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OWI II: Der Beweisantrag im Bußgeldverfahren, oder: Die Erforschung der Wahrheit

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Die zweite Entscheidung, die ich heute aus dem Themenkreis: OWi-Verfahrensrecht vorstelle, ist der KG, Beschl. v. 06. 07.2018 – 3 Ws (B) 186/18. Es geht um die vom KG als unstatthaft angesehene Ablehnung eines Beweisantrags im Bußgeldverfahren. Der Betroffene hatte in einem Verfahren mit dem Vorwurf des Verstoßes gegen § 24a Abs. 1 StVG einen Beweisantrag dahin gestellt, die mit der Sache befassten Polizeibediensteten zum Beweis der Tatsache zu vernehmen, dass es bei der Weitergabe der Blutprobe zu einer Verwechslung gekommen sei. Das AG hatte den nach § 77 Abs. 2 OWiG zurückgewiesen. Dagegen die Verfahrensrüge, die erfolgreich war:

„2. Dass das Ersuchen für eine Beweisperson nur eine Nummer bezeichnet und im Übrigen deren Namhaftmachung erstrebt, nimmt ihm nicht die Eigenschaft als förmlich gestellter und als solcher zu bescheidender Beweisantrag. Denn bei der Benennung eines Zeugen genügt der Vortrag derjenigen Tatsachen, die es dem Gericht ermöglichen, ihn zu ermitteln oder zu identifizieren, so z. B. wenn der Zeuge – wie hier – unter Berücksichtigung des Beweisthemas über seine Tätigkeit insbesondere in einer Behörde zu individualisieren ist (vgl. Senat VRS 128, 295 mit Anm. Krenberger in jurisPR-VerkR 8/2016; BGHSt 40, 3; StraFo 2010, 342).

3. Auch dass das Ersuchen ein Beweismittel bezeichnet, dessen Geeignetheit, das erhoffte Beweisergebnis zu erbringen, hinter einem anderen Beweismittel – der nachträglichen Untersuchung der asservierten Blutprobe darauf, ob sie von der Betroffenen stammt – signifikant zurückbleibt, beeinträchtigt seine Eigenschaft als förmlicher und im Grundsatz zulässiger Beweisantrag nicht.

4. Die Begründung, mit der das Amtsgericht den Beweisantrag abgelehnt hat, hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.

a) Es kann dahinstehen, ob zu besorgen ist, dass das Gericht die Reichweite des Schweigerechts der Betroffenen verkannt hat, als es im Zusammenhang mit der Versagung der Beweiserhebung ausführte, auch die Betroffene habe nicht „behauptet, bei ihrer Fahrt nicht alkoholisiert gewesen zu sein“ (UA S. 5). Dies ist problematisch, weil sich die Betroffene nicht zur Sache eingelassen und lediglich bei der Befragung eines Zeugen in einem völlig untergeordneten Punkt – der Ermittlung ihres Körpergewichts – Angaben zu den Abläufen in der Gefangenensammelstelle gemacht hatte.

b) Als fehlerhaft muss jedenfalls die Begründung gelten, „weder die Aktenlage noch der Verlauf der durchgeführten Beweisaufnahme ließen eine Verwechslung der Blutprobe der Betroffenen als naheliegend oder auch nur möglich erscheinen“ (UA S. 5). Weder erfordert ein begründetes Beweisersuchen, dass die Beweisbehauptung „naheliegend“ ist noch erfordert seine Zurückweisung, dass sie unmöglich ist. Ob das Tatgericht dem Ersuchen nachzukommen hat, bemisst sich vielmehr danach, ob es den Sachverhalt für geklärt hält. Ist dies der Fall, so hat es weiter abzuwägen, ob die beantragte Beweiserhebung zur Erforschung der Wahrheit (noch) erforderlich ist. Dabei sind das Gewicht und die Verlässlichkeit entscheidend, die den Ergebnissen der bisherigen Beweisaufnahme im Verhältnis zu dem zusätzlich beantragten Beweis nach der gesamten Beweislage zukommen (vgl. OLG Köln VRS 74, 372; OLG Düsseldorf NStZ-RR 1999, 183; Seitz/Bauer in Göhler, OWiG 17. Aufl., § 77 Rn. 11).

Auch wenn die Überlegung des Amtsgerichts, die (schweigende) Betroffene habe nicht einmal selbst behauptet, alkoholnüchtern gewesen zu sein, den ablehnenden Beschluss durch eine Missachtung des Schweigerechts nicht vollständig „infiziert“ haben sollte, wird der verbleibende Begründungsteil – die Identität des nicht beweissicher festgestellten Atemalkoholwertes mit dem Alkoholwert in der der Betroffenen zugeordneten Blutprobe – diesen Anforderungen nicht gerecht. Erst recht trägt er nicht die Bewertung des Amtsgerichts, eine Verwechslung der Blutproben sei unmöglich. Denn das Amtsgericht hat festgestellt, dass der als Zeuge vernommene Bereitschaftsarzt die Kanülen nicht mit den Klebezetteln versehen hat, die eine personenbezogene Zuordnung ermöglichen. Was in der Folge mit den Kanülen geschehen ist, ist nicht aufgeklärt worden. Auch weist die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Zuschrift zutreffend darauf hin, dass das Urteil keine weiteren Feststellungen enthält, die gegen eine Verwechslung sprechen könnten, zum Beispiel, dass die Betroffene die einzige Person war, der in dieser Nacht in den Räumen der Gefangenensammelstelle Blut abgenommen wurde. Die Kongruenz des zuvor bei der Betroffenen festgestellten Atemalkoholwerts mit dem in Rede stehenden Blutalkoholwert stellt nur ein Indiz dafür dar, dass das Blut von der Betroffenen stammte. Auch insoweit teilt der Senat die Bewertung der Generalstaatsanwaltschaft, eine Verwechslung von Blutproben sei keinesfalls so lebensfremd, dass ein dahingehender Beweisantrag ohne weiteres abgelehnt werden durfte.“

OWi III: Rotlichtverstoß, oder: Der fehlende Eichnagel bei einer Messung mit Poliscan F1 HP

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Und als dritte Entscheidung – entsprechend dem Spruch: Aller guten (?) Dinge sind drei – dann eine weiterer Beschluss vom KG, und zwar der KG, Beschl. v. 17.07.2018 – 3 Ws (B) 169/18, der zwei Fragen bei einem Roltichtverstoß behandelt, und zwar:

1. Wie wirkt sich das Fehlen eines sog. Eichnagels auf eine Messung mit Poliscan F1 HP aus?

2. Wie muss der Beweisantrag beschaffen sein, mit dem man sich gegen die Verwertbarkeit der Messung wendet?

Dazu das KG:

„Soweit der Rechtsmittelführer vorträgt, dass Amtsgericht hätte zu Unrecht einen Beweisantrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens zum Beweis der Tatsache, dass „der zum Messzeitpunkt in der Fahrbahn fehlende Eichnagel dazu führt, dass vorliegend ein Verstoß gegen die Bedienungsanleitung des hier verwendeten Messgerätes PoliScan F1 HP in Verbindung mit der PTB-Zulassung 18.15/10.01 vorliegt und dass dieser Umstand wiederum dazu führt, dass die auf diese Weise erfolgte Messung nicht zur weiteren Auswertung zugeführt werden darf“ abgelehnt, ist die Verfahrensrüge bereits nicht in zulässiger Weise nach § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO erhoben worden. Notwendige Voraussetzung dieser Rüge ist, dass der Antrag die Qualität eines förmlichen Beweisantrages hat (vgl. Senat, Beschlüsse vom 1. März 2016 – 3 Ws (B) 107/16 –, 2. September 2015 – 3 Ws (B) 447/15 –, 2. März 2015 – 3 Ws (B) 92/15 – und 11. Februar 2015 – 3 Ws (B) 64/15 –; Hadamitzky in Karlsruher Kommentar, Ordnungswidrigkeitengesetz, 5. Aufl., § 80 Rn. 31). Nach allgemeiner Auffassung muss der Beweisantrag eine bestimmte Beweistatsache bezeichnen (vgl. nur BGH VRS 80, 129). Dies ist hier nicht der Fall. Denn der Antrag benennt keine hinreichend konkrete Tatsache, über die Beweis erhoben werden soll, sondern das Beweisziel. Ob es zu einem Verstoß gegen die Bedienungsanleitung gekommen ist und die Messung verwertet werden darf, sind keine der Beweiserhebung zugänglichen Tatsachen, sondern (rechtliche) Wertungen aus äußeren Begebenheiten.

Über den Antrag war demgemäß allein unter dem Gesichtspunkt der Aufklärungspflicht nach § 77 Abs. 1 OWiG zu befinden. Dass diese es geboten hätte, dem Antrag nachzugehen, macht die Rechtsbeschwerde zwar geltend. Jedoch ist die Verfahrensrüge insofern zumindest unbegründet. Denn das Amtsgericht hat den Sachverhalt hinreichend aufgeklärt, um rechtlich würdigen zu können, ob das etwaige Fehlen des Eichnagels dazu führt, dass ein Verstoß gegen die Bedienungsanleitung vorliegt, und ob das Messergebnis verwertbar ist.

Ausweislich der Urteilsgründe schreibt die Gebrauchsanweisung des Herstellers vor, dass bei Veränderungen an der Haltelinie (Anm.: Hervorhebung durch den Senat) umgehend die Eichbehörde zu informieren ist, damit diese den Bestand der Eichgültigkeit des Standorts prüfen kann (UA S. 4).  Zwar hat das Amtsgericht hier offen gelassen, ob die im Falle des zur Tatzeit zumindest nicht ausschließbaren Fehlens des Eich- bzw. Vermessungsnagels nicht erfolgte Benachrichtigung darüber an die Eichbehörde gegen die Gebrauchsanweisung verstieß (UA S.4). Jedoch lassen die getroffenen Feststellungen nur den Schluss zu, dass dies ggf. nicht der Fall ist. Denn das bloße Fehlen des Vermessungsnagels stellt schon denklogisch keine Veränderung an der Haltelinie, bei der es sich allgemeinkundig um eine farbliche Markierung auf der Fahrbahn handelt, dar. Den Urteilsgründen lässt sich zudem entnehmen, dass der Vermessungsnagel einzig der Durchführung der Eichung dient. Sein etwaiges Fehlen hatte folglich keinerlei Auswirkung auf die vorliegende Messung (UA. S. 4), zu deren Zeitpunkt das Gerät noch gültig geeicht war (UA S. 3). Den Bekundungen des Sachverständigen S. nach wird der Vermessungsnagel nach der Eichung zum Zwecke der Vereinfachung künftiger Eichungen zurückgelassen (UA S. 4). Künftige Eichungen werden im Umkehrschluss bei Fehlen des Nagels dadurch zwar erschwert, weil zu gegebener Zeit zwangsläufig zunächst an der maßgeblichen Stelle ein neuer Vermessungsnagel in die Fahrbahn einzubringen ist. Jedoch kann aus Gründen der Logik ausgeschlossen werden, dass allein das Fehlen des lediglich zur Durchführung der Eichung erforderlichen Vermessungsnagels irgendeine Auswirkung auf die Eichgültigkeit des Standorts haben kann. Dass es zu irgendeiner Veränderung an der Haltelinie selbst, also der quer zur Fahrbahn verlaufenden farblichen Markierung, gekommen wäre, kann den allein maßgeblichen Urteilsgründen nicht entnommen werden.“

OWi III: Nochmals „zwei Künstler“, oder: Wenn der Amtsrichter dem Betroffenen den A…. rettet

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Der ein oder andere Leser wird sich erinnern, dass ich im vergangenen Jahr über den OLG Düsseldorf, Beschl. v. 26.05.2017 – 1 RBs 55/16 berichtet habe (Zwei “Künstler” am Werk, oder: Wenn der Amtsrichter den Verteidiger “rettet”).

Jetzt stelle ich den OLG Hamm, Beschl. v. 22.06.2018 – III – 2 RBs 86/18 – vor, der eine ähnliche Konstellation zum Gegenstand hat. Auch hier hatte der Verteidiger einen (Beweis)Antrag gestellt, der mit „ob“ formuliert war. An sich tötlich für einen Antrag, weil dann die Annahme eines Beweisermittlungsantrages nahe liegt und das Gericht nicht an die Ablehnungsgründe des § 244 StPo gebunden ist. Das AG springt aber nicht auf den Zug, sondern macht es sich einfach und bescheidet den Antrag lieber gleich gar nicht. Das rettet dann aber wieder den Verteidiger/den Betroffenen. Denn das ist eine Verletzung des rechtlichen Gehörs und führt zur Aufhebung nach § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG:

„Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen hat mit der Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs einen – zumindest vorläufigen – Erfolg.

Die Rüge ist in zulässiger Form erhoben worden. Die Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs ist wie eine Verfahrensrüge, also gemäß 344 Abs. 2 §. 2 StPO zu begründen. Es müssen die den Mangel enthaltenden Tatsachen angegeben werden, so dass das Rechtsbeschwerdegericht allein aufgrund der Begründungsschrift prüfen kann, ob ein Verfahrensfehler vorliegt, wenn das tatsächliche Vorbringen der Rechtsbeschwerde zutrifft (zu vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 60. Auflage, 344 Rdnr. 21 f). Diesen Anforderungen genügt die Begründung der Rechtsbeschwerdebegründung.

So ist nach den Darlegungen des Betroffenen ausweislich des Sitzungsprotokolls vom 19.02.2018 auf den Schriftsatz vom 30.01.2018 sowie Anlage 2 des Sitzungsprotokolls in der Hauptverhandlung Bezug genommen und diese verlesen worden (BI. 136 d.A.). Anlage 2 des Sitzungsprotokolls beinhaltet jedoch einen Beweisantrag hinsichtlich der Vernehmung der Messbeamten N. und G. (BL 142 d.A.), hinsichtlich dessen eine Bescheidung nicht erfolgt und welcher entgegen § 273 StPO auch nicht protokolliert worden ist. Seitens des Amtsgerichts entschieden wurde lediglich über den ebenfalls in dem Schriftsatz enthaltenen Widerspruch gegen die Bekanntgabe des wesentlichen Inhalts des Messprotokolls. Anhaltspunkte dafür, dass seitens des Betroffenen erklärt worden wäre, dass über den Beweisantrag nicht entschieden werden solle, ergeben sich zudem nicht.

Insoweit kann auch dahinstehen, ob es sich bei dem gestellten Antrag um einen Beweisantrag oder einen Beweisermittlungsantrag handelt, weil nach dem Vorbringen des Betroffenen dieser letztlich Beweis darüber begehrt, „ob“ bestimmte Tatsachen vorgelegen haben. Dies ändert indes nichts daran, dass über den Antrag eine Entscheidung hätte getroffen werden müssen, entweder durch die Anordnung des Tatrichters, dass dem Begehren nachzugehen ist, oder aber durch die Ablehnung des Antrags, die nach 34 StPO so zu begründen gewesen wäre, dass der Antragsteller über den Grund der Ablehnung ausreichend unterrichtet und dadurch in die Lage versetzt wird, sein weiteres Prozessverhalten darauf einzustellen und eventuell weitere Beweisanträge zu stellen (zu vgl. BGH, Beschluss vom 02.10.2010 – 3 StR 373/07 -). Eine solche Entscheidung ist unerlässlich, denn der Antragsteller darf – schon aufgrund seines Anspruchs auf rechtliches Gehör – nicht im Unklaren darüber gelassen werden, warum seinem Antrag nicht nachgegangen wird (zu vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 26.05.2017 – IV 1 RBs 55/16 -). Gegen diese Grundsatze, die nicht nur für die Anwendung des   244 StPO im Strafverfahren, sondern nach 71 OWiG (mit den Einschränkungen des § 77 OWiG) auch im Bußgeldverfahren gelten (zu vgl. OLG Düsseldorf, a.a.O.) hat das Amtsgericht durch die völlige Außerachtlassung und Nichtbescheidung des zur Rede stehenden Beweisbegehrens verstoßen und hierdurch den Anspruch des Betroffenen auf rechtliches Gehör verletzt (zu vgl. BVerfG, NJW 1992, 2811, OLG Hamm, NZV 2008, 417).“

Und: Schönschreiben ist angesagt:

„Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass sich das Protokoll der Hauptverhandlung in Teilbereichen an der Grenze zur Unleserlichkeit bewegt und es dadurch seiner sich aus §§ 273. 274 StPO ergebenden Bedeutung kaum noch gerecht wird.“

Beweisantrag/Beweisermittlungsantrag, oder: „aufs Geratewohl ins Blaue hinein“?

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Nach dem Posting zu dem unsäglichen Beitrag von Rainer Wendt zum „Fall Susanna“ (vgl. Der Vorsitzender der DPolG Rainer Wendt äußert sich zum “Fall Susanna”, oder: Unfassbar) soll es hier dann mit den üblichen Themen weitergehen. Zunächst bringe ich eine verfahrensrechtliche Entscheidung, und zwar den BGH, Beschl. v. 06.04.2018 – 1 Str 88/18.

Es geht um die Ablehnung eines Beweisantrages. Der Angeklagte war im ersten Rechtsgang u.a. wegen vorsätzlicher Insolvenzverschleppung und Betrug zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt worden. Dieses Urteil hatte der BGH auf die Revision des Angeklagten mit den zugehörigen Feststellungen teilweise aufgehoben. Die dann zuständige Strafkammer hat die Betrugsstraftaten nach §§ 154, 154a StPO behandelt und den Angeklagten u.a. wegen vorsätzlicher Insolvenzverschleppung, Untreue in vier Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit vorsätzlichem Bankrott, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt und davon (insgesamt) sechs Monate als vollstreckt erklärt.

Dagegen richtete sich die Verfahrensrüge des Angeklagten, die – teilweise – Erfolg hatte:

„1. Der Angeklagte beanstandet zutreffend, dass die Strafkammer im Fall III. 1 der Urteilsgründe (Tatkomplex Eheleute H. ) einen Beweisantrag mit rechtsfehlerhafter Begründung abgelehnt hat.

a) Dem liegt folgender Verfahrensgang zugrunde:

Im Hauptverhandlungstermin vom 19. Oktober 2017 hat der Angeklagte beantragt, O. als Zeugen zu vernehmen. Dieser werde in seiner Eigenschaft als (vormaliger) Aufsichtsratsvorsitzender bestätigen, dass die aus der Versteigerung der Immobilie mit dem vormaligen Restaurant P. erzielten Erlöse vollständig an die Gläubiger der J. AG geflossen seien, somit aus dem Erlös keine Beträge oder Teilbeträge beim Angeklagten persönlich verblieben seien. Weiter werde er bestätigen, dass der Geschädigte H. aus dem vorgenannten Versteigerungserlös eine Teilzahlung in Höhe von 40.000 € erhalten habe.

Diesen Antrag hat die Strafkammer mit der Begründung zurückgewiesen, es handele sich nur scheinbar um einen förmlichen Beweisantrag, da die insoweit unter Beweis gestellte Tatsache ohne jede tatsächliche Grundlage aufs Geratewohl ins Blaue hinein behauptet worden sei. Auch unter Berücksichtigung der Aktenlage und des bisherigen Beweisergebnisses bestehe kein Anhaltspunkt dafür, dass der Geschädigte H. aus der Versteigerung 40.000 € erhalten haben könnte. Der Geschädigte habe in seiner Zeugenvernehmung vielmehr ausdrücklich und glaubhaft dargelegt, aus der Zwangsversteigerung des Restaurants letztlich faktisch nichts erhalten zu haben. Auch unter Aufklärungsgesichtspunkten sehe die Kammer keine Veranlassung, dem Antrag nachzugehen.

b) Die Verfahrensrüge ist begründet. Bei dem gegenständlichen Beweisbegehren handelt es sich um einen Beweisantrag, nicht nur um einen Beweisermittlungsantrag.

Zwar muss einem in die Form eines Beweisantrags gekleideten Beweisbegehren ausnahmsweise nicht oder allenfalls nach Maßgabe der Aufklärungspflicht nachgegangen werden, wenn die Beweisbehauptung ohne jeden tatsächlichen Anhaltspunkt und ohne jede begründete Vermutung aufs Geratewohl ins Blaue hinein aufgestellt wurde, so dass es sich nur um einen nicht ernstlich gemeinten, zum Schein gestellten Beweisantrag handelt. Für die Beurteilung, ob ein aufs Geratewohl gestellter Antrag vorliegt, ist die Sichtweise eines verständigen Antragstellers entscheidend. Es kommt nicht darauf an, ob das Tatgericht eine beantragte Beweiserhebung für erforderlich hält (vgl. BGH, Beschluss vom 11. April 2013 – 2 StR 504/12 mwN, NStZ 2013, 536, 537).

Nach diesem Maßstab lässt sich die Beweisbehauptung nicht als aufs Geratewohl aufgestellt ansehen. Die Beweisbehauptung hatte einen tatsächlichen Anhaltspunkt, da die Eheleute H. jedenfalls einen nicht konkret bezifferten Betrag aus der Versteigerung des Restaurants erhalten haben („geringfügiger Betrag“, UA S. 44; „letztlich faktisch nichts“, ablehnender Beschluss RB S. 3). Sie konnte deshalb ungeachtet der Gründe, die die Strafkammer in ihrem Beschluss nach Würdigung des gesamten Beweisergebnisses gegen die Zahlung von 40.000 € an die Geschädigten H. aus der Versteigerung des Restaurants angeführt hat, nicht als nicht ernstlich gemeint gewertet werden. Jedenfalls hat das Landgericht mit seiner Erwägung, dass die unter Beweis gestellte Tatsache ohne jede tatsächliche Grundlage behauptet worden sei, die Grenzen der vorgenannten Rechtsprechung missachtet. Danach kann es dem Antragsteller grundsätzlich nicht verwehrt sein, auch solche Tatsachen zum Gegenstand eines Beweisantrags zu machen, deren Richtigkeit er lediglich vermutet oder für möglich hält (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 11. April 2013 – 2 StR 504/12 mwN, NStZ 2013, 536, 537).

c) Auf der rechtsfehlerhaften Ablehnung des Beweisantrags kann der Strafausspruch im Fall III. 1 (Eheleute H. ) beruhen. Das Landgericht hat zu Gunsten des Angeklagten berücksichtigt, dass der Schaden in Höhe von 40.000 € durch die Abtretung von Forderungen und Übertragung einer Eigentümergrundschuld nachträglich vermindert worden ist. Der Senat kann daher nicht ausschließen, dass die Strafkammer eine niedrigere Einzelstrafe verhängt hätte, wenn es den beantragten Beweis erhoben und sich die Beweisbehauptung, die Geschädigten H. hätten weitere 40.000 € als Schadensausgleich erhalten, bestätigt hätte.“

Beweisantrag, oder: Der BGH und der unerreichbare Zeuge in Litauen

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So, zum Start in die 17 KW. dann zwei BGH-Entscheidungen. Zunächst der BGH, Beschl. v. 28.11.2017 – 3 StR 272/17 – mit einer beweisrechtlichen Problematik. Der Angeklagate hatte in der Hauptverhandlung einesn Beweisantrag gestellt auf Vernehmung einen in Litauen wohnhaften Zeugen. Der Vorsitzende hatte daraufhin den Zeugen mit einfachem Brief vom 02.08.2016 in litauischer Sprache angeschrieben und – unter Nennung der Erreichbarkeit des Gerichts per Telefon, Telefax oder E-Mail – um Rückmeldung gebeten, ob er bereit sei, einer Ladung als Zeuge Folge zu leisten, entweder zum erkennenden LG oder für eine audiovisuelle Vernehmung zum litauischen Rechtshilfegericht in Vilnius. Zugleich wandte sich der Vorsitzende mit einfachem Brief vom selben Tag an den Richter P. des litauischen Rechtshilfegerichts, das im Verfahren bereits zuvor mit audiovisuellen Vernehmungen litauischer Zeugen befasst war, und bat ihn vorsorglich um Unterstützung bei der erneuten, im Wege der Videosimultanübertragung durchzuführenden Anhörung. Zugleich erbat er eine telefonische Kontaktaufnahme zu dem Zeugen, um dessen Bereitschaft zu einer Aussage in Oldenburg oder Vilnius zu klären. Als in der Folgezeit weder der Zeuge noch das Rechtshilfegericht auf die Schreiben, die nicht in Rücklauf gekommen waren, reagierte, ließ der Vorsitzende dem Zeugen am 25.08.2016 mit einfachem Brief eine Ladung zum LG in Oldenburg für den Hauptverhandlungstermin am 15.09.2016 in litauischer Sprache übersenden.

Zu diesem Termin erschien der Zeuge nicht, ohne dass die Ladung in Rücklauf gekommen war und er sich gemeldet hatte. Noch an demselben Hauptverhandlungstag verkündete die Strafkammer einen Beschluss, mit dem sie gemäß § 251 Abs. 1 Nr. 2 (in der bis zum 23. August 2017 geltenden Fassung), Abs. 4 Satz 1, 2 StPO die Verlesung eines Dokuments anordnete, das Angaben des Zeugen bei einer Vernehmung in Litauen enthielt. Es wurde anschließend verlesen.

Der BGH hat gegen diese Vorgehensweise keine Bedenken:

„(1) Die Strafkammer hat ohne Rechtsfehler über die Aussage des Zeugen in Litauen Urkundsbeweis gemäß § 251 Abs. 1 Nr. 2 aF, Abs. 4 Satz 1, 2 StPO erhoben.

(a) Bei dem verlesenen Schriftstück handelt es sich um eine „Niederschrift über eine Vernehmung“ des Zeugen Ne. im Sinne des § 251 Abs. 1 StPO aF.

Vermerke von Polizeibeamten, in denen Angaben eines einvernommenen Zeugen niedergelegt sind, können solche Vernehmungsniederschriften darstellen, auch wenn es sich um Zusammenfassungen von Zeugenaussagen handelt (vgl. BGH, Urteil vom 30. Juli 1998 – 5 StR 574/97, BGHR StPO § 251 Abs. 2 Erklärung 2). Anderes gilt für polizeiliche Aktenvermerke, die keine Vernehmungen zum Gegenstand haben; sie sind lediglich schriftliche Erklärungen des betreffenden Polizeibeamten (vgl. BGH, Beschluss vom 25. September 1991 – 2 StR 415/91, BGHR StPO § 251 Abs. 2 Erklärung 1). Von bestimmten Formerfordernissen – etwa Unterschriften – hängt die Verlesbarkeit einer Urkunde nach § 251 Abs. 1 StPO aF nicht ab (vgl. BGH, Urteile vom 8. Dezember 1953 – 5 StR 264/53, BGHSt 5, 214, 216 f.; vom 5. Dezember 1984 – 2 StR 526/84, BGHSt 33, 83, 88; zum Ganzen MüKoStPO/Kreicker, § 251 Rn. 18, 20; LR/Sander/Cirener, StPO, 26. Aufl., § 251 Rn. 8).

Dass es sich hier bei dem verlesenen Schriftstück der Sache nach um eine Niederschrift über eine in Litauen durchgeführte Vernehmung handelt, ergibt sich sowohl aus dessen Inhalt als auch den Umständen, wie das Dokument Eingang in die Verfahrensakten gefunden hatte. Neben den vorab aufgeführten vollständigen Personalien des Zeugen (einschließlich „Personenidentitätscode“) enthält es dessen Bekundungen zu dem gegenständlichen Geschehen, die eingeleitet werden mit „Bei der Vernehmung am 11.09.2007 gab er an, dass …“. Die nachfolgenden Angaben nehmen ersichtlich auch auf konkrete Fragen Bezug, die in Zusammenhang mit dem Geschehen standen. Das Dokument war der Kriminalpolizei Oldenburg von litauischen Ermittlungsbehörden anlässlich eines Koordinierungstreffens zum Zweck der bilateralen Rechtshilfe übergeben worden. Fehlende Unterschriften und die Wiedergabe der Angaben in indirekter Rede führen nach dem oben Dargelegten – entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers – nicht dazu, dass keine Vernehmungsniederschrift im Sinne des § 251 Abs. 1 StPO aF vorgelegen hätte.

(b) Die Wertung der Strafkammer, der Zeuge Ne. könne im Sinne des § 251 Abs. 1 Nr. 2 Alternative 2 StPO aF in absehbarer Zeit gerichtlich nicht vernommen werden, begegnet ebenso wenig durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

Wohnt ein Zeuge im Ausland, so gilt, dass das Erfordernis, dort eine Ladung zu bewirken, für sich gesehen nicht die Verlesung einer Vernehmungsniederschrift nach § 251 Abs. 1 Nr. 2 Alternative 2 StPO aF ermöglicht. Vielmehr muss das Gericht regelmäßig versuchen, ihn zu laden und zu einem Erscheinen in der Hauptverhandlung zu veranlassen. Für den Umfang der hierbei gebotenen Bemühungen gibt es keinen für alle Fälle gültigen Maßstab. Die gerichtliche Entscheidung erfordert vielmehr eine Abwägung der Bedeutung der Sache und der Wichtigkeit der Zeugenaussage für die Wahrheitsfindung einerseits gegen das Interesse an einer beschleunigten Durchführung des Verfahrens unter Berücksichtigung der Aufklärungspflicht andererseits (§ 244 Abs. 2 StPO). Die Bemühungen, die Vernehmung eines Zeugen trotz erheblicher Schwierigkeiten zu ermöglichen, müssen der Bedeutung der Aussage angemessen sein (vgl. BGH, Urteil vom 8. März 1968 – 4 StR 615/67, BGHSt 22, 118, 120; Beschluss vom 6. Mai 1997 – 1 StR 169/97, BGHR StPO § 251 Bemühungen 1; KK-Diemer, StPO, 7. Aufl., § 251 Rn. 13).

Dem Vorsitzenden der Strafkammer war es rechtlich nicht verwehrt, den Zeugen mit einfachem Brief zu laden. Verfahrensurkunden, die für im litauischen Hoheitsgebiet aufhältige Personen bestimmt sind, sind diesen grundsätzlich unmittelbar durch die Post zu übersenden. Das folgt aus Art. 5 Abs. 1 des Rechtshilfeübereinkommens der Mitgliedstaaten der Europäischen Union vom 29. Mai 2000 (EU-RhÜbk), das im Rechtshilfeverkehr mit Litauen Anwendung findet. Der Begriff der Verfahrensurkunde umfasst auch Ladungsschreiben (vgl. Gleß/Schomburg in Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 5. Aufl., Art. 5 EU-RhÜbk Rn. 3). Eine spezifische Art der Versendung sieht Art. 5 EU-RhÜbk nicht vor. Dem in Art. 5 Abs. 3 Satz 1 EU-RhÜbk geregelten Erfordernis einer Übersetzung des Ladungsschreibens in die litauische Sprache hatte der Vorsitzende Genüge getan. Auch das nationale Strafverfahrensrecht (s. § 48 Abs. 2 StPO) sieht für die Ladung eines – in- oder ausländischen – Zeugen keine bestimmte Form vor (vgl. BGH, Urteil vom 13. Juli 1989 – 4 StR 315/89, bei Schmidt, MDR 1989, 1039). Einfacher Brief genügt, wenngleich es sich für die Hauptverhandlung empfiehlt, dem Zeugen die Ladung zum Zweck des Nachweises förmlich zuzustellen (vgl. LR/Ignor/Bertheau, StPO, 27. Aufl., § 48 Rn. 6; s. auch Nr. 117 Abs. 1 RiStBV); im Rechtshilfeverkehr mit Litauen erfordert die Zustellung nach § 37 Abs. 1 StPO, § 183 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 ZPO mindestens ein Einschreiben mit Rückschein, wobei dieser für den Nachweis ausreichend ist (§ 37 Abs. 1 StPO, § 183 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 ZPO).

Zwar wird eine Ladung mit einfachem Brief im Allgemeinen nicht ausreichend sein, um die Unmöglichkeit der Vernehmung des Zeugen auf absehbare Zeit feststellen zu können, weil der Zugang des Ladungsschreibens ungewiss ist (zum Ablehnungsgrund der Unerreichbarkeit nach § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO, für den gleiche Gesichtspunkte maßgebend sind, vgl. BGH, Urteil vom 11. Februar 1993 – 1 StR 419/92, NStZ 1993, 294, 295; Beschluss vom 2. Oktober 1984 – 1 StR 477/84, StV 1985, 48; LR/Becker, StPO, 26. Aufl., § 244 Rn. 253). Im hiesigen Fall ist das Unterbleiben einer förmlichen Zustellung indes auf Grund folgender Erwägungen unschädlich:

Um eine Vernehmung des Zeugen auch in der Hauptverhandlung zu ermöglichen, hatte der Vorsitzende zusätzliche Tätigkeiten für eine Kontaktaufnahme entfaltet, sowohl unmittelbar als auch mittelbar über das Rechtshilfegericht, das bereits in erheblichem Umfang mit der Durchführung audiovisueller Vernehmungen gemäß § 247a StPO befasst war. In Anbetracht dessen hat die Strafkammer in dem die Verlesung anordnenden Beschluss ersichtlich unter Berücksichtigung des Beschleunigungsgrundsatzes sowie mit ausdrücklichem Hinweis auf die Aufklärungspflicht von weiteren Bemühungen abgesehen. Die Strafkammer hatte bereits seit 2011 Rechtshilfe mit den litauischen Behörden betrieben, um zu ermitteln, inwieweit auf der Seite der litauischen Gesellschaften beteiligte Personen in die Machenschaften der – diesbezüglich geständigen – Angeklagten sowie früherer Mitangeklagter involviert waren. So hatte sie wiederholt auf Antrag der Verteidigung umfangreiche litauische Ermittlungsakten und Gerichtsentscheidungen beigezogen und die Unterlagen bis in das Jahr 2014 hinein in die deutsche Sprache übersetzen lassen (UA S. 85 f.). In der Hauptverhandlung waren unter anderem 15 Zeugen aus Litauen einvernommen worden, davon neun aus den Reihen der Leasinggeberin und deren Muttergesellschaft. Die Beweisaufnahme hatte aus Sicht der Strafkammer keinen Anhalt dafür erbracht, dass für die Geschädigte verantwortlich Handelnde Kenntnis von der fehlenden Lieferbereitschaft der Firma „Nutzfahrzeugcentrum Elias Hachem“ hatten (UA S. 30, 57). Die Strafkammer hatte dies, ohne dass dagegen sachlich etwas zu erinnern wäre, in Beweisbeschlüssen mehrfach zum Ausdruck gebracht. Da die das Vermögen der Leasinggeberin schmälernde Vermögensverfügungen ihre Grundlage in zwei Gremienentscheidungen hatten, lag eine die Betrugsstrafbarkeit ausschließende Bösgläubigkeit der Verfügenden umso ferner; selbst der frühere Mitangeklagte St. hatte nur von einem „involvierten Bankdirektor“ gesprochen (UA S. 12). Hinzu kam, dass die Angaben, die der Zeuge Ne. bei seiner Vernehmung in Litauen gemacht hatte, den für das Beweisziel wesentlichen Beweisbehauptungen des Beweisantrags im Kern widersprachen.

Unter den gegebenen Umständen durfte die Strafkammer ausnahmsweise die Vernehmungsniederschrift auch ohne vorherige förmliche Zustellung des Ladungsschreibens verlesen. In Anbetracht der oben (unter II. 2. a) aa)) dargestellten Bemühungen des Vorsitzenden schien es ausgeschlossen, dass der Zeuge, sollte er noch an der Empfängeranschrift wohnhaft gewesen sein, von seiner beabsichtigen Einvernahme keine Kenntnis hatte. Wäre er indes – worauf der Beschwerdeführer hinweist – zuvor verzogen gewesen, so wäre er für die Strafkammer unbekannten Aufenthalts und eine Aufenthaltsermittlung im Ausland – gemäß den oben dargelegten Maßstäben – nach Maßgabe des Beschleunigungsgebots und der Pflicht zur Sachaufklärung nicht veranlasst gewesen.“