BtM II: LG verurteilt wegen „Abgabe“ an Minderjährige, oder: BGH macht daraus „Verbrauchsüberlassung“

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Bei der zweiten „BtM-Entscheidung“ des Tages handelt es sich um den BGH, Beschl. v. 08.02.2022 – 3 StR 458/21.

Das LG hat den Angeklagten wegen der „unerlaubten Abgabe von Betäubungsmitteln an Minderjährige“ in drei Fällen sowie wegen „Bestimmens Minderjähriger zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln“ in 14 Fällen verurteilt. Dagegen die Revision des Angeklagten, die zu einer Korrektur des Schuldspruchs führt:

„2. Der Schuldspruch bedarf der aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Korrektur.

a) Der Angeklagte hat sich im Fall II. 4. der Urteilsgründe (Tat 3) nicht wegen Abgabe, sondern wegen Verbrauchsüberlassung von Betäubungsmitteln an Minderjährige gemäß § 29a Abs. 1 Nr. 1 BtMG strafbar gemacht.

aa) Nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen übergab der 32-jährige Angeklagte einem 15 Jahre alten Schüler in Kenntnis dessen Alters bei einem Zusammentreffen in einem Park von ihm selbst gebackene Muffins und Kekse zum sofortigen Konsum vor Ort. Dabei verschwieg er dem Jugendlichen, dass er bei der Herstellung dem Teig Cannabis beigefügt hatte. Dieser verzehrte die Backwaren direkt nach deren Erhalt in Unkenntnis des Umstandes, dass sie Betäubungsmittel enthielten. Kurze Zeit später geriet er in einen massiven Rauschzustand, der zu seiner Einlieferung in ein Krankenhaus führte.

bb) Eine Abgabe von Betäubungsmitteln im Sinne des § 29a Abs. 1 Nr. 1 BtMG ist jede Gewahrsamsübertragung an eine andere Person zur freien Verfügung. An einer solchen fehlt es, wenn Betäubungsmittel – wie im Fall II. 4. der Urteilsgründe – zum sofortigen Gebrauch an Ort und Stelle hingegeben werden; in dieser Konstellation liegt vielmehr die Tatbestandsvariante des Überlassens zum unmittelbaren Verbrauch vor (vgl. BGH, Beschluss vom 23. März 2021 – 3 StR 19/21 , juris Rn. 8; Urteil vom 22. November 2016 – 1 StR 329/16 , juris Rn. 23; Beschlüsse vom 14. April 2015 – 5 StR 109/15 , NStZ-RR 2015, 218; vom 8. Juli 1998 – 3 StR 241/98 , NStZ-RR 1998, 347; Patzak/Volkmer/Fabricius, BtMG, 10. Aufl., § 29 Rn. 830, 1205; BeckOK BtMG/Schmidt, 13. Ed., § 29a Rn. 5.2; MüKoStGB/Oğlakcıoğlu, 4. Aufl., § 29a BtMG Rn. 19; Weber/Kornprobst/Maier, BtMG, 6. Aufl., § 29 Rn. 1542 f.).

Dies gilt auch dann, wenn der Täter – wie hier – dem Minderjährigen ein Lebensmittel zum sofortigen Verzehr übergibt, dabei verschweigt, dass dieses Betäubungsmittel enthält und der Empfänger das Rauschgift daher unwissentlich konsumiert. In einer solchen Fallkonstellation ist kein Verabreichen von Betäubungsmitteln im Sinne des § 29a Abs. 1 Nr. 1 BtMG gegeben.

Die Abgrenzung der Tatbestandsvariante des Verabreichens von derjenigen der Verbrauchsüberlassung bestimmt sich allein nach dem äußeren Geschehensablauf. Ein Verabreichen ist gegeben, wenn der Täter dem Empfänger das Betäubungsmittel ohne dessen aktive Mitwirkung zuführt, etwa durch Injizieren, Einreiben oder Einflößen (Fremdapplikation; vgl. BeckOK BtMG/Hochstein, 13. Ed., § 29 Rn. 584; Patzak/Volkmer/Fabricius, BtMG, 10. Aufl., § 29 Rn. 1198; Weber/Kornprobst/Maier, BtMG, 6. Aufl., § 29 Rn. 1538). Übergibt der Täter dagegen einer anderen Person Betäubungsmittel und führt diese sie sich eigenständig zu (Eigenapplikation), unterfällt die Tat der Variante der Verbrauchsüberlassung (BeckOK BtMG/Hochstein, 13. Ed., § 29 Rn. 588; Patzak/Volkmer/Fabricius, BtMG, 10. Aufl., § 29 Rn. 1206; Weber/Kornprobst/Maier, BtMG, 6. Aufl., § 29 Rn. 1544). Darauf, ob der Empfänger Kenntnis davon hat, dass er ein Betäubungsmittel konsumiert, kommt es demgegenüber nicht an (Patzak/Volkmer/Fabricius, BtMG, 10. Aufl., § 29 Rn. 1207; s. auch BGH, Urteil vom 29. April 2009 – 1 StR 518/08 , BGHSt 53, 288 Rn. 4; aA MüKoStGB/Oğlakcıoğlu, 4. Aufl., § 29 Rn. 1225 f.; BeckOK BtMG/Schmidt, 13. Ed., § 30 Rn. 75; Weber/Kornprobst/Maier, BtMG, 6. Aufl., § 29 Rn. 1538). Schon begrifflich liegt es nahe, die Tatbestandsvariante des Verabreichens auf Fälle der Beibringung ohne aktive Mitwirkung des Empfängers zu beschränken und Taten, bei denen der Empfänger ein ihm vom Täter übergebenes Betäubungsmittel sich selbst zuführt, als Überlassung von Betäubungsmitteln zum Verbrauch zu erfassen.“

Aber:

„cc) Der Senat ändert den Schuldspruch entsprechend ab ( § 354 Abs. 1 StPO analog). § 265 StPO steht dem nicht entgegen, weil sich der Angeklagte nicht wirksamer als geschehen hätte verteidigen können. Es ist angesichts des unveränderten Strafrahmens und der weiteren Umstände auszuschließen, dass das Landgericht bei zutreffender rechtlicher Würdigung im Fall II. 4. der Urteilsgründe eine geringere Einzelstrafe festgesetzt hätte.“

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