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Und immer wieder Messverfahren – OLG Rostock zum Anfangsverdacht bei eso ES 3.0

Ich hatte ja bereits darauf hingewiesen, dass sich die Diskussion nach der Entscheidung des BVerfG v. 05.07.2010 auf die Frage des Anfangsverdachts, dessen Vorliegen für die Anwendung des § 100h StPO erforderlich ist, verlagern wird. Deshalb sind die Entscheidungen interessant, die sich mit dieser Frage – allerdings noch ohne Kenntnis von der Entscheidung des BVerfG – beschäftigen (vgl. auch AG Prenzlau).

Dazu gehört jetzt auch ein Beschl. des OLG Rostock v. 06.07.2010 – 2 Ss (OWi) 147/10 I 119/10. Nach dem OLG Brandenburg (VRR 2010, 153 = DAR 2010, 280 (Ls.) = NJW 2010, 1471) und dem OLG Celle (StraFo 2010, 247  = NZV 2010, 363) ist dieses das dritte OLG, das die „Klippe“ des für die Anwendung des § 100h StPO als Ermächtigungsgrundlage erforderlichen Anfangsverdachts“ mit dem zuvor vom Messbeamten eingestellten Grenzwert umschiffen will. M.E. gelingt das nicht. Dass es sich dabei um eine „konkret-individuellen Ermittlungsentscheidung“ handelt, ist nicht mehr als eine Behauptung. „Konkret-individuell“? Gegen wen denn? Die Einstellung des Grenzwertes ist nicht mehr als eine allgemeine Entscheidung des Messbeamten.

Allerdings: Man sollte nicht übersehen, dass das BVerfG in seinem Beschl. v 05.07.2010 die Frage auch wohl, wenn m.E. auch nur inzidenter, anders gesehen hat.

Fehlende Frontlinie führt nicht zum Freispruch – sondern nur zum SV-Gutachten

Wir hatten neulich über eine Entscheidung des AG Lübben berichtet, das eine Geschwindigkeitsmessung mit eso ES 3.0 als unverwertbar angesehen hatte, weil die sog. „Fotolinie“ fehlte (vgl. hier).

Inzwischen hat die Problematik das OLG Brandenburg beschäftigt. Dieses hat in seinem Beschl. v. 03.06.2010 – 2 Ss (OWi) 110 B/10 – eine gleich lautende Entscheidung des AG Lübben zu der Problematik aufgehoben und ausgeführt, dass das Tatgericht bei Zweifeln an der Richtigkeit eines Geschwindigkeitsmessergebnisses für Sachaufklärung sorgen und nicht unmittelbar freisprechen darf. Der Freispruch druch das AG wegen Fehlens der sog. Fotolinie beim Aufbau einer Messstation sei aufzuheben, wenn das Tatgericht die Unverwertbarkeit des Messergebnisses an diesem konkreten Umstand festmacht und diese Erkenntnisse aus einer selbständigen Analyse des Aufbaus der Messstation gewonnen haben will. Zwar könen sich das Gericht grundsätzlich auf seine eigene Sachkunde zur Klärung von Beweisfragen beziehen, es müsse das Ergebnis seiner Erwägungen aber immer auf Grundlage einer für die Sachverhaltsaufklärung und Überzeugungsbildung tragfähigen Begründung bilden. Drängt sich lediglich der Verdacht einer Fehldokumentation auf, müsse das Gericht dies zum Anlass nehmen, eine weitere Sachaufklärung hinsichtlich der Relevanz der mutmaßlichen Fehlerquelle und seiner Auswirkung auf das Messergebnis mittels eines Sachverständigengutachtens in die Wege zu leiten.

Fazit: In den Fällen soll also wohl die Einholung ein SV-Gutachtens erforderlich sein. Ggf. muss der Verteidiger das beantragen und wegen der m.E. nicht beachteten Vorgaben der Bedienungsanleitung immer auch die Frage des Toleranzwertes problematisieren.

(Video)Messung: 5 erste Punkte aus BVerfG 2 BvR 759/10, oder: In Zukunft wird es schwer werden…

Die Entscheidung des BVerfG v. 05.07.2010 – 2 BvR 759/10 beschäftigt – wie nicht anders zu erwarten – natürlich heute die Blogs (vgl. hier, hier und hier und hier)., weitere Beiträge werden sicherlich folgen. Nachdem ich die Entscheidung nun ein paar Mal gelesen habe, kann ich – vorsichtig – folgende erste Einschätzung abgeben:

  1. Die Entscheidung bertifft nicht die Videomessung, sondern eso ES 3.0
  2. Das BVerfG wendet aber seinen Beschluss vom 11.08.2009 ohne Einschränkungen auf dieses Messverfahren an, wenn es die Ermächtigungsgrundlage bestimmt. Damit dürfte die Frage in der Praxis entschieden sein. Die OLG-Rechtsprechung, die § 100h StPo als Ermächtigungsgrundlage angenommen hat, ist damit quasi abgesegnet. Die Tatgerichte werden auch bei anderen Messverfahren gern 🙂 auf 2 BvR 759/10 verweisen. Näher begründet hat das BVerfG seine Entscheidung leider nicht, es hat sich auch nicht mit den Einwänden bzw. Bedenken erwähnt. Die „a.A“ wird genannt. Das war es.
  3. Die Entscheidung des BVerfG wird m.E. auch Auswirkungen bei der Frage des Beweisverwertungsverbotes haben. Die Ausführungen zur Verhältnismäßigkeit sprechen eine deutliche Sprache. Wir werden sie in der Abwägung der Fachgerichte wieder finden.
  4. Die Diskussion wird sich vermutlich jetzt noch mehr zur Frage der Tatbestandsvoraussetzungen des § 100h StPO verlagern und zur Frage des Anfangsverdachts. Aber auch da: M.E. schlechte Nachrichten aus Karlsruhe. Denn das BVerfG hat die Entscheidung des OLG Brandenburg abgesegnet, in der auch von einer Art „vorgelagertem Tatverdacht“ ausgegangen worden ist. Damit dürfte es auch mit der Verteidigungslinie zumindest nicht einfacher geworden sein.
  5. Fazit: M.E. wird es in Zukunft schwer werden mit der Verfassungswidrigkeit der Messungen. Ich will damit den Beschluss des BVerfG nicht gut heißen, aber: In der Praxis wird schwer an ihm vorbei zu kommen sein 🙁

Geschwindigkeitsmessung mit ES 3.0 – Fehlen der Fotolinie – Unverwertbarkeit der Messung

Das AG Lübben hatte vor kurzem die Verwertbarkeit einer mit dem Geschwindigkeitsmessgerät ES 3.0 durchgeführten Geschwindigkeitsmessung zu beurteilen. Das AG hat in seinem Beschl. v. 16.03.2010 – 40 OWi 1321 Js 2018/10 (58/10) – Unverwertbarkeit angenommen, wenn die vom Hersteller in der Bedienungsanleitung geforderte Fotolinie nicht vorhanden sei. Dann sei nicht klar erkennbar, ob es sich bei dem gemessenen Fahrzeug tatsächlich um das Betroffenenfahrzeug handelt und ob die gemessene Geschwindigkeit im Einklang mit der Fotodokumentation vom Betroffenenfahrzeug steht. Die Messung sei dann unverwertbar. Auch sonst war das AG mit der Messung nicht zufrieden. Es sei nämlich nicht erkennbar gewesen, ob bei der vorliegenden Dokumentation überhaupt der Bereich abgebildet worden sei, durch den an irgendeiner Stelle die Fotolinie verlaufe. Insgesamt also: Messung als zu leicht empfunden. Der Betroffene wird sich freuen.

AG Lübben, Beschl. v. 16.03.2010 – 40 OWi 1321 Js 2018/10 (58/10)