteilsgründen neben dem angewandten Messverfahren auch den berücksichtigten Toleranzwert angeben. Hierauf kann nur im Falle eines glaubhaften Geständnisses des Betroffenen verzichtet werden.
  1. Bei Verwendung eines standardisierten Messverfahrens ist in den Urteilsgründen die Mitteilung geboten, aus welchem Grund und zu welchem konkreten Beweisthema der Tatrichter ein Sachverständigengutachten erholt hat. Nur in diesem Fall kann verlässlich beurteilt werden, ob der Tatrichter zunächst gegebenenfalls Anhaltspunkte für eine Fehlmessung hatte und ob diese durch die Beweisaufnahme in ausreichender Weise ausgeräumt werden konnten.
  1. Wenn sich der Tatrichter ohne weitere eigene Erwägungen den Ausführungen des Sachverständigen angeschlossen hat, muss er im Urteil die wesentlichen Anknüpfungstatsachen und Darlegungen des Sachverständigen so wiedergeben, wie dies zum Verständnis des Gutachtens und zur Beurteilung seiner Schlüssigkeit erforderlich ist.

Peinlich allerdings, dass ich mir nicht vermerkt habe, welcher Kollege mir den Beschluss geschickt hat. Sorry, dass ich dann nicht als Einsender nennen kann.

Die Tagessatzhöhe bei ALG II – immer wieder ein Aufhebungsgrund

© fotomek - Fotolia.com

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In der letzten Zeit bin ich vermehrt auf Entscheidungen gestoßen, bei denen die Frage der Tagessatzhöhe bei sog. ALG II-Beziehern eine Rolle spielte. Über die Fragen habe ich hier ja dann auch schon wiederholt berichtet.

In die Gruppe der Entscheidungen gehört auch der KG, Beschl. v. 24.07.2015 – (3) 121 Ss 113/15 (84/15). In dem geht es nicht in erster Linie um die eigentliche Höhe des Tagessatzes. Dazu konnte das KG in dem Beschluss auch nur schwer Ausführungen machen, weil Feststellungen des AG zum Einkommen des Verurteilten nur spärlich getroffen waren. Das AG hatte lediglich festgestellt, dass der Angeklagte zum Zeitpunkt des Urteilserlasses Arbeitslosengeld (ALG) II bezogen hat, ledig ist und keine Unterhaltspflichten oder sonstige weitere Belastungen festzustellen waren.

Das reicht dem KG aber im Hinblick auf die angenommene Tagessatzhöhe von 20 € nicht aus:

„Der Regelsatz des ALG II beträgt allgemeinkundig seit dem 1. Januar 2015 399,00 Euro. Ob und ggf. welche zusätzlichen Leistungen der Angeklagte daneben bezieht, hat das Amtsgericht ebenfalls nicht festgestellt. Sein aus den Urteilsgründen ersichtliches Einkommen rechtfertigt daher eine Tagessatzhöhe von 20,00 Euro nicht. Soweit das Urteil ausführt, eine weitere Herabsetzung des Tagessatzes sei nicht angezeigt, weil der Angeklagte „noch zum Zeitpunkt des Erlasses des Strafbefehls über Einkommen“ verfügt habe, vermag diese Begründung eine über dem Nettoeinkommen liegende Tagesatzhöhe nicht zu rechtfertigen. Abgesehen davon, dass die Höhe dieses Einkommens nicht mitgeteilt wird, sind für die Höhe der Tagessätze die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Angeklagten bei Erlass des Urteils maßgebend (vgl. BGHR StGB § 40 Abs. 2 Satz 1 Einkommen 2). Der Mangel wirkt sich auch auf die Entscheidung über die Ratenzahlungsbewilligung aus.“

Mir leuchtet auch nicht ein, wie man bei einem monatlichen „Nettoeinkommen“ von 399 € – ohne weitere Angaben über sonstige Leistungen – zu einer Tagessatzhöhe von 20 € kommen kann. Das geht nur, wenn man – quasi als eine Art zusätzliche Bestrafung – das frühere Einkommen mit heranzieht, was das AG hetan hat. Geht aber so auch nicht.