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Pflichti II: Die Bestellung des Zeugenbeistandes, oder: Nicht für Tätigkeiten im Vorfeld

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Die zweite Entscheidung betrifft die Bestellung eines Zeugenbeistands nach § 68b Abs. 2 Satz 1 StPO.

In einem Verfahren beim OLG Celle hatte der Senatsvorsitzende E. O. für drei Tage im Juni 2019 als Zeugin geladen. Bei der Zeugin handelt es sich um die Ehefrau des zentralen Zeugen A. O., der im Sommer 2015 aus Deutschland ausreiste, sich in Syrien der Vereinigung „Islamischer Staat“ anschloss und nach seiner Rückkehr gegenüber den Strafverfolgungsbehörden sowie in der hiesigen Hauptverhandlung umfassende, auch die Angeklagten des hiesigen Verfahrens belastende Angaben machte. Die Zeugin E. O. reiste nach den Bekundungen ihres Ehemannes ge-meinsam mit diesem aus und begleitete ihn während seines Aufenthaltes im Herrschafts-gebiet des IS. Ihre Vernehmung in der Hauptverhandlung sollte vornehmlich die Aktivitäten ihres Ehemannes im Vorfeld der gemeinsamen Ausreise sowie die Geschehnisse während ihres Aufenthaltes im IS-Gebiet und im Kontext ihrer Rückkehr nach Deutschland zum Ge-genstand haben.

Mit Schreiben an den Senat vom 9. Mai 2019 hat Rechtsanwalt P. aus D. angezeigt, von der Zeugin E. O. mit der Vertretung ihrer rechtlichen Interessen beauftragt worden zu sein. E. O. habe sich definitiv entschieden, von einem ihr zukommenden vollumfassenden Aus-kunftsverweigerungsrecht nach § 55 StPO Gebrauch zu machen. Es werde daher darum ersucht, die Zeugin abzuladen.

Zugleich hat Rechtsanwalt P. beantragt, der Zeugin gemäß § 68b Abs. 2 Satz 1 StPO als Beistand beigeordnet zu werden.

Mit Verfügung vom 17. Mai 2019 hat der Senatsvorsitzende unter Hinweis darauf, dass der Zeugin ein umfassendes Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 StPO zukomme, die Abladung der Zeugin verfügt. Vor dem Hintergrund der über ihren Beistand vorgebrachten Erklärung der Zeugin, vollumfänglich von ihrem Auskunftsverweigerungsrecht Gebrauch zu machen, ist nicht mehr beabsichtigt, E. O. zu vernehmen.

Das OLG hat den Bestellungsantrag des Rechtsanwalt im OLG Celle, Beschl. v. 21.05.2019 – 4 StE 1/17 – abgelehnt. Die Begründung kann man sich schenken. Es reichen die Leitsätze:

1. Der eindeutige Wortlaut des § 68b Abs. 2 Satz 1 StPO gestattet es nicht, unter rein teleologischer Berufung auf Belange des Opferschutzes eine Beistandsbestellung allein für eine Tätigkeit im Vorfeld einer Zeugenvernehmung vorzunehmen.

2. Die rückwirkende Beiordnung eines Zeugenbeistandes nach § 68b Abs. 2 Satz 1 StPO im alleinigen Vergütungsinteresse des bereits abschließend tätig gewordenen Rechtsanwalts kommt nicht in Betracht.

In meinen Augen mehr als kurzsichtig. Denn, was passieren wird, ist klar. Die Zeugen werden demnächst eben erst in der Hauptverhandlung ihr Verweigerungsrecht geltend machen.

Pflichti III: Und es gibt sie doch: Die Untätigkeitsbeschwerde

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So, die kleine Serie zur Pflichtverteidigung (s. LG Stendal, Beschl. v. 26.11.2015 – 501 AR 9/15 und dazu Pflichti I: Rückwirkende Beiordnung, oder „Hase und Igel“ und LG Hamburg, Beschl. v. 04.11.2015 – 628 Qs 34/15 und dazu Pflichti II: Wegfall der „Waffengleichheit“, oder: Vorgeschobene Entpflichtungsgründe?) schließe ich dann für heute ab mit dem LG Dresden, Beschl. v. 07.12.2015 – 3 Qs 118/15.

Der Sachverhalt: Das AG hatte gegen den Angeklagten einen Strrafbefehl wegen Hausfriedensbruchs in zwei Fällen erlassen. Gegen den hat der Angeklagte Einspruch eingelegt und die Beiordnung eines Pflichtverteidigers beantragt weil er aufgrund einer psychischen Erkrankung in seiner Verteidigungsfähigkeit beschränkt sei. Am 10.11.2015 bestimmte das AG Dresden Termin zur Hauptverhandlung auf den 26.11.2015, ohne über den Antrag auf Verteidigerbestellung zu entscheiden. Unter dem 12.11.2015 legte der Angeklagte gegen die unterlassene Beiordnung eines Pflichtverteidigers Beschwerde ein. Mit Beschluss vom 16.11.2015 wies das AG den Antrag auf Bestellung eines Pflichtverteidigers zurück. Die Staatsanwaltschaft hat beantragt, die Beschwerde als unzulässig zu verwerfen, weil der Angeklagte die Beschwerde einlegte, bevor das AG am 16.11.2015 den Bestellungsantrag des Angeklagten zurückgewiesen hat. Das LG macht das nicht mit, sondern:

„1. Die am 12.11.2015 eingelegte Beschwerde ist zulässig. Sie ist nicht als Beschwerde gegen den durch das Amtsgericht Dresden erst am 16.11.2015 gefassten Beschluss gerichtet, sondern bereits gegen das Unterlassen einer Entscheidung über den Antrag auf Pflichtverteidigerbestellung bei Terminierung.

Zwar ist der Strafprozessordnung eine reine Untätigkeitsbeschwerde fremd, weil in der bloßen Untätigkeit keine sachliche Entscheidung liegt. Nur eine solche aber Gegenstand der Überprüfung durch das Beschwerdegericht sein kann. Die Unterlassung einer von Amts wegen oder auf Antrag zu treffenden Entscheidung ist jedoch dann anfechtbar, wenn die unterlassene Entscheidung selbst bzw. deren Ablehnung anfechtbar ist, und der Unterlassung die Bedeutung einer Sachentscheidung im Sinne einer endgültigen Ablehnung und nicht einer bloßen Verzögerung der zu treffenden Entscheidung zukommt. Das ist hier der Fall. Gegen die Ablehnung der Bestellung steht dem Angeklagten das Rechtsmittel der Beschwerde nach § 304 StPO zu. Angesichts des Umstandes. dass das Amtsgericht am 10.11.2015 bei Bestimmung eines 16 Tage später stattfindenden Hauptverhandlungstermins nicht über den Antrag auf Beiordnung eines Pflichtverteidigers entschied, entspricht dies einer ablehnenden Sachentscheidung. Denn ein beigeordneter Verteidiger hätte die verbleibende Zeit bis zum Hauptverhandlungstermin zur Terminsvorbereitung nutzen müssen. Eine am 10.11.2015 nicht getroffene Entscheidung kommt daher einer endgültigen Ablehnung gleich. Hiergegen kann sich der Angeklagte mit seiner Beschwerde wenden. In der Folge ist der am 16.11.2015 ergangene amtsgerichtliche Beschluss vom 16.11.2015 als Nichtabhilfeentscheidung zu betrachten.“

Und: Das LG hat dann gem. § 140 Abs. 2 StPO einen Pflichtverteidiger bestellt. Der Angeklagte habe Unterlagen vorgelegt, aus denen ersichtlich sei, „dass bei ihm eine „schwere andere seelische Abartigkeit vorliegt und zwar eine kombinierte Persönlichkeitsstörung mit narzistischen und selbstunsicheren Zügen (amtsärztliches Gutachten am 26.03.2012) bzw. Verdacht auf kombinierte und andere Persönlichkeitsstörungen, Verdacht auf wahnhafte Störung (Epikrise der Universitätsklinik vom 30.04.2014). Die Kammer hat deshalb erhebliche Zweifel an der Fähigkeit des Angeklagten zur Selbstverteidigung, so dass ihm gemäß § 140 Abs. 2 StPO ein Verteidiger zu bestellen war.“

Klein, aber fein IV: Gesamtstrafübel über einem Jahr ==> Pflichtverteidiger

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Ganz klein/kurz ist der LG Berlin, Beschl. v. 17.06.2015 – 504 Qs 67/15, durch den das LG in einem Verfahren mit dem Vorwurf der Sachbeschädigung dem Angeklagten einen Pflichtverteidiger beigeordnet hat. Das LG stellt auf das „Gesamtstrafübel“ ab, wenn es ausführt:

„In einer wertenden Gesamtschau liegen die Voraussetzungen des § 140 Abs.2 StPO vor, da das Gesamtstrafübel ein Jahr Freiheitsstrafe erreicht.

Dem einschlägig bereits zu Freiheitsstrafe verurteilten Angeschuldigten droht neben einer erneuten Freiheitsstrafe im hiesigen Verfahren der Widerruf der Zurückstellung der Restvollstreckung von 156 Tagen in dem Verfahren pppp., welche einem Strafübel gleichzustellen ist.

Zutreffend ist zwar, dass der Widerruf von dem Therapieverlauf abhängt, aber insbesondere die hiesige Tat vom 10.5.2014 als Rückfall gewertet werden und damit Einfluss auf die weitere Zurückstellung haben könnte.“

Klein, aber fein II: Pflichtverteidiger im Steuerstrafverfahren

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Da hat es mal wieder erst das LG richten müssen, sprich: Es war in einem Steuerstrafverfahren die Beschwerde des Angeklagten erforderlich, damit ihm ein Pflichtverteidiger bestellt wurde. Vorwurf war, der Angeklagte habe als Betreiber eines Einzelunternehmens für Metallwaren durch die Nichtabgabe der Umsatzsteuererklärung für das Jahr 2012 Umsatzsteuer in Höhe von 40.802,31 € nicht erklärt. Dadurch sei ein Schaden von 37.695,72 € entstanden. Die Ermittlung des Steuerschadens beruht auf Schätzungen des Finanzamtes. Grundlage der Schätzung waren Rechnungen des Angeklagten sowie Umsatzsteuervoranmeldungen.

Das AG hat die Bestellung eines Pflichtverteidigers abgelehnt. Der LG Essen, Beschl. v. 02.09.2015 – 56 Qs 1/15 – sieht das anders:

„Die Beschwerde ist auch begründet. Die Mitwirkung eines Verteidigers ist wegen der Schwierigkeit der Rechtslage geboten (§ 140 Abs. 2 StPO): Beim Steuerstrafrecht handelt es sich um Blankettstrafrecht: Die Rechtslage kann nur in einer Zusammenschau strafrechtlicher und steuerrechtlicher Normen zutreffend erfasst und bewertet werden. Damit ist ein Angeklagter regelmäßig überfordert, wenn er ¬wie offenbar hier — nicht über Spezialwissen verfügt. Eine laienhafte oder intuitive Einschätzung der Rechtslage, wie sie bei Normen des Kernstrafrechts möglich ist, genügt nicht. Dies gilt umso mehr, als für die Berechnung der Höhe der Steuerschuld des Angeklagten ausweislich des strafrechtlichen Abschlussvermerks vom 10.04.2015 (BI. 26 d. A.) die Sondervorschrift des § 13b UStG einschlägig ist, deren Verständnis und Anwendung vertiefte Kenntnisse des Umsatzsteuerrechts erfordern. Dabei wird insbesondere die in Rechtsprechung und Literatur umstrittene Frage zu behandeln sein, ob das bloße Nichterfüllen von Nachweispflichten zu einer strafrechtlich beachtlichen Steuerverkürzung führen kann.

Hinzu kommt, dass die Hauptverhandlung ohne Aktenkenntnis, die nur einem Verteidiger gemäß § 147 StPO zusteht, nicht umfassend vorbereitet werden kann, was die Schwierigkeit der Sachlage begründet (§ 140 Abs. 2 StPO). Denn um die Tatvorwürfe zu prüfen, sind die Kenntnis der Berechnungen des Finanzamts für Steuerstrafsachen und die Auswertung des Beweismittelordners mit den Geschäftsunterlagen erforderlich.

Zwar hat der unverteidigte Angeklagte auf seinen Antrag einen Anspruch auf Auskünfte und Abschriften aus den Akten, wenn er sich sonst nicht angemessen verteidigen könnte (§ 147 Abs. 7 StPO). Doch erscheint der Angeklagte im vorliegenden Fall nicht in der Lage, die für seine Verteidigung relevanten Teile der Akten zu benennen und in ihrer Bedeutung einzuschätzen, so dass (vollständige) Akteneinsicht durch einen Verteidiger zwingend erforderlich ist.“

Schon das „Akteneinsichtsargument“ hätte m.E. dem AG bei dem Vorwurf genügen müssen, um den Pflichtverteidiger zu bestellen.

„Verkennung der Rechtslage“ bei der StA –> Pflichtverteidigerbestellung

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Hart ins Gericht geht das AG Backnang im AG Backnang, Beschl. v. 13.08.2014 – 2 BWL 90/11 vorab schon mal mit einem Widerrufsantrag der Staatsanwaltschaft. Anders kann man die Formulierung “ Verkennung der Rechtslage“ kaum nennen. Die Staatsanwaltschaft hatte einen Widerrufsantrag (§ 56f StGB) gegen einen ihrer Ansicht nach flüchtigen Verurteilten gestellt hat und auf dem beharrt, obwohl das AG ihr nahe gelegt hatte, den doch lieber zurückzunehmen.

Das AG hat auf das „Standvermögen“ der Staatsanwaltschaft nun reagiert und hat dem Verurteilten zunächst mal einen Pflichtverteidiger beigeordnet und das vor allem damit begründet, dass (auch) im Verfahren über den Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung ein Pflichtverteidiger beizuordnen ist, wenn Gericht und Staatsanwaltschaft abweichende Rechtsauffassungen vertreten. Das wird – m.E. zutreffend – so auch für das Erkenntnisverfahren vertreten und beruht im Grunde auf der Annahme, dass der Beschuldigte/Verurteilte „nicht zwischen den Fronten zerrieben werden darf“. Das AG drückt das etwas vornehmer aus:

„Nach alledem ist festzuhalten, dass im Rahmen des Widerrufsverfahrens hinsichtlich der von der Staatsanwaltschaft behaupteten Widerrufsgründe erheblicher Prüfungsbedarf besteht. Auch ist die Einschlägigkeit ober- und verfassungsgerichtlicher Rechtsprechung zu prüfen. Damit ist der Verurteilte überfordert, es liegt mithin entsprechend § 140 Abs. 2 StPO eine schwierige Sach- und Rechtslage vor.“

Nach der Bestellung wird jetzt also auf Augenhöhe gekämpft.