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Wenn der Messbeamte sich nicht mehr erinnern kann, oder: Bezugnahme auf das Messprotekoll?

Gerade in den Bußgeldverfahren gibt es immer wieder Streit/Probleme bei der Beweiswürdigung hinsichtlich der Frage: An was kann sich der Messbeamte eigentlich noch erinnern bzw. was kann ich/der Amtsrichter ihm noch glauben. Bei der Vielzahl der Messungen ist es schon „verständlich“, wenn sich die Messbeamten nicht mehr an jede Messungen erinnern können. Wenn sie „ehrlich“ sind, räumen sie das dann auch in der Hauptverhandlung ein und ziehen sich dann auf das Messprotokoll zurück. Tenor: „Wenn das da so steht, soll es schon so gwesen sein“. Das geht, wenn überhaupt, allenfalls dann, wenn der Messbeamte das Messprotokoll auch selbst gefertigt und unterschrieben hat. Sonst klappt das nicht.

So (zutreffend) jetzt das AG Dortmund im AG Dortmund, Urt. v. 14.o7.2017 – 729 OWi-268 Js 995/17 -169/17 – mit dem Leitsatz:

„Das nur in einem Messprotokoll enthaltenen Messergebnis einer Geschwindigkeitsmessung, an das sich der Messbeamte nicht selbst erinnern kann, kann einer Verurteilung nur dann zugrunde gelegt werden, wenn der Messbeamte die Gewähr für die Richtigkeit seiner laut Messprotokoll getroffenen Feststellungen übernimmt. Dies ist nicht möglich, wenn er selbst das Messprotokoll gar nicht gefertigt oder (mit) unterschrieben hat. Gleiches gilt für durchgeführte Gerätetests.“

Ähnlich hatte das AG Dortmund vor kurzem zu einem Verstoß gegen § 23 Abs. 1a StVO entschieden (vgl. AG Dortmund, Urt. v. 13.06.2017 – 729 OWi-261 Js 625/17-114/17; dazu: Mobiltelefon im Straßenverkehr, oder: Was haben die Polizeibeamten gesehen/wofür kann man die „Gewähr“ übernehmen?) Dazu dann auch BGHSt 23, 213.

Täteridentifizierung und kein Ende, oder: So geht es jetzt – einfacher (?)

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Die ordnungsgemäße Bezugnahme auf ein Lichtbild, mit dem ggf. der Betroffene als Führer/Fahrer eines Kraftfahrzeuges zum Vorfallszeitpunkt identifiziert werden kann, beschäftigt im Moment mal wieder die obergerichtliche Rechtsprechung. Dabei geht es um die Frage, wann der Tatrichter ordnungsgemäß im Sinne von § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO auf eine bei den Akten befindliche Abbildung verwiesen hat. Damit hat sich jetzt auch das OLG Hamm noch einmal befasst. Es geht unter Hinweis auf die neuere Rechtsprechung des BGH davon aus, dass eine Bezugnahme deutlich und zweifelsfrei zum Ausdruck zu bringen gebracht werden muss, wofür die Angabe der bloßen Fundstelle des Lichtbildes in der Akte genügen könne. Eine wirksame Bezugnahme auf Abbildungen liege aber dann nicht vor, wenn lediglich der Beweiserhebungsvorgangs in allgemeiner Form (etwa zu Beginn der Beweiswürdigung im Rahmen einer übersichtsartigen Benennung der Beweisgrundlagen) geschildert wird. So der OLG Hamm, Beschl. v. 23.03.2017 – 4 RVs 30/17, der zwar in einem Revisionsverfahren ergangen ist, der aber auch für das Bußgeldverfahren gilt.

Die Rechtsprechung zur ordnungsgemäßen Bezugnahme auf Lichtbilder weicht im Hinblick auf das auch vom OLG Hamm angeführte BGH, Urt. v. 28.01.2016 – 3 StR 425/15 auf. In der Vergangenheit ist man teilweise davon ausgegangen, dass der bloße Hinweis, dass bestimmte Lichtbilder, die ggf. noch mit Blattzahl der Akten benannt werden, in Augenschein genommen wurden, nicht hinreichend deutlich den Willen zur Inbezugnahme i.S.v. § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO erkennen lasse (u.a. OLG Bamberg NZV 2008, 211). Inzwischen schwenkt die OLG-Rechtsprechung jedoch auf den „weicheren“ Kurs des BGH ein. So dann auch schon OLG Bamberg, Beschl. v. 14.11.2016 – 3 Ss OWi 1164/16 und dazu Täteridentifizierung, oder: Mainstream vom OLG Bamberg und OLG Bamberg, Beschl. v. 06.02.2017 – 3 Ss OWi 156/17 und dazu Nochmals Täteridentifizierung, oder: Wie muss die Lichtbildbezugnahme aussehen?). Etwas einschränkender wird das vom OLG Düsseldorf gesehen (vgl. den OLG Düsseldorf, Beschl. v. 26.05.2017 – 1 RBs 55/16, auf den ich vorhin ja schon in andererem Zusammenhang hingewiesen habe). Danach soll bloße Mitteilung der Fundstelle in den Akten nicht ausreichen, wenn im Urteil auch die Fundstellen verschiedener in der Hauptverhandlung verlesener Urkunden angegeben werden, die keinesfalls durch Bezugnahme Bestandteil der Urteilsgründe werden können.

Warum brauche ich dafür ein OLG?, oder: Urkunden/Abbildungen

© Andreas Berheide - Fotolia.com

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So, und dann noch einen Owi-Beschluss, der vor einiger Zeit auch schon beim Kollegen Gratz im VerkehrsrechtsBlog gelaufen ist. Es ist der OLG Naumburg, Beschl. v. 04.04.2016 – 2 Ws 60/16, der ein Frage/ein Problem behandelt, bei dem die Lösung m.E. auf der Hand liegt. Nämlich die Frage: Auf welche Unterlagen usw. kann eigentlich im straf- und damit auch im bußgeldrechtlichen Urteil Bezug genommen werden?

Die Lösung folgt unschwer aus § 267 Abs 1. Satz 3 StPO: Es kann wegen der Einzelheiten auf Abbildungen Bezug genommen werden. Und „Urkunden wie Lieferscheine, Rechnungen, Wegprotokolle, Eichscheine und sonstige Schriftstücke [sind] einer Verweisung gemäß § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO i. V. m. § 71 OWiG nicht zugänglich„, denn das sind eben „Urkunden“ und keine „Abbildungen“. Warum man dafür ein OLG braucht, erschließt sich mir nicht. Sollte man als Amtsrichter wissen.

Das „Kleine Einmaleins“ der ordnungsgemäßen Bezugnahme – man sollte es beherrschen…

entnommen wikimedia.org Urheber Photo: Andreas Praefcke

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So ganz viel – erfolgversprechende – Möglichkeiten, im Bußgeldverfahren mit der Rechtsbeschwerde die Aufhebung des amtsgerichtlichen Urteils zu erreichen, gibt es ja leider nicht (mehr). Aber, wenn es um die Täteridentifizierung anhand eines Lichtbildes, das von dem Verkehrsverstoß gefretigt worden ist, geht, dann stehen die Chancen nicht schlecht. Da werden dann doch häuifg/viele Fehler gemacht, die zur Aufhebung führen und damit Zeitgewinn bringen. Und das vor allem dann, wenn man an einen Amtsrichter „gerät“, der das „Kleine Einmal Eins“ der Bezugnahme nach § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO nicht beherrscht.

So der Amtsrichter in Berlin, der das dem KG, Beschl. v. 22.09.2015 – 3 Ws (B) 484/15 – zugrundeliegende Urteil abgesetzt hatte. Das passte nun gar nicht:

„Die Generalstaatsanwaltschaft Berlin weist in ihrer Stellungnahme zu dem Rechtsmittel zutreffend darauf hin, dass das Urteil hinsichtlich der Feststellung zu der Identifizierung der Betroffenen als Fahrerin an einem durchgreifenden Darstellungsmangel leidet. Ausweislich der Urteilsgründe hat der Tatrichter die Betroffene anhand der Fotos und der Aufzeichnungen der Rotlicht- und Geschwindigkeitsüberwachungsanlage als Führerin des maßgeblichen Fahrzeugs erkannt. Die bloße Darlegung jedoch, dass das Gericht die Fotos und Aufzeichnungen in die Hauptverhandlung eingeführt habe, stellt keine prozessordnungsgemäße Verweisung dar. Denn die Absicht, wegen der Einzelheiten des Inhalts auf die Lichtbilder Bezug zu nehmen, kommt damit nicht deutlich und zweifelsfrei zum Ausdruck (vgl. Senat, Beschluss vom 17. Oktober 2014 — 3 Ws (B) 550/14 —). Der Tatrichter muss insoweit ausdrücklich auf die in der Akte befindlichen Lichtbilder gemäß den §§ 71 Abs. 1 OWiG, 267 Abs. 1 Satz 3 StPO Bezug nehmen. Lediglich dann werden diese zum Bestandteil der Urteilsgründe und das Rechtsmittelgericht kann sie aus eigener Anschauung würdigen Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 58. Aufl., § 267 Rdn. 10) und ist daher in der Lage zu beurteilen, ob sie als Grundlage einer Identifizierung tauglich sind (vgl. BGH NZV 1996, 157 mit weit. Nachw.),

Wenn der Tatrichter jedoch — wie vorliegend — von der erleichternden Verweisung auf die In Augenschein genommenen Fotos und Aufzeichnungen gemäß den §§ 71 Abs. 1 OWiG, 267 Abs. 1 Satz 3 StPO abgesehen hat, muss das Urteil Ausführungen zur Bildqualität enthalten sowie die abgebildete Person oder jedenfalls mehrere charakteristische Identifizierungsmerkmale so präzise beschreiben, dass dem Rechtsmittelgericht anhand der Beschreibung in gleicher Weise wie bei Betrachtung der Lichtbilder die Prüfung ermöglicht wird, ob diese zu Identifizierung generell geeignet sind (vgl. BGH a. a. O.).

Diesen Anforderungen genügt das angefochtene Urteil nicht, weil lediglich mitgeteilt wird, dass der Tatrichter die Betroffene anhand der Frisur und der Gesichtsform eindeutig wiedererkannt habe. Das Urteil kann daher, ohne dass es auf das weitere Beschwerdevorbringen ankommt, keinen Bestand haben.“

Ich bin dann immer wieder erstaunt, wenn ich solche Aufhebungen lese. Nicht über die Aufhebung, die ist klassich. Nein, über das AG-Urteil. Denn die Grundsatzentscheidung des BGH (BGHSt 41, 376) ist aus 1995 – da sollten sich die Grundsätze der Entscheidung doch allmählich herum gesprochen haben. Oder?

Manchmal gibt der BGH auch Hilfestellung: Tatrichter nimmt doch Bezug

entnommen wikidmedia.org Fotograf Faßbender, Julia

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Fotograf Faßbender, Julia

Manchmal gibt der BGH den Instanzgerichten auch Hilfestellung, sicherlich auch im eigenen Interesse, damit es beim zweiten Mal dann „richtig“ gemacht wird und der BGH die Sache nicht noch einmal sieht und ggf. nochmals aufheben muss. Ein schönes Beispiel für solche Hilfestellung ist der BGH, Beschl. v. 14.08.2014 – 4 StR 163/14, über den ich schon mal in anderem Zusammenhang berichtet habe.

Es ging um § 226 StGB und die Frage, ob das LG die Qualifikation des § 226 Abs. 1 Nr. 3 StGB zu Recht abgelehnt hat. Dazu führt der BGH zunächst aus:

a) Ein Verletzter ist im Sinne des § 226 Abs. 1 Nr. 3 StGB in erheblicher Weise dauernd entstellt, wenn es durch die Tat zu einer Verunstaltung seiner Gesamterscheinung gekommen ist, die in ihren Auswirkungen dem Gewicht der geringsten Fälle des § 226 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 StGB gleichkommt (BGH, Urteil vom 17. Juli 2013 – 2 StR 139/13, NStZ-RR 2013, 343; Urteil vom 20. April 2011 – 2 StR 29/11, BGHR StGB § 226 Abs. 1 Entstellung 3; Urteil vom 28. Juni 2007 – 3 StR 185/07, BGHR StGB § 226 Abs. 1 Entstellung 2 mwN). Dies kann grundsätzlich auch bei einzelnen besonders großen oder markanten Narben (vgl. BGH, Urteil vom 28. Juni 2007 – 3 StR 185/07, BGHR StGB § 226 Abs. 1 Entstellung 2), ebenso wie bei einer Vielzahl von Narben in derselben Körperregion der Fall sein. Allein der Umstand, dass eine Narbe deutlich sichtbar ist, reicht dabei aber für die Annahme einer erheblichen Entstellung noch nicht aus.

Erst wenn im Einzelfall – etwa durch eine deutliche Verzerrung der Proportionen des Gesichts – ein Grad an Verunstaltung erreicht ist, der in einer Relation zu den anderen schweren Folgen im Sinne des § 226 Abs. 1 StGB steht, kommt die Annahme einer erheblichen Entstellung in Betracht (BGH, Urteil vom 28. Juni 2007 – 3 StR 185/07, BGHR StGB § 226 Abs. 1 Entstellung 2; Be“schluss vom 2. Mai 2007 – 3 StR 126/07, BGHR StGB § 226 Abs. 1 Entstellung 1).

Und dann kommt der Teil mit der „Hilfestellung“:

„b) Ob das äußere Erscheinungsbild des Nebenklägers durch die verbliebenen Narben eine Verunstaltung erfahren hat, die diesen Vorgaben entspricht, kann auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen nicht beurteilt werden. Das Landgericht teilt zwar ausführlich mit, welche Schnittverletzungen der Nebenkläger erlitten hat. Eine revisionsgerichtlicher Überprüfung zugängliche Beschreibung des verbliebenen Narbenbildes und seiner Auswirkungen auf die äußere Erscheinung des Nebenklägers fehlt jedoch. Den Urteilsgründen kann dazu lediglich entnommen werden, dass die Narbe auf der linken Wange lang ist und „sofort ins Auge springt“ (UA 25). Zu den anderen Narben und dem durch sie hervorgerufenen optischen Gesamteindruck verhält sich die Strafkammer dagegen nicht. In diesem Zusammenhang weist der Senat darauf hin, dass sich ein Tatrichter die mitunter nicht einfache textliche Schilderung einer solchen verunstaltenden Wirkung durch eine nach § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO zulässige Bezugnahme auf Lichtbilder erleichtern kann.“