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beA II: Einspruch im OWi-Verfahren nur elektronisch?, oder: Ebenfalls „Nein“, sagt das OLG Karslruhe

folgenden Text dazu nutzen:
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Ich hatte vor einigen Tagen über den OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 28.02.2023 – 1 Ss-OWi 1460/22 – berichtet. Das ist/war die Entscheidung, in der das OLG klar gestellt hat, dass die Einlegung des Einspruchs gegen einen Bußgeldbescheid auch nach der Einführung der Pflicht zur elektronischen Übermittlung von Dokumenten nicht der Formvorschrift gemäß § 110c OWiG, § 32d Satz 2 StPO unterliegt. Die Frage war bis dahin ja obergerichtlich noch nicht entschieden.

Nun gibt es eine zweite OLG-Entscheidung zu der Frage, nämlich den OLG Karlsruhe, Beschl. v. 22.03.2023 – 2 ORbs 35 Ss 125/23. Das OLG Karlsruhe nimmt im Rahmen einer Rechtsbeschwerde – Stichwort: Wirksamkeit des Einspruchs – ebenfalls zu der Frage Stellung. Es löst sie wie das OLG Frankfurt am Main:

„1. Der Bußgeldbescheid des Landratsamts des X-Kreises vom 3.6.2022 ist nicht bestandskräftig geworden, weshalb das Amtsgericht nicht am Erlass des angefochtenen Urteils gehindert war.

a) Aus den Akten, die dem Senat bei der Prüfung von Verfahrenshindernissen uneingeschränkt zugänglich sind, ergibt sich dazu folgender Verfahrensablauf: Einen ersten am 19.4.2022 erlassenen und dem Betroffenen am 22.4.2022 zugestellten Bußgeldbescheid nahm die Bußgeldbehörde mit dem Erlass des Bußgeldbescheids vom 3.6.2022, der dem Betroffenen am 9.6.2022 zugestellt wurde, zurück. Der Betroffene legte gegen den Bescheid vom 3.6.2022 am 17.6.2022 Einspruch mittels Schriftsatz seines Verteidigers ein, der als Telefax eingereicht wurde.

b) In der Instanzrechtsprechung ist bisher unterschiedlich beurteilt worden, ob die Formvorschriften der §§ 110c Satz 1 OWiG, 32d Satz 2 StPO auch für die Einlegung des Einspruchs gegen einen Bußgeldbescheid gelten, bei der Einlegung durch Rechtsanwälte also nur die Einreichung als elektronisches Dokument zugelassen ist und ansonsten die Erklärung unwirksam ist. Dies ist vom Amtsgericht Hameln (Beschluss vom 14.2.2022 – 49 OWi 23/22 = NZV 2022, 333, ebenso Seitz/Bauer in Göhler, OWiG, 18. Aufl., § 67 Rn. 21a; Rebmann/Roth/Herrmann, OWiG, 3. Aufl./32. Lfg., § 110c Rn. 24; wohl auch KK-Graf, OWiG, 5. Aufl., § 110c Rn. 49, 53) verneint, vom Amtsgericht Tiergarten (Beschluss vom 5.4.2022 – 310 OWi 161/22 = StraFo 2022, 318; ebenso Stahnke in Gassner/Seith, OWiG, 2. Aufl., § 110c Rn. 25 unter Bezugnahme auf die in der 5. Aufl. von Krenberger/Krumm, OWiG, § 110c Rn. 13 vertretene Auffassung, wohingegen dort die Frage in der aktuellen 7. Aufl. offen gelassen wird; ebenso offenlassend BeckOK-OWiG/Valerius, 37. Ed., § 110c Rn. 1.1) hingegen unter Hinweis auf die Regelung in § 335 Abs. 2a HGB und die Entstehungsgeschichte bejaht worden. Obergerichtlich ist die Frage bislang – soweit ersichtlich – noch nicht entschieden worden.

c) Der Senat schließt sich der vom Amtsgericht Hameln vertretenen Auffassung an; die hiergegen in der Entscheidung des Amtsgerichts Tiergarten vorgebrachten Argumente vermögen nicht zu überzeugen. Soweit dabei an Materialien zum Gesetz zum Ausbau des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten und zur Änderung weiterer prozessrechtlicher Vorschriften (BT-Drs. 29/28399) angeknüpft wird, geht dies schon deshalb fehl, weil die Vorschriften des § 110c OWiG und § 32d StPO gar nicht Gegenstand dieses Gesetzes waren. In der Begründung zum Entwurf des Gesetzes zur Einführung der elektronischen Akte in Strafsachen und zur weiteren Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs, mit dem die genannten Vorschriften eingeführt wurden, heißt es hingegen zur maßgeblichen Bestimmung des § 32d StPO unmissverständlich: „Satz 2 sieht demgegenüber eine Rechtspflicht zur elektronischen Einreichung von Dokumenten nur für bestimmte Verfahrenserklärungen vor, die aufgrund der Besonderheiten des Strafverfahrens auf die hier abschließend aufgeführten Erklärungen beschränkt werden soll.“ (BR-Drs. 236/16 S. 49 f.) Mit dieser bewussten Entscheidung des Gesetzgebers für das Enumerationsprinzip ist es unvereinbar, die Rechtspflicht des § 32d Satz 2 StPO auf dort nicht genannte Rechtshandlungen bzw. über § 110c OWiG ihre Entsprechungen im Bußgeldverfahren auszudehnen. Da § 110c OWiG die entsprechende Anwendung von § 32d Satz 2 StPO anordnet, aber § 32d Satz 2 StPO die Rechtspflicht zur Einreichung als elektronisches Dokument nicht für eine dem Einspruch gegen den Bußgeldbescheid entsprechende Handlung im Strafverfahren vorschreibt, wird danach der Einspruch gegen den Bußgeldbescheid von diesen Vorschriften nicht erfasst.

d) Infolge der danach wirksamen rechtzeitigen Einlegung des Einspruchs ist der Bußgeldbescheid vom 3.6.2022 nicht in Bestandskraft erwachsen.“

Damit sollte die „Kuh vom Eis“ sein. Aber: Sicher ist sicher – also Einspruch ggf. doch als elektronisches Dokument.

 

OWi I: Einspruch im OWi-Verfahren nur elektronisch?, oder: Nein, sagt das OLG Frankfurt/Main

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Heute dann ein „OWi-Dienstag“, also drei Entscheidungen zum Bußgeldverfahren. alle drei Entscheidungen haben einen verfahrensrechtlichen Bezug.

Ich beginne mit dem OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 28.02.2023 – 1 Ss-OWi 1460/22. Das OLG nimmt , m.E. als erstes OLG, zu der Frage Stellung, ob beim Einspruch die Pflicht zur elektronischen Übermittlung besteht. Die Frage ist ja nicht ganz unstrittig (vgl. hier einerseits AG Hameln, Beschl. v. 14.02.2022 – 49 OWi 23/22, andererseits AG Tiergarten, Beschl. v. 05.04.2022 – 310 OWi 161/22).  Auch in der Literatur ist die Frage nicht eindeutig geklärt.

Nun hat sich das OLG Frankfurt am Main zu der Frage geäußert. Danach ist die elektronische Übermittlung nicht erforderlich:

„Die gemäß § 79 Abs. 1 Nr. 4 OWiG statthafte, form- und fristgerecht eingelegte Rechtsbeschwerde der Betroffenen ist zulässig. Sie hat auch in der Sache – zumindest vorläufig – Erfolg, weil die auf die zulässig erhobene Sachrüge im Freibeweis vorzunehmende Prüfung des Senats ergeben hat, dass das Amtsgericht den Einspruch zu Unrecht wegen Nichteinhaltung der Formvorschrift der § 110c OWiG, § 32d Satz 2 StPO als unzulässig erachtet und daher ohne Sachprüfung verworfen hat. Soweit ersichtlich, ist diese Frage obergerichtlich bislang noch nicht geklärt worden.

Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts hat die Betroffene mit dem an das Regierungspräsidium K. gerichteten Telefax ihres Verteidigers vom 27. Juni 2022 wirksam Einspruch gegen den Bußgeldbescheid vom 22. Juni 2022 eingelegt. Die Vorschrift des § 32d Satz 2 StPO, die im Bußgeldverfahren gemäß § 110c OWiG entsprechend gilt, findet auf die Einlegung des Einspruchs gegen den Bußgeldbescheid keine Anwendung. Ausweislich der Gesetzesmaterialien (BT-Drucksache 18/9416, S. 50, 51) sieht § 32d Satz 2 StPO eine Rechtspflicht zur elektronischen Einreichung von Dokumenten nur für bestimmte Verfahrenserklärungen vor, die aufgrund der Besonderheiten des Strafverfahrens auf die hier abschließend aufgeführten Erklärungen beschränkt werden soll. Da in den Gesetzesmaterialien zu § 110c OWiG auf diese Ausführungen verwiesen wird (BT-Drucksache 18/9416, S. 76), sind diese Grundsätze auch für die Anordnung der entsprechenden Anwendung von § 32d StPO im Bußgeldverfahren zugrunde zu legen. Im Hinblick darauf, dass das Bußgeldverfahren Berufung, Privatklage und Nebenklage nicht kennt, können die in § 32d StPO abschließend aufgeführten Verfahrenserklärungen nur für den Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde, die Einlegung der Rechtsbeschwerde, ihre Begründung und die Gegenerklärung gelten, für die gemäß §§ 79 Abs. 3, 80 Abs. 3 OWiG die Vorschriften der Strafprozessordnung und des Gerichtsverfassungsgesetzes über die Revision entsprechend gelten. Der Einspruch gegen den Bußgeldbescheid und die Einspruchsbegründung gehören demgegenüber der Sache nach weder vom Wortlaut noch von der systematischen Einordnung her zu den in § 32d Satz 2 StPO abschließend aufgeführten Verfahrenserklärungen; vielmehr handelt es sich um einen „Rechtsbehelf eigener Art“, der die Sache aus einem Verfahren bei der Verwaltungsbehörde in das gerichtliche Verfahren bringt (Seitz/Bauer in: Göhler, OWiG, 18. Auflage, Vor § 67 Rn. 1). Zudem ist die Begründung des Einspruchs – anders als bei der Rechtsbeschwerde – zur Vermeidung seiner Verwerfung nicht erforderlich. Vielmehr ist der Einspruch gegen den Bußgeldbescheid in systematischer Hinsicht eher mit dem Einspruch gegen einen Strafbefehl vergleichbar, der in § 32d Satz 2 StPO gerade keine Erwähnung findet. Dabei ist weiter zu bedenken, dass der Bußgeldbescheid von der Verwaltungsbehörde erlassen wird, den Strafbefehl aber ausschließlich das Gericht erlassen kann. Wenn man vor diesem Hintergrund in den Blick nimmt, dass § 32d Satz 2 StPO ausschließlich wesentliche Verfahrenshandlungen vor Gericht aufzählt und dabei den Einspruch gegen den (gerichtlichen) Strafbefehl auslässt, kann der Einspruch gegen den (verwaltungsbehördlichen) Bußgeldbescheid erst recht nicht unter diese Norm fallen (vgl.: van Endern in: Ory/Weth, jurisPK-ERV Band 4, 2. Aufl., § 110c OWiG Rn. 8.3; im Ergebnis zustimmend: BeckOK OWiG/Gertler, 37. Ed. 1.1.2023, OWiG § 67 Rn. 68; offen gelassen bei: Krenberger/Krumm, 7. Aufl. 2022, OWiG § 110c Rn. 13). Der Hinweis des Amtsgerichts auf die Ausnahmeregelung in § 335 Abs. 2a Satz 1 und Satz 2 Nr. 2 HGB geht in diesem Zusammenhang schon deshalb fehl, weil zunächst – wie vorstehend geschehen – im Wege der Auslegung zu ermitteln ist, in welchem Umfang die Ausnahmeregelung des § 32d Satz 2 StPO einer entsprechenden Anwendung im Bußgeldverfahren zugänglich ist.

Dies zugrunde legend ist die Einspruchseinlegung gegen einen Bußgeldbescheid auch nach der am 01. Januar 2022 erfolgten Einführung der Pflicht zur elektronischen Übermittlung von Dokumenten weiterhin per Telefax von dem Faxgerät des Betroffenen oder eines Rechtsanwalts – wie vorliegend – möglich und wirksam (Seitz/Bauer in: Göhler, OWiG, § 67 Rn. 21 mN).

Die Verwerfung des Einspruchs gegen den Bußgeldbescheid als unzulässig war demnach rechtsfehlerhaft und das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache an das Amtsgericht Groß-Gerau zurückzuverweisen. Für die Zurückverweisung an eine andere Abteilung des Amtsgerichts besteht kein Anlass.“

Aktive Nutzungspflicht gilt auch für „die Bayern“, oder: Sofortige Beschwerde als elektronisches Dokument

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Und dann als zweite Entscheidung der OLG Bamberg, Beschl. v. 14.11.2022 – 2 WF 148/22 – zur Frage der aktiven Nutzungspflicht gem. § 130d StPO für die Staatskasse.

Mit Beschluss vom 17.05.2022 hat das AG Aschaffenburg der Antragsgegnerin für ihr Ehescheidungsverfahren Verfahrenskostenhilfe ohne Anordnung einer Zahlungsverpflichtung bewilligt und ihr die Rechtsanwaltskanzlei pp. als Verfahrensbevollmächtigte beigeordnet. Der Beschluss ist am 18.05.2022 auf die Geschäftsstelle gelangt.

Hiergegen hat die Bezirksrevisorin bei dem LG Aschaffenburg mit Schriftsatz vom 30.05.2022 Beschwerde nach § 127 Abs. 3 ZPO eingelegt mit dem Ziel, einen Einmalbetrag in Höhe der auf die Partei entfallenden Verfahrenskosten anzuordnen, welchen die Antragsgegnerin aus der Verwertung ihres hälftigen Miteigentumsanteils am früheren Wohnhaus der Familie, dem Anwesen pp.-Straße in K., aufbringen solle. Die Beschwerdeschrift ist in Papierform zur Akte gelangt, indem die Bezirksrevisorin nach Einsichtnahme in das Verfahrenskostenhilfeheft dieses samt Beschwerdeschrift vom 30.05.2022 an das Amtsgericht zurückgeleitet hat.

Das AG hat nach Anhörung der Antragsgegnerin durch Beschluss vom 12.08.2022 der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen und das Verfahren dem OLG zur Entscheidung vorgelegt, wo es am 24.08.2022 eingegangen ist. Das OLG hat die sofortige Beschwerde als unzulässig verworfen und keine Wiedereinsetzung gewährt:

„Die sofortige Beschwerde der Staatskasse ist als unzulässig zu verwerfen, da innerhalb der Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde keine formgerechte Beschwerde eingegangen ist, §§ 113 Abs. 1 S. 2 FamFG, 127 Abs. 3, 569 Abs. 2, 130d S. 1 ZPO. Der Staatskasse kann auch keine Wiedereinsetzung in die versäumte Beschwerdeeinlegungsfrist eingeräumt werden, da die gesonderte Frist zur Einlegung einer sofortigen Beschwerde durch die Staatskasse aus § 127 Abs. 3 S. 4 und 5 ZPO von drei Monaten ab Übermittlung des angegriffenen Beschlusses an die Geschäftsstelle am 18.08.2022 abgelaufen ist und eine Wiedereinsetzung insoweit ausscheidet.

1. Auf die Frage, ob die Bezirksrevisorin als Behörde i.S.d. § 130d ZPO anzusehen ist, kommt es ebenso wenig an, wie auf ihre An- oder Eingliederung in die Justiz und ihre Dienststellung. Denn Beschwerdeführer ist der Freistaat Bayern, der von der Bezirksrevisorin vertreten wird. Maßgeblich ist daher auf den Freistaat Bayern abzustellen und nicht auf die Bezirksrevisorin.

Der Freistaat Bayern ist gemäß §§ 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG, 127 Abs. 3 ZPO als „Staatskasse“ beschwerdeberechtigt, wenn Verfahrenskostenhilfe bewilligt wird, ohne dass Monatsraten oder aus dem Vermögen zu zahlende Beträge festgesetzt worden sind. Dabei wird er nach § 5 Abs. 1 Nummer 7 lit. e der Verordnung über die gerichtliche Vertretung des Freistaates Bayern vom 26.10.2021 (Vertretungsverordnung – VertV) und Abschnitt A. 3. der Gemeinsamen Bekanntmachung zum Vollzug der Vertretungsverordnung (VollzBekVertV) durch den Bezirksrevisor vertreten. Der Bezirksrevisor ist insoweit innerorganisatorisch dem Freistaat Bayern zugeordnet und tritt als für diesen Handelnder auf.

Für den Freistaat Bayern als juristische Personen des öffentlichen Rechts gilt § 130d ZPO. Danach unterliegen u.a. juristische Personen des öffentlichen Rechts und Behörden seit 01.01.2022 für schriftlich einzureichende Erklärungen der aktiven Nutzungspflicht des elektronischen Rechtsverkehrs. Der dort geregelte aktive Nutzungszwang gilt also auch für schriftliche Verfahrenshandlungen der „Staatskasse“ wie die vorliegende sofortige Beschwerde.

Die Bezirksrevisorin als deren Vertreterin (Vertreterin des Freistaates Bayern) hätte die sofortige Beschwerde deshalb als elektronisches Dokument übermitteln müssen (vgl.- insofern zu § 4 JVEG – Landgericht Lübeck, Beschluss vom 28.09.2022, 7 T 341/22 – juris und die Entscheidung des Senats vom 04.11.2022, 2 WF 167/22). Verfahrenshandlungen, die unter Verstoß gegen den aktiven Nutzungszwang nicht als elektronisches Dokument eingereicht werden, sind unwirksam und führen bei einer Rechtsmittelschrift zur Unzulässigkeit des Rechtsmittels.

2. Der Staatskasse kann auch keine Wiedereinsetzung in die versäumte Beschwerdeeinlegungsfrist gewährt werden. Es kann dahinstehen, ob sich die Unkenntnis über die zwingende Einreichung einer sofortigen Beschwerde nach §§ 113 Abs. 1 FamFG, 127 Abs. 3 S. 3, 569 Abs. 2, 130d ZPO ab dem 01.01.2022 mangels bislang ergangener obergerichtlicher Rechtsprechung hierzu als unverschuldet darstellt. Denn mittlerweile ist die Ausschlussfrist zur Einlegung einer sofortigen Beschwerde nach § 127 Abs. 3 S. 4 und 5 ZPO von drei Monaten ab Übermittlung des angegriffenen Beschlusses an die Geschäftsstelle abgelaufen. Der Beschluss des Amtsgerichts Aschaffenburg vom 17.05.2022, mit welchem der Antragsgegnerin Verfahrenskostenhilfe bewilligt worden ist, ist nicht verkündet worden, sondern am 18.05.2022 auf die Geschäftsstelle gelangt. Die Ausschlussfrist des § 127 Abs. 3 S. 5 ZPO ist damit am 18.08.2022 abgelaufen. Erst am 24.08.2022 ist das Verfahren beim Oberlandesgericht eingegangen, so dass eine formgerechte Rechtsmitteleinlegung im Beschwerdeverfahren nicht mehr nachgeholt werden konnte.

In die abgelaufene Ausschlussfrist des § 127 Abs. 3 S. 4 und 5 ZPO kann hingegen keine Wiedereinsetzung gewährt werden. Zum einen steht der Zweck der Ausschlussfrist, die Bestandsschutz in die getroffene gerichtliche Bewilligungsentscheidung schaffen soll (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, 16.09.2016, OVG 5 M 36.15, Juris), einer Wiedereinsetzung entgegen. Zudem ist eine Wiedereinsetzung auf die ausdrücklich in § 233 ZPO bezeichneten Fristen beschränkt und die Frist aus § 127 Abs. 3 S. 4 und 5 ZPO ist dort nicht aufgenommen worden.

Die sofortige Beschwerde der Staatskasse ist damit als unzulässig zu verwerfen. Ausführungen zur Frage der Begründetheit des Rechtsmittels sind daher nicht veranlasst.“

Das elektronische Dokument in der Vollstreckung, oder: Qualifizierte elektronische Signatur erforderlich

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In die 6. KW. starte ich heute mal wieder mit einigen Entscheidungen zum elektronischen Dokument.

Hier zunächst zwei Entscheidungen des AG Düsseldorf, und zwar.

Vollstreckungsaufträge nach § 7 JBeitrG sind gem. § 130d ZPO elektronisch zu übermitteln und bedürfen einer qualifizierten elektronischen Signatur, um als Titelersatz fungieren zu können (Weiterführung von BGH, Beschl. v. 14.12.2014 – I ZB 27/14).

Eines grafischen oder elektronischen Siegels bedarf es zumindest dann nicht, wenn das der Signatur zugrunde liegende Zertifikat die Behörde erkennen lässt.

Vollstreckungsaufträge nach § 7 JBeitrG sind seit dem 1.1.2022 gem. §§ 130d, 130a ZPO elektronisch zu übermitteln. Sie stellen nur dann eine titelersetzende Vollstreckungsgrundlage dar, wenn sie mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortlichen Person oder in elektronisch beglaubigter Abschrift übermittelt werden (Fortschreibung BGH, Beschluss vom 18. Dezember 2014 – I ZB 27/14). Eine Übermittlung auf einem sicheren Übermittlungsweg mit nur einfacher Signatur, als Scan, oder die parallele Einreichung in konventioneller Form genügen nicht.

Rechtsmittel II: Einspruch gegen den Strafbefehl, oder: Das geht nicht durch einfache Email

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Die zweite Entscheidung hat einen Einspruch gegen einen Strafbefehl zum Gegenstand. Der ist dem Angeklagten am 20.08.2022 persönlich übergeben worden. Gegen den Strafbefehl wandte er sich dann mit E-Mail vom 08.09.2022 und begründete die Versäumung der Einspruchsfrist. Zugleich kündigte er an, den Einspruch am nächsten Tag zu Protokoll der Geschäftsstelle beim Amtsgericht Fürth nachzuholen. Das tat er dann nicht. Die Staatsanwaltschaft hat beantragt, das Schreiben vom 08.09.2022 als Einspruch zu behandeln und diesen wegen Verfristung als unzulässig zu verwerfen. Im Übrigen sei ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht ausreichend glaubhaft gemacht. Das AG hat den Einspruch als unzulässig, weil verfristet, verworfen.

Dagegen wendet sich der Angeklagte mit seinem Schreiben. Er macht geltend: Er habe die Einspruchsfrist verpasst, weil er vom 19.08.2020 – 07.09.2022 in Urlaub gewesen sei; er habe erst nach seiner Rückkehr den zugestellten Strafbefehl im Briefkasten vorgefunden.

Das LG Nürnberg-Fürth hat mit LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 09.11.2022 – 12 Qs 59/22 – die sofortige Beschwerde verworfen:

2. Allerdings ist sie unbegründet. Das Amtsgericht hat den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und den Einspruch zu Recht verworfen. Gemäß § 45 Abs. 1 Satz 1 StPO ist der Wiedereinsetzungsantrag binnen einer Woche nach Wegfall des Hindernisses zu stellen. Verlangt wird hierfür die Schriftform (Maul in KK-StPO, 8. Aufl., § 45 Rn. 2 m.N. zur a.A.; Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl., § 45 Rn. 2); für die versäumte Prozesshandlung bedarf es der für sie vorgeschriebenen Form. Wird die versäumte Handlung nicht in der für sie vorgeschriebenen Form nachgeholt, so ist auch der Antrag auf Wiedereinsetzung unzulässig (Maul, aaO., § 45 Rn. 9; Schmitt, aaO., § 45 Rn. 11). Beim Strafbefehl erfolgt die Einlegung des Einspruchs binnen zweier Wochen schriftlich oder zu Protokoll der Geschäftsstelle (§ 410 Abs. 1 Satz 1 StPO).

Die Schriftform ist hier in beiden Fällen – beim Wiedereinsetzungsantrag und beim Einspruch – nicht eingehalten. Zwar kann gegenüber Gerichten die Schriftform auch durch ein elektronisches Dokument gewahrt werden (§ 32a Abs. 1, 3 StPO). Der Wortlaut dieser Norm beschränkt auch den Personenkreis möglicher Absender nicht. Dementsprechend kann auch der Angeklagte elektronische Dokumente, zu denen E-Mails gehören, bei Gericht einreichen (Valerius in BeckOK StPO, 45. Ed. 01.10.2022, § 32a Rn. 4). Für deren Wirksamkeit ist es allerdings erforderlich, dass sie qualifiziert elektronisch signiert oder signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht werden. Eine gewöhnliche E-Mail genügt diesen Anforderungen nicht (BSG, Beschluss vom 13.05.2020 – B 13 R 35/20 B, juris Rn. 7 zu § 65a Abs. 1 SGG; BGH, Beschluss vom 12.05.2022 – 5 StR 398/21, juris Rn. 22, mit Verweis auf BT-Drs. 19/27654, S. 56).

So liegt der Fall auch hier. Die E-Mail vom 08.09.2022, mit der Einspruch gegen den Strafbefehl eingelegt und zugleich dessen nachträgliche Zulassung beantragt wurde, wurde von einem gewöhnlichen E-Mail-Konto versandt („…@web.de“). Abgesehen von der Namensangabe des Angeklagten in der E-Mail-Adresse und nach der Grußformel, lässt die E-Mail keine weitere Überprüfung der Urheberschaft zu. Sie trägt weder eine qualifizierte elektronische Signatur noch ist sie signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht worden. Wiedereinsetzungsantrag und Einspruch teilen daher das gleiche rechtliche Schicksal: Sie waren als unzulässig zu verwerfen, weshalb die Beschwerde unbegründet ist.“

Also Vorsicht an der Stelle, wobei: M.E. hätte das LG das Faß ggf. gar nicht aufmachen müssen. Denn ein Wiedereinsetzungsgrund war m.E. möglicherweise nicht gegeben, da der Angeklagte nach Zustellung des Strafbefehls offenbar erst mal in Urlaub gefahren ist. Allerdings ist eine Diskrepanz im Beschluss: Einerseits heißt es „persönlich übergeben“, andererseits „nach dem Urlaub im Briefkasten vorgefunden. Und: Der Angeklagte trägt vor, er sei ab 19.08. in Urlaub gewesen. Wie kann dann am 20.08. „persönlich übergeben werden“?