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StPO I: Anordnung einer Durchsuchung durch den BGH, oder: Behördenzeugnis reicht für Anfangsverdacht

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Heute dann noch einmal ein wenig StPO mit drei Entscheidungen.

Den Opener macht der BGH, Beschl. v. 05.10..2022 – StB 40/22 – der eine Frage in Zusammenhang mit der Anordnung einer Durchsuchung behandelt.

Der GBA führt gegen den Beschuldigten ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland („Islamischer Staat“), strafbar nach § 129a Abs. 1, § 129b Abs. 1 StGB. Auf seinen Antrag hat der Ermittlungsrichter des BGH die Durchsuchung der Person des Beschuldigten und von ihm genutzter Wohn- und Nebenräume sowie diejenige seines Kraftfahrzeugs nach näher beschriebenen Beweismitteln angeordnet. Letztere betreffen eine mögliche Beteiligung des Beschuldigten an der ausländischen terroristischen Vereinigung „Islamischer Staat“ (IS), insbesondere durch Teilnahme als Kommandant an den Kämpfen gegen die Freie Syrische Armee (FSA) und deren Verbündete in M. /Syrien zwischen März und Juni 2014.

Nach Vollzug der Durchsuchung hat der Beschuldigte gegen die Durchsuchungsbeschlüsse mit der Begründung Beschwerde eingelegt, er habe mit dem IS nichts zu tun. Der Ermittlungsrichter des BGH hat der Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache dem Senat zur Entscheidung vorgelegt. Das Rechtsmittel war unbegründet. Dazu führt der BGH u.a. aus:

„1. Es bestand ein auf konkreten Tatsachen beruhender Verdacht einer Straftat.

a) Für die Zulässigkeit einer regelmäßig in einem frühen Stadium der Ermittlungen in Betracht kommenden Durchsuchung genügt der über bloße Vermutungen hinausreichende, auf bestimmte tatsächliche Anhaltspunkte gestützte konkrete Verdacht, dass eine Straftat begangen worden ist und der Verdächtige als Täter oder Teilnehmer an dieser Tat in Betracht kommt. Eines hinreichenden oder gar dringenden Tatverdachts bedarf es – unbeschadet der Frage der Verhältnismäßigkeit – nicht (st. Rspr.; BVerfG, Beschluss vom 7. September 2006 – 2 BvR 1219/05, NJW 2007, 1443 Rn. 15; BGH, Beschlüsse vom 9. Februar 2021 – StB 9/20 u.a., juris Rn. 9 mwN; vom 5. Juni 2019 – StB 6/19, juris Rn. 7 mwN; vom 30. November 2021 – StB 37/21, juris Rn. 6; LR/Tsambikakis, StPO, 27. Aufl., § 103 Rn. 1). Ein solcher ausreichend konkreter Verdacht kann grundsätzlich auch durch ein Behördenzeugnis begründet werden (st. Rspr.; BGH, Beschlüsse vom 5. Juni 2019 – StB 6/19, juris Rn. 8; vom 6. Februar 2019 – 3 StR 280/18, NStZ 2019, 546 mwN; vom 28. Juni 2018 – StB 7/18 Rn. 6), zumal die Durchsuchung dazu dienen kann, die Qualität der Angaben zu überprüfen, und neben der Belastung zugleich zur Entlastung des Beschuldigten beizutragen vermag.

b) Nach diesen Maßstäben lagen zureichende Gründe für den Verdacht vor, der Beschuldigte habe sich im Jahr 2014 in Syrien dem IS angeschlossen und im selben Jahr als Kommandant am Kampf um M. gegen die FSA und andere Gruppierungen teilgenommen.

aa) Der Anfangsverdacht stützt sich vornehmlich auf ein Behördenzeugnis des Bundesamts für Verfassungsschutz vom 27. April 2021, demzufolge „aus nachrichtendienstlichem Aufkommen“ bekannt geworden sei, dass sich der Beschuldigte im Jahr 2014 dem IS angeschlossen habe und als Kommandant am Kampf um M. gegen die FSA beteiligt gewesen sei. Indizielle Bestätigung findet diese – für sich genommen eher pauschale – Mitteilung darin, dass ausweislich eines Gutachtens des Heidelberger Instituts für internationale Konfliktforschung aus dem Februar 2015 mit dem Titel „Der ‚Islamische Staat‘ in Syrien und im Irak“ tatsächlich zu dem genannten Zeitpunkt in dem genannten Gebiet Kampfhandlungen unter Beteiligung des IS und unter anderem der FSA stattgefunden haben sollen. Im Verlauf der Kämpfe sei es zudem zu Hinrichtungen zurückgebliebener verletzter Kämpfer der Gegenseite durch den IS gekommen.

bb) In rechtlicher Hinsicht ist die Tat, derer der Beschuldigte verdächtig ist, als mitgliedschaftliche Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland gemäß § 129a Abs. 1 Nr. 1 Alternative 2, § 129b Abs. 1 Satz 1 und 2 StGB zu beurteilen….. „

OWi III: Drei AG-Entscheidungen zu Messungen, oder: Provida2000, Rohmessdaten und „Saarland-Hammer“

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Und zum Tagesschluss habe ich dann noch drei AG-Entscheidungen zu Messverfahren, von denen ich allerdings nur die Leitsätze vorstelle. Das sind:

    1. Die mit dem Pro Vida 2000 Modular im Messmodus „MAN“ nachträglich durchgeführte Messung ist kein standardisiertes Messverfahren, so dass nähere Ausführungen zur Geschwindigkeitsfeststellung erforderlich sind (Anschluss an OLG Hamm, Beschluss vom 22.06.2017, 1 RBs 30/17).
    2. Wenn der Betroffene und der Verteidiger vor der Hauptverhandlung mit der Terminsladung einen rechtlichen Hinweis dahingehend erhalten, dass im Rahmen einer Geschwindigkeitsüberschreitung auch eine Verurteilung wegen Vorsatzes in Betracht kommt, kann in der Hauptverhandlung in Abwesenheit ohne weiteres eine Verurteilung wegen Vorsatzes erfolgen, wenn der Betroffene entschuldigt und der Verteidiger unentschuldigt fehlen.
    3. Die Annahme von Vorsatz ist bei einer Geschwindigkeitsüberschreitung auch auf einer dreispurigen Autobahn möglich. Das gilt jedenfalls dann, wenn die Beschilderung (120 km/h, Gefahrzeichen Bodenwellen und 80 km/h) mehrfach beidseitig wiederholt wird und eine Geschwindigkeitsüberschreitung von mehr als 40 % vorliegt (vorliegend 68%).

Mit den Leitsätzen zu 1 und 3 habe ich kein Problem. Zu Leitsatz 2 würde ich gerne mal etwas vom OLG Hamm hören, ich würde es wahrscheinlich lösen anders lösen als das AG. Aber der der derzeitige Tendenz in der Rechtsprechung: „Abbügeln“. bin ich mir über das Ergebnis beim OLG nicht so sicher.

    1. Werden dem Verteidiger vorliegende Rohmessdaten und die Bedienungsanleitung von der Verwaltungsbehörde auch noch im gerichtlichen Verfahren vorenthalten, so liegt eine Verletzung fairen Verfahrens vor.
    2. Durchsuchungen bei der Verwaltungsbehörde sind in einem solchen Fall unverhältnismäßig.
    3. Ein Verfahren, in dem es zu einer Verletzung fairen Verfahrens kommt, kann nach § 47 OWiG eingestellt werden.

Wer den Beschluss liest, wird sich sicherlich auch denken: Ein paar Worte mehr wären nicht schlecht gewesen. Und: Leitsatz 2 und 3 hätte ich getauscht, sonst gibt es m.E. keinen Sinn.

    1. Die in Bußgeldverfahren wegen Verkehrsordnungswidrigkeiten stark zunehmende Tendenz, Behörden und Gerichte zu „überfluten“ mit ausufernden Schriftsätzen und Anträgen (auf Beiziehung/Überlassung zahlreicher Daten und Unterlagen, weitere Beweiserhebungen, Aussetzung der Hauptverhandlung etc.), Widersprüchen zur Verwertung von Beweismitteln sowie Vorlage von sog. Sachverständigengutachten, um die Grund- und Menschenrechte von Fahrzeugführern/innen nach Grundgesetz, EU-Menschenrechtskonvention und UN-Charta vor staatlicher Willkür in Form von hinterhältigen und wegelagerischen Radarfallen zu “schützen“, dies selbst bei geringfügigen Geldbußen, steht in diametralem Kontrast zu Sinn und Zweck des standardisierten Messverfahrens nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs – gerade für den Bereich der massenhaft vorkommenden Verkehrsordnungswidrigkeiten mit vergleichsweise geringfügigen Sanktionen zum Zweck nachdrücklicher Pflichtenmahnung. Dieses seit Jahrzehnten bewährte Rechtsinstitut wird dadurch unterlaufen und ad absurdum geführt (sehr anschaulich: OLG Frankfurt, Beschl. v.14. Juni 2022 – 3 Ss-OWi 476/22).
    2. Solange der Gesetzgeber hier nicht ein – überfälliges – einheitliches Reglement zur Verfügung stellt, obliegt es den Gerichten, dieser Tendenz entgegenzuwirken und dem „dahinsiechenden“ standardisierten Messverfahren materiell-rechtlich wieder Leben einzuhauchen, um der Verantwortung für höchstmögliche Sicherheit im Straßenverkehr und damit Schutz von Leib und Leben aller Verkehrsteilnehmer gerecht zu werden.
    3. Wird von einem standardisierten Messverfahren ausgegangen, bedarf es der Hinzuziehung eines Beschilderungsplanes bzw. der verkehrsrechtlichen Anordnung nicht (OLG Zweibrücken, Beschl. v.5. Mai 2020 – 1 OWi 2 SsBs 94/19). Die Messörtlichkeit einschließlich der Beschilderung ist durch das Messprotokoll in der Akte ausreichend dokumentiert, so dass die Überlassung der verkehrsrechtlichen Anordnung nicht nötig ist. Verkehrszeichen stellen Verwaltungsakte in Form von Allgemeinverfügungen dar und sind nach §§ 43 III, 44 VwVfG nur unwirksam, wenn sie nichtig sind, ansonsten ist ein Verwaltungsakt zu befolgen, auch wenn er fehlerhaft ist (OLG Koblenz, Beschl. v.17. November 2020 – 1 OWi 6 SsRs 271/20).
    4. Für die Verwertbarkeit einer Messung trotz nicht gespeicherter/vorhandener Rohmessdaten spricht, dass nach Stellungnahmen und Beiträgen der PTB (zusammengefasst in der Fassung vom 4. November 2021, https://doi.org/10.7795/520/20211104) eine Messung an Hand von Rohmessdaten nicht aussagekräftig überprüft bzw. plausibilisiert werden kann. Nach den einleuchtenden Erläuterungen der PTB ist also nicht davon auszugehen, dass mit der Löschung/Nichtspeicherung von Rohmessdaten eine nachträgliche Überprüfung der Messung verhindert werden soll, wie es einige sog. Sachverständigenbüros suggerieren wollen. Es soll damit lediglich verhindert werden, dass der geeichte Messwert, gesetzliche Grundlage des Messwesens, mit ungeeigneten Mitteln in Frage gestellt wird.
    5. Für den Messwert einer konkreten Einzelmessung gibt es keinen Zusammenhang mit den Messergebnissen für Fahrzeuge, die in den Stunden davor oder danach erfasst wurden, so dass die Daten einer gesamten Messreihe – unabhängig davon, dass dieser Begriff nicht definiert und damit unbestimmt ist – ungeeignet sind zur Überprüfung der Einzelmessung (PTB, 30.03.2020, https://doi.org/10.7795/520.20200330).
    6. Bei Messungen mit dem Messgerät PoliScan besteht kein Anspruch auf Überlassung des sog. Token. Wird die Tuff-Datei mit der nötigen Software und dem dazugehörigen Token (auch public key, key oder Schlüssel genannt) geöffnet, ist ein grüner Haken sichtbar, mittels Token wird demnach die Integrität der Datei visualisiert. Diese Visualisierung kann als pdf-Datei abgespeichert und an die Verteidigung herausgegeben werden. Der Token ist mithin kein Medium zum Öffnen/Entschlüsseln einer Datei; er dient ausschließlich dazu, die Integrität der Messdaten zu visualisieren in Form des o.a. Häkchens.

Dazu nur Folgendes – mehr verbietet mir die BRAO 🙂 : Ich gehe davon aus, dass die Leitsätze vom AG stammen, denn m.E. würde sich Juris, wo ich die Entscheidung gefunden habe, nicht zu solchen Leitsätzen „versteigen“. Dann zeigen die Leitsätze aber deutlich, dass da offenbar jemand doch Probleme mit Verteidigern und Verteidigung in Bußgeldsachen hat. Und das, wenn ich mich recht erinnere, nicht zum ersten Mal. Denn der VerfGH Saarland hat sich ja vom AG St. Ingbert auch schon einen Rüffel abholen müssen. Im Übrigen: Was haben die Leitsätze mit der Entscheidung zu tun? Wo ist das „ausufernd“ verteidigt. Man, man. Wenn das die amtlichen Leitsätze sind, könnte man es ja mal mit einem Antrag nach § 24 ff. StPO versuchen. Ich bin ja kein Freund von Ablehnungen, aber wenn sich ein Amtsrichter – m.E. ohne Not – so weit „aus dem Fenster lehnt“…….

StPO II: Ermittlungsverfahren wird eingestellt, oder: Durchsuchung wegen „derselben Tat“ später zulässig?

Im zweiten Posting des Tages stelle ich dann den LG Karlsruhe, Beschl. v. 22.08.2022 – 16 Qs 53/22. Das LG nimmt auch Stellung zur Rechtmäßigkeit einer Durchsuchungsmaßnahme. Besonderheit: Die Wohnungsdurchsuchung wird trotz zuvor bereits eingestelltem Ermittlungsverfahren durchgeführt.

Grundlage des Verfahrens ist ein „Paarstreit“ nach einer Trennung. Der Geschädigte und die Beschuldigte lebten gemeinsam zuletzt in dem im Eigentum des Geschädigten stehenden Haus in R. Der Geschädigte durfte von August 2021 bis Januar 2022 das Haus nebst Grundstück wegen einer Gewaltschutzverfügung zu Gunsten der Beschuldigten nicht betreten. Die Beschuldigte lebte in dieser Zeit alleine im Haus des Geschädigten. Ende Januar 2022 konnte der Geschädigte sein Haus wieder beziehen. Die Beschuldigte wohnte zu diesem Zeitpunkt bereits in einer eigenen Wohnung.

Der Geschädigte behauptet dann u.a., die Beschuldigte habe während ihrer allein in seinem Haus verbrachten Zeit dort vorhandene Baumaterialien zerstört, verschiedene Gegenstände und Unterlagen mitgenommen sowie einen Tresor aufgebrochen. Er stellt am 01.02.2022 Strafantrag wegen Diebstahls und Sachbeschädigung durch die Beschuldigte. Die Staatsanwaltschaft stellt das durch Verfügung vom 03.03.2022 mangels hinreichendem Tatverdacht nach § 170 Abs. 2 Satz 1 StPO ein.

Am 04.03.2022 stellte der Geschädigte dann erneut Strafantrag gegen die Beschuldigte, der auf den Vorwurf der Unterschlagung gerichtet war. Mit Verfügung vom 19.04.2022 beantragte die Staatsanwaltschaft nun die Durchsuchung der Person, der Wohnung mit Nebenräume und der Fahrzeuge der Beschuldigten. Das AG ist dem Antrag nachgekommen.

Dagegen dann die Beschwerde der Beschuldigten, die keinen Erfolg hatte.

„Die aus § 102 StPO folgenden Voraussetzungen für die Durchsuchung der Person, der Wohnräume und der Kraftfahrzeuge der Beschuldigten zum Zwecke der Beweissicherung lagen im Zeitpunkt der Durchsuchung vor.

1. Ein nach § 102 StPO durch das Gericht erlassener Durchsuchungsbeschluss ist rechtmäßig, wenn ein Anfangsverdacht gegen die Person vorliegt, deren Wohnung oder Räumlichkeiten durchsucht wird, das Untersuchungsziel mittels der Durchsuchung vermutlich zu erreichen ist, der zuständige Richter die Durchsuchung im vorgesehenen Verfahren inhaltlich hinreichend bestimmt angeordnet hat und die Maßnahme insgesamt verhältnismäßig ist.

a) Gegen die Beschuldigte besteht der nach § 102 StPO erforderliche Verdachtsgrad als Täterin einer Unterschlagung gem. § 246 Abs. 1 StGB. Erforderlich und ausreichend sind dafür tatsächliche Anhaltspunkte, die über bloße Vermutungen hinausgehen und einen – einfachen – Tatverdacht einer verfolgbaren Straftat begründen, der weder hinreichend noch dringend sein muss (vgl. BGH v. 6.2.2019 – 3 StR 280/18; BGH v. 26.6.2019 – StB 10/19).

aa) Das durch den Geschädigten zumindest stringent geschilderte Tatgeschehen, die durch ihn vorgelegten Unterlagen zu den von ihm gehaltenen Kraftfahrzeugen und die vorgelegten Bilder nach dem Auszug der Beschuldigten ließen es als tatsächliche Anhaltspunkte mindestens möglich erscheinen, dass die Beschuldigte im Eigentum des Geschädigten befindliche Sachen wie dessen Fahrzeugschlüssel unterschlagen hat.

bb) Das in der Beschwerdeschrift angeführte angebliche Zurückbehaltungsrecht der Beschuldigten an den Gegenständen des Geschädigten erschüttert den Anfangsverdacht wegen Unterschlagung bereits deshalb nicht, da die Beschuldigte zur Ausübung eines Zurückbehaltungsrecht den Besitz der Gegenstände zuerst hätte überhaupt einräumen müssen. Es handelt sich bei einem Zurückbehaltungsrecht um eine Einrede, welche der Inhaber geltend machen muss (Grüneberg in Grüneberg, BGB, 81. Aufl. 2022, § 273 Rn. 19). Die Beschuldigte verwahrte sich jedoch in ihrem Schreiben an den Polizeiposten R vom 07.02.2022 ursprünglich noch gegen den Vorwurf, Gegenstände des Geschädigten mitgenommen zu haben. Bereits das rückt die nun erhobene Einwendung zumindest in die Nähe einer Schutzbehauptung. Ein angebliches Zurückbehaltungsrecht etwa nach §§ 273, 274 Abs. 1 BGB erfordert zudem unter anderem einen mit dem Anspruch des Geschädigten konnexen Gegenanspruch der Beschuldigten, der wirksam, fällig und durchsetzbar sein muss. In der Beschwerdeschrift ist vor diesem Hintergrund ein Zurückbehaltungsrecht der Beschuldigten nicht ansatzweise dargelegt.

cc) Die Unterschlagung gem. § 246 Abs. 1 StGB ist zudem verfolgbar, wenngleich der Geschädigte erst am 24.05.2022 und damit nach der Dreimonatsfrist des §§ 77 Abs. 1, 77b Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 StGB jedenfalls den Strafantrag wegen Unterschlagung stellte. Denn obwohl auch für die Unterschlagung ein absolutes Strafantragserfordernis in Fällen des § 247 StGB besteht (BGH, Beschl. v. 21.12.2016 – 3 StR 453/16), liegt ein solcher Fall hier nicht vor. Das absolute Antragserfordernis des § 247 StGB gilt nur bei Unterschlagungen durch Angehörigen oder bei Personen einer häuslichen Gemeinschaft, die im Tatzeitpunkt bestehen muss (vgl. etwa BGH, Beschl. v. 21.12.2016 – 3 StR 453/16; Fischer, StGB, 69. Aufl. 2022, § 247 Rn. 2 StGB). Die Beschuldigte und der Geschädigte waren als nicht verlobtes und nicht verheiratetes Paar im Verhältnis zueinander keine Angehörigen im Sinne von § 11 Abs. 1 Nr. 1 StGB. Spätestens seit August 2021 – und damit deutlich vor dem vorgeworfenen strafbaren Verhalten – bildeten beide auch keine häusliche Gemeinschaft mehr.

dd) Der Durchsuchung steht auch bei im Wesentlichen unveränderter Erkenntnislage der Staatsanwaltschaft nicht entgegen, dass das zuvor wegen derselben Tat im prozessualen Sinne geführtes Ermittlungsverfahren durch Verfügung der Staatsanwaltschaft Pforzheim vom 03.03.2022 mangels hinreichendem Tatverdacht nach § 170 Abs. 2 Satz 1 SPO eingestellt wurde.

(1) Für das damalige Ermittlungsverfahren wegen Diebstahls ebenso wie für das gegenwärtig geführte Ermittlungsverfahren wegen Unterschlagung ist jeweils das Eigentum des Geschädigten an den Gegenständen ein zu prüfendes Tatbestandsmerkmal. Dieses Tatbestandsmerkmal konnte die Staatsanwaltschaft aus ihrer Sicht ursprünglich nicht hinreichend sicher nachweisen, um die öffentliche Klage wegen Diebstahls gegen die Beschuldigte zu erheben. Dennoch schließt das den für eine Durchsuchung gem. § 102 StPO erforderlichen Verdachtsgrad wegen Unterschlagung nicht aus. Denn der für die hier zu entscheidende Rechtmäßigkeit der Durchsuchung erforderliche Anfangsverdacht war im ursprünglichen Ermittlungsverfahren wegen Diebstahls sowie Sachbeschädigung ebenfalls gegeben und liegt deutlich unter dem für die Erhebung der öffentlichen Klage erforderlichen Verdachtsgrad, der Prüfungsmaßstab der Einstellungsverfügung nach § 170 Abs. 2 Satz 1 StPO war.

(2) Dem Verdacht einer Straftat im Sinne von § 102 StPO steht auch nicht entgegen, dass das inzwischen mangels hinreichendem Tatverdacht nach § 170 Abs. 2 Satz 1 StPO eingestellte ursprüngliche Ermittlungsverfahren gegen die Beschuldigte dieselbe prozessuale Tat i.S.d. § 264 StPO betrifft. Ein Strafklageverbrauch im Sinne von Art. 103 Abs. 3 GG tritt durch die Einstellung nach § 170 Abs. 2 Satz 1 StPO nicht ein. Der Einstellungsverfügung kommt keine Rechtskraftwirkung zu. Das Verfahren kann auch bei gleicher Sach- und Rechtslage jederzeit wieder aufgenommen werden (RGSt 67, 315 (316); OLG Hamm, Beschl. v. 26.04.1979 – 2 Ss OWi 729/79; KK-StPO/Moldenhauer, 8. Aufl. 2019, StPO § 170 Rn. 23; BeckOK StPO/Gorf, 44. Ed. 1.7.2022, StPO § 170 Rn. 20). Dies folgt schon aus einem Umkehrschluss zu den in §§ 174 Abs. 2, 211 StPO geregelten Sonderfällen, bei denen mangels ursprünglich hinreichendem Tatverdacht ausnahmsweise die erneute Erhebung der öffentlichen Klage bei erfolglosen Klageerzwingungsverfahren oder rechtskräftigen Nichteröffnungsbeschlüssen eingeschränkt ist (vgl. MüKoStPO/Kölbel, 1. Aufl. 2016, StPO § 170 Rn. 26)…..“

StPO I: 3 x Anforderungen an den Anfangsverdacht, oder: „Drogenlieferservice“ und Cannabisgeruch usw.

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In die 36. KW. starte ich mit Entscheidungen zur Durchsuchung (§§ 102 ff. StPO), also StPO-Entscheidungen.

An der Spitze der „Berichterstattung“ stehen ein BverfG-Beschluss, ein BGH-Beschluss und ein Beschluss des LG Rostock. In allen Beschlüssen geht es um den sog. Anfangsverdacht als Voraussetzung für die Anordnung einer Durchsuchungsmaßnahme.

Im BVerfG. Beschl. v. 21.07.2022 – 2 BvR 1483/19 – geht es um eine Durchsuchung im Hinblick auf die Beteiligung an BtM-Delikten. Das Verfahren richtete sich gegen einen Gastwirt, gegen den wegen des Verdachts des BtM-Handels ermittelt wurde. Es wurde angenommen, dass er statt Speisen Drogen auslieferte. Der Gastwirt wurde oberserviert. Es wurde festgestellt, dass sein Wagen nachts bei zwei mutmaßlichen Lieferfahrten vor dem Haus des Betroffenen abgestellt worden war. Kontakte der Beiden konnten nicht beobachtet werden, und auch sonst ergab sich keine Verbindung. Das AG hat dann gegen den Betroffenen einen Durchsuchungsbeschluss erlassen. Dagegen dann die Verfassungsbeschwerde, die – man sieht es am Aktenzeichen – nach drei Jahren Erfolg hatte. Dem BVerfG reichen die Erkenntnisse nicht für die Anordnung der Durchsuchungsmaßnahme:

„bb) Die Beschlüsse des Amtsgerichts und des Landgerichts legen keine tatsächlichen Anhaltspunkte dafür dar, dass der Beschwerdeführer Betäubungsmittel für (…) aufbewahrt hätte, um diesen bei seinem Handeltreiben zu unterstützen. Das Landgericht wies darauf hin, dass die im Durchsuchungsbeschluss als Beweismittel angegebenen, aber nicht in der Akte abgelegten Erkenntnisse aus der Telekommunikationsüberwachung des gesondert verfolgten (…) sowie die Angaben einer Vertrauensperson von keiner Bedeutung für die Annahme des Tatverdachts gegenüber dem Beschwerdeführer gewesen seien. Auch einer polizeilichen Mitteilung, nach der der Beschwerdeführer bereits in elf Fällen, unter anderem wegen Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz, in Erscheinung getreten sei, maß das Landgericht wegen ihrer Unbestimmtheit keine Bedeutung bei. Allein auf die Bewegungen und Standzeiten des Fahrzeugs des (…), die in der polizeilichen Durchsuchungsanregung beschrieben waren, konnte der Anfangsverdacht gegenüber dem Beschwerdeführer entgegen der Auffassung des Landgerichts jedoch nicht in einer verfassungsrechtlich vertretbaren Weise gestützt werden. Denn die Bewegungen und Standzeiten des Fahrzeugs in den Nächten auf den 9. November und den 21. November 2018 liefern alleine keinen tatsächlichen Anhaltspunkt dafür, dass der Beschwerdeführer Betäubungsmittel, noch dazu größere Mengen, für (…) aufbewahrt hätte.

Dem in der Ermittlungsakte niedergelegten Ergebnis der Observation des Fahrzeugs des (…) kann lediglich entnommen werden, dass dieses gegenüber der Wohnanschrift des Beschwerdeführers geparkt wurde, nicht aber, dass (…) dabei beobachtet worden wäre, wie er die Wohnung des Beschwerdeführers aufgesucht oder betreten hätte. Es ist dort nicht einmal festgehalten, ob (…) überhaupt sein Fahrzeug verlassen und wenn ja, in welche Richtung er sich anschließend zu Fuß weiterbewegt hatte. Zutreffend weist der Beschwerdeführer darauf hin, dass auch andere Anschriften im Umfeld seiner Wohnung für (…) fußläufig erreichbar gewesen wären. Erst recht ist nicht beobachtet worden, dass ihm etwas von einer anderen Person übergeben oder zugesteckt worden wäre. Der Beschwerdeführer selbst wurde in den besagten Nächten offenbar gar nicht gesehen, und auch sonst führt der landgerichtliche Beschluss keine Anhaltspunkte dafür an, dass der Beschwerdeführer schon einmal im Kontakt zu (…) gestanden und diesen bei dessen Betäubungsmitteldelikten unterstützt hätte. Ebenso wenig sind sonstige Anhaltspunkte vom Landgericht dafür dargetan, dass der Beschwerdeführer im November 2018 oder in der weiter zurückliegenden Vergangenheit bereits einmal größere Drogenmengen bei sich aufbewahrt hätte, was in Verbindung mit den Standzeiten des Fahrzeugs des (…) auf eine Beteiligung an dessen Tat zumindest hätte hindeuten können.

Letztlich erschöpft sich die Begründung des Tatverdachts darin, dass aus den nächtlichen Standzeiten des Fahrzeugs des (…) im Nahbereich beziehungsweise gegenüber der Wohnanschrift des Beschwerdeführers auf ein Aufbewahren von Betäubungsmitteln für (…) durch den Beschwerdeführer geschlossen wird. Diese Annahme erschöpft sich in einer bloßen Vermutung, die den schwerwiegenden Eingriff in die grundrechtlich geschützte persönliche Lebenssphäre des Beschwerdeführers nicht zu rechtfertigen vermag.“

Im Zusammenhang „Anfanfsverdacht“ als Grundlage für eine Durchsuchungsmaßnahme ist dann hinzuweisen auf den BGH, Beschl. v. 20.07.2022 – StB 29/22. Der BGH stellt noch einmal – auf der Grundlage der Rechtsprechung des BVerfG die Voraussetzungen für die – von ihm bejahte Annahme eine Anfangsverdachts fest, nämlich:

„a) Für die Zulässigkeit einer regelmäßig in einem frühen Stadium der Ermittlungen durchzuführenden Durchsuchung genügt der über bloße Vermutungen hinausreichende, auf bestimmte tatsächliche Anhaltspunkte gestützte konkrete Verdacht, dass eine Straftat begangen wurde und der Verdächtige als Täter oder Teilnehmer an dieser Tat in Betracht kommt. Eines hinreichenden oder gar dringenden Tatverdachts bedarf es – unbeschadet der Frage der Verhältnismäßigkeit – nicht (st. Rspr.; vgl. BVerfG, Beschluss vom 7. September 2006 – 2 BvR 1219/05 , NJW 2007, 1443 15; BGH, Beschlüsse vom 18. Dezember 2008 – StB 26/08 , BGHR StPO § 102 Tatverdacht 2 Rn. 5; vom 12. August 2015 – StB 8/15 , BGHR StPO § 102 Tatverdacht 3 Rn. 4). ….“

Und auf der Grundlage hat er keine Bedenken gegen die angeordnete Durchsuchungsmaßnahme gehabt.

Und fast wortgleich wie der BGH führt das LG Rostock im LG Rostock, Beschl. v. 16.08.2022 – 13 Qs 119/22 (1) – aus:

„Eines hinreichenden oder gar dringenden Tatverdachts bedarf es nicht.

Gemessen an diesen Maßstäben lagen zum Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Beschlusses sachlich zureichende Gründe für eine Durchsuchung vor.

Diese ergeben sich aus der plausiblen Aussage des Zeugen pp. in seiner polizeilichen Vernehmung vom 11.02.2022. Danach habe er als unmittelbarer Nachbar einen ständigen starken Geruch von Cannabis aus der Wohnung und vom Balkon des Beschuldigten wahrgenommen und auch immer wieder Besuche von bis zu 15 Personen am Tag in der Wohnung des Beschuldigten mit nur kurzen Aufenthalten beobachten können. Außerdem habe der Cousin des Beschuldigten ihm erzählt, dass der Beschuldigte mit Marihuana, Koks und Speed Handel treibe.

Der vom Beschwerdeführer zur Begründung seines Rechtsmittels angeführte Umstand, der Zeuge habe selbst sein Verhältnis zum Beschuldigten als „nicht gut“ bezeichnet, was eine Motivlage für dessen Falschbelastung erkennen lasse, vermag den gegen diesen bestehenden Tatverdacht nicht zu entkräften. Dies deshalb schon nicht, weil bei einer solchen Motivlage kaum zu erwarten gewesen wäre, dass der Zeuge seine eher schlechte Beziehung zum Beschuldigten gegenüber der Polizei offenbart hätte.

Die Begründung der Durchsuchungsanordnung entspricht allerdings nicht in vollem Umfang den gesetzlichen Anforderungen. Zwar sind die dem Beschwerdeführer im Sinne eines Anfangsverdachts zur Last gelegte Straftat sowie die aufzufindenden Beweismittel in dem angefochtenen Beschluss noch hinreichend dargestellt.

Jedoch sind die tatsächlichen Umstände, aus denen sich der Tatverdacht gegen den Beschuldigten ergab, nicht näher ausgeführt; vielmehr verweist der Beschluss pauschal auf das „bisherige Ermittlungsergebnis und die Bekundungen eines Zeugen (BI. 11 f. d.A.)“, ohne zudem die Indiztatsache der einschlägigen Vorbelastung des Beschwerdeführers in diesem Zusammenhang zu erwähnen.

Dies ist zwar von Verfassungs wegen nur dann notwendig, wenn andernfalls die erforderliche Begrenzung der Durchsuchungsgestattung nicht gewährleistet ist (BVerfG, NStZ – RR 2002, 172f.). Die Darlegung jedenfalls der wesentlichen Verdachtsmomente ist jedoch einfachgesetzlich geboten, da dem Betroffenen nur so eine sachgerechte, umfassende Prüfung ermöglicht wird, ob der Beschluss rechtmäßig ergangen ist. Dafür, dass die Bekanntgabe der Verdachtsmomente den Untersuchungszweck gefährden würde und deshalb eine weitere Begründung unterbleiben durfte, ist nichts ersichtlich.

 

Die unzureichende Begründung des Durchsuchungsbeschlusses führt hier für sich allerdings nicht zur Rechtswidrigkeit der Durchsuchungsanordnung. Der Beschluss lässt nämlich in ausreichendem Maße, insbesondere unter Hinweis auf die Bekundungen eines Zeugen, erkennen, dass die Ermittlungsrichterin die Voraussetzungen für seinen Erlass eigenständig geprüft hat. Dafür, dass diese die Vernehmungsniederschrift und den Bundeszentralregisterauszug vom 23.02.2022 nicht zur Kenntnis genommen hat, liegen insoweit keine Anhaltspunkte vor.

EV II: Vorläufige Mitnahme von sog. Zufallsfunden, oder: Wer bestätigt die vorläufige Maßnahme?

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Die zweite Entscheidung stammt ebenfalls vom LG Nürnberg-Fürth. Das hat im LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v.  10.03.2022 – 12 Qs 6/22 – in einem Verfahren mit dem Vorwurf des Abrechnungsbetruges gegen einen Apotheker zu einer Frage in Zusammenhang mit Zufallsfunden Stellung genommen (§ 108 StPO).

Bei der angeordneten Durchsuchung waren diverse Unterlagen und Datenträger sicher gestellt und zur Durchsicht mitgenommen worden. Deren Herausgabe wird beantragt. Das Verlangen ist aber nur zum Teil erfolgreich:

„1. Die Voraussetzungen einer Durchsuchungsanordnung gem. § 102 StPO sind gegeben.

a) Es liegt ein formell wirksamer Durchsuchungsbeschluss vor. Wird mit einer Durchsuchung nicht spätestens innerhalb eines halben Jahres nach Erlass des Durchsuchungsbeschlusses begonnen, kann die richterliche Anordnung den Eingriff nicht mehr rechtfertigen. Sie tritt, wenn sie nicht richterlich bestätigt wird, außer Kraft und verliert damit ihre rechtfertigende Wirkung (BVerfG, Beschluss vom 27. Mai 1997 – 2 BvR 1992/92, juris Rn. 29 f.; Beschluss vom 6. Februar 2002 – 2 BvR 380/01, juris Rn. 13). Hier liegt die erforderliche Bestätigung im Beschluss des Ermittlungsrichters vom 24. September 2021 vor.

b) Es ist – entgegen der Auffassung der Beschwerde – auch der Anfangsverdacht i.S.d. § 152 Abs. 2 StPO des (Abrechnungs-)Betruges gegen den Angeklagten in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht zu bejahen.

……………….

2. Die Entscheidung, in welchem Umfang bei einer Durchsuchung Unterlagen mitgenommen werden können und eine inhaltliche Durchsicht potenzieller Beweismittel nach § 110 StPO notwendig ist, obliegt dem Ermessen der Staatsanwaltschaft. Die gerichtliche Kontrolle beschränkt sich darauf, ob die Staatsanwaltschaft die Grenzen ihres Ermittlungsermessens überschritten hat (BGH, Beschluss vom 20. Mai 2021 – StB 21/21, juris Rn. 18). Das ist – von den beiden Fällen nachfolgend unter d) abgesehen – nicht der Fall.

…….

3. Der Bestätigungsbeschluss des Amtsgerichts, soweit er die unter 2. c) genannten Zufallsfunde betrifft, war auch nicht deshalb aufzuheben, weil der Ermittlungsrichter für die Entscheidung insoweit nicht zuständig gewesen wäre.

a) Über die Bestätigung der vorläufigen Mitnahme (oder in der Terminologie des § 108 Abs. 1 Satz 1 StPO: des einstweiligen Beschlags) der Zufallsfunde durch die GenStA hat der bislang zuständige Richter innerhalb des bislang geführten Verfahrens entschieden. Nach Auffassung der Kammer zu Recht.

Das wird allerdings von der überwiegenden Literatur für den der angegriffenen Bestätigung gegenläufigen Akt anders gesehen. Für die Aufhebung der vorläufigen Beschlagnahme soll danach der Richter zuständig sein, der für das wegen der Zufallsfunde neu einzuleitende Ermittlungsverfahren zuständig ist (Bruns in KK-StPO, 8. Aufl., § 108 Rn. 9; Hauschild in MünchKomm-StPO, 1. Aufl., § 108 Rn. 16; Hegmann in BeckOK-StPO, 42. Ed. 1.1.2022, § 108 Rn. 13; Hadamitzky in KMR-StPO, 94. Lfg., § 108 Rn. 14; dies. in SSW-StPO, 4. Aufl., 4. Aufl., § 108 Rn. 14). Dieser Auffassung folgt die Kammer allerdings nicht, weil sie den Rechtsschutz des Betroffenen unzumutbar erschwert. Ein Antrag auf richterliche Entscheidung analog § 98 Abs. 2 StPO wäre danach nämlich erst dann möglich, wenn die Staatsanwaltschaft ein neues Verfahren für die Zufallsfunde eingeleitet hat, was sie aber nicht umgehend, sondern in angemessener Frist tun muss (BGH, Beschluss vom 11. Mai 1979 – StB 26/79, juris Rn. 6) – hier beispielsweise hat die GenStA insoweit noch kein neues Verfahren eingeleitet. Bis dahin stünde der Betroffene schutzlos. Ebenso muss die Staatsanwaltschaft die Möglichkeit haben, die Rechtmäßigkeit einer vorläufigen Mitnahme bestätigen zu lassen, auch wenn sie noch nicht weiß, ob sie ein neues Ermittlungsverfahren einleiten will. Deshalb muss der im bisherigen Ermittlungsverfahren zuständige Richter die Möglichkeit haben, die Sache zu prüfen und vorläufig zu regeln (im Ergebnis wie hier Tsambikakis in Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Aufl., § 108 Rn. 21). Das beinhaltet die Befugnis zur Freigabe und zur Bestätigung. Nicht weiterführend ist jedenfalls die Auffassung von Wohlers/Jäger (in SK-StPO, 5. Aufl., § 108 Rn. 16), wonach die Zuständigkeit beim Richter der neuen Sache liegt, es sei denn, es ist nicht binnen angemessener Zeit ein Ermittlungsverfahren eingeleitet worden. Denn die richterliche Zuständigkeit kann nicht von einem so dehnbaren Begriff wie „angemessene Zeit“ abhängig gemacht werden. Im Übrigen ist, solange das neue Verfahren noch nicht eingeleitet worden ist, unklar, wer der Richter des neuen Verfahrens werden wird. Denn es ist möglich (und in der Praxis nicht selten), dass die bisher befasste Staatsanwaltschaft das neue Verfahren nicht selbst führt, sondern die Sache an eine andere Behörde abgibt, mit Folgen für die Zuständigkeit des Ermittlungsrichters (vgl. § 162 Abs. 1 Satz 1 StPO).

Die Zuständigkeit des bisherigen Richters für die vorläufige Bestätigung der Mitnahme besteht daher, bis ein neues Ermittlungsverfahren eingeleitet worden ist.

Dieser Auffassung der Kammer steht nicht entgegen, dass die (endgültige) Beschlagnahme im Fall des § 108 StPO durch den Richter der neuen Sache herbeigeführt werden muss (BGH, Beschluss vom 4. August 1964 – 3 StB 12/63, juris Rn. 34; Beschluss vom 14. März 1979 – StB 6/79, juris Rn. 3; OLG Celle, Beschluss vom 15. Januar 1974 – 3 Ws 355/73, NJW 1974, 805, 806). Das ist folgerichtig, weil der Beschlagnahme die Bewertung des Asservats als Beweismaterial in einem Ermittlungsverfahren und damit die Einleitung des neuen Verfahrens vorausgehen muss. Hier geht es jedoch allein um die Regelung eines vorläufigen Zustandes bei noch ausstehender Bewertung. Aus diesem Grund teilt die Kammer auch nicht die Meinung von Köhler (in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Aufl., § 108 Rn. 7; ebenso Cordes/Pannenborg, NJW 2019, 2973, 2976), wonach die Bestätigung des Ermittlungsrichters im Ausgangsverfahren für die Zufallsfunde „wertlos“ sei. In der von ihm zitierten Fundstelle BGHSt 19, 374, 376 stellt der Bundesgerichtshof (Beschluss vom 4. August 1964 – 3 StB 12/63, juris Rn. 33) lediglich fest, dass die Bestätigung der einstweiligen Beschlagnahme durch den Ermittlungsrichter des Ausgangsverfahrens „einstweilig“ geblieben ist. Um mehr geht es bei der Bestätigung der Mitnahme aber auch nicht. Eine endgültige Beschlagnahme steht hier nicht in Streit.

b) Aber selbst wenn man der hier abgelehnten Auffassung folgen und die angegriffene richterliche Bestätigung als ein rechtliches Nullum ansehen wollte, hätte dies – derzeit – keine praktischen Folgen. Denn die fehlende Wirksamkeit oder die (dann nur deklaratorische) Aufhebung der amtsrichterlichen Bestätigung wegen Unzuständigkeit würde den Umstand nicht beseitigen, dass nach Wertung der Kammer die angemessene Frist (dazu Cordes/Pannenborg, NJW 2019, 2973, 2976), die der GenStA für die Einleitung eines neuen Verfahrens für die Zufallsfunde zuzugestehen ist, noch nicht abgelaufen wäre. Daher könnte sie den vorläufigen Beschlag aus eigenem Recht noch aufrechterhalten. Erst nach dem Fristablauf ohne Verfahrenseinleitung würden die Asservate freizugeben sein (Köhler in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Aufl., § 108 Rn. 7 m.w.N.).

4. Soweit die Beschwerde insgesamt die Verhältnismäßigkeit der Mitnahme zur Durchsicht infrage stellt, teilt die Kammer die Auffassung nicht. Die Ermittlungsbehörden haben, wie oben bereits ausgeführt, einige Maßnahmen ergriffen, um die Auswirkungen der Mitnahme einzugrenzen. Auch beziehen sich die mitgenommenen Ordner auf bereits abgeschlossene, d.h. zugunsten des Beschuldigten abgerechnete Geschäftsvorfälle, sodass sich insoweit keine erheblichen Erschwernisse für den laufenden Apothekenbetrieb ergeben dürften. Insgesamt sind die durchgeführten Maßnahmen auch ins Verhältnis zum Tatvorwurf zu setzen: Es geht vorliegend nicht um „peanuts“, sondern um einen möglichen Betrugsschaden von über sieben Millionen Euro. Vor diesem Hintergrund sind die ergriffenen Maßnahmen nicht überzogen.“