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Nicht nur Verteidiger machen Fehler – Hier ein „Klassiker“Fehler eines LG: Die Abwesenheit des Angeklagten…..

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Nach dem gestrigen „Verteidigerfehler“ (vgl. hier: Und wieder “Verteidigerfehler” Verfahrensrüge – was ist daran denn so schwer?) ist heute über den Fehler einer Strafkammer des LG Konstanz zu berichten. In meinen Augen ein „Klassiker“, da schon der Große Senat für Strafsachen mit der Frage befasst war (vgl. vgl. BGH, Großer Senat für Strafsachen, Beschluss vom 21. April 2010 – GSSt 1/09, BGHSt 55, 87, 92). Von daher – ich will es moderat formulieren, bin also nicht „fassungslos“: Sollte man wissen (und selbst die Formulierung wird mir wahrscheinlich den ein oder anderen böseren Kommentar einbringen).

Was ist passiert?  Das LG hat den Angeklagten u.a. wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern verurteilt. Während der Vernehmung einer der Geschädigten wird der Angeklagte gem. § 247 Abs. 1 StPO aus der Hauptverhandlung entfernt. Er nimmt an ihr auch nicht wieder teil, als nach der Vernehmung der Zeugin über deren Entlassung verhandelt wird. Und das war es dann. Das ist ein Verstoß gegen § 338 Nr. 5 StPO. Dazu der BGH, Beschl. v. 10.04.2013 – 1 StR 11/13 kurz und zackig, da eben „Klassiker“:

„1. Mit Recht rügt die Verteidigung die Verletzung des § 338 Nr. 5 StPO, weil der Angeklagte bei der Entscheidung über die Entlassung der Zeugin B. , der Geschädigten im Fall 1 der Urteilsgründe, nicht im Sitzungssaal anwesend war. Zwar hatte das Landgericht gemäß § 247 Satz 1 StPO angeordnet, dass sich der Angeklagte für die Dauer der Vernehmung aus dem Sitzungssaal zu entfernen hat. Die Entscheidung über die Entlassung der Zeugin war indes nicht mehr Teil der Vernehmung, sondern bildete einen eigenständigen wesentlichen Bestandteil der Hauptverhandlung (vgl. BGH, Großer Senat für Strafsachen, Beschluss vom 21. April 2010 – GSSt 1/09, BGHSt 55, 87, 92), während dessen der Angeklagte nicht im Sitzungssaal anwesend war. Besondere Umstände, etwa eine Bild-Ton-Übertragung in einen Nebenraum mit Gegensprechanlage, die dem Angeklagten während seiner Abwesenheit vom Sitzungssaal ermöglicht hätten, entweder seine Zustimmung zur Entlassung der Zeugin zu erklären oder sein Fragerecht weiter auszuüben (vgl. dazu BGH, Urteil vom 9. Februar 2011 – 5 StR 387/10, NStZ 2011, 534), lagen hier nicht vor. Auch ist der Fehler, der vom Landgericht unbemerkt blieb, nicht im Laufe des weiteren Verfahrens geheilt worden (vgl. zur Möglichkeit einer Heilung BGH, Großer Senat für Strafsachen aaO S. 94).“

Und retten kann (selbst) der 1. Strafsenat des BGH über die Beruhensfrage nichts mehr:

„Zwar darf auch bei einem absoluten Revisionsgrund von einer Urteilsaufhebung abgesehen werden, wenn und soweit ausnahmsweise das Be-ruhen des Urteils denkgesetzlich ausgeschlossen ist (vgl. hierzu Meyer-Goßner, StPO, 55. Aufl., § 338 Rn. 2 mit Nachweisen aus der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs). Dies ist hier jedoch nicht der Fall. Das Landgericht hat die Zeuginnen B. und C. zwar zu unterschiedlichen Tatvorwürfen vernommen; diese Vorwürfe konnten jedoch nicht völlig isoliert voneinander beurteilt werden. Das zeigt sich hier bereits darin, dass das Landgericht bei der Würdigung der Glaubhaftigkeit der Angaben beider Zeuginnen ausdrücklich in den Blick genommen hat, dass deren Aussagen bemerkenswerte Ähnlichkeiten hinsichtlich des Verhaltens des Angeklagten aufwiesen, obwohl sich die Zeuginnen nicht absprechen konnten (UA S.10).“

Das Verfahren nach § 247 StPO ist für die Tatgerichte nicht ungefährlich. Da muss/sollte man sich aber schon auskennen.

 

Entlassung des Zeugen – nur in Anwesenheit des Angeklagten

§ 247 StPO, der die Entfernung des Angeklagten während der Vernehmung von Zeugen regelt, ist eine für die Gerichte „gefahrenträchtige“ Vorschrift, bei der es häufig zu Fehlern kommt. Das zeigen die große Zahl von Revisionen, die auf einen Verstoß gegen § 247 StPO – in der Revision ist dann der § 338 Nr. 5 StPO zu rügen – gestützt werden und die auch Erfolg haben.

So gerade wieder durch den BGH- Urt. v. 01.12.2012 – 3 StR 318/11. Entschieden worden war über die Entlassung einer Zeugin in Abwesenheit des Angeklagten. Dazu der 3. Strafsenat:

Nach der durch den Großen Senat für Strafsachen (BGH, Beschluss vom 21. April 2010 – GSSt 1/09, BGHSt 55, 87) bestätigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. nur BGH, Beschluss vom 26. September 2006 – 4 StR 353/06, NStZ 2007, 352, 353) gehört die Verhandlung über die Entlassung eines in Abwesenheit des Angeklagten vernommenen Zeugen nicht mehr zu seiner Vernehmung im Sinne des § 247 StPO, sondern bildet einen selbständigen Verfahrensabschnitt und regelmäßig einen „wesentlichen Teil“ der Hauptverhandlung. Der Angeklagte, dessen Entfernung aus dem Sitzungssaal für die Dauer der Vernehmung der Zeugin K. angeordnet war, musste daher zur Verhandlung über die Entlassung der Zeugin wieder zugelassen werden. Dies ist hier ausweislich der Sitzungsniederschrift nicht geschehen. Zwar wurde der Angeklagte zuvor in Abwesenheit der Zeugin über den wesentlichen Inhalt von deren Aussage unterrichtet. Dass er im Rahmen der Unterrichtung auf Fragen an die Zeugin verzichtet und sich mit ihrer Entlassung einverstanden erklärt hat, ist indes nicht ersichtlich. Der Angeklagte wurde nach dem unwidersprochenen Sachvortrag der Revision vielmehr weder gefragt, ob er noch Fragen an die Zeugin stellen wolle, noch hat er von sich aus erklärt, keine Fragen mehr stellen zu wollen (dazu BGH, Großer Senat, aaO.; Urteil vom 8. April 1998 – 3 StR 463/97 – und Beschluss vom 19. August 1998 – 3 StR 290/98, BGHR StPO § 247 Abwesenheit 18, 19; Beschluss vom 30. März 2000 – 4 StR 80/00, NStZ 2000, 440). Im Anschluss daran wurde der Angeklagte wieder aus dem Sitzungssaal entfernt. Der im Protokoll enthaltene Vermerk, die Entlassung der Zeugin sei „im allseitigen Einverständnis“ geschehen, kann deshalb das Einverständnis des (abwesenden) Angeklagten nicht belegen. Das Beruhen des Urteils auf dem Verfahrensmangel wird gemäß § 338 Nr. 5 StPO gesetzlich vermutet. Dass sich der Verfahrensverstoß vorliegend ausnahmsweise denkgesetzlich im Urteil nicht ausgewirkt haben könnte (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Mai 2006 – 4 StR 131/06, NStZ 2006, 713), ist nicht zu erkennen.“

Entlassung des Zeugen – im PUA/Strafverfahren (?)

Ein Leser hat mich vor einiger Zeit auf das Urteil des Staatsgerichtshofes des Landes Hessen vom 16.11.2011 – P.St. 2323 aufmerksam gemacht. Schwere, weil lange Kost, sind nämlich 61 Seiten. Für den Strafrechtler interessant dürften die Ausführungen des Staatsgerichtshofes auf den S. 48 ff. sein, zur Frage der Entlassung von Zeugen. Die sind – im parlamentarischen Untersuchungsausschuss (PUA) – erst dann endgültig entlassen, wenn dies förmlich beschlossen worden ist. Unterbleibt ein solcher Beschluss, endet die Vernehmung erst mit dem Beschluss über den Abschlussbericht, spätestens mit dem Ende des Untersuchungsverfahrens. Fraglich ist natürlich, ob man das auf § 248 StPO und das Strafverfahren übertragen kann.

Für mich war der Beschluss dann noch aus einem anderen Grund „interessant“ – ein wenig eitel sind wir ja alle: Auf Seite 51 wird „Burhoff, Handbuch für die strafrechtliche Hauptverhandlung, 6. Aufl. 2010″ zitiert. Das freut den Autor dann doch :-).

Halbstrafe – an sich eine Ringeltaube – oder?

Nach § 57 Abs. 2 StPO StGB kann unter bestimmten Voraussetzungen eine Freiheitsstrafe bereits nach Verbüßung der Hälfte zur Bewährung ausgesetzt werden. Ein für die Verurteilten, wenn denn die sog. „Halbstrafe“ überhaupt in Betracht kommt, wichtiger Zeitpunkt. Die Praxis tut sich mit der Halbstrafe schwer, wobei man natürlich nicht verkennen darf, dass es häufig schwierig ist, die nach Abs. 2 Nr. 2 erforderlichen besonderen Umstände zu bejahen, die ja zusätzlich zur günstigen Sozialprognose (Abs. 1) vorliegen müssen.

Von daher ist OLG Düsseldorf, Beschl. v. 16.06.2011 -III -1 Ws 178/11 berichtenswert. Das OLG stellt die günstige Sozialprognose fest und bejaht besondere Umstände in einem von der Fallkonstelalation m.E. gar nicht so seltenen Fall. Der Beschluss bietet also Argumentationshilfe.

5. Strafsenat des BGH versus 4. Strafsenat des BGH: Automatische Entlassung konventionswidrig Untergebrachter aus der SV, ja oder nein?

Der BGH berichtet gerade in einer PM über einen Beschl. des 5. Strafsenats des BGH v. 09.11.2010 – 5 StR 394/10

Gegenstand des Beschlusses des BGH ist die Frage, ob Verurteilte, die wegen vor dem 31. Januar 1998 begangener Taten seit mehr als zehn Jahren erstmals in der Sicherungsverwahrung untergebracht sind, als Folge des Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 17. Dezember 2009 (M. gegen Deutschland – 19359/04) ohne weitere Sachprüfung zu entlassen sind.

Diese Frage verneint der 5. (Leipziger) Strafsenat des BGH. Er setzt sich damit in Widerspruch zu einem Beschluss des 4. Strafsenats des Bundesgerichtshofs vom 12. Mai 2010 (4 StR 577/09), der ein paralleles Problem bei der Anordnung nachträglicher Sicherungsverwahrung betrifft. Daher fragt er bei diesem Senat an, ob er an seiner entgegenstehenden Rechtsprechung festhält. Bei den anderen Strafsenaten fragt der 5. Strafsenat wegen grundsätzlicher Bedeutung an, ob sie seiner Rechtsauffassung zustimmen. Sollte die Anfrage keine Einigkeit unter den Strafsenaten ergeben, ist die Sache dem Großen Senat für Strafsachen des Bundesgerichtshofs zur Entscheidung vorzulegen.

Also: Auf zum Großen Senat für Strafsachen….