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Verkehrsrecht II: Vorläufige Entziehung der FE, oder: Nach längerem Zeitablauf erhöhte Anforderungen

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Und im zweiten Posting dann der OLG Karlsruhe, Beschl. v. 23.12.2024 – 2 Ws 355/24 – zur Entziehung der Fahrerlaubnis bzw. zur Aufhebung eines entsprechenden Beschlusses, der im Berufungsverfahren ergangen war.

Der Angeklagte war durch Urteil des AG vom 25.03.2024 wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs, begangen am 10.04.2023, zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Zugleich wurde ihm die Fahrerlaubnis entzogen. Zuvor hatte weder die Staatsanwaltschaft mit dem Strafbefehlsantrag vom 05.10.2023 einen Antrag auf vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis gestellt, noch hatte das AGmit der Urteilsverkündung einen solchen Beschluss erlassen. Die Staatsanwaltschaft hat gegen das AG-Urteil Berufung eingelegt und der Angeklagte Revision. Der seit dem Eingang am 10.06.2024 mit dem Berufungsverfahren am LG befasste Vorsitzende der Strafkammer hat den Angeklagten, seinen Verteidiger und die Staatsanwaltschaft mit Verfügung vom 26.07.2024 auf die in Betracht kommende vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis hingewiesen. Er hat zunächst von einer Entscheidung nach § 111a StPO abgesehen und mit Verfügung vom 04.09.2024 Termin zur Hauptverhandlung am 18.11.2024 bestimmt. Mit Verfügung vom 30.09.2024 hat die Staatsanwaltschaft dann beantragt die (schweizerische) Fahrerlaubnis für das Bundesgebiet vorläufig zu entziehen. Aufgrund einer unvorhergesehenen Operation des Vorsitzenden wurde der Hauptverhandlungstermin mit Verfügung vom 12.11.2024 auf den 27.01.2025 verlegt. Mit dem angefochtenen Beschluss vom 13.11.2024 wurde die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis gemäß § 111a StPO angeordnet. Die dagegen gerichtete Beschwerde hatte beim OLG Erfolg:

„Die zulässige Beschwerde erweist sich auch in der Sache als begründet.

Zwar hat das Landgericht im Hinblick auf die erstinstanzlichen Feststellungen in dem Urteil vom 25.03.2024 mit zutreffenden Ausführungen angenommen, dass weiterhin dringende Gründe für die Annahme vorhanden sind, dass dem Angeklagten gemäß §§ 69 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, 69a Abs. 1, 69b Abs. 1, 315c Abs. 1 Nr. 2 StGB auch in der Berufungsentscheidung die Fahrerlaubnis zu entziehen sein wird.

Liegt – wie hier – ein mit der Berufung angefochtenes Urteil vor, kommt den Feststellungen des Tatrichters zu den Voraussetzungen des § 69 StGB für die zu treffende Beschwerdeentscheidung zwar keine Bindungs- aber eine Indizwirkung zu, da das Tatgericht auf Grund der durchgeführten Hauptverhandlung über eine größere Sachnähe und bessere Erkenntnismöglichkeiten verfügt als das Beschwerdegericht, das sich nur auf den Akteninhalt stützen kann.

Indes hat das Landgericht im Hinblick auf die Frage des nach § 111a StPO notwendigen vorläufigen Sicherungsbedürfnisses den Zeitablauf seit dem Tatvorwurf vom 10.04.2023 bis zu der angefochtenen Entscheidung am 13.11.2024 von über 18 Monaten nicht ausreichend gewürdigt. Die Frage des vorläufigen Sicherungsbedürfnisses nach diesem längeren Zeitablauf seit der Tat wurde in der angefochtenen Entscheidung nur formelhaft mit einem Satz begründet.

Zwar rechtfertigt ein längerer bloßer Zeitablauf nicht zwangsläufig die Annahme, der durch die Tatbegehung indizierte Eignungsmangel sei im Zeitpunkt der tatrichterlichen Entscheidung entfallen (vgl. auch OLG Koblenz, Beschluss vom 10. Oktober 2007 – 1 Ws 513/07 -, NZV 2008, 47; KG Berlin, Beschluss vom 8. Februar 2017, – 3 Ws 39/17 -, juris). Auch das Bundesverfassungsgericht hat keine grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Bedenken, wenn bei der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 111a StPO im Einzelfall der Sicherheit des Straßenverkehrs der Vorrang gegenüber dem eingetretenen Zeitablauf und der zu beobachtenden Verfahrensverzögerung eingeräumt wird (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 15. März 2005 – 2 11/R 364/05 -, juris).

Wenngleich eine Fahrerlaubnis auch noch mit Erhebung der Anklage oder später noch in der Berufungsinstanz vorläufig entzogen werden kann, sind mit zunehmender zeitlicher Distanz zwischen Tatgeschehen und dem Zeitpunkt des vorläufigen Entzuges der Fahrerlaubnis erhöhte Anforderungen an die Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der Sicherheit des Straßenverkehrs und dem Schutz der Allgemeinheit einerseits und dem Interesse des Fahrerlaubnisinhabers an der uneingeschränkten Nutzung seiner Fahrerlaubnis andererseits zu stellen. Bleibt dieser nach der ihm angelasteten Tat weiter im Besitze seiner Fahrerlaubnis und nimmt nach Aktenlage beanstandungsfrei am Straßenverkehr teil, wächst sein Vertrauen in den Bestand der Fahrerlaubnis, während die Möglichkeit ihres vorläufigen Entzuges nach § 111a StPO ihren Charakter als Eilmaßnahme zunehmend verliert (vgl. auch KG Berlin, Beschluss vom 1. April 2011 – 3 Ws 153/11 -, juris).

Der Zeitablauf zwingt damit zu einer besonders sorgfältigen Prüfung, ob dem Angeklagten nun unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten noch die Fahrerlaubnis vorläufig entzogen werden kann. Insoweit konnte vorliegend zunächst nicht übersehen werden, dass der vom Amtsgericht für angemessen erachtete Zeitraum der Sperrfrist von nur sechs Monaten zwischenzeitlich rechnerisch um das Dreifache überschritten wäre. Zudem resultiert die Verfahrensverzögerung im vorliegenden Fall nicht etwa aus der Sphäre der Verteidigung bzw. des Angeklagten (vgl. auch zu einer Anordnung nach § 111a StPO nach 16 Monaten aufgrund einer verteidigungsbedingten Verzögerung: OLG Stuttgart, Beschluss vom 22. Oktober 2021 -1 Ws 153/21 -, juris). Da die Berufungskammer nach der Einholung des negativen schweizerischen Strafregistereintrages weit über ein Jahr nach der Tatbegehung zunächst mit der Terminierung der Hauptverhandlung am 04.09.2024 zwei Monate später auf den 18.11.2024 keine Veranlassung für ein zeitnahes Sicherungsbedürfnis gesehen hat, rechtfertigt die bloße Verlegung des Hauptverhandlungstermins und die damit einhergehende weitere Verzögerung um etwa zwei Monate, die wiederum nicht der Sphäre des Angeklagten geschuldet ist, kein dringendes vorläufiges Sicherungsbedürfnis.“

Vergütungsvereinbarung zu hoch, oder: Sittenwidrig?

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Die zweite gebührenrechtliche Entscheidung, die ich heute vorstelle, ist das KG, Urt. v. 08.06.2018 – 9 U 41/16. Es behandelt zunächst/vornehmlich die Frage nach dem Entfallen des anwaltlichen Vergütungsanspruchs nach Mandatskündigung auch bei erst nachträglich entdecktem Kündigungsgrund. Dazu sagt das KG:

„Auch ein nachgeschobener Kündigungsgrund, der im Zeitpunkt der Kündigung schon bestand, dem kündigenden Dienstberechtigten aber seinerzeit noch nicht bekannt war, kann eine Kündigung im Sinne der Vorschrift des § 628 Abs. 1 S. 2 BGB veranlasst haben.“

Jetzt lassen wir mal dahin gestellt, ob das so richtig ist. Mir geht es hier heute um den Teil der Entscheidung, der sich mit der Sittenwidrigkeit der vereinbarten Vergütung befasst.

„Die dieser Rechnung zugrundeliegende Honorarvereinbarung ist nicht gemäß § 138 Abs. 1 oder 2 BGB unwirksam. Eine Sittenwidrigkeit im Sinne dieser Vorschrift ist weder konkret vorgetragen noch sonst ersichtlich.

a) Unabhängig davon, dass die Beklagte verkennt, dass der Kläger seine außergerichtliche Tätigkeit vergütet haben will, er mithin ohne Honorarvereinbarung eine Geschäftsgebühr nach RVG VV 2300 verlangen kann (insgesamt 1,3 x 354,00 Euro zzgl. Postpauschale zzgl. MWSt. = 571,44 Euro) und die von ihm geltend gemachte Vergütung danach lediglich knapp dreimal so hoch ist, kann die Sittenwidrigkeit einer Honorarvereinbarung nicht allein aus einem Vergleich mit den gesetzlichen Gebühren hergeleitet werden.

Eine Vergütungsabrede ist nach ständiger Rechtsprechung gemäß § 138 Abs. 1 BGB nur dann sittenwidrig, wenn zwischen Leistung und Gegenleistung ein auffälliges Missverhältnis besteht und weitere Umstände hinzutreten, welche die Sittenwidrigkeit begründen, insbesondere etwa eine verwerfliche Gesinnung oder die Ausbeutung der schwierigen Lage oder Unerfahrenheit für das eigene unangemessene Gewinnstreben (BGH, Urteil vom 10. November 2016 – IX ZR 119/14 –, Rn. 17, juris). Für die Frage, ob ein Missverhältnis besteht, kommt es auf einen Vergleich zwischen dem objektiven Wert der beiderseitigen Leistungen zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses an. Entscheidend ist der Marktwert, also der marktübliche Preis. Daher muss der Mandant, der ein sittenwidrig überhöhtes Entgelt behauptet, zu dem Preis vortragen, welcher der vom Anwalt versprochenen Leistung üblicherweise im sonstigen Geschäftsverkehr zukommt. Die gesetzlichen Gebühren allein sind vielfach keine ausreichende Vergleichsgrundlage für ein den Schluss auf eine Sittenwidrigkeit ermöglichendes Missverhältnis, weil sie nicht in allen Fällen die marktangemessene, adäquate Vergütung für die aufgrund eines konkreten Mandats geschuldete Leistung des Anwalts abbilden sollen, sondern auf einer anderen Grundlage festgesetzt werden (BGH, a.a.O., Rn. 18 f., juris).

Danach reicht der Vortrag der Beklagten nicht aus, eine Sittenwidrigkeit der Honorarvereinbarung festzustellen. Hinzukommt, dass das Landgericht seine Entscheidung darauf gestützt hat, dass die subjektiven Tatbestandsmerkmale gemäß § 138 Abs. 2 BGB nicht vorgetragen sind. Selbst wenn man ein auffälliges Missverhältnis annehmen würde, fehlt die Darlegung dieser subjektiven Merkmale, zu denen die Beklagte nichts vorgetragen hat.

b) Soweit sich die Beklagte darauf berufen will, es liege ein besonders grobes Missverhältnis vor, aus dem auf die verwerfliche Gesinnung des Klägers geschlossen werden könne, gilt nichts anderes.

Bei einem besonders groben Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung spricht eine Vermutung für ein Handeln aus verwerflicher Gesinnung (vgl. BGH, Urteil vom 30. Mai 2000 – IX ZR 121/99, juris: 5-fache der gesetzlichen Vergütung). Liegt die Diskrepanz aber unterhalb der für das besonders grobe Missverhältnis anerkannten Grenze, liegt nur ein auffälliges Missverhältnis vor, das keine Vermutung für eine verwerfliche Gesinnung begründet (BGH, Urteil vom 10. November 2016 – IX ZR 119/14 –, Rn. 18, juris). Da die gesetzlichen Gebühren nicht in allen Fällen die marktangemessene, adäquate Vergütung für die aufgrund eines konkreten Mandats geschuldete Leistung des Anwalts abbilden (s.o.), genügt für sich genommen das mehrfache Überschreiten der gesetzlichen Gebühren noch nicht, um den Schluss auf ein auffälliges oder gar besonders grobes Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung im Sinne des § 138 BGB ziehen zu können (BGH, a.a.O., Rn. 19).

„Der Mandant, der geltend macht, die mit dem Anwalt getroffene Vergütungsvereinbarung sei sittenwidrig und daher nichtig, und sich hierzu auf ein auffälliges Missverhältnis zwischen der Leistung des Anwalts und dem vereinbarten Honorar beruft, muss also nicht nur dartun, dass die vereinbarte Vergütung die gesetzlichen Gebühren überschreitet, sondern zudem darlegen und beweisen, dass nach Umfang und Schwierigkeit der im Rahmen des konkreten Mandats geschuldeten anwaltlichen Tätigkeit objektiv nur eine geringere als die vereinbarte Vergütung marktangemessen ist. Erst wenn auf dieser Grundlage feststeht, dass die versprochene Vergütung das Honorar deutlich überschreitet, welches für die zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses nach dem konkreten Mandat im Gegenzug zu leistende anwaltliche Tätigkeit objektiv angemessen ist, liegt ein auffälliges Missverhältnis vor. Übersteigt sie das angemessene, adäquate Honorar in krasser Weise, liegt ein besonders grobes Missverhältnis vor, aus dem auf die verwerfliche Gesinnung des Rechtsanwalts geschlossen werden kann.” (BGH, Urteil vom 10. November 2016 – IX ZR 119/14 –, Rn. 21, juris) Dies hat die Beklagte nicht dargetan.“

Auf freien Fuß gesetzt? Dann aber auch nix wie weg…

Zwei gestern auf der Homepage des BGH veröffentlichte Beschlüsse befassen sich mit dem Grundsatz der Spezialität und einem bei dessen Verletzung sich daraus ggf. ergebenden Verfahrenshindernis. Es ist einmal der zur Veröffentlichung in BGHSt vorgesehene BGH, Beschl. v. 09.02.2012 – 1 StR 148/11– und der BGH, Beschl. v. 09.02.2011 – 1 StR 152/11, den ich bereits in anderem Zusammenhang erwähnte hatte.

In beiden Fällen waren die Angeklagten aus der Schweiz wegen bestimmter Straftaten ausgeliefert worden., so dass wegen der im Haftbefehl genannten Taten der Spezialitätsgrundsatz eingriff. Später wurden die Angeklagten auf freien Fuß gesetzt und sind dann in der Bundesrepublik geblieben. Damit galt – so der Leitsatz 2 des BGH-Beschlusse:

Ist der Ausgelieferte mit Verkündung des erstinstanzlichen Urteils auf freien Fuß gesetzt worden, entfällt die Spezialitätsbindung gemäß Art. 14 Abs. 1 Buchst. b EuAlÜbk dann, wenn er – obwohl er über die Rechtsfolgen dieser Vorschrift informiert worden ist und die Möglichkeit einer Ausreise hatte – nicht innerhalb von 45 Tagen die Bundesrepublik Deutschland verlassen hat oder wenn er nach dem Verlassen Deutschlands dorthin zurückgekehrt ist.“

Also, wenn auf freien Fuß, dann nichts wie weg…..