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Pflichti III: Vollständiger Vortrag, oder: Sonst trägt der Beschuldigte seine Auslagen selbst

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Im letzten Posting des Tages weise ich dann hin auf den LG Braunschweig, Beschl. v. 08.10.2020 – 1 Qs 203/20.

Der Beschuldigte hat Beschwerde gegen die nicht erfolgte Bestellung eines Pflichtverteidigers eingelegt. Die hat Erfolg. Aber: Seine notwendigen Auslagen trägt der Beschuldigte selbst:

„Das Amtsgericht Braunschweig hat mit Beschluss vom 15.09.2020 den Beiordnungsantrag des Verteidigers vom 06.08,2020 zurückgewiesen mit der Begründung, dass weder die Voraussetzungen des § 140 Abs. 1 StPO vorliegen noch die Schwere der Tat oder der zu erwartenden Rechtsfolge bzw. die Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage die Beiordnung gebieten. Die Entscheidung des Amtsgerichts ist nach den zum Zeitpunkt der Entscheidung vorliegenden Erkenntnissen zutreffend gewesen. Es geht um den Tatvorwurf des versuchten Diebstahls eines Buntmetallstrangs von einer Kabeltrommel. Der Beschuldigte ist zwar vorbestraft, seit 2008 aber lediglich zu Geldstrafen verurteilt worden. Gesamtstrafenfähigkeit bestand nach dem Bundeszentralregisterauszug vom 14.09.2020 lediglich hinsichtlich der Strafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Halberstadt vom 29.07.2020 (60 Tagessätze zu je 30,¬€ Geldstrafe wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis).

Mit der sofortigen Beschwerde hat der Verteidiger erstmals vorgetragen, dass gegen den Beschuldigten beim Amtsgericht Halberstadt das Verfahren 3 Ds 802 Js 70719/20 — 20120 wegen eines Vergehens gegen § 52 WaffG und beim Amtsgericht Gardelegen das Verfahren 21 Ls 416 Js 14505/19 -2/20 u. a. wegen eines Verbrechens (Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion) anhängig sind. Insoweit bestünde bei entsprechenden Verurteilungen Gesamtstrafenfähigkeit, die Schwere der insgesamt zu erwartenden Rechtsfolgen, auf die bei der Entscheidung abzustellen ist, gebietet daher die Beiordnung eines Pflichtverteidigers.

Von einer Belastung der Staatskasse mit den notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers hat die Kammer entsprechend § 467 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 StPO abgesehen, da erst mit der Beschwerde die deren Erfolg begründenden Tatsachen vorgetragen wurden.“

Auf vollständigen Vortrag muss man also achten, wenn man denn alle Umstände kennt 🙂 .

OWi III: Einsicht in die Messreihe bei einem standardisierten Messverfahren, oder: Dauerbrenner

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Und als dritte verfahrensrechtliche OWi-Entscheidung dann noch der LG Bielefeld, Beschl. v. 25.08.2020 – 10 Qs 278/20 – nocheinmal zurm Dauerbrenner: (Akten)Einsicht im Bußgeldverfahren in den Fällen der Messung mit einem standardisierten Messverfahren.

Das LG bejaht ein Einsichtsrecht des Betroffenen in die ihn betreffende Messreihe und sieht eine Beschwerde gegen die die Einsicht ablehnende Entscheidung des Ag als zulässig an:

„Die Beschwerde der Betroffenen gegen die Verfügung des Amtsgerichts Bielefeld vom 18.06.2020 ist zulässig und begründet.

1. Der Zulässigkeit der gemäß § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 304 Abs. 1 StPO statthaften Beschwerde steht § 305 S. 1 StPO nach Ansicht der Kammer nicht entgegen. Hiernach unterliegen Entscheidungen der erkennenden Gerichte, die der Urteilsfällung vorausgehen, grundsätzlich nicht der Beschwerde. Die Regelung soll Verfahrensverzögerungen verhindern, die eintreten würden, wenn Entscheidungen des erkennenden Gerichts sowohl auf eine Beschwerde, als auch auf das Rechtsmittel gegen das Urteil hin überprüft werden müssten. Diesem Zweck entsprechend, greift die Ausnahmevorschrift des § 305 S. 1 StPO jedenfalls dann nicht ein, wenn ein Rechtsmittel gegen das (künftige) Urteil nicht eröffnet ist oder die betroffene Entscheidung im Rahmen eines zulässigen Rechtsmittels nicht überprüft werden kann (OLG Hamm, Beschl. v. 30.01.1986 – 6 Ws 23/86, NStZ 1986, 328 f.; Meyer-Goßner/Schmitt/Schmitt, StPO, 62. Auflage 2019, § 305 Rn. 1).

Dies ist vorliegend der Fall. Gegen die Betroffene ist im Bußgeldbescheid vom 30.01.2020 eine Geldbuße von lediglich 120,- EUR festgesetzt worden, ohne dass eine Nebenfolge angeordnet worden ist. Gegen ein entsprechendes Urteil ist daher eine Rechtsbeschwerde nicht zulässig, weil die Voraussetzungen des § 79 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 oder 2 OWiG nicht erfüllt sind und es sich um keine der in § 79 Abs. 1 5. 1 Nr. 3-5 OWiG genannten Fallkonstellationen handelt. Ob im Hinblick auf die Zurückweisung des Antrags der Betroffenen vom 14.02.2020 die Rechtsbeschwerde gemäß den §§ 79 Abs. 1 Satz 2, 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG wegen der Versagung des rechtlichen Gehörs oder – in analoger Anwendung des § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG wegen eines Verstoßes gegen den Grundsatz der prozessualen Waffengleichheit und einer Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren zuzulassen wäre, obliegt jedenfalls der eigenständigen Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts. Da ein Rechtsmittel gegen das (künftige) Urteil somit nicht von vorherein eröffnet ist, kann ein Ausschluss der Beschwerde gemäß § 305 S. 1 StPO — auch mit Blick auf den Ausnahmecharakter der Vorschrift — nicht auf die bloße Möglichkeit der Zulassung der Rechtsbeschwerde gestützt werden (LG Köln BeckRS 2019, 26465).

Es handelt sich bei dem Antrag der Betroffenen zudem nicht um einen erst in der Hauptverhandlung vor der Urteilsverkündung zu bescheidenden Beweisantrag. Sie begehrt vielmehr Informationen, die sie mit Hilfe sachverständiger Begutachtung in die Lage versetzen sollen, sich überhaupt mit einem Beweisantrag gegen die Ordnungsgemäßheit der Geschwindigkeitsmessung wenden zu können. Ist, wie vorliegend, nämlich ein standardisiertes Messverfahren zum Einsatz gekommen, kann der Betroffene Einwendungen und Zweifel allgemeiner Art nicht zum Gegenstand eines Beweisantrages machen. Vielmehr hat er nur die Möglichkeit, bei der Bußgeldbehörde die Messunterlagen zu besorgen, sie durch einen privat zu beauftragenden Sachverständigen auswerten zu lassen und auf der Grundlage dann einzelfallbezogener Einwände Beweis- oder sonstige gegen die Richtigkeit der Messung gerichtete Anträge zu stellen (vgl. nur KG Berlin, Beschl. v. 6. September 2017 — 3 Ws [B] 248/17, BeckRS 2017, 124882).

Bei einer Bescheidung des Begehrens der Beschwerdeführerin erst im Rahmen der Hauptverhandlung droht somit ein endgültiger Rechtsverlust der Betroffenen.

2. Die Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg. Nach Ansicht der Kammer wird die Verteidigung eines Betroffenen jedenfalls dann unzulässig beschränkt (§§ 79 Abs. 3 S. 1 OWiG i.V.m. § 338 Nr. 8 StPO), wenn der Betroffene schon bei der Verwaltungsbehörde und sodann vor dem Amtsgericht einen Antrag auf Einsicht in die nicht bei den Akten befindlichen weiteren amtlichen Messunterlagen erfolglos gestellt hat. Denn der Betroffene hat ein Recht auf Einsicht in die – nicht bei den Akten befindliche digitale, vollständige Messreihe vom Tattag.

Ein solcher Anspruch ergibt sich – auch beim standardisierten Messverfahren – aus dem Gebot des fairen Verfahrens. Dieses folgt aus dem Rechtsstaatsprinzip (vgl. Art. 20 Abs. 3 GG) i.V.m. dem allgemeinen Freiheitsrecht nach Art. 2 Abs. 1 GG sowie aus Art. 6 Abs. 1 S. 1 MRK. Aus dem Gebot ergibt sich, dass ein Beschuldigter oder Betroffener nicht bloßes Objekt des Verfahrens sein darf, sondern ihm die Möglichkeit gegeben werden muss, zur Wahrung seiner Rechte auf den Gang und das Ergebnis des Verfahrens Einfluss zu nehmen. Das Recht auf ein faires Verfahren enthält indessen keine in allen Einzelheiten bestimmten Gebote und Verbote. Es zu konkretisieren, ist zunächst Aufgabe des Gesetzgebers und sodann, in den vom Gesetz gezogenen Grenzen, Pflicht der zuständigen Gerichte bei der ihnen obliegenden Rechtsauslegung und -anwendung. Erst wenn sich unter Berücksichtigung aller Umstände und nicht zu-letzt der im Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes selbst angelegten Gegenläufigkeiten eindeutig ergibt, dass rechtsstaatlich unverzichtbare Erfordernisse nicht mehr gewahrt sind, können aus dem Gebot der Rechtsstaatlichkeit selbst konkrete Folge-rungen für die Ausgestaltung des Verfahrens gezogen werden (OLG Karlsruhe NStZ 2019, 620). Auch aus dem Gebot des fairen Verfahrens kann sich nach herrschender Auffassung, der sich die Kammer nach eigener Abwägung anschließt, ein Recht auf Einsicht in Akten, Daten o. a. ergeben, welches über das Recht auf Akteneinsicht aus § 147 StPO hinausgeht (BVerfG NStZ 1983, 273, OLG Karlsruhe NStZ 2019, 620).

Bezogen auf das Bußgeldverfahren wird auf dieser Grundlage die — von der Kammer geteilte — überwiegende Ansicht vertreten, dass ein Betroffener danach, insbesondere auch wegen der zu garantierenden „Parität des Wissens“ bzw. der „Waffengleichheit“, gegenüber der Verwaltungsbehörde verlangen kann, dass er Einsicht in die nicht bei den Akten befindlichen (existierenden weiteren) amtlichen, zur Überprüfung der Messung erforderlichen Messunterlagen nehmen kann, um diese mit Hilfe eines privaten Sachverständigen auswerten und auf mögliche Messfehler hin überprüfen zu können, ohne dass bereits konkrete Anhaltspunkte für Messfehler vorliegen oder vom Betroffenen vorgetragen worden sind. Denn der Betroffene bzw. seine Verteidigung wird ohne Kenntnis aller Informationen, die den Verfolgungsbehörden zur Verfügung stehen, nicht beurteilen können, ob Beweisanträge gestellt oder Beweismittel vorgelegt werden sollen. Das Informations- und Einsichtsrecht des Verteidigers kann daher deutlich weiter gehen als die Amtsaufklärung des Gerichts. Solche weitreichenden Befugnisse stehen dem Verteidiger im Vorfeld der Hauptverhandlung auch und gerade bei standardisierten Messverfahren zu. Zwar erlauben allein die begehrten Beiziehungsobjekte noch keine Beurteilung der verfahrensgegenständlichen Messung im konkreten Fall in belastender oder entlastender Hinsicht. Entscheidend ist nach Ansicht der Kammer aber, dass es auch keinen Erfahrungssatz gibt, dass ein standardisiertes Mess-verfahren unter allen Umständen zuverlässige Ergebnisse liefert (OLG Karlsruhe NStZ 2019, 620).

Soweit in der Rechtsprechung ein Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens bzw. Verstoß gegen das rechtliche Gehör bezogen auf die Ablehnung des in der Hauptverhandlung gestellten Beweisermittlungsantrags auf Beiziehung von außerhalb der Akte befindlichen Unterlagen verneint wird, sind die Sachverhalte nicht vergleichbar, da sich aus diesen Entscheidungen nicht ergibt, dass schon vor der Hauptverhandlung gegenüber der Verwaltungsbehörde und dem Gericht Anträge auf Aushändigung bzw. Einsicht gestellt und negativ beschieden wurden (OLG Bamberg NStZ 2018, 724). Vorliegend hat die Betroffene derartige Anträge jedoch bereits im Vorfeld gestellt.“

Corona II: Ablehnung der Terminsaufhebung wegen Corona-Pandemie, oder: Keine Beschwerde

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Die zweite Entscheidung des Tages hat dann auch mit Corona zu tun. Und zwar Terminsaufhebung in „Corona-Zeiten“. Der OLG München, Beschl. v. 20.03.2020 – 2 Ws 364/20 – ist zwar schon etwas älter – er stammt vom Anfang des Lockdown. Aber: Die entschiedenen Fragen können ja, wenn es eine zweite Welle geben sollte, – hoffenlich nicht – noch einmal an Bedeutung gewinnen.

Ergangen ist der Beschluss in einem Schwurgerichtsverfahren. Gegen den Angeklagten fand die Hauptverhandlung seit dem 12.11.2019 statt. 16 Verhandlungstermine waren bereits durchgeführt. Als weitere Termine für die Hauptverhandlung waren Montag, der 23.03.2020 und Dienstag, der 31.03.2020 bestimmt. Der Angeklagte und sein Verteidiger hatten wegen der Gefahr, sich mit Coronaviren anzustecken, beantragt, diese Termine aufzuheben und die Hauptverhandlung auszusetzen.Das ist abegelehtn worden. Dagegen die Beschwerde.

Das OLG hat die als unzulässig angesehen:

„Die Beschwerden gegen die richterliche Verfügung vom 18.03.2020 sind unzulässig, da nicht statthaft. Denn nach § 305 S. 1 StPO sind die Ablehnung der Aufhebung von Verhandlungsterminen und der Aussetzung eines Verfahrens grundsätzlich nicht anfechtbar, da solche Entscheidungen der Urteilsfällung vorausgehen und deshalb nur zusammen mit dem Urteil mit dem dagegen statthaften Rechtsmittel, hier der Revision, angefochten werden können (KK-StPO/Gmel, 8. Auflage 2019, StPO § 228 Rn. 14; KK – StPO/Zabeck, 8. Auflage 2019, StPO § 305 Rn. 6; BVerfG, Beschluss vom 22.11.2001 – 2 BvQ 46/01, NStZ-RR 2002, 113; OLG Düsseldorf, NJW 1997, 2533; OLG Hamm, NJW 1978, 283).

Lediglich in Ausnahmefällen kann eine Beschwerde statthaft sein, etwa wenn die Terminaufhebung und Verfahrensaussetzung vom Gericht ermessensfehlerhaft und damit rechtswidrig abgelehnt wurde (OLG Celle, NStZ 2012, 176 für die Ablehnung eines Antrags auf Terminverlegung; vgl. auch OLG München, NStZ 1994, 451).

Solches lässt sich hier jedoch nicht feststellen.

Zum einen ist trotz der erheblichen, nicht im Bereich der Justiz liegenden Einschränkungen aufgrund der Anordnungen der Bayerischen Staatsregierung der Grundsatz der Öffentlichkeit gewahrt. Denn nicht nur die Vertreter der Presse haben Zutritt zu der Verhandlung, sondern auch sonstige Personen, z.B. Angehörige, sofern sie sich im Rahmen der verhängten Ausgangsbeschränkungen halten. Eine absolute Ausgangssperre hat die Bayerische Staatsregierung nicht angeordnet. Deshalb werden stichprobenartige körperliche Untersuchungen von Zuhörern vorgenommen, um Verdachtsfälle auf Infizierung mit dem Coronavirus von vorneherein herauszufiltern und erst gar nicht in den Sitzungssaal zu lassen. Auch dürfen nicht alle vorhandenen Sitzplätze belegt werden, vielmehr müssen größere Abstände zwischen den einzelnen Zuhörern sein. Diese Sicherheitsvorkehrungen wären im Falle einer Ausgangssperre überflüssig. Dann könnte nämlich allen potentiellen Zuhörern mit Ausnahme der Vertreter der Presse der Zutritt zum Sitzungssaal ohne Prüfung auf eine Infizierung mit dem Coronavirus unter Berufung auf die staatlich angeordnete Ausgangssperre verweigert werden.

Zum anderen wurden in der angefochtenen Verfügung das Gesundheitsrisiko für die Verfahrensbeteiligten, mithin auch für den Angeklagten pp. im Falle der Durchführung der Hauptverhandlung einerseits und das Interesse der Allgemeinheit an der Durchführung des Strafprozesses andrerseits, damit dem staatlichen Strafanspruch Geltung verschafft werde, sorgfältig abgewogen. Auf die Verfügung vom 18.03.2020 wird Bezug genommen. Das Gericht hat nicht nur Sicherheitsvorkehrungen gegen eine mögliche Ansteckungsgefahr getroffen, sondern auch die Dauer des Verhandlungstermins erheblich verkürzt, um das Ansteckungsrisiko zu mindern. Zudem werden für alle Besucher des Strafjustizzentrums Kontrollen in Form von Selbstauskünften durchgeführt, um einer Verbreitung des Coronavirus entgegenzuwirken.

Aus den genannten Gründen wären die Beschwerden, selbst wenn sie als statthaft und damit als zulässig erachtet würden, jedenfalls unbegründet.

Ob zusätzlich noch weitere Maßnahmen, wie etwa im Schriftsatz des Verteidigers vom 20.03.2020 beantragt, erforderlich sind, um die Gefahr einer Ansteckung möglichst gering zu halten, muss die 2. Strafkammer in eigener Zuständigkeit entscheiden.“

Wie gesagt: Die Problematik hat sich inzwischen „entschärft“, u.a. auch durch den § 10 EGStPO.

Pflichti III: Pflichtverteidiger für einen Mitangeklagten, oder: Dagegen kann man sich nicht beschweren

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Und als letzte Entscheidung dann noch einmal einen Beschluss vom KG, das allmählich aus seinem „Internetschlaf“ erwacht. Entschieden hat das KG im KG, Beschl. v. 01.11.2019 – 2 Ws 165/19 – über die Beschwerde gegen die einen anderen Angeklagten betreffende Pflichtverteidigerbestellung. Das KG hat die Beschwerde als unzulässig angesehen:

„Gegen den Beschwerdeführer und sieben weitere Angeklagte wird derzeit vor dem Landgericht Berlin ein Verfahren wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln u. a. geführt.

Mit Schriftsatz vom 28. August 2019 beantragte der Verteidiger des rechtsmittelführenden Angeklagten B in der Hauptverhandlung unter anderem, die Bestellung der Pflichtverteidigerin des Mitangeklagten A, Rechtsanwältin C, aufzuheben. Zur Begründung führte er im Wesentlichen an, dass der im Ruhestand befindliche Oberstaatsanwalt D nach seinem Ausscheiden aus der Staatsanwaltschaft Berlin nunmehr als Rechtsanwalt in Bürogemeinschaft mit Rechtsanwältin C tätig sei. Eine Weiterführung der Verteidigung durch Rechtsanwältin C sei daher wegen Verstoßes gegen § 3 der Berufsordnung für Rechtsanwälte (BORA) ausgeschlossen.

Mit dem angegriffenen Beschluss hat die Vorsitzende der großen Strafkammer diesen Antrag zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich der Beschwerdeführer mit seinem Rechtsmittel.

II.

Die Beschwerde ist nach § 304 Abs. 1 StPO statthaft und insbesondere nicht durch § 305 Satz 1 StPO ausgeschlossen. Ebenso wie die Ablehnung der Bestellung eines Verteidigers (vgl. OLG Hamburg StraFo 2000, 383; OLG Brandenburg OLG-NL 2003, 261; Senat, Beschluss vom 28. Juni 2019 – 2 Ws 102/19 –, BeckRS 2019, 1954) entfaltet auch deren Aufrechterhaltung Rechtswirkungen, die über die bloße Vorbereitung des späteren Urteils hinausgehen.

Gleichwohl ist die Beschwerde unzulässig.

Es ist in der höchstrichterlichen und obergerichtlichen Rechtsprechung geklärt, dass Zulässigkeitsvoraussetzung eines jeden Rechtsmittels eine Beschwer ist (vgl. BGHSt 16, 374; 18, 327; Senat, Beschluss vom 24. September 2018 – 2 Ws 184/18 – mwN). Diese muss in einer unmittelbaren Beeinträchtigung der Rechte oder der schutzwürdigen Interessen des Beschwerdeführers bestehen (vgl. Zabeck in Karlsruher Kommentar, StPO 8. Aufl., § 304 Rn. 32; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 62. Aufl., vor § 296 Rn. 8, 9 mwN). Das Interesse der Allgemeinheit an einer gesetzmäßigen Rechtsprechung und inhaltlich richtigen Entscheidungen kann demgegenüber nur die Staatsanwaltschaft im Rechtsmittelwege durchsetzen (vgl. Jesse in Löwe-Rosenberg, StPO 26. Aufl., vor § 296 Rn. 51, 53).

Nach diesen Maßstäben ist eine unmittelbare Beeinträchtigung spezifischer Rechtspositionen des Beschwerdeführers nicht erkennbar.

Die verhandlungsstrategische Besserstellung anderer Verfahrensbeteiligter durch anwaltliche Vertretung ist vom Angeklagten grundsätzlich hinzunehmen. Dies gilt nicht nur für die Heranziehung von Nebenklägervertretern (vgl. hierzu: OLG Hamm, Beschlüsse vom 7. Februar 2006 – 4 Ws 48/06 – und vom 20. November 2007 – 3 Ws 656/07 –, juris; Kammergericht, Beschluss vom 19. Oktober 2016 – 3 Ws 548/16 –; Senat, Beschluss vom 24. September 2018 – 2 Ws 184/18 –), sondern ebenso für die Bestellung von Pflichtverteidigern für Mitangeklagte. Erst recht kann es daher zu keiner Beeinträchtigung schutzwürdiger Belange eines Angeklagten führen, wenn Mitangeklagte von ihren Verteidigern unter Verletzung berufsrechtlicher Regelungen für Anwälte vertreten und damit unter Umständen durch bestehende Interessenkonflikte der Verteidigung benachteiligt werden.

Zudem zielte der in der Hauptverhandlung vom Verteidiger des Beschwerdeführers gestellte Antrag auch vorrangig darauf ab, das „Vertrauen in die Rechtspflege“ zu schützen, „Interessenkollisionen einzudämmen“ und „normativem Misstrauen der Rechtsordnung“ entgegenzuwirken. Die Durchsetzung solcher abstrakten Werte der Rechtsgemeinschaft obliegt im strafprozessualen Beschwerdeverfahren – soweit erforderlich – ausschließlich der Staatsanwaltschaft.“

Ist zum alten Recht ergangen, dürfte aber auch für das neue Recht gelten.

Beschwerdeverfahren, oder: Abgerechnet wird i.d.R. nach der Differenztheorie

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Die zweite gebührenrechtliche Entscheidung kommt heute vom LG Arnsberg. Das hat im LG Arnsberg, Beschl. v. 28.10.2019 – 6 Qs 83/19 – noch einmal zu der Frage Stellung genommen, wie Tätigkeiten des Rechtsanwalts/Verteidigers im straf- bzw. bußgeldrechtlichen Beschwerdeverfahren honoriert werden.

Und: Das LG ist zur richtigen Lösung gekommen, nämlich: Gar nicht besonders bzw. „nur“ über die Differenztheorie:

„…..Das Amtsgericht hat durch den angefochtenen Beschluss zu Recht den Kostenfestsetzungsantrag des Beschwerdeführers betreffend die Gebühren für das Beschwerdeverfahren II-6 Qs 41/19 zurückgewiesen. Die vom Beschwerdeführer angesetzten Gebühren können nicht festgesetzt werden, weil es hierfür im vorliegenden Fall keine Rechtsgrundlage gibt.

Beschwerdeverfahren in Straf- und Bußgeldsachen bilden grundsätzlich keine besondere Angelegenheit, sondern gehören für den Rechtsanwalt, der umfassend mit der Verteidigung betraut ist, gebührenrechtlich zum Rechtszug (§ 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 10 RVG). Sie werden also durch die Verfahrensgebühr der jeweiligen Instanz nach Nrn. 4100 ff. VV RVG abgegolten (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 28.10.2010 – III-5 Ws 17/10; Schneider/Volpert/Fölsch, Gesamtes Kostenrecht, VV RVG, Vorb. 4.1 Rn. 3-5, VV RVG Nr. 4300 – 4304 Rn. 21).

So liegt es auch hier. Denn der Beschwerdeführer ist, wie aus seinem Schriftsatz vom 03.04.2019 und der dort anliegenden Prozessvollmacht ersichtlich wird (Bl. 221-223 d.A.), durch den Beschuldigten vollumfänglich mit der Verteidigung im seinerzeit anhängigen Strafverfahren beauftragt worden. Eine Beauftragung nur als Pflichtverteidiger bzw. unter entsprechender Bedingung ist nicht ersichtlich und rechtlich auch nicht zulässig. Wegen der weiteren Begründung nimmt die Kammer insoweit Bezug auf die zutreffenden Ausführungen des Bezirksrevisors beim Landgericht Arnsberg in dessen Stellungnahmen vom 09.07, 05.08. und 18.09.2019.

Etwas anderes folgt hier auch nicht daraus, dass das Amtsgericht den Antrag des Beschwerdeführers auf Bestellung zum Pflichtverteidiger – möglicherweise rechtswidrig – zurückgewiesen hat und der Beschwerdeführer deswegen keine weitere Tätigkeit mehr entfaltet, insbesondere nicht am Hauptverhandlungstermin teilgenommen hat.

Bereits mit dem am 06.04.2019 beim Amtsgericht eingegangenen Antrag, ihn dem (damaligen) Angeklagten als Pflichtverteidiger beizuordnen, ist der Beschwerdeführer, noch vor dem Beschwerdeverfahren II-6 Qs 41/19, in dieser Angelegenheit für seinen Mandanten tätig geworden. Ob das Amtsgericht den Antrag auf Beiordnung (unter gleichzeitiger Entpflichtung des schon bestellten Pflichtverteidigers P1) dann rechtswidrig zurückgewiesen hat, kann für die hier zu treffende Entscheidung dahinstehen. Wie im Beschluss vom 22.05.2019 (im Verfahren II-6 Qs 41/19) ausgeführt, dient die Bestellung eines Pflichtverteidigers allein dem öffentlichen Interesse einer rechtsstaatlichen Durchführung des Strafverfahrens, nicht dem Kosteninteresse des Betroffenen oder seines Verteidigers. Zudem ist die Umbestellung eines Pflichtverteidigers während eines laufenden Verfahrens überhaupt nur dann möglich, wenn dies einvernehmlich und ohne Mehrkosten für die Staatskasse erfolgt (vgl. ebd. sowie OLG Brandenburg Beschluss vom 19.12.2000 – 2 Ws 364/00; m.w.N. BeckOK-StPO-Krawczyk, § 142 Rn. 11). Ebensolche Mehrkosten würden nun aber nachträglich entstehen, wenn der Beschwerdeführer zusätzlich Gebühren nach RVG VV Nr. 4302 für das Verfahren II-6 Qs 41/19 gegenüber der Staatskasse abrechnen könnte. Denn ausweislich der Verfahrensakte (Bl. 260-263 d.A.) hat Rechtsanwalt P1 die ihm als Pflichtverteidiger für das Verfahren insgesamt zustehenden Gebühren nach RVG VV 4100 ff. bereits abgerechnet. Das Verfahren ist damit für die Staatskasse gebührenrechtlich abgegolten.

Ob und in welcher Höhe hier nach der Differenztheorie Mehrkosten festgesetzt werden können, die aus einer durch das Beschwerdeverfahren höheren Verfahrensgebühr nach § 14 RVG resultieren (vgl. dazu Schneider/Volpert/Fölsch, Gesamtes Kostenrecht, VV RVG, Vorb. 4.1 Rn. 7), kann wiederum dahinstehen. Denn der Beschwerdeführer hat, wie der Bezirksrevisor zutreffend ausführt, eine entsprechende Vergleichsberechnung der tatsächlich einschließlich des Beschwerdeverfahrens entstandenen und der hypothetisch ohne dieses Verfahren erwachsenen notwendigen Auslagen des Betroffenen bislang nicht vorgelegt.“

Ist nun mal leider. Mehr dazu und zu Ausnahmen – das steht – seit längerem mal wieder <<Werbemodus an>> alles in Burhoff/Volpert, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 5. Aufl., den man hier bestellen kann <<Werbemodus aus>>. 🙂