Dem OLG Bamberg, Beschl. v. 07.08.2017 – 3 Ss OWi 996/17 – merkt man so richtig, wie angefressen das OLG war über die amtsgerichtliche Entscheidung, über die es in der Rechtsbeschwerde zu bedinden hatte. An sich eine ganz normale Fahrverbotssache, aber: Die Sache ist zum zweiten Mal beim OLG und der Amtsrichter hat nicht das getan, was das OLG in seiner ersten Aufhebung geschrieben hat. Und da liest man da Formulierungen wie „evident rechtsfehlerhaft“, „schlechterdings unhaltbar“, „gänzlich unnötige Verfahrensverzögerungen“ usw.:
Das angefochtene Urteil weist in mehrfacher Hinsicht durchgreifende Rechtsmängel auf und kann daher insgesamt keinen Bestand haben.
a) Es ist bereits rechtsfehlerhaft, dass das AG im angefochtenen Urteil eine Entscheidung zum Schuldspruch getroffen hat. Denn der Schuldspruch war aufgrund des Umstands, dass die StA ihr Rechtsmittel gegen das Urteil des AG im ersten Verfahrensgang wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt hatte, worauf der Senat bereits mit seinem Beschluss vom 03.11.2016 hingewiesen hat, rechtskräftig. Aufgrund der deshalb eingetretenen horizontalen Teilrechtskraft hätte sich das AG mit dieser Frage überhaupt nicht mehr beschäftigen dürfen.
b) Aber auch der Rechtsfolgenausspruch ist evident rechtsfehlerhaft. Die Gründe des AG zum Absehen vom Fahrverbot, die im Wesentlichen die gleichen Erwägungen, die bereits zur Aufhebung der ersten Entscheidung des AG vom 25.07.2016 in diesem Verfahren geführt haben, beinhalten, sind schon aus den im Senatsbeschluss vom 03.11.2016 dargelegten Gründen nicht tragfähig. Sie weisen überdies einen weiteren gravierenden Rechtsverstoß auf, der für sich allein schon zur Kassation der angefochtenen Entscheidung führen muss. Denn das Urteil setzt sich über das geltende Recht dadurch hinweg, dass es die fehlerhaften Gründe der amtsgerichtlichen Entscheidung im ersten Verfahrensgang wiederholt und damit die Bindungswirkung der Senatsentscheidung vom 03.11.2016, die ihr nach § 79 III 1 OWiG i.V.m. § 358 I StPO zukommt, gänzlich ignoriert.
aa) Soweit das AG einem nicht näher erläuterten „angespannten Zustand“ der Betr., den es zudem ohne jede Beweiswürdigung einfach nur als „glaubhaft“ übernommen hat, Relevanz für das Absehen vom dem an sich gemäß § 4 II 2 BKatV verwirkten Regelfahrverbot beimisst, ist dies aus den Gründen, die der Senat in seiner Entscheidung vom 03.11.2016 bereits eingehend aufgezeigt hat, schlechterdings unhaltbar.
bb) Aber auch die weiteren Umstände zur beruflichen Situation der Betr., die das AG heranzieht, stellen nicht einmal im Ansatz ausreichende Gründe dar, vom verwirkten Regelfahrverbot abzusehen. Die diesbezüglichen Feststellungen sind zu pauschal und lückenhaft, lassen jede Beweiswürdigung vermissen und sind im Übrigen a priori ohne rechtliche Relevanz.
(1) Das AG teilt bereits nicht mit, welche Schichtzeiten die Betr. aufgrund ihres Probearbeitsverhältnisses konkret zu absolvieren hat und wie die Verbindungen des öffentlichen Nahverkehrs konkret sind. Die Urteilsgründe beschränken sich auf die nichtssagende Wertung, „zu den Schichtzeiten der Betr. gebe es nur unzureichend öffentliche Verkehrsmittel“. Damit enthält es den gleichen Fehler, der schon zur Aufhebung des ersten amtsgerichtlichen Urteils vom 25.07.2016 geführt hat.
(2) Im Übrigen unterbleibt jede auch nur im Ansatz nachvollziehbare Beweiswürdigung. Das AG möchte stattdessen auf irgendwelche Unterlagen bei den Akten, die es als „Auszüge“ bezeichnet, verweisen. Diese Vorgehensweise stellt einen zusätzlichen Verstoß gegen § 46 I OWiG i.V.m. § 267 I 1 StPO dar. Hiernach muss das Urteil klar, erschöpfend und aus sich heraus verständlich sein; gebotene eigene Urteilsfeststellungen oder Würdigungen dürfen – von der hier nicht einschlägigen Ausnahmekonstellation bei Abbildungen gem. § 267 I 3 StPO abgesehen – nicht durch Bezugnahmen auf den Akteninhalt ersetzt werden, weil das Rechtsbeschwerdegericht anderenfalls nicht in die Lage versetzt wird, das Urteil einer sachlich-rechtlichen Nachprüfung zu unterziehen (vgl. nur BGH, Urt. v. 02.12.2005 – 5 StR 268/05 = NStZ-RR 2007, 22; KK/Kuckein StPO 7. Aufl. § 267 Rn. 3; LR/Stuckenberg StPO 26. Aufl. § 267 Rn. 11, 12; Meyer-Goßner/Schmitt StPO 60. Aufl. § 267 Rn. 2, jeweils m.w.N.).
(3) Ferner ist die nicht mit Tatsachen belegte Wertung des Tatrichters, eine Fahrt mit öffentlichen Verkehrsmittel zur Arbeitsstelle sei „nicht möglich bzw. der Betr. nicht zumutbar“ auch in sich widersprüchlich, weil sich die Beurteilung der Zumutbarkeit nach der Logik gar nicht mehr stellen kann, wenn die Unmöglichkeit feststünde.
(4) Darüber hinaus trifft das AG keine Feststellungen dazu, ob ggf. anderweitige Möglichkeiten, etwa Mitfahrgelegenheiten oder die Inanspruchnahme von Fahrdiensten durch Verwandte und Freunde, bestehen, um den Weg zur Arbeitsstätte zurückzulegen. Damit weist das Urteil wiederholt das identische Feststellungsdefizit auf, welches bereits zur Aufhebung des Urteils im ersten Verfahrensgang geführt hatte.
(5) Schließlich stellt das AG noch nicht einmal fest, dass der Arbeitsplatz durch die Verhängung und Vollstreckung des Fahrverbots überhaupt gefährdet wäre, was allenfalls ein theoretisch denkbarer Ansatzpunkt wäre, um eine außergewöhnliche Härte bejahen zu können.
2. Nachdem durch die fehlerhafte Verfahrensweise seitens des AG gänzlich unnötige Verfahrensverzögerungen eingetreten sind, sieht der Senat davon ab, die Sache erneut an das AG zurückzuverweisen, sondern macht von der Möglichkeit zur eigenen Sachentscheidung (§ 79 VI OWiG) Gebrauch.
a) Die Regelgeldbuße für den verwirklichten Geschwindigkeitsverstoß von 80 € (Nr. 11.3.5 Anl. § 1 I BKatV) hat der Senat im Hinblick auf die einschlägige Vorahndung maßvoll auf 160 € erhöht.
b) Außerdem wurde das Regelfahrverbot wegen wiederholter Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers, welches aus § 4 II 2 BKatV folgt, verhängt. Eine Ausnahme hiervon wegen eines Härtefalls in Form einer Existenzgefährdung kann der Senat trotz der völlig unzureichenden Sachverhaltsfeststellungen durch das Tatgericht ausschließen. Dabei ist bereits fraglich, ob die Betr., sollte sie in der Tat keine Möglichkeit haben, anderweitig zur Arbeitsstelle zu gelangen, ihren Arbeitsplatz verlieren würde. Ferner stellt sich auch die Frage, ob bei einem Probearbeitsverhältnis überhaupt von einer gesicherten Existenzgrundlage gesprochen werden kann, deren Verlust eine unzumutbare Härte begründen könnte. Dies alles kann indes dahinstehen, weil sich aus den – wenn auch nur äußerst rudimentären – Feststellungen des AG jedenfalls ergibt, dass es der Betr. ohne weiteres zumutbar ist, sollten ohnehin nicht anderweitige Mitfahrgelegenheiten existieren, die Strecke zur Arbeitsstelle notfalls mit dem Fahrrad zurückzulegen. Denn im Hinblick auf die Entfernung von weniger als 10 km zwischen dem Wohnsitz der Betr. und ihrer Arbeitsstätte ist es ihr auch unter Berücksichtigung ihres Alters von 43 Jahren ohne weiteres zuzumuten, für die begrenzte Dauer von nur einem Monat zur Arbeitsstätte mit einem Fahrrad zu fahren. An die Zumutbarkeit sind insofern auch deshalb keine gesteigerten Anforderungen zu stellen, weil die Betr. einschlägig vorgeahndet ist und durch das dabei verhängte Fahrverbot offensichtlich nicht hinreichend beeindruckt werden konnte. Sonstige Umstände, die es gebieten würden, von dieser Regelfolge ausnahmsweise abzuweichen, oder die Annahme begründen könnten, der Zweck des Fahrverbots könnte allein mit einer gegebenenfalls höheren Geldbuße erreicht werden, liegen nicht vor. Für die Anordnung eines beschränkten Vollstreckungsaufschubs nach § 25 IIa 1 StVG besteht im Hinblick auf die Vorahndung mit einem Fahrverbot innerhalb der Zweijahresfrist kein Raum.“
Angefressen eben 🙂 .