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Vorsicht: Rechtsmittelrücknahme – unwiderruflich und unanfechtbar

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Das LG ordnet gegen den Beschuldigten die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an. Die vom Verteidiger rechtzeitig eingelegte Revision hat dieser später zurückgenommen. Hiergegen hat sich der Beschuldigte gewandt und vorgetragen, er habe „die Revision nicht … einstellen lassen und auch nicht über den Pflichtverteidiger“ …, weil er „mit ihm diesbezüglich keine Absprachen getroffen habe“. Außerdem bitte er „um Wiedereinsetzung in den alten Stand, d.h. Unterbringung gemäß § 126a StPO“. Der Verteidiger hat dazu erklärt, dass er bei dem letzten Gespräch mit dem Beschuldigten „aufgrund der Diskussion über die Erfolgsaussichten der Revision und der daraufhin von Herrn S. getätigten Aussagen unmissverständlich davon ausgehen“ musste, dass „die Revision nicht durchgeführt werden soll“.

Was nun in dieser „Aussage-gegen-Aussage-Situation“? Der BGH, Beschl. v. 19.06.2012 – 3 StR 190/12 – sieht die Rechtsmittelrücknahme als wirksam an:

1. Der Verteidiger war zur Rechtsmittelrücknahme wirksam ermächtigt. Dies ergibt sich schlüssig aus seinem Vortrag mit Schriftsatz vom 14. März 2012 (Bl. 97, Band II d. A.). Danach musste der Verteidiger unmissverständlich nach einer Diskussion der Erfolgsaussichten davon ausgehen, dass die Revision nicht durchgeführt wer-den soll. Zweifel an der Darstellung des Verteidigers bestehen nicht und ergeben sich auch nicht daraus, dass sich der Beschuldigte von der Revisionsrücknahme überrascht zeigt und eine Ermächtigung in Abrede stellt. Für die gemäß § 302 Abs. 2 StPO erforderliche ausdrückliche Ermächtigung ist eine bestimmte Form nicht vor-geschrieben. Sie kann auch mündlich erfolgen und braucht nicht ausdrücklich erklärt zu werden (BGHR StPO § 302 Abs. 2 Rücknahme 6). Für den Nachweis der Ermächtigung, der noch nach Abgabe der Erklärung geführt werden kann, genügt die anwaltliche Versicherung des Verteidigers (BGH NStZ-RR 2010, 55; NStZ-RR 2005, 211, 212; NStZ 2001, 104; BGH, Beschluss vom 13. September 2007 – 4 StR 394/07).

Bedenken gegen die Rechtswirksamkeit der Ermächtigung ergeben sich nicht deshalb, weil die Steuerungsfähigkeit des Beschuldigten nach den Urteilsfeststellungen im Tatzeitpunkt nicht sicher aus-schließbar vollständig aufgehoben war (UA S. 14). Eine wirksame Ermächtigung setzt lediglich voraus, dass der Ermächtigende bei Abgabe seiner Erklärung verhandlungsfähig im Sinne des Strafverfahrensrechts und in der Lage ist, die Bedeutung von Prozesserklärungen zu erkennen (BGH NStZ 83, 280). Weder die Urteilsgründe noch das Hauptverhandlungsprotokoll ergeben einen Hinweis da-rauf, dass der Beschuldigte verhandlungsunfähig war. Er hat aktiv an der Verhandlung mitgewirkt und sich zum Tatvorwurf eingelassen. Hatte das Tatgericht – wie hier – keine Zweifel an der Verhandlungsfähigkeit des Angeklagten, so kann diese grundsätzlich auch vom Revisionsgericht bejaht werden (Senat NStZ-RR 2002, 101 f.; BGH NStZ 1984, 181; NStZ 1996, 297). Hinzu kommt, dass die Einsichtsfähigkeit des Beschuldigten ausweislich der Urteilsfeststellungen zum Tatzeitpunkt weder erheblich vermindert noch aufgehoben war, und der Beschuldigte trotz seiner wahnhaften Erkrankung moralische Normen und Werte nennen und begründen konnte (UA S. 13). Anhaltspunkte dafür, dass sich nach der Hauptverhandlung Änderungen im psychischen Zustand des Beschuldigten ergeben haben, die eine abweichende Beurteilung rechtfertigen könnten, liegen nicht vor.

Diese Fälle „später Reue“ sind ja nicht selten. Dagegen und vor dem Hin und Her kann sich der Verteidiger – wenn überhaupt – nur schützen, wenn er dem Mandanten unmissverständlich klar macht, worum es geht und man das auch schriftlich festhält. Und man muss ihm auch deutlich machen, dass er an eine wirksame Rücknahme der Revision gebunden ist – „… sie ist unwiderruflich und unanfechtbar (BGH NStZ 1983, 280, 281)“.

Auf freien Fuß gesetzt? Dann aber auch nix wie weg…

Zwei gestern auf der Homepage des BGH veröffentlichte Beschlüsse befassen sich mit dem Grundsatz der Spezialität und einem bei dessen Verletzung sich daraus ggf. ergebenden Verfahrenshindernis. Es ist einmal der zur Veröffentlichung in BGHSt vorgesehene BGH, Beschl. v. 09.02.2012 – 1 StR 148/11– und der BGH, Beschl. v. 09.02.2011 – 1 StR 152/11, den ich bereits in anderem Zusammenhang erwähnte hatte.

In beiden Fällen waren die Angeklagten aus der Schweiz wegen bestimmter Straftaten ausgeliefert worden., so dass wegen der im Haftbefehl genannten Taten der Spezialitätsgrundsatz eingriff. Später wurden die Angeklagten auf freien Fuß gesetzt und sind dann in der Bundesrepublik geblieben. Damit galt – so der Leitsatz 2 des BGH-Beschlusse:

Ist der Ausgelieferte mit Verkündung des erstinstanzlichen Urteils auf freien Fuß gesetzt worden, entfällt die Spezialitätsbindung gemäß Art. 14 Abs. 1 Buchst. b EuAlÜbk dann, wenn er – obwohl er über die Rechtsfolgen dieser Vorschrift informiert worden ist und die Möglichkeit einer Ausreise hatte – nicht innerhalb von 45 Tagen die Bundesrepublik Deutschland verlassen hat oder wenn er nach dem Verlassen Deutschlands dorthin zurückgekehrt ist.“

Also, wenn auf freien Fuß, dann nichts wie weg…..

 

Der telefonische Hinweis des Strafkammervorsitzenden an den Verteidiger…

Ergänzend führt der BGH im BGH, Beschl. v.20.12.2011 – 3 StR 426/11 aus:

„Der telefonische Hinweis des Strafkammervorsitzenden an den Verteidiger, der Angeklagte könne im Falle einer geständigen Einlassung mit einer Aussetzung der Freiheitsstrafe zur Bewährung rechnen, hat nicht zu einer Bindung der Strafkammer geführt. Eine solche ergibt sich erst aus einer Verständigung nach § 257c Abs. 3 Satz 4 StPO, nicht jedoch aus den verschiedenen, zuvor möglichen Formen der Kommunikation des Gerichts mit den Verfahrensbeteiligten (§§ 202a, 212, 257b StPO).
Auch ein berechtigtes Vertrauen des Angeklagten oder eines anderen Verfahrensbeteiligten dahin, dass von der Einschätzung der Bewährungsfrage nicht abgewichen wird, solange kein entsprechender Hinweis erteilt worden ist (vgl. dazu BGH, Urteil vom 30. Juni 2011 – 3 StR 39/11, NJW 2011, 3463), konnte durch dieses erkennbar im Rahmen der Terminsvorbereitung geführte Telefonat nicht entstehen.“

Man fragt sich natürlich: Warum wird dann angerufen und was soll ein solcher Hinweis?

Rechtspfleger kann nicht machen, was er will

Das LG Saarbrücken hatte schon 2001 darauf hingewiesen, im Meyer-Goßner steht es auch. Und jetzt hat das LG Koblenz noch einmal zu der Frage der Stellung genommen: Was ist mit einer falschen Kostengrundentscheidung? Ist der Rechtspfleger an sie gebunden?

Das LG sagt – genau wie die anderer Stimmen zu der Frage: Ja. Ein Rechtspfleger ist im Rahmen des Kostenfestsetzungsverfahrens an eine bestandskräftige Kostengrundentscheidung grundsätzlich gebunden, selbst wenn diese eine dem geltenden Recht unbekannte und von vornherein unzulässige Rechtsfolge ausspricht, fehlerhaft oder sogar grob gesetzeswidrig ist. Lediglich dann, wenn die Kostengrundentscheidung nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen nichtig ist, kann die Entscheidung unbeachtlich sein (vgl. LG Koblenz, Beschl. v. 24.09.2010 – 4 Qs 56/10).

Nochmals Pflichtverteidigung: Bindung an den Antrag der StA

Der Kollege Feltus freut sich über meinen gestrigen Post zur Pflichtverteidigung, der ihm gerade recht kam. Schön, wenn das Posten was hilft. Daher lege ich nach und verweise auf die Entscheidung des LG Oldenburg v. 01.06.2010 – 4 Qs 182/10.

Das LG hat darauf hingewiesen, dass ein Antrag nach Abschluss der Ermittlungen (§ 169a StPO) gestellter Antrag der Staatsanwaltschaft auf Bestellung eines Pflichtverteidigers nicht abgelehnt werden kann, er also für das Gericht bindend ist. Und inzidenter hat das LG auch gleich entschieden, dass über diesen Antrag ggf. auch noch nach Abschluss des Verfahrens zu entscheiden ist. Letzteres hat es zwar nicht ausdrücklich gesagt. Es folgt aber aus der Entscheidung, die sonst so ggf. nicht hätte ergehen dürfen/können.