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BtM III: Zurückstellung der Strafvollstreckung, oder: Voraussetzungen und Therapiebereitschaft

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Und als letzte Entscheidung aus dem Bereich BtM habe ich dann hier noch den OLG Jena, Beschl. v. 13.04.2022 – 1 Ws 88/22, den mir die Kollegin A. Klein aus Erfurt geschickt hat. Es geht um die Zurückstellung der Strafvollstreckung.

Der Verurteilte ist u.a. wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sieben Monaten verurteilt. Die verbüßt der Verurteilte, Zwei-Drittel-Termin ist/war für den 22.08.2022 sowie Strafende für den 02.07.2023 notiert.

Um die Zurückstellung der Strafvollstreckung dieser Strafe gemäß § 35 BtMG geht es. Es sind – um es kurz zu machen – alle dafür, nur das LG will nicht mitmachen. Das geht dann hin und her, bis eben das OLG Jena in der Entscheidung – auf die Beschwerde der StA (!) – ein „Machtwort“ spricht und die Zustimmung erteilt:

„Die gemäß §§ 35 Abs. 2 Satz 1 BtMG, 304 StPO zulässige Beschwerde der Staatsanwaltschaft ist begründet und führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses sowie zur Erteilung der gerichtlichen Zustimmung zur Zurückstellung der Strafvollstreckung gemäß § 35 Abs. 2 Satz 3 2. Halbsatz BtMG.

In ihrer Zuschrift an den Senat hat die Thüringer Generalstaatsanwaltschaft ausgeführt:

„Nach § 35 Abs. 1 BtMG steht die Entscheidung über die Zustimmung zu einer Zurückstellung der Strafvollstreckung für den Fall des Vorliegens der in dieser Vorschrift genannten Voraussetzungen im Ermessen des Gerichts, welches bei dieser Entscheidung die gleichen Kriterien anzulegen hat wie die Vollstreckungsbehörde bei ihrer Entscheidung über den Zurückstellungsantrag. Die angefochtene Entscheidung ist daraufhin zu überprüfen, ob das Gericht bei seiner Entscheidung von einem zutreffenden und vollständig ermittelten Sachverhalt ausgegangen ist, ob es seiner Entscheidung den richtigen Begriff des Versagungsgrundes zugrunde gelegt und ob es dabei die Grenzen des ihm zustehenden Ermessens eingehalten hat (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 08.11.2011, 7 Zs 1573/11, zitiert nach juris). Das Gericht darf sich nicht auf die in der Hauptverhandlung gewonnenen Er-kenntnisse beschränken, sondern hat der Entscheidung auch die nach Urteilserlass von der Vollstreckungsbehörde ermittelten oder sonst bekannt gewordenen Umstände zugrunde zu legen (Münchener Kommentar – Kornprobst, BtMG, 4. Auflage, § 35 Rn. 117).

Der angefochtene Beschluss des Landgerichts Erfurt vom 08.10.2021 wird diesen Anforderungen nicht gerecht.

Das Landgericht Erfurt beschränkt sich in seinem Beschluss im Wesentlichen auf Erkenntnisse, die es Rahmen der Hauptverhandlung gewonnen hat. Es begründet die Ablehnung seiner Zustimmung im Beschluss vom 08.10.2021 damit, dass die Kammer im Urteil vom 21.06.2021 keine Feststellungen dazu getroffen habe. dass der Verurteilte die Tat aufgrund einer Betäubungsmittelabhängigkeit begangen hat. Zwar besitze der Verurteilte nach den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. pp. einen Hang i.S.d. § 64 StGB, Betäubungsmittel im Übermaß zu konsumieren. Weitere belastbare Feststellungen zu einer Betäubungsmittelabhängigkeit, welche mehr als ein Hang sei, habe die Kammer aufgrund der fehlenden Explorationsbereitschaft des Verurteilten nicht treffen können. Auch wenn die JVA Hinweise auf eine bestehende Abhängigkeitserkrankung habe, sei diese nicht positiv festgestellt worden. Eine solche positive Feststellung sei jedoch zwingende Voraussetzung für die Erteilung einer gerichtlichen Zustimmung. In seiner Nichtabhilfeentscheidung vom 02.03.2022 nimmt das Landgericht Erfurt auf diese Ausführungen Bezug….“

Dem schließt sich der Senat an und führt ergänzend noch folgendes aus:

Die Therapiebereitschaft eines Drogenabhängigen ist dann zu bejahen, wenn er ernsthaft gewillt ist, eine Therapie zu einem bestimmten Zeitpunkt in einer geeigneten Einrichtung nach den dort geltenden Regeln, Anweisungen und Bedingungen anzutreten und durchzustehen, um eine bestehende Drogenabhängigkeit zu beseitigen, und an diesem Ziel aktiv mitzuarbeiten (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 17.10.2013, 2 VAs 77/13, bei juris, m.w.N.).

Wegen der stets gegenwärtigen Rückfallgefährdung nicht erfolgreich therapierter Drogenabhängiger ist deren Therapiebereitschaft in aller Regel brüchig und häufig schwankend. Deshalb dürfen an dieses Tatbestandsmerkmal keine zu strengen Anforderungen gestellt werden, denn es ist auch Zweck der Zurückstellung, die Therapiemotivation zu fördern (vgl. OLG Karlsruhe, a.a.O., m.w.N.). Gerade auch Risikoprobanden mit schlechter Prognose (vgl. OLG Karlsruhe, a.a.O., m.w.N.) sollen mit der Vorschrift des § 35 BtMG erreicht werden. Der Nachweis fehlenden Therapiewillens ist schwierig. In der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte (vgl. OLG Karlsruhe, a.a.O., m.w.N.) herrscht Einigkeit, dass sich der Weg aus der Sucht als ein langes, auch von Rückschlägen begleitetes prozesshaftes Geschehen darstellt, so dass sich ein Behandlungserfolg häufig erst nach mehreren Therapieversuchen einstellt.

Deshalb lassen auch wiederholte Therapieabbrüche nicht ohne Weiteres den Schluss auf einen fehlenden Therapiewillen zu. Auch der Gesetzgeber geht in § 35 Abs. 5 BtMG ausdrücklich davon aus, dass ein früherer Widerruf einer erneuten Zurückstellung nicht entgegensteht. Maßgeblich kommt es darauf an, ob das Verhalten des Verurteilten über die Tatsache des Scheiterns früherer Therapieversuche hinaus konkrete Zweifel an der Ernsthaftigkeit seiner Therapiebereitschaft begründet. Solche Gründe können in einer besonders verantwortungslosen und leichtfertigen Weise gefunden werden, mit der ein Verurteilter Therapiechancen vergibt, etwa indem er mehrfach Therapien nicht antritt oder nach sehr kurzer Zeit aufgibt (vgl. OLG Karlsruhe, a.a.O., m.wN.), was ausweislich des Inhalts der Stellungnahme der Justizvollzugsanstalt Hohenleuben vom 27.09.2021 beim Verurteilten nicht der Fall ist.“

BtM I: Täterschaft oder Teilnahme beim BtM-Handel, oder: Handlungen, die allein dem Transport dienen

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Der Tag heute ist Entscheidungen zum BtMG vorbehalten.

Ich starte mit dem  BGH, Beschl. v. 24.05.2022 – 4 StR 195/21 – zu Täterschaft und Teilnahme beim Handel mit Betäubungsmitteln.

Nach den landgerichtlichen Feststellungen verpackten die Angeklagten P. , M. , R. und B. gemeinsam in einer durch den Angeklagten M. sieben Wochen zuvor angemieteten Lagerhalle in W. (Kreis K. ) 7.758,8 g Haschisch mit einem Wirkstoffanteil von 1.226,3 g THC, 26.268,9 g Marihuana mit einem Wirkstoffanteil von 721,6 g THC und 3.982,6 g MDMA mit einem Wirkstoffanteil von 2.996,9 g MDMA-Base in Müllbeutel und verluden sie in einen Pkw Audi A8. Anschließend steuerte der Angeklagte P. mit dem Angeklagten B. als Beifahrer diesen Pkw in Richtung Po. oder L. , wo die Drogen entweder an einen nicht feststellbaren Abnehmer übergeben oder von den Angeklagten selbst gewinnbringend weiterverkauft werden sollten. Der Angeklagte R. steuerte einen vom Angeklagten Z. zur Verfügung gestellten Pkw VW T5, in dem sich auch die Angeklagten M. und Z. befanden und der als Begleitfahrzeug die Fahrt absicherte. Nachdem der Audi auf der Flucht vor einer Zollkontrolle einen Reifenschaden erlitten hatte, wurden die Angeklagten P. und B. von dem über Mobiltelefone herbeigerufenen Begleitfahrzeug aufgenommen.

Weitere Feststellungen zu den näheren Umständen der Lieferung der Betäubungsmittel an den Einladeort, zur geplanten Weitergabe der Betäubungsmittel oder zur Beteiligung der Angeklagten am Gewinn des Geschäfts hat die Strafkammer nicht getroffen.

Das Landgericht hat die Angeklagten P. , M. , R. und B. wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge schuldig gesprochen. Den Angeklagten Z. hat das Landgericht wegen Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge  verurteilt. Hiergegen richten sich die Angeklagten mit ihren Revisionen. Die Revisionen der Angeklagten P. , M. , R. und B. hatten einen „Teilerfolg“.

„1. Die vom Landgericht getroffenen Feststellungen tragen den Schuldspruch wegen täterschaftlichen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge nicht; die Angeklagten P. , M. , R. und B. haben sich lediglich der Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge schuldig gemacht.

a) Für die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme gelten auch im Betäubungsmittelrecht die Grundsätze des allgemeinen Strafrechts. Beschränkt sich die Beteiligung am Handeltreiben mit Betäubungsmitteln auf einen Teilakt des Umsatzgeschäfts, so kommt es nach der neueren Rechtsprechung darauf an, welche Bedeutung der konkreten Beteiligungshandlung im Rahmen des Gesamtgeschäfts zukommt (vgl. BGH, Urteile vom 5. Mai 2011 – 3 StR 445/10 ,StV 2012, 287, 288; vom 28. Februar 2007 – 2 StR 516/06 , BGHSt 51, 219, 221 ; Beschlüsse vom 22. August 2012 – 4 StR 272/12 , NStZ-RR 2012, 375; vom 7. August 2008 – 3 StR 326/07, NStZ 2008, 40 [BGH 07.08.2007 – 3 StR 326/07] ). Maßgeblich sind insoweit insbesondere der Grad des eigenen Interesses am Erfolg, der Umfang der Tatbeteiligung und die Tatherrschaft oder wenigstens der Wille dazu, so dass Durchführung und Ausgang der Haupttat maßgeblich auch vom Willen des Tatbeteiligten abhängen (vgl. BGH, Urteil vom 14. Dezember 2006 – 4 StR 421/06, NStZ 2007, 288 [BGH 14.12.2006 – 4 StR 421/06] ; Beschluss vom 25. April 2007 – 1 StR 156/07 , NStZ 2007, 531; Beschluss vom 28. Oktober 2010 – 3 StR 324/10). Dabei kann eine Kuriertätigkeit als mittäterschaftliches Handeltreiben einzuordnen sein, wenn der Beteiligte über den reinen Transport hinaus erhebliche Tätigkeiten entfaltet (vgl. BGH, Urteil vom 28. Februar 2007 – 2 StR 516/06 ). Beschränkt sich der Tatbeitrag eines Drogenkuriers auf den bloßen Transport von Betäubungsmitteln, liegt selbst dann keine Täterschaft vor, wenn ihm faktische Handlungsspielräume hinsichtlich der Art und Weise des Transports verbleiben (vgl. BGH, Beschluss vom 12. August 2014 – 4 StR 174/14 ; Beschluss vom 3. Juli 2014 – 4 StR 240/14 ).

b) Hieran gemessen tragen die Feststellungen eine täterschaftliche Begehung des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge durch die Angeklagten P. , M. , R. und B. nicht.

Nach den Feststellungen beschränkte sich die Tätigkeit der Angeklagten P. , M. , R. und B. auf das Verpacken der Betäubungsmittel in Müllsäcke, das Einladen in das Transportfahrzeug und die Überführungsfahrt und damit auf Tätigkeiten, die allein dem Transport der Betäubungsmittel dienen. Handlungen, die mit Blick auf das Gesamtgeschäft darüber hinausgehen, konnte das Landgericht nicht feststellen. Das gilt insbesondere für eine Einbindung in den An- oder Verkauf oder weitere Tätigkeiten am Zielort. Angesichts dieser Umstände vermögen auch die vom Landgericht angestellten Erwägungen zum konspirativen Verhalten der Angeklagten und dem hohen Entdeckungsrisiko die Annahme täterschaftlichen Handelns nicht zu tragen. Das gilt auch für den Angeklagten M. , da er zwar die Lagerhalle angemietet hatte, aber über das Einladen hinaus keine weiteren auf den Umsatz von Betäubungsmitteln gerichteten Handlungen in der Halle festgestellt werden konnten…“

BtM II: Nur geringe Überschreitung des Grenzwertes, oder: Minder schwerer Fall?

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Als zweite BtM-Entscheidung stelle ich dann den BayObLG, Beschl. v. 14.09.2021 – 207 StRR 371/21 – vor. Problematik: Die Annahme eines minder schweren Falles bei § 29a BtMG. Das BayObLG meint das: Eine nur geringe Grenzwertüberschreitung ist ein Kriterium für die Annahme eines minder schweren Falles, während eine ganz erhebliche Überschreitung gegen die Annahme eines solchen spricht:

„b) Die Nachprüfung des Strafausspruches hat Erörterungsmängel des Amtsgerichts ergeben, die sich als sachlich-rechtliche Fehler des Urteils erweisen und verhindern, dass das Urteil sich insoweit auf tragfähige Grundlagen stützt.

aa) Die Rechtsfolgenbemessung ist zwar ureigene Aufgabe des Tatrichters und unterliegt einer nur eingeschränkten Nachprüfung durch das Revisionsgericht. Die tatrichterlichen Erwägungen hat das Revisionsgericht bis zur Grenze des Vertretbaren hinzunehmen, solange und soweit der Rechtsfolgenausspruch einen angemessenen Schuldausgleich darstellt. Indessen prüft das Revisionsgericht nach, ob die tatrichterliche Rechtsfolgenentscheidung auf tragfähige Grundlagen gestützt ist und sich von rechtlich anerkannten Strafzumessungserwägungen hat leiten lassen (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Aufl., § 337 Rdn. 34f.).

bb) Wie die Revision zutreffend ausführt, ist die Verneinung eines minder schweren Falles nach § 29a Abs. 2 BtMG durch den Tatrichter von Rechtsirrtum beeinflusst.

Denn das Amtsgericht hat hierfür nur angeführt, „dass die Grenze zur nicht geringen Menge um ca. 40 % überschritten war (UA S. 5). Nach ständiger neuerer Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes ist jedoch eine nur geringe Grenzwertüberschreitung ein Kriterium für die Annahme eines minder schweren Falles, während eine ganz erhebliche Überschreitung gegen die Annahme eines solchen spricht (vgl. BGH, Beschluss vom 11.09.2019, 2 StR 68/19, zitiert nach juris, dort Rdn. 5, sowie Urteil vom 20.08.2019, 1 StR 209/19, zitiert nach juris, dort Rdn. 14). Eine geringe Grenzwertüberschreitung ist hier anzunehmen (vgl. BGH vom 11.09.2019 aaO Rdn. 6: 2,5fache Überschreitung des Grenzwertes). Nicht tragfähig sind demgegenüber die Überlegungen der Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Antragsschrift vom 24. August 2021 (dort S. 3, 2. Absatz): die bloß abstrakte Möglichkeit der Weitergabe der Drogen an Dritte darf gerade nicht strafschärfend herangezogen (vgl. Körner(Patzak/Volkmer, BtMG, 9. Aufl., § 29a Rdn. 130 m. w. N.) und somit auch nicht zur Verneinung eines minder schweren Falles verwertet werden.

Da das angefochtene Urteil keine weiteren Gründe zur Ablehnung der Voraussetzungen des § 29a Abs. 2 BtMG anführt und auch die weitere Strafzumessung (UA S. 5) im wesentlichen Umstände zugunsten des Angeklagten anführt, fehlt es insoweit an einer schlüssigen Begründung.

cc) Darüber hinaus leidet auch die Anordnung des Fahrverbotes von einem Monat an einem Begründungsmangel. Das Amtsgericht hat insoweit lediglich auf §§ 24a, 25 StVG verwiesen (UA S. 5). Da ein Schuldspruch hinsichtlich einer Ordnungswidrigkeit nach § 24a StVG nicht erfolgt ist und dies auch nicht nachgeholt werden kann (s. o.), konnte ein Fahrverbot nicht auf § 25 StVG gestützt werden. Mit den Voraussetzungen des § 44 StGB, nach dem ein Fahrverbot nach dem Ermessen des Tatrichters angeordnet werden kann und in dessen Rahmen auch das festgestellte Führen eines Kraftfahrzeuges unter Drogeneinfluss (UA S. 3) hätte gewürdigt werden können, hat sich der Erstrichter (aus seiner Sicht folgerichtig) nicht befasst….“

BtM III: Besitz in geringer Menge zum Eigenverbrauch, oder: Absehen von Strafe erörtert?

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Und als dritte Entscheidung dann noch der BayObLG, Beschl. v. 02.03.2022 – 205 StRR 53/21 – zu einer Strafzumessungsfrage.

Das AG verurteilt den Angeklagten wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln und weist ihn an, eine Geldbuße von 1000,00 EUR an einen gemeinnützigen Verein zu bezahlen sowie für die Dauer von einem Jahr keine illegalen Drogen zu konsumieren und sich zwei Drogenscreenings zu unterziehen. Den Urteilsfeststellungen zufolge befand sich der Angeklagte, der über keine für den Umgang mit Betäubungsmitteln erforderliche Erlaubnis verfügte, am 29.07.2020 im Besitz von 0,4 Gramm Marihuana mit einem Wirkstoffgehalt von mindestens 5 % Tetrahydrocannabinol. Die Möglichkeit eines Absehens von Strafe wird im Urteil nicht erwähnt.

Dagegen die Revision des Angeklagten, die hinsichtlich des Strafausspruchs Erfolg hat:

„2. Die Revision des Angeklagten hat aber in Bezug auf den Rechtsfolgenausspruch zumindest vorläufigen Erfolg. Der Rechtsfolgenausspruch der Entscheidung kann keinen Bestand haben, da das angefochtene Urteil nicht erkennen lässt, ob der Jugendrichter ermessensfehlerfrei von der Möglichkeit des Absehens von Strafe gemäß § 29 Abs. 5 BtmG keinen Gebrauch gemacht hat. Zwar hat der Angeklagte keinen Anspruch auf Absehen von Strafe. Die Prüfung muss allerdings unter Berücksichtigung aller strafzumessungsrelevanten Gesichtspunkte des Einzelfalls erfolgen und unterliegt dem pflichtgemäßen Ermessen des Richters. Dabei ist insbesondere den Grund-sätzen, die das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 09.03.1994 (NJW 1994, 1577 ff) zum Übermaßverbot bei der Strafverfolgung von gelegentlichen Eigenverbrauchstätern aufgestellt hat, Rechnung zu tragen. Da das verfassungsrechtliche Übermaßverbot nicht nur für den Gesetzgeber und die Strafverfolgungsbehörden, sondern auch für die Gerichte gilt, richtet sich diese verfassungsrechtliche Anweisung auch an die Richter. Das bedeutet, dass das Gericht in einem Fall des gelegentlichen Eigenverbrauchs bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 29 Abs. 5 BtmG dessen Anwendung besonders intensiv und sorgfältig zu erwägen hat. Das Urteil muss erkennen lassen, dass das Gericht sich dieser Möglichkeit und seiner verfassungsrechtlichen Verpflichtung, davon im Regelfall Gebrauch zu machen, bewusst war und es muss die Gründe, die es veranlasst haben, im konkreten Einzelfall von dieser grundsätzlichen Verpflichtung abzuweichen, eingehend und in der Form, die auch sonst für die Urteilsbegründung gilt, darlegen (vgl. OLG Koblenz, Beschluss vom 08.12.2005 – 1 Ss 271/05 – juris Rdn. 4 ff; Patzak in Körner/Patzak/Volkmer, BtmG, 9. Aufl. § 29 Teil 29 Rdn. 69). Kein Anlass zur Erörterung eines Absehens von Strafe besteht, wenn der Angeklagte weder Probierer noch Gelegenheitskonsument ist oder eine Vielzahl von Vorstrafen entgegenstehen (vgl. Patzak in Körner/Patzak/Volkmer, BtmG, a.a.O.).

Nach den Feststellungen in dem angegriffenen Urteil war der letzte Drogenkonsum des Angeklagten im August 2020. Im Übrigen rauche er nur gelegentlich (UA S. 3). Wegen eines Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz ist er mit einem Jugendarrest und einer richterlichen Weisung vorgeahndet (UA S. 3/4). Anhaltspunkte, dass das Gericht sich mit der Möglichkeit des Absehens von Strafe gemäß § 29 Abs. 5 BtmG befasst hat, sind aus dem angefochtenen Urteil nicht er-sichtlich. Im Hinblick auf den Zeitablauf seit der Vorahndung wegen eines Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz (über vier Jahre, UA S. 3/4) und den bisherigen Feststellungen im Zusammenhang mit dem derzeitigen Drogenkonsum des Angeklagten liegt vorliegend allerdings kein Fall vor, wo von vornherein kein Anlass zur Erörterung eines Absehens von Strafe besteht. Da das Amtsgericht die Voraussetzungen und Rechtsfolgen des § 29 Abs. 5 BtmG nicht erörtert hat, ist dem Senat die Prüfung nicht möglich, ob der Jugendrichter ermessensfehlerfrei von der Möglichkeit des Absehens von Strafe keinen Gebrauch gemacht hat. Das angefochtene Urteil war daher im Rechtsfolgenausspruch mit den insoweit getroffenen Feststellungen aufzuheben und die Sache gemäß § 354 Abs. 2 Satz 1 StPO zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Laufen zurückzuverweisen.“

BtM II: LG verurteilt wegen „Abgabe“ an Minderjährige, oder: BGH macht daraus „Verbrauchsüberlassung“

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Bei der zweiten „BtM-Entscheidung“ des Tages handelt es sich um den BGH, Beschl. v. 08.02.2022 – 3 StR 458/21.

Das LG hat den Angeklagten wegen der „unerlaubten Abgabe von Betäubungsmitteln an Minderjährige“ in drei Fällen sowie wegen „Bestimmens Minderjähriger zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln“ in 14 Fällen verurteilt. Dagegen die Revision des Angeklagten, die zu einer Korrektur des Schuldspruchs führt:

„2. Der Schuldspruch bedarf der aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Korrektur.

a) Der Angeklagte hat sich im Fall II. 4. der Urteilsgründe (Tat 3) nicht wegen Abgabe, sondern wegen Verbrauchsüberlassung von Betäubungsmitteln an Minderjährige gemäß § 29a Abs. 1 Nr. 1 BtMG strafbar gemacht.

aa) Nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen übergab der 32-jährige Angeklagte einem 15 Jahre alten Schüler in Kenntnis dessen Alters bei einem Zusammentreffen in einem Park von ihm selbst gebackene Muffins und Kekse zum sofortigen Konsum vor Ort. Dabei verschwieg er dem Jugendlichen, dass er bei der Herstellung dem Teig Cannabis beigefügt hatte. Dieser verzehrte die Backwaren direkt nach deren Erhalt in Unkenntnis des Umstandes, dass sie Betäubungsmittel enthielten. Kurze Zeit später geriet er in einen massiven Rauschzustand, der zu seiner Einlieferung in ein Krankenhaus führte.

bb) Eine Abgabe von Betäubungsmitteln im Sinne des § 29a Abs. 1 Nr. 1 BtMG ist jede Gewahrsamsübertragung an eine andere Person zur freien Verfügung. An einer solchen fehlt es, wenn Betäubungsmittel – wie im Fall II. 4. der Urteilsgründe – zum sofortigen Gebrauch an Ort und Stelle hingegeben werden; in dieser Konstellation liegt vielmehr die Tatbestandsvariante des Überlassens zum unmittelbaren Verbrauch vor (vgl. BGH, Beschluss vom 23. März 2021 – 3 StR 19/21 , juris Rn. 8; Urteil vom 22. November 2016 – 1 StR 329/16 , juris Rn. 23; Beschlüsse vom 14. April 2015 – 5 StR 109/15 , NStZ-RR 2015, 218; vom 8. Juli 1998 – 3 StR 241/98 , NStZ-RR 1998, 347; Patzak/Volkmer/Fabricius, BtMG, 10. Aufl., § 29 Rn. 830, 1205; BeckOK BtMG/Schmidt, 13. Ed., § 29a Rn. 5.2; MüKoStGB/Oğlakcıoğlu, 4. Aufl., § 29a BtMG Rn. 19; Weber/Kornprobst/Maier, BtMG, 6. Aufl., § 29 Rn. 1542 f.).

Dies gilt auch dann, wenn der Täter – wie hier – dem Minderjährigen ein Lebensmittel zum sofortigen Verzehr übergibt, dabei verschweigt, dass dieses Betäubungsmittel enthält und der Empfänger das Rauschgift daher unwissentlich konsumiert. In einer solchen Fallkonstellation ist kein Verabreichen von Betäubungsmitteln im Sinne des § 29a Abs. 1 Nr. 1 BtMG gegeben.

Die Abgrenzung der Tatbestandsvariante des Verabreichens von derjenigen der Verbrauchsüberlassung bestimmt sich allein nach dem äußeren Geschehensablauf. Ein Verabreichen ist gegeben, wenn der Täter dem Empfänger das Betäubungsmittel ohne dessen aktive Mitwirkung zuführt, etwa durch Injizieren, Einreiben oder Einflößen (Fremdapplikation; vgl. BeckOK BtMG/Hochstein, 13. Ed., § 29 Rn. 584; Patzak/Volkmer/Fabricius, BtMG, 10. Aufl., § 29 Rn. 1198; Weber/Kornprobst/Maier, BtMG, 6. Aufl., § 29 Rn. 1538). Übergibt der Täter dagegen einer anderen Person Betäubungsmittel und führt diese sie sich eigenständig zu (Eigenapplikation), unterfällt die Tat der Variante der Verbrauchsüberlassung (BeckOK BtMG/Hochstein, 13. Ed., § 29 Rn. 588; Patzak/Volkmer/Fabricius, BtMG, 10. Aufl., § 29 Rn. 1206; Weber/Kornprobst/Maier, BtMG, 6. Aufl., § 29 Rn. 1544). Darauf, ob der Empfänger Kenntnis davon hat, dass er ein Betäubungsmittel konsumiert, kommt es demgegenüber nicht an (Patzak/Volkmer/Fabricius, BtMG, 10. Aufl., § 29 Rn. 1207; s. auch BGH, Urteil vom 29. April 2009 – 1 StR 518/08 , BGHSt 53, 288 Rn. 4; aA MüKoStGB/Oğlakcıoğlu, 4. Aufl., § 29 Rn. 1225 f.; BeckOK BtMG/Schmidt, 13. Ed., § 30 Rn. 75; Weber/Kornprobst/Maier, BtMG, 6. Aufl., § 29 Rn. 1538). Schon begrifflich liegt es nahe, die Tatbestandsvariante des Verabreichens auf Fälle der Beibringung ohne aktive Mitwirkung des Empfängers zu beschränken und Taten, bei denen der Empfänger ein ihm vom Täter übergebenes Betäubungsmittel sich selbst zuführt, als Überlassung von Betäubungsmitteln zum Verbrauch zu erfassen.“

Aber:

„cc) Der Senat ändert den Schuldspruch entsprechend ab ( § 354 Abs. 1 StPO analog). § 265 StPO steht dem nicht entgegen, weil sich der Angeklagte nicht wirksamer als geschehen hätte verteidigen können. Es ist angesichts des unveränderten Strafrahmens und der weiteren Umstände auszuschließen, dass das Landgericht bei zutreffender rechtlicher Würdigung im Fall II. 4. der Urteilsgründe eine geringere Einzelstrafe festgesetzt hätte.“