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Bewährung II: Bewährungsaussetzung nach § 36 BtMG, oder: Zumutbarkeit einer Abstinenzweisung

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In der zweiten Entscheidung des Tages nimmt das LG Nürnberg-Fürth im LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 18.10.2023 – 12 Qs 65/23 – im Rahmen der Bewährungsaussetzung bei einem drogenabhängigen Verurteilten zu eineAbstinenzweisung Stellung.

Im Rahmen der Aussetzung der weiteren Vollstreckung verhängten Freiheitsstrafen nach § 36 Abs. 1 Satz 3 BtMG zur Bewährung nach einer § 35-er-Maßnahme sindfolgende Weisungen erteilt worden:

„Die Verurteilte wird angewiesen, (…)

  1. c) keine Betäubungsmittel im Sinne des BtMG oder NPSG zu konsumieren; (…)
  2. e) sich … mindestens einmal und höchstens dreimal im Quartal … Suchtmittelkontrollen, … zum Nachweis seiner Abstinenz zu unterziehen.“

Gegen beide Weisungen legte der Verteidiger der Verurteilten sofortige Beschwerde ein. Zur Begründung führte er aus, dass die Verurteilte suchtkrank sei. Das Rechtsmittel hatte Erfolg:

„2. Sie ist auch begründet, da die angegriffenen Anordnungen gesetzeswidrig waren (§ 305a Abs. 1 Satz 2 StPO).

a) Gerichtliche Weisungen für die Bewährungszeit dürfen an die Lebensführung des Verurteilten keine unzumutbaren Anforderungen stellen (§ 56c Abs. 1 Satz 2 StGB). Dabei ist es grundsätzlich zulässig, den Verurteilten zur Drogenabstinenz und Abgabe von Abstinenznachweisen anzuweisen, sofern ihm dadurch spezialpräventiv zur Vermeidung künftiger Straftaten geholfen werden soll (BVerfG, Beschluss vom 21.04.1993 – 2 BvR 930/92, juris Rn. 8). Der Verurteilte muss seinen Konsum zu diesem Zweck aber grundsätzlich steuern können (Groß/Kett-Straub in MüKoStGB, 4. Aufl., § 56c Rn. 11). Das ist nicht anzunehmen, wenn bei bestehender Suchtmittelerkrankung noch keine erfolgreiche Therapie stattgefunden hat (LG Nürnberg-Fürth, Beschluss vom 12.07.2017 – 16 Qs 15/17, BeckRS 2017, 118714 Rn. 14).

b) Unter Anwendung dieser Grundsätze sind die angegriffenen Abstinenzweisungen für die Verurteilte – derzeit – unzumutbar.

Ausweislich der Feststellungen des landgerichtlichen Urteils vom 03.09.2020 ist die Verurteilte seit ihrem zwölften Lebensjahr drogenabhängig. Eine Langzeittherapie hat sie im Jahr 2015 abgebrochen. Trotz Teilnahme an einem Substitutionsprogramm seit dem Jahr 2019 nahm sie weiterhin Heroin ein. Nach Aktenlage ist auch nach beiden eingangs genannten Verurteilungen keine erfolgreiche Behandlung der Abhängigkeitserkrankung erfolgt. Die Verurteilte wurde aus der Fachklinik … und aus der Fachklinik … auf ärztliche Veranlassung bzw. aus disziplinarischen Gründen vorzeitig entlassen. Der für sich genommen erfolgreiche Aufenthalt im …-Haus stellte demgegenüber keine „echte“ Suchtmitteltherapie dar. Zwar lebte die Verurteilte dort drogenfrei und erhielt eine Rückfallprophylaxe. Jedoch handelt es sich bei dem Haus lediglich um eine therapeutische Übergangseinrichtung. Ausweislich der bei der Akte befindlichen Selbstbeschreibung handelt es sich bei der Übergangseinrichtung um ein Angebot der Eingliederungshilfe, die suchtmittelabhängigen Menschen Unterstützung anbietet, die eine schnelle Stabilisierung ihrer Lebenssituation anstreben. Sie bietet Menschen mit einer Abhängigkeitserkrankung eine drei bis sechsmonatige Aufnahme an, sofern die Indikation vorliegt und Drogenfreiheit vor Aufnahme gewährleistet ist. Angeboten werden dort ein Beschäftigungsprogramm, Freizeitgestaltung und psychosoziale Betreuung (Einzel- und Gruppengespräche sowie unterschiedliche Beratungsangebote). Alles in allem handelt es sich um ein niederschwelliges Angebot zwischen oder nach einzelnen Behandlungsphasen einer Drogentherapie (vgl. allgemein zu solchen Einrichtungen Bohnen in BeckOK BtMG, 19. Ed. 15.06.2023, § 35 Rn. 14, 21). Dementsprechend besteht der Zweck der Übergangseinrichtung vornehmlich (und lediglich) darin, den Suchtkranken zu stabilisieren, nicht aber darin, ihn im technischen Sinne zu therapieren.

Hiervon ausgehend sieht die Kammer keine hinreichend tragfähige Grundlage dafür, dass die Verurteilte ihren Drogenkonsum momentan ausreichend steuern kann. Demgemäß waren die angegriffenen Weisungen aufzuheben.“

Bewährung I: Zweimal „besondere Umstände“, oder: Bewährungsgrund- und Reststrafenaussetzung

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Heute dann ein Tag mit Bewährungsentscheidungen.

Zunächst hier dann zwei Entscheidungen zu „besonderen Umständen“, und zwar einmal zu § 56 Abs. 2 StGB – also „Bewährungsgrundaussetzung“ – und einmal zu § 57 Abs. 2 StGB – also Reststrafenaussetzung. Und zwar:

1. Die Beurteilung, ob besondere Umstände im Sinne des § 56 Abs. 2 StGB vorliegen, die für die Aussetzung der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr erforderlich sind, hat das Tatgericht aufgrund einer Gesamtwürdigung von Tat und Persönlichkeit des Angeklagten vorzunehmen.

2. Besondere Umstände im Sinne des § 56 Abs. 2 StGB sind Milderungsgründe von besonderem Gewicht, was sich auch aus dem Zusammentreffen durchschnittlicher Milderungsgründe ergeben kann.

3. Die Versagung einer Strafaussetzung zur Bewährung hält der revisionsgerichtlichen Nachprüfung nicht stand, wenn das Tatgericht trotz Vorliegens mehrerer gewichtiger Milderungsgründe diesen ohne Begründung von vornherein jede Bedeutung für die nach § 56 Abs. 2 StGB zutreffende Entscheidung abspricht und auch die gebotene Gesamtbetrachtung unterlässt.

4. Will das Tatgericht die Versagung einer Strafaussetzung zur Bewährung darauf stützen, dass die Verteidigung der Rechtsordnung die Vollstreckung der Freiheitsstrafe im Sinne des § 56 Abs. 3 StGB gebietet, ist auch hierfür eine umfassende Gesamtwürdigung von Tat und Täter erforderlich.

Ergibt das kriminalprognostische Gutachten, dass die positive Entwicklung des Verurteilten während des Strafvollzuges erheblich über das Maß hinausgeht, was zur Erstellung einer günstigen Prognose erforderlich ist, kann – insbesondere bei Zusammentreffen mit weiteren Milderungsgründen – auch das Vorliegen besonderer Umstände im Sinne des § 57 Abs. 2 Nr. 2 StGB zu bejahen sein.

Bewährung I, oder: Das, was nicht mehr da ist, kann nicht zur Bewährung ausgesetzt werden.

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Ich eröffne dann die neue Woche mit zwei Bewährungsentscheidungen des BGH. Zunächst weise ich auf den BGH, Beschl. v. 08.08.2017 – 3 StR 179/17 – hin. Das LG hatte den Angeklagten zu einer Bewährungsstrafe von 10 Monaten verurteilt. Der BGH hat die Strafaussetzung zur Bewährunng aufgehoben:

„Der Ausspruch über die Aussetzung der gegen den Angeklagten verhängten Freiheitsstrafe von zehn Monaten kann nicht bestehen bleiben. Die Strafe war bereits im Zeitpunkt des Urteils durch die mehr als eineinhalb Jahre andauernde Untersuchungshaft voll verbüßt (§ 51 Abs. 1 Satz 1 StGB). Von der Möglichkeit, gemäß § 51 Abs. 1 Satz 2 StPO von der Anrechnung abzusehen, hat das Landgericht keinen Gebrauch gemacht. Ist aber die Strafe infolge der Anrechnung bereits vollständig vollstreckt, entfällt die Strafaussetzung zur Bewährung (BGH, Beschlüsse vom 12. Februar 2014 – 1 StR 36/14; vom 8. Januar 2002 – 3 StR 453/01, NStZ 2002, 367). Mit dem Wegfall der Strafaussetzung zur Bewährung sind etwaige Bewährungsauflagen gegenstandslos.“

Leuchtet ein, oder? Das, was nicht mehr da ist, kann nicht zur Bewährung ausgesetzt werden.

Klassischer Fehler XVI: die Krux mit der Bewährung

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Zu Bewährungsfragen liest man in BGH-Entscheidungen nicht so häufig etwas. Meist geht es im Rahmen der Strafzumessung mehr um allgemeine Strafzumessungsfragen. Deshalb ist dann mal der BGH, Beschl. v. 10.07.2014 – 3 StR 232/14 – von Interesse, in dem der BGH ein Urteil des LG Schwerin insoweit aufgehoben hat, soweit die Aussetzung der Vollstreckung der verhängten Freiheitsstrafe zur Bewährung abgelehnt worden ist. Insoweit m.E. dann aber, da allgemeine – an sich allseits bekannte – Bewährungsfragen eine Rolle spielen, für eine Strafkammer ein klassischer Fehler. Das können z.T. Richter am AG besser.

Das LG hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit versuchter Nötigung zu der Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Die Aussetzung der Vollstreckung der verhängten Freiheitsstrafe zur Bewährung hat das LG abgelehnt, da eine Strafaussetzung „im Hinblick darauf, dass der Angeklagte H. die Tat während einer laufenden Bewährung – und dies nicht aus einer Notlage heraus – begangen hat, nicht in Betracht“ komme. Das reichte dem BGH nicht:

„Diese Begründung genügt den rechtlichen Anforderungen nicht. § 56 Abs. 2 in Verbindung mit Abs. 1 StGB ermöglicht es dem Gericht, bei Vorliegen einer günstigen Sozialprognose und besonderer, in der Tat oder der Persönlichkeit des Angeklagten liegender Umstände auch die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren zur Bewährung auszusetzen. Dabei sind die Voraussetzungen des Abs.1 stets vorrangig zu prüfen. Dies gilt schon des-halb, weil zu den nach Abs. 2 zu berücksichtigenden Faktoren nicht allein, aber auch solche gehören, die schon für die Prognose nach Abs. 1 von Belang sind (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 28. August 2012 – 3 StR 305/12, StV 2013, 85).
Vorliegend lässt sich den Urteilsgründen schon nicht entnehmen, ob das Landgericht eine Strafaussetzung zur Bewährung mangels günstiger Sozialprognose nach § 56 Abs. 1 StGB oder aber wegen Fehlens besonderer Umstände im Sinne von § 56 Abs. 2 StGB abgelehnt hat. Der Senat vermag des-halb nicht zu beurteilen, ob das Landgericht die geforderte Prüfungsreihenfolge eingehalten und unter Zugrundelegung des jeweils richtigen Maßstabes entschieden hat.

Auf diesem Rechtsfehler beruht das Urteil auch. Der Umstand, dass der Angeklagte die abgeurteilte Tat wenige Tage vor Ablauf der Bewährungszeit, die eine nicht einschlägige Straftat betraf, begangen hat, steht einer günstigen Sozialprognose nicht ohne Weiteres entgegen. Die Tatbegehung während des Laufs einer Bewährungszeit schließt die erneute Strafaussetzung zur Bewährung nicht grundsätzlich aus (BGH, Urteil vom 10. November 2004 – 1 StR 339/04, NStZ-RR 2005, 38). Vielmehr ist bei der zu treffenden Prognoseentscheidung eine Gesamtwürdigung vorzunehmen, bei der namentlich die Persönlichkeit des Täters, sein Vorleben, die Umstände seiner Tat, sein Verhalten nach der Tat, seine Lebensverhältnisse und die Wirkungen zu berücksichtigen sind, die von der Strafaussetzung für ihn zu erwarten sind (§ 56 Abs. 1 Satz 2 StGB; vgl. BGH, Beschluss vom 15. Mai 2001 – 4 StR 306/00, BGHSt 47, 32, 36). Dem Urteil kann indes nicht entnommen werden, ob das Landgericht nach der gebotenen Gesamtwürdigung aller wesentlichen negativen sowie positiven Prognosekriterien eine günstige Sozialprognose verneint hat.“

Erstverbüßerprivileg – keine Regel ohne Ausnahme

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In § 57 Abs. 2 Nr. 1 StGB ist das sog. Erstverbüßerprivileg normiert. Es sieht die Aussetzung einer zwei Jahre nicht übersteigenden Freiheitsstrafe vor, wenn der Verurteilte erstmals eine Freiheitsstrafe verbüßt. Hintergrund für die Regel ist die Überlegung, dass der sog. Erstverbüßer schon von der Verbüßung von der Hälfte der festgesetzten Strafhaft so beeindruckt ist, dass ihn das von der Begehung weiterer Straftaten abhält.

Das ist die Regel. Aber auch hier gilt: Keine Regel ohne Ausnahme, wie der KG, Beschl. v. 04.12.2013 – 2 Ws 577/13 – zeigt. Das KG bestätigt mit ihm ältere Rechtsprechung und sagt:

„Der Senat bemerkt lediglich ergänzend, dass vorliegend die zugunsten eines Verurteilten geltende Vermutung, dass die erstmalige Verbüßung von Strafhaft ihn beeindruckt hat und von der Begehung weiterer Straftaten abhält (vgl. Senat, Beschluss vom 26. August 2010 – 2 Ws 472/10 – mit weit. Nachweisen), nicht für den Beschwerdeführer streitet. Denn die Erstverbüßerregel erfährt dann eine Einschränkung, wenn ein Verurteilter bereits vor der Anlasstat Untersuchungshaft erlebt hat, von der eine der Strafhaft ähnliche Wirkung ausgeht, und gleichwohl erneut straffällig geworden ist (vgl. Senat a.a.O. mit weit. Nachweisen). So liegt es hier. Denn der Beschwerdeführer befand sich im vorliegenden Verfahren vom 2. bis zum 30. Oktober 2012 in Untersuchungshaft und hatte bereits zuvor in der Zeit vom 4. September bis zum 1. Oktober 2012 eine Ersatzfreiheitsstrafe teilweise verbüßt, bevor er am 9. Januar 2013 die einschlägige Anlasstat beging. Dieses Verhalten zeigt, dass ihn die Warnfunktion des Freiheitsentzuges nicht erreicht hat. Im Übrigen erlaubt die erst kurze Verbüßungsdauer der für die neue Tat verhängten Strafe seit dem 25. Juli 2013 nicht den Schluss, der Verurteilte habe die seiner andauernden Delinquenz zugrunde liegenden Charaktermängel und Persönlichkeitsdefizite behoben (vgl. Senat, Beschluss vom 22. März 2010 – 2 Ws 179/10 – mit weit. Nachweisen).“