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Polizeikommissar erscheint bekifft zum Dienst, oder: Charakterlich ungeeignet ==> Entlassung

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Und dann in der zweiten Entscheidung, dem VG Aachen, Beschl. v. 16.12.2024 – 1 L 884/24 – noch einmal etwas zum Kiffen.

Nach dem Sachverhalt war einem Polizeikommissar im Beamtenverhältnis auf Probe von der zuständigen Kreispolizeibehörde vorgeworfen worden, im Mai 2024 unter dem Einfluss von Cannabis mit seinem Pkw zum abendlichen Dienst angetreten zu sein. Weitere Ermittlungen hätten zudem ergeben, dass er bereits vor der Teillegalisierung Cannabis konsumiert und damit gegen das BtMG verstoßen habe. Der Polizeikommissar ist deshalb aus dem Probedienst entlassen worden.

Dagegen Klage und Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung. Der Antrag hatte beim VG keinen Erfolg:

„Die Entlassungsverfügung ist im Hinblick auf den Entlassungsgrund nach § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BeamtStG auch materiell rechtmäßig. Nach dieser Vorschrift kann ein Beamter auf Probe entlassen werden, wenn er sich in der Probezeit nicht bewährt hat. Zweck der Probezeit ist die Bewährung für die entsprechende Laufbahn (§ 5 Abs. 1 Satz 1 LVO). Deshalb ist dem Beamten innerhalb der Probezeit die Möglichkeit zu geben, seine Eignung für die eingeschlagene Laufbahn nachzuweisen. Die Entscheidung des Dienstherrn darüber, ob der Beamte sich in der Probezeit nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung bewährt hat, ist ein Akt wertender Erkenntnis seines für die Beurteilung zuständigen Organs. Dabei genügen bereits berechtigte Zweifel des Dienstherrn, ob der Beamte die Eignung und Befähigung besitzt und die fachlichen Leistungen erbringt, die für die Ernennung zum Beamten auf Lebenszeit notwendig sind, um eine Bewährung zu verneinen. Diese Entscheidung ist gerichtlich nur daraufhin überprüfbar, ob der Begriff der Bewährung und die gesetzlichen Grenzen des Beurteilungsspielraums verkannt worden sind, ob der Beurteilung ein unrichtiger Sachverhalt zugrunde liegt und ob allgemeine Wertmaßstäbe nicht beachtet oder sachfremde Erwägungen angestellt worden sind.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 9. Juni 2022 – 6 A 2041/18 -, juris Rn. 178 f. und Beschluss vom 27. September 2024 – 6 B 461/24 -, juris Rn. 22.

Die Bewährung des Beamten erfordert unter dem Aspekt der charakterlichen Eignung die sichere Erwartung, dass der Beamte auch abgesehen von den fachlichen Anforderungen die dienstlichen und außerdienstlichen Beamtenpflichten erfüllen wird. Für die charakterliche Eignung ist daher die prognostische Einschätzung entscheidend, inwieweit der Beamte der von ihm zu fordernden Loyalität, Aufrichtigkeit, Zuverlässigkeit, Fähigkeit zur Zusammenarbeit und Dienstauffassung gerecht werden wird. Dies erfordert eine wertende Würdigung aller Aspekte des Verhaltens des Beamten, die einen Rückschluss auf die für die charakterliche Eignung relevanten persönlichen Merkmale zulassen. Die Zweifel können sich sowohl aus dienstlichem als auch aus außerdienstlichem Verhalten ergeben. Bloße Mutmaßungen reichen nicht aus. Geboten ist eine Gesamtwürdigung aller relevanten Umstände.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 7. Mai 2019 – 2 A 15.17 -, juris Rn. 55 f.; OVG NRW, Urteil vom 9.6.2022 – 6 A 2041/18 -, juris Rn. 188; und Beschluss vom 27. September 2024 – 6 B 461/24 -, juris Rn. 29.

Unter Beachtung dieser Maßgaben, des beschränkten gerichtlichen Prüfungsumfangs und des von dem Antragsgegner ermittelten und zugrunde gelegten Sachverhalt ist die Annahme, der Antragsteller sei charakterlich ungeeignet, nicht zu beanstanden. Der Antragsgegner hat weder einen unrichtigen Sachverhalt zu Grunde gelegt oder sachfremde Erwägungen angestellt noch die gesetzlichen Maßgaben oder den bestehenden Beurteilungsspielraum verkannt.

Vielmehr hat er u.a. darauf abgestellt, dass der Antragsteller laut Zeugenaussagen regelmäßig Cannabis konsumiere, teilweise bei eigenen Fahrten oder vor dem Dienstantritt. Zudem erwerbe er die Drogen entweder bei einem anderen Freund oder in einem Coffeeshop in den Niederlanden, die Drogen führe er dann in das Bundesgebiet ein. An Wochenenden habe er in der Vergangenheit auch „härtere“ Drogen (Amphetamine, MDMA und Koks) eingenommen.

Im Hinblick auf den Konsum von Cannabis wird diese Aussage durch die Ergebnisse des internen Ermittlungsverfahrens der Kreispolizeibehörde gegen den Antragsteller bestätigt. Diese erwirkte einen Durchsuchungsbeschluss, den sie am 7. Mai 2024 vollzog, als der Antragsteller um 20:53 Uhr mit seinem Pkw auf der Dienststelle zum Antritt des Nachtdienstes erschien und sich einer Blutprobe unterzog. Diese ergab THC-Werte, die ausweislich des rechtsmedizinischen Gutachtens des Universitätsklinikums Köln vom 15. Mai 2024 für einen Konsum wenige Stunden vor der Blutentnahme sprachen; der Antragsteller habe zum Zeitpunkt der Blutentnahme noch unter der Wirkung von Cannabis gestanden. Die Durchsuchung seiner Person, der mitgeführten Gegenstände, des Spindes, des Fahrzeugs und des von ihm bewohnten Zimmers sowie die weiteren Ermittlungen ergaben zusätzliche Anhaltspunkte für einen Drogenkonsum.

Der Verdacht des Antragsgegners, dass der Antragsteller nicht nur gelegentlich Cannabis konsumiere, wird durch die im rechtsmedizinischen Gutachten nachgewiesenen Konzentration von 90 ng/ml THC-COOH bestätigt. Denn Teile der Rechtsprechung nehmen diesen Grenzwert an, um von einem regelmäßigen Konsum von Cannabis auszugehen,

Vgl. VG Aachen, Gerichtsbescheid vom 23. November 2023 – 3 K 1669/23 -, n.v., S. 5 des Entscheidungsabdrucks, m.V.a.: Möller, Medikamente und Drogen – verkehrsmedizinisch-toxikologische Gesichtspunkte, in: Drogen und Straßenverkehr, Deutscher Anwaltverlag 3. Aufl. 2016, § 3, B. Drogen, Rn. 232 ff., unter Hinweis auf den zur Untersuchung von Blutproben ergangenen Erlass des Ministeriums für Wirtschaft und Mittelstand, Technologie und Verkehr NRW vom 10. Juni 1999 – Az. 632-21- 03/2.1 (sog. Daldrup-Tabelle).

Des Weiteren ergibt sich aus Chatverläufen in den sozialen Medien, dass sich der Antragsteller wiederholt über das Rauchen und den Ankauf von Weed bzw. Ott mit verschiedenen Personen unterhielt.

Im Übrigen erfuhr der Antragsgegner im Rahmen des internen Ermittlungsverfahrens, dass gegen den Antragsteller im Sommer 2020 ein Ermittlungsverfahren wegen sexueller Nötigung auf die Anzeige einer Zeugin, die sich vom Antragsteller zum Oralverkehr gezwungen gesehen habe, und im Jahr 2021 ein weiteres Ermittlungsverfahren wegen des Verdacht einer Straftat nach dem Betäubungsmittelgesetzes wegen des Konsums von Cannabis geführt worden seien. Beide Verfahren sind von der Staatsanwaltschaft eingestellt worden. In einem weiteren Verfahren erhob die Staatsanwaltschaft gegen den Antragsteller am 5. August 2024 beim Amtsgericht Anklage wegen des Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz, das Gesetz zum Umgang mit Konsumcannabis, § 24a Abs. 1 StVO und Bedrohung. Eine Entscheidung hierzu steht noch aus.

Nach Maßgabe dieser Erkenntnisse ist gegen den Ansatz des Antragsgegners in dem Entlassungsbescheid, dass sich das Verhalten des Antragsstellers mit den während der Probezeit erworbenen Fähigkeiten als Polizeivollzugsbeamter nicht vereinbaren lasse und die charakterliche Eignung für das Amt fehle, nichts zu erinnern. So habe der Antragsteller am 7. Mai 2024 (Fahrt mit seinem privaten PKW zur Dienststelle und versuchter Dienstantritt unter Einfluss von Cannabis) gegen das Nüchternheitsgebot im polizeilichen Dienst und Bußgeldvorschriften des Straßenverkehrsgesetzes verstoßen. Dies zeige einen hohen Mangel an Einsicht und Pflichtbewusstsein. Auch wenn der Konsum von Cannabis – wie vom Antragsteller vorgetragen – außerhalb des Dienstes stattgefunden habe, bestehe ein mittelbarer dienstrechtlicher Bezug, da er unter dem Einfluss von Drogen den Dienst angetreten habe. Insgesamt habe er durch seine Handlungen und Verhaltensweisen das Ansehen der Polizei in der Öffentlichkeit sowie das Vertrauen der Allgemeinheit in rechtmäßiges Handeln durch die Polizei grob gefährdet. Das Vertrauen der Allgemeinheit in die Tätigkeit der Polizei würde erheblich gemindert, wenn bekannt würde, dass ein Polizeivollzugsbeamter (auf Probe) unter Drogeneinfluss zum Dienst erscheine, Amtshandlungen durchführe und die Behörde diesen trotz offensichtlich fehlender Eignung in ein Beamtenverhältnis auf Lebenszeit berufe.

Vgl. zur Entlassung eines Polizeibeamten, der (wiederholt) unter Alkoholeinfluss den Dienst antrat: OVG NRW, Beschluss vom 5. Februar 2024 – 6 B 1288/23 -, juris; auch eine außerdienstliche Trunkenheitsfahrt könnte zu dem Schluss einer mangelnden charakterlichen Eignung für den Polizeivollzugsdienst führen: Weiss/Niedermaier/Summer/Zängl, Beamtenrecht in Bayern, Stand: August 2016, § 23 BeamtStG, Rn. 136.

Die Argumentation des Antragstellers, dass lediglich ein Verstoß gegen die Erlasslage bestehe, wonach alle Bedienstete während des Dienstes nicht unter dem Einfluss von Cannabis stehen dürften und wegen der Teillegalisierung von Cannabis eine rechtswidrige Beschneidung seiner Freiheitsrechte erfolge, geht fehl. In dem Erlass des Ministeriums des Innern des Landes Nordrhein-Westfalen vom 28. März 2024 zum Inkrafttreten des Cannabisgesetzes zum 1. April 2024 stellt das Land NRW klar, dass es allen Bediensteten und Beschäftigten, insbesondere Waffenträgern, untersagt sei, während des Dienstes unter dem Einfluss berauschender Mittel – beispielsweise den Konsum von Cannabis – zu stehen. Dieser Erlass stellt unter keinem Blickwinkel einen rechtswidrigen Eingriff in die Freiheitsrechte des Antragstellers dar, sondern setzt einen eindeutigen Dienstbezug voraus.

Entgegen dem Vorbringen des Antragstellers kam es auch nicht darauf an, dass sich Anzeichen eines Berauschtseins oder Ausfallerscheinungen zeigten. Denn die Auswirkungen eines Drogenkonsums können nicht abschließend abgeschätzt werden. Es ist in jedem Falle auszuschließen, dass ein Waffenträger unter Einfluss berauschender Mittel im Dienst agiert. Dass der Antragsteller keine Kenntnis davon gehabt habe, dass er weiterhin unter dem Einfluss von Cannabis befinde, liegt allein in seinem Verantwortungsbereich.“

StPO I: Entscheidungen zur Pflichtverteidigung, oder: Beiordnungsgrund, Haftentlassung und Rückwirkung

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Und heute dann ein „StPO-Tag“.

Den eröffne ich mit einigen Pflichtverteidigungsentscheidungen. Die habe ich dieses Mal in einem Posting zusammengefasst, weil es letztlich alles Fragen sind, zu denen ich schon häufig(er) hier Entscheidungen vorgestellt habe.

Zunächst zwei Entscheidungen zu den Gründen der Beiordnung, und zwar:

Zur Bestellung eines Pflichtverteidigers in einem Verfahren mit dem Vorwurf eines Verstoßes gegen § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BtMG, wenn dem ausländischen Beschuldigten mit dem derzeitigen Status der Duldung im Fall der Verurteilung ggf. die Ausweisung droht.

Zur Beiordnung eines Pflichtverteidigers, wenn dem Beschuldigten drei Fälle der Leistungserschleichung vorgeworfen werden und im Fall der Verurteilung  eine Gesamtfreiheitsstrafe zu bilden ist.

Beides nichts Besonderes, aber kann man zur „Abrundung“ vielleicht mal ganz gut gebrauchen.

Und dann ein Beschluss zur der ebenfalls schon häufiger behandelten Frage der Aufhebung der Pflichtverteidigerbestellung, wenn der (zunächst) inhaftierte Beschulidgte rechtzeitig vor dem Hauptverhandlungstermin entlassen wird, und zwar:

Die Bestellung des Pflichtverteidigers wegen Inhaftierung des Beschuldigten fällt nicht automatisch weg, wenn der Angeklagte mindestens zwei Wochen vor der  Hauptverhandlung aus der Verwahrung entlassen wird und die Verteidigung nicht aus einem anderen Grund notwendig ist. Das Gericht muss vielmehr stets prüfen, ob die Beiordnung des Verteidigers aufrechtzuerhalten ist, weil die auf der Freiheitsentziehung beruhende Behinderung trotz der Freilassung nachwirken kann.

Und dann noch etwas zum Dauerbrenner: Rückwirkung.

    1. Unter besonderen Umständen ist eine Ausnahme vom Grundsatz der Unzulässigkeit einer nachträglichen Beiordnung zu machen. Voraussetzung hierfür ist, dass der Antrag auf Beiordnung rechtzeitig vor Abschluss des Verfahrens gestellt wurde, die Voraussetzungen für eine Beiordnung gemäß § 140 StPO im Zeitpunkt der Antragstellung vorlagen und der Antrag auf Beiordnung als Pflichtverteidiger in verfahrensfehlerhafter Weise behandelt wurde.
    2. Unverzüglich im Sinn von § 141 Abs. 1 S. 1 StPO bedeutet zwar nicht, dass die Pflichtverteidigerbestellung sofort zu erfolgen hat; vielmehr ist der Staatsanwaltschaft eine gewisse Überlegungsfrist zuzugestehen. Bei einem Zeitablauf von zehn Wochen zwischen der Stellung des Antrages auf Beiordnung eines Pflichtverteidigers und der Einstellung des Verfahrens verstößt die Staatsanwaltschaft allerdings gegen ihre Pflicht zur Herbeiführung einer unverzüglichen Entscheidung.
    3. § 141 Abs. 2 Satz 3 StPO, bezieht sich ausdrücklich nur auf die in § 141 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und 3 bezeichneten Fälle, nicht aber auf Abs. 1 der Vorschrift.

Und dann habe ich zur Rückwirkung noch zwei AG-Entscheidung: Und zwar einmal AG Verden (Aller), Beschl. v. 11.03.2024 – 9a Gs 2875 Js 43559/23 (874/24), wonach die rückwirkende Bestellung zulässig ist, was zutreffend ist. Anders sieht es dann das AG Frankfurt, Beschl. v. 19.2.2024 – 4831 Ls 204532/24 – 931 Gs -, was m.E. nicht zutreffend ist. Das AG meint außerdem, die Beiordnung komme auch deshlab nicht in Betracht, weil die Verteidigerin das Wahlmandat nicht niedergelegt habe. Ich empfehle dazu, dass das AG mal in einem gängigen StPO-Kommentar nachschauen sollte, wo es dann – vielleicht überrascht – feststellt, dass das nach überwiegender Meinung nicht erforderlich ist für die Bestellung. Warum tun AG das eigentlich nicht sofort?

Unterbringung II: Entlassung aus der Unterbringung, oder: Anhörung in Form der Videokonferenz zulässig?

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Bei der zweiten Entscheidung, die ich heute vorstelle, handelt es sich um den OLG Bremen, Beschl. v. 26.04.2022 – 1 Ws 32/22. Das OLG hat Stellung genommen zur Zulässigkeit der Anhörung eines Verurteilten im Wege der Bild- und Tonübertragung nach § 463e Abs. 1 Satz 3 StPO bei Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus

Der Verurteilte ist nach § 63 StGB untergebracht. Im Verfahren wurde ein Sachverständigengutachten eingeholt. Der Sachverständige sah eine Vollzugsaussetzung zum derzeitigen Zeitpunkt als verfrüht an. Der Untergebrachte wurde daraufhin zunächst am 26.10.2021 durch die StVK  angehört; der Sachverständige, auf dessen Anhörung der Untergebrachte nicht verzichtet hatte, wurde zu dem Anhörungstermin per Videokonferenz hinzugeschaltet. Es wurde eine ergänzende schriftliche Stellungnahme eingeholt. Am 14.02.2022 wurde der Untergebrachte per Videokonferenz unter Teilnahme seiner Verfahrensbevollmächtigten und des Sachverständigen erneut angehört. Nach dem Protokollvermerk zur Anhörung erklärten sich alle Beteiligten mit deren Durchführung im Wege der Videokonferenz einverstanden. Die Entlassung wurde dann abgelehnt.

Dagegen die sofortige Beschwerde des Untergebrachten, die Erfolg hatte:

„Mit dem angefochtenen Beschluss vom 15.02.2022 hat die Strafkammer 70 des Landgerichts Bremen als Große Strafvollstreckungskammer im Rahmen der nach § 67e Abs. 1 und 2 StGB gebotenen periodischen Überprüfung während der Vollstreckung einer Unterbringung deren Fortdauer angeordnet und damit zugleich eine Aussetzung der Unterbringung zur Bewährung nach § 67d Abs. 2 S. 1 StGB wie auch deren Erledigterklärung nach § 67d Abs. 6 S. 1 StGB abgelehnt. Der angefochtene Beschluss des Landgerichts war aufzuheben, da die Entscheidung der Großen Strafvollstreckungskammer an dem Verfahrensfehler einer nicht ordnungsgemäß erfolgten mündlichen Anhörung des Betroffenen leidet, da die mündliche Anhörung nicht in persönlicher Anwesenheit der Beteiligten durchgeführt wurde, sondern im Wege einer Videokonferenz. Dies ist nach der seit dem 01.07.2021 geltenden Neuregelung des § 463e StPO im Fall der Anordnung einer Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus grundsätzlich ausgeschlossen und auch nicht bei Vorliegen einer Zustimmung des Untergebrachten zulässig (siehe unter 2.) und es ist vorliegend kein Grund ersichtlich, wonach ausnahmsweise von der demnach erforderlichen Durchführung der mündlichen Anhörung in persönlicher Anwesenheit der Beteiligten abgesehen werden durfte (siehe unter 3.).“

Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung verweise ich dann auf den verlinkten Volltext. Hier nur noch die Leitsätze der Entscheidung:

    1. In Fällen der Anordnung einer Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus ist mit der Neuregelung des § 463e Abs. 1 S. 3 StPO seit dem 1. Juli 2021 die Durchführung einer mündlichen Anhörung im Wege einer Videokonferenz grundsätzlich ausgeschlossen.
    2. Der Ausschluss der Durchführung einer mündlichen Anhörung im Wege einer Videokonferenz nach § 463e Abs. 1 S. 3 StPO gilt auch dann, wenn der Untergebrachte dieser Form der Anhörung zugestimmt hat.
    3. Die Durchführung einer mündlichen Anhörung im Wege einer Videokonferenz kann ungeachtet des § 463e Abs. 1 S. 3 StPO auch in den dort geregelten Fällen im Interesse bestmöglicher Sachaufklärung ausnahmsweise dann zulässig bleiben, wenn eine Anhörung in persönlicher Anwesenheit des Untergebrachten nicht erfolgen kann, stattdessen aber zumindest eine Anhörung unter Einsatz von Videokonferenztechnik möglich ist. Eine solche Ausnahme kann aber nicht bereits mit Erwägungen des Infektionsschutzes in Pandemiezeiten, mit der Vermeidung von Flucht- und sonstigen Sicherheitsrisiken für den Fall einer persönlichen Anhörung oder mit dem Ziel einer effizienteren Verfahrensgestaltung begründet werden.
    4. Die Neuregelung des § 463e StPO ändert nichts daran, dass weiterhin in Ausnahmefällen auch bei Entscheidungen über die Fortdauer einer Unterbringung in einer psychiatrischen Klinik eine Anhörung durch den beauftragten Richter zulässig sein kann.

Zu lauter Sex im Whirlpool auf dem Balkon, oder: Dann fliegt der Polizeianwärter

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Über den OVG Bremen, Beschl. v. 13.07.2018 – 2 B 174/18 – ist ja schon an mehreren Stellen berichtet worden. Ich komme auf ihn dann heute im „Kessel Buntes“ noch einmal zurück, nachdem nun der Volltext vorliegt.

Es geht um einen Polizeianwärter, der aus dem Beamtenverhältnis auf Widerruf wegen charakterlicher Ungeeignetheit entlassen werden soll. Grundlage sind folgendes Geschehnisse:

Im Zeitraum vom 16.10.2017 bis zum 11.02.2018 ist es zu insgesamt sechs Polizeieinsätzen bei dem Antragsteller gekommen, weil Nachbarn von dem Antragsteller ausgehende Ruhestörungen gemeldet hatten. Bei dem ersten Einsatz am 16.10.2017 beschwerten sich zwei Nachbarn darüber, dass es seit zwei Tagen mehrmals zu lautstarken sexuellen Handlungen in einem Whirlpool, den der Antragsteller auf seinen Balkon aufgestellt hatte, gekommen sei; letztmalig zur Mittagszeit. Laut polizeilichem Einsatzbericht ist der Balkon von dem daran vorbeiführenden Fußweg einsehbar. Der über dem Antragsteller wohnende Nachbar erstattete am 23.10.2017 wegen der Erregung öffentlichen Ärgernisses Anzeige, weil der Antragsteller nach seiner Aussage am 14.10.2017 (ebenfalls zur Mittagszeit) deutlich wahrnehmbaren Geschlechtsverkehr im Whirlpool hatte. Am 18.10.2017 kam es zu einem weiteren Einsatz bei dem Antragsteller, weil Nachbarn wiederum angezeigt hatten, dass dieser lauten Geschlechtsverkehr im Whirlpool habe. Am 29.11.2017 sowie zweimal am 30.11.2017 wurden von dem Antragsteller ausgehende Ruhestörungen, wie bspw. lautes Rumschreien in der Wohnung, polizeilich gemeldet. Am 11.02.2018 zeigten Nachbarn eine Sachbeschädigung an, die sie dem Antragsteller zurechneten. Dies führte jeweils zu einem Polizeieinsatz. Am 05.12.2017 wurde zudem angezeigt, dass der Antragsteller am Vorabend zusammen mit seiner Freundin und einem Freund mit einer Softairwaffe auf seiner Terrasse herumgeschossen habe.

Das reicht dem OVG für eine Entlassung wegen charakterlicher Ungeeignetheit:

Die Antragsgegnerin durfte aus diesen Vorkommnissen und dem Verhalten des Antragstellers im Zusammenhang mit den Polizeieinsätzen auf seine charakterliche Ungeeignetheit schließen. Nachdem die Polizeibeamten ihm beim Einsatz am 16.10.2017 den Inhalt der Beschwerde der Nachbarn mitgeteilt hatten und er gebeten worden war, sexuelle Handlungen auf dem Balkon zu unterlassen, entgegnete der Antragsteller mit der Frage, ob auch die Polizeibeamten sexuelle Handlungen festgestellt hätten sowie der Bemerkung, er könne auf seinem Balkon tun und lassen, was er wolle. Dieses Verhalten des Antragstellers konnte als uneinsichtig eingeschätzt werden. Obwohl der Vorfall am 16.10.2017 zum Gegenstand eines Mitarbeitergesprächs (20.10.2017) mit dem Antragsteller gemacht worden war, in dem dieser auf seine außerdienstliche Wohlverhaltenspflicht hingewiesen wurde, und es am 29.11.2017 und 30.11.2017 zu insgesamt drei Polizeieinsätzen beim Antragsteller gekommen war, hat dieser am 04.12.2017 (Anzeige vom 05.12.2017) eine echt wirkende Softairwaffe auf seiner Terrasse benutzt und damit auf einen Windfang oder eine davor stehende Zielscheibe geschossen. Dies hat der Antragsteller eingeräumt. Auch wenn es sich um die Benutzung einer zugelassenen und handelsüblichen Softairwaffe handelte, musste dem Antragsteller in seiner besonderen Situation bewusst sein, dass die Nutzung der Softairwaffe einen weiteren negativen Eindruck hinterlassen konnte und geeignet war, aufgrund von Fehleinschätzungen seines Umfeldes einen Polizeieinsatz auszulösen. Es ist auch nicht zu beanstanden, dass die Antragsgegnerin berücksichtigt hat, dass bei dem Polizeieinsatz am 11.02.2018 auf dem Balkon des über dem Antragsteller wohnenden Nachbarn mehrere Plastikkugeln gefunden wurden, die identisch waren mit Munitionskugeln, die in größerer Anzahl auf dem Fußboden in der Wohnung des Antragstellers lagen, und zudem die Softairwaffe griffbereit in der Wohnung des Antragstellers lag. Der Antragsteller hatte somit trotz des schwelenden Nachbarschaftskonflikts und des Mitarbeitergespräches am 20.10.2017, in dem ihm die Probleme der Benutzung der Softairwaffe deutlich vor Augen geführt worden waren, nicht alles unternommen, um jeglichen Verdacht einer weiteren Benutzung der Softairwaffe auszuschließen. Vielmehr legen die polizeilichen Ermittlungen eine weitere Benutzung der Waffe nahe. Des Weiteren hatte sich der Antragsteller beim Einsatz am 11.02.2018 nach Einschätzung der handelnden Polizeibeamten in einem derartigen psychischen Zustand befunden, der ihnen Anlass gab, den Antragsteller beim sozialpsychiatrischen Dienst vorzustellen. In dem Polizeibericht wird geschildert, dass der Antragsteller während des gesamten Einsatzes einen emotional instabilen Eindruck gemacht habe und immer wieder ins Weinen verfallen sei.“

Haftentlassung – keine automatische Entlassung des „Pflichti“

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Etwas vorschnell hatte nach Auffassung des LG Magdeburg im LG Magdeburg, Beschl. v. 13.06.2016 – 25 Qs 34/16 – den nach § 140 Abs. 1 Nr. 5 StPO bestellten Pflichtverteidiger entpflichtet. Das AG hatte ihn beigeordnet, weil sich der Angeschuldigte länger als drei Monate in Haft befand bzw. voraussichtlich bis zur Hauptverhandlung befinden werde.  Dem AG wurde dann mitgetielt, dass der Angeschuldigte aus der Haft entlassen worden sei; es hob die Beiordnung des Pflichtverteidigers auf. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die Voraussetzungen des § 140 Abs. 2 StPO nicht vorlägen und weder die Schwere der Tat noch die Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage die Beiordnung eines Verteidigers geboten erscheinen ließen. Ferner seien auch die Voraussetzungen des § 140 Abs. 1 StPO nicht gegeben, da der Angeschuldigte aus der Haft entlassen worden sei. Dagegen die Beschwerde, die Erfolg hatte:

„Gemäß § 140 Abs. 1 Nr. 5 StPO ist die Mitwirkung eines Verteidigers notwendig, wenn der Beschuldigte (Angeschuldigte) sich mindestens drei Monate aufgrund richterlicher Anordnung oder mit richterlicher Genehmigung in einer Anstalt befunden hat und nicht mindestens zwei Wochen vor Beginn der Hauptverhandlung entlassen wird. Daraus folgt, dass die Bestellung nicht per Gesetz automatisch in Wegfall gerät, wenn der Beschuldigte (Angeschuldigte) mindestens zwei Wochen vor der Hauptverhandlung aus der Verwahrung entlassen wird und die Verteidigung nicht aus einem anderen Grund notwendig Ist. Das Gericht muss dabei stets prüfen, ob die Beiordnung des Verteidigers aufrechtzuerhalten ist, weil die auf der Freiheitsentziehung beruhende Behinderung trotz der Freilassung nachwirkt, was in der Regel der Fall sein wird (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Aufl., § 140 Rn. 36). Ferner muss die Aufhebung der Bestellung durch eine mit Gründen zu versehene Entscheidung getroffen werden (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O.). Zwar hat das Amtsgericht den angefochtenen Beschluss vom 3. Mai 2016 mit Gründen versehen, jedoch erschöpfen sich diese in formelhaften Ausführungen. Die Entscheidung lässt nicht erkennen, dass sich das Amtsgericht seines Ermessensspielraumes bewusst gewesen ist und setzt sich nicht mit der Frage auseinander, ob die auf der vorangegangenen Freiheitsentziehung beruhende Behinderung trotz der Freilassung des Angeschuldigten nachwirkt. Vielmehr lässt die Entscheidung erkennen, dass das Amtsgericht von einem bloßen Automatismus hinsichtlich der Aufhebung der Beiordnung ausgegangen ist, wenn der Angeschuldigte sich innerhalb des von § 140 Abs. 1 Nr. 5 StPO gesetzten Zeitraumes nicht mehr in Haft befindet. Daher wird das Amtsgericht Magdeburg erneut über die Aufhebung der zuvor erfolgten Beiordnung von Rechtsanwalt Funck als notwendigen Verteidiger zu entscheiden haben.“

Der vom LG festgestellte Fehler ist häufig….es gibt eben an der Stelle keinen Automatismus….