Schlagwort-Archive: Beschleunigungsgrundsatz

Sorry Herr Verteidiger, warum tragen Sie das in einer Haftsache vor?

© Alex White - Fotolia.com

© Alex White – Fotolia.com

Manchmal kann ich nur den Kopf schütteln, wenn ich eine Entscheidung lese. So ist es mir beim OLG Koblenz, Beschl. v. 29.07.2016 – 2 Ws 335/16 – ergange, bei dem es sich um eine Entscheidung des OLG im Haftbeschwerdeverfahren handelt. Es ist u.a. um den Beschleunigungsgrundsatz gestritten worden. Das OLG hat die Haftbeschwerde des Angeklagten verworfen, es sieht den Beschleunigungsgrundsatz als nicht verletzt. Und in dem Zusammenhang ist mir eine Passage im OLG-Beschluss sauer augestoßen und hat zu Kopfschütteln geführt. Aber nicht über das OLG – lassen wir mal die Frage der Beschleunigung außen vor – sondern über das Verteidigerverhalten und/oder ein Schreiben, das der Verteidiger im Verfahren an das LG gerichtet hatte und dessen Inhalt ihm jetzt das OLG entgegenhält:

„Dass vom Vorsitzenden der Jugendkammer eine vorausschauende, straffe und effiziente Verhandlungsplanung (vgl. zu diesem Erfordernis BVerfG NJW 2006, 672) beabsichtigt war, kommt in seinen eingangs ausführlich dargestellten Bemühungen zum Ausdruck, durch eine die terminlichen Belange der Verteidiger nach Möglichkeit berücksichtigende und ausdrücklich am Beschleunigungsgebot orientierte Kommunikation mit den Beteiligten eine zeitnahe und hochfrequente Verhandlungsfolge zu gewährleisten. Die vom Vorsitzenden mit Verfügung vom 26. Januar 2016 vorgeschlagenen 21 Terminstage zwischen dem 23. März und dem 3. Juni 2016 hätten – Verfügbarkeit der Verteidiger vorausgesetzt – zwanglos eine Verhandlungsfrequenz von durchschnittlich mehr als einem Verhandlungstag pro Woche ermöglicht.

Es war jedoch insbesondere der Verteidiger des Beschwerdeführers, der diese Bemühungen unter anderem mit einem Widerspruch gegen die vom Vorsitzenden beabsichtigte Beiordnung von Pflichtverteidigern zur Verfahrenssicherung unterlief und sich hierbei des das Beschleunigungsgebot missachtenden Argumentes bediente, sein Mandant befinde sich erst (Hervorhebung durch den Senat) seit vier Monaten in Untersuchungshaft, was als Anregung an den Vorsitzenden verstanden werden musste, sich mit der Terminierung mehr Zeit zu lassen als von diesem beabsichtigt. Der Vorsitzende ließ sich hierauf nicht ein und verwies darauf, dass das Beschleunigungsgebot die Beiordnung von Sicherungspflichtverteidigern und eine Durchführung von Teilen der Hauptverhandlung in Abwesenheit der originär tätigen Verteidiger gebiete.“

Sorry Herr Kollege, aber wenn ich so formuliere/schreibe, ist das doch eine Steilvorlage an das Gericht. Man fragt sich was das soll, zumal sich m.E. in Zusammenhang mit U-Haft die Formulierung eines Verteidigers mit „erst“ von vornherein verbietet.

Auch im Übrigen: Ein Verteidiger muss nicht kooperativ sein, ich kann aber m.E. nicht die Verletzung des Beschleunigungsgrundsatzes rügen, wenn ich – so mein Eindruck in dieser Sache – selbst nichts dazu beitragen kann – oder will -, dass es voran geht.

„Schneckenpost“ bei StA und AG ==> Aufhebung des Haftbefehls

© Thomas Jansa - Fotolia.com

© Thomas Jansa – Fotolia.com

Und dann noch einmal „Schneckenpost“ (vgl. heute schon den OLG Saarbrücken, Beschl. v. 19.02.2016 – Ss 9/2016 (8/16) und dazu: Akte drei Jahre „außer Kontrolle“ – wenigstens Strafrabatt). Dieses Mal in einer Haftsache, bei denen ja der Beschleunigungsgrundsatz besondere Bedeutung hat. „Gehakt“ hat es bei der Staatsanwaltschaft und dann auch beim AG im Hinblick auf die Einholung eines Sachverständigengutachtens im Hinblick auf die Voraussetzungen des § 64 StGB. Das OLG sieht dann im Rahmen der besonderen Haftprüfung nach den §§ 121, 122 StPO Verzögerungen, die zur Aufhebung des Haftbefehls im OLG Karlsruhe, Beschl. v. 29.10.2015 – 2 Ws 491/15  – führen:

„c) Das demnach gemäß § 246a Abs. 1 Satz 2 StPO erforderliche Sachverständigengutachten hätte daher bereits im Ermittlungsverfahren eingeholt werden müssen, nachdem spätestens aufgrund der Einlassung des Angeklagten am 30.6.2015 hierzu Anlass bestanden hat. Ein Gutachten ist stets zum frühestmöglichen Zeitpunkt einzuholen. Zudem ist es geboten, auf eine zeitnahe Erstellung des Gutachtens hinzuwirken. Hängt die Anklageerhebung nicht vom Ergebnis des Gutachtens ab, muss dessen Eingang nicht abgewartet werden; vielmehr kann der Beschleunigungsgrundsatz in diesen Fällen sogar gebieten, die Anklage bereits vor Eingang des Gutachtens zu erheben (vgl. OLG Saarbrücken, Beschluss vom 22.4.2015, 1 Ws 7/15; OLG Hamm, Beschluss vom 9.9.2002, 2 BL 90/02).

Erteilt die Staatsanwaltschaft im Laufe des Ermittlungsverfahrens keinen Auftrag zur Begutachtung des Angeklagten, obwohl diese nach Aktenlage geboten ist, wird dem Beschleunigungsgrundsatz nicht genügt (OLG Saarbrücken, Beschluss vom 22.4.2015, 1 Ws 7/15; OLG Hamm, Beschluss vom 9.9.2002, 2 BL 90/02 und Beschluss vom 28.10.1991, 2 BL 349/91; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 1.7.2009, 1 Ws 337/09 [zum Gutachten zur Frage der Schuldfähigkeit]).

Auf dieses Versäumnis der Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren käme es nur dann nicht an, wenn es durch eine spätere beschleunigte Bearbeitung ausgeglichen worden wäre und daher nicht mehr ins Gewicht fiele.

Dies wäre vorliegend zu bejahen gewesen, wenn der Vorsitzende des Schöffengerichts unverzüglich nach Eingang der Akten ein Sachverständigengutachten zur Frage der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt in Auftrag gegeben hätte (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 9.9.2002, 2 BL 90/02 und Beschluss vom 28.10.1991, 2 BL 349/91). Hierzu hat das Schöffengericht bisher aber keine Veranlassung gesehen, so dass sich das Versäumnis der Staatsanwaltschaft beim Gericht fortgesetzt hat. Der Senat schließt aus, dass bis zum Hauptverhandlungstermin am 3.11.2015 oder in diesem ein Sachverständigengutachten zu den Voraussetzungen des § 64 StGB unter Beachtung des § 246a Abs. 3 StPO erstellt werden kann, zumal die gebotene Beiziehung von Vorstrafakten nicht ersichtlich ist. Ein – bei rechtzeitiger Beauftragung eines Sachverständigen voraussichtlich möglicher – Abschluss des Verfahrens beim Schöffengericht am 3.11.2015 wäre daher nur unter Verstoß gegen § 246a StPO möglich.“

„Fall Thomas Fischer“?, oder: Klatsche für ….?

entnommen openclipart.org

entnommen openclipart.org

Nun, ob der OLG Frankfurt/Main, Beschl. v. 03.02.2016 – 1 Ws 186/15 – ein „Fall Thomas Fischer“ ist – so mein Lieblingsurteilslieferant, der mich auf den Beschluss hingewiesen hat – weiß ich nicht. Jedenfalls ist es aber eine Sache, die vor ein paar Tagen auch schon die Presse interessiert hat – die FAZ hat unter demTitel „Bundesgerichtshof Immer nur um Fischer Wie „Deutschlands bekanntester Strafrichter“ seine Arbeit macht. Oder auch nicht.“ berichtet – und es ist m.E. ein Beschluss, der einen Blogbeitrag wert ist. Denn er ist – in meinen Augen – eine Klatsche, wobei ich offen lassen will, ob nur für den Vorsitzenden des 2. Strafsenats des BGH, oder vielleicht auch noch den BGH oder auch noch die Justizverwaltung, die mit der personellen Ausstattung der Justizbehörden nicht ganz so spendabel ist.

Was ist passiert? Nun, es geht in erster Linie mal nicht um Thomas Fischer, sondern um einen Angeklagten, der am 23.04.2013 vorläufig festgenommen worden ist. Einen Monat später die Anklage, Urteil des LG Gießen auch recht zügig, schon am 26.09.2013 wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge unter Mitsichführen einer Schusswaffe tateinheitlich mit unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und unerlaubten Besitzes einer halbautomatischen Kurzwaffe eine Freiheitsstrafe von 4 Jahren und 3 Monaten; ferner wurde die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB angeordnet. Dagegen die Revision. Am 28.01.2014 fertigte der GBA seine Stellungnahme. Die Stellungnahme wurde dem Verteidiger am 06.02.2014 zugestellt. Die Stellungnahme des GBA ging am 05.02.2014 beim BGH ein.

Aber dann stellt das OLG auf der Grundlage der zuvor von ihm (genüsslich) referierten Grundsätze des Beschleunigungsgrundsatzes und der Rechtsprechung des BVerfG fest:

Die Prüfung des Verfahrensverlaufs ergibt, dass das Verfahren bis Eingang beim Bundesgerichtshof am 05.02.2014 mit der gebotenen Beschleunigung gefördert worden ist….“

um dann anzuschließen:

„Nach den genannten Maßstäben ist bei weiterer Prüfung jedoch festzustellen, dass das Verfahren nach Eingang beim Bundesgerichtshof (Az.: …) am 05.02.2014 den Vorgaben des Beschleunigungsgebotes in Haftsachen nicht mehr vollständig gerecht wird. Eine relevante Verfahrensverzögerung ergibt sich insofern daraus, dass die Akten dem Berichterstatter durch den Vorsitzenden erst am 26.05.2014 zugeleitet wurden. Bereits diese mangelnde Förderung des Verfahrens zwischen Eingang des Verfahrens und Zuweisung an den Berichterstatter im Jahr 2014 führt zur Annahme der Unverhältnismäßigkeit der Haftfortdauer.“

Das war es dann an sich schon für die Frage der weiteren Haftfortdauer – die Aufhebung des Haftbefehls ist/war unvermeidlich. Aber das OLG lässt es sich nicht nehmen:

„..Ein sachlicher Grund, welcher den Zeitraum von etwa drei Monaten zwischen Ablauf der Frist zur Gegenerklärung und Zuweisung rechtfertigt und eine den staatlichen Verfolgungsorganen zurechenbare und vermeidbare Verfahrensverzögerung ausschießt, ist nicht ersichtlich. Selbst unter Berücksichtigung einer angemessen Bearbeitungszeit hätte im vorliegenden Verfahren, welches sich als nicht überdurchschnittlich umfangreich und schwierig darstellt, nach Ablauf der Frist zur Stellungnahme mit einer Zuleitung binnen einer Woche gerechnet werden können…..“

Und man hat es auch genau wissen wollen und hatte beim Vorsitzenden des 2. Strafsenats Thomas Fischer nachgefragt:

„Der Vorsitzende Richter des zuständigen 2. Strafsenats am Bundesgerichthof hat auf Nachfrage des Senats mit Schreiben vom 13.01.2016 folgende Stellungnahme abgegeben:

„(…), auf Ihre Anfrage teile ich mit, dass mir die Sache … vermutlich am 07. Februar 2014 zugeleitet wurde. Am 26. Mai 2014 habe ich das Senatsheft gelesen und an den Berichterstatter zugeleitet. Besondere Gründe in der Sache, die zu der überdurchschnittlich langen Liegezeit bei mir Anlass gaben, gab es nicht. Die Verzögerung beruhte vielmehr auf der allgemeinen Geschäftslage des Senats mit einer hohen Rückstandszahl, weit überdurchschnittlich zahlreichen Hauptverhandlungen und einer Reihe von schwierigen und umfangreichen Verfahren.“

Und das OLG setzt dann noch „einen drauf“ und meint: Nicht nur verzögert, sondern noch nicht mal dann schneller gearbeitet, als die Verzögerung eingetreten war. Denn:

„Zwar kann die kurzfristige, weder voraussehbare noch vermeidbare Überlastung des Gerichts einen wichtigen Grund für eine Verzögerung des Verfahrens darstellen, nicht jedoch eine nicht behebbare Belastung des Spruchkörpers. Gemäß der Stellungnahme des Vorsitzenden des 2. Strafsenats des Bundesgerichtshofs kann zum damaligen Zeitpunkt nicht von einer nur kurzfristigen Überlastung des Gerichts gesprochen werden, da er ausdrücklich die hohe Rückstandszahl, weit überdurchschnittlich zahlreiche Hauptverhandlungen und eine Reihe von schwierigen und umfangreichen Verfahren anspricht. Es verbleibt deshalb bei einer der Justiz zuzurechnenden Verfahrensverzögerung von rund drei Monaten, die unter Beschleunigungsaspekten nicht mehr hinzunehmen ist.

Die Verzögerung des Verfahrens ist auch nicht etwa durch eine spätere besonders intensive Bearbeitung ausgeglichen worden, auch wenn Verzögerungen letztlich auf den Verteidiger des Angeklagten Rechtsanwalt A teilweise zurückzuführen sind. Unabhängig davon, ob die Heilung einer schon eingetretenen Verletzung des verfassungsrechtlichen Beschleunigungsgrundsatzes durch nachfolgende überpflichtmäßige Beschleunigung überhaupt möglich ist [hierzu BVerfG, NJW 2006, 272], wären die Strafverfolgungsorgane und Gerichte nunmehr verpflichtet gewesen, das Verfahren mit der größtmöglichen Beschleunigung zu betreiben. Gemessen daran stellt sich die weitere Bearbeitung nicht als eine hervorzuhebende besondere Förderung dar.“

Fazit für das OLG:

„Auch wenn sich mit der Verurteilung – auch wenn diese noch nicht rechtskräftig ist – das Gewicht des staatlichen Strafanspruchs vergrößert [BVerfG, Beschluss vom 22.02.2005, 2 BvR 109/05, BeckRS 2005, 24599], ist die vorliegend eingetretene – von den Justizbehörden zu vertretende Verfahrensverzögerung – in einem durchschnittlich gelagerten (Revisions-) Verfahren wie dem hiesigen – der Angeklagte war in der Hauptverhandlung in vollem Umfang geständig – selbst unter Berücksichtigung der Schwere der Tat und der zu erwartenden mehrjährigen Freiheitsstrafe nicht mehr zu rechtfertigten. Hier ist maßgeblich in Blick zu nehmen, dass die Untersuchungshaft inzwischen über zwei Jahre und neun Monate andauert. Bei einer derart langen Dauer der Untersuchungshaft ist auch einer einzelnen Verzögerung von etwa drei Monaten besonderes Gewicht beizumessen.“

Fazit für mich und hoffentlich auch für den Leser: Wenn nicht ein „Fall Thomas Fischer“, dann aber zumindest eine Klatsche. Und der ein oder andere Richterkollege des Kollegen Fischer wird es sicherlich gern lesen….. Ich frage mich dann aber auch: Was hat das OLG Frankfurt bewogen, es so deutlich/breit auszuführen? Retourkutsche?

Das acht Monate lang „vergessene HV-Protokoll“, oder: Die unverhältnismäßige U-Haft

© Thomas Jansa - Fotolia.com

© Thomas Jansa – Fotolia.com

Rechtsmittelverfahren dauern häufig lang, was für den inhaftierten Angeklagten mehr als misslich ist. Wird doch in der Zeit i.d.R. U-Haft weiter vollstreckt. Und die besondere Haftprüfung nach den §§ 120 ff. StPO, die sonst die Instanzgerichte schon zur Beschleunigung tribet (zumindest treiben sollte) gibt es nicht. Er wird nun allein am Verhältnismäßigkietsgrundsatz geprüft. Und den hat das KG in folgender Konstellation verletzt gesehen:

„Der Angeklagte befindet sich in dieser Sache aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts Tiergarten vom 30. Juli 2014 seit dem 12. August 2014 in Untersuchungshaft. Am 23. Februar 2015 verurteilte das Landgericht Berlin ihn nach neuntägiger, gegen weitere vier Angeklagte geführter Hauptverhandlung zu einer zu vollstreckenden Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten. …..

Am 13. April 2015 wurde das schriftliche Urteil abgesetzt. Am 3. Juni 2015 wurde die Fertigstellung des Hauptverhandlungsprotokolls vermerkt. Dabei wurde versehentlich übersehen, dass zwei Protokollteile nicht von den Urkundsbeamtinnen unterzeichnet waren. Am 8. Juni 2015 wurde das Urteil zugestellt. Bis zum 17. Juli 2015 verfügte der Vorsitzende die Zustellung der Revisionsbegründungen des Angeklagten Y. und eines Mitangeklagten an die Staatsanwaltschaft. Nachdem ein weiterer Mitangeklagter zunächst am 5. August 2015 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Revisionsfrist beantragt, die Revision jedoch am 12. August 2015 zurückgenommen hatte, wurden die Akten am 14. August 2015 der Staatsanwaltschaft zur Zustellung der Revisionsbegründungen zugeleitet, wo sie am 17. August 2015 eingingen.

In der Folgezeit wurden die Akten der Vollstreckungsabteilung zur Einleitung der Vollstreckung gegen drei rechtskräftig verurteilte Mitangeklagte übersandt, sodann hat die Staatsanwaltschaft die Akten auf Anforderung vom 27. August 2015 zur Fertigung von Kopien für die Bearbeitung von offenen Kostenfestsetzungsanträgen und dann erneut am 7. September 2015 zur Bearbeitung des am 3. September 2015 eingegangenen Haftprüfungsantrags des Angeklagten dem Landgericht zurückgereicht. Die nach Rückkehr der Akten am 25. September 2015 begonnene Anfertigung der Revisionsgegenerklärung konnte der zuständige Abteilungsleiter erst am 12. Oktober 2015 abschließen, weil der Angeklagte zwischenzeitlich Beschwerde gegen die Haftfortdauerentscheidung vom 18. September 2015 eingelegt hatte und das Landgericht daraufhin die Akten erneut für etwa eine Woche benötigte, um Kopien für einen Haftbeschwerdeband anzufertigen. Nach Zustellung der Revisionsgegenerklärung an das Landgericht und Rückkehr der Akten am 16. Oktober 2015 wurde bei der Staatsanwaltschaft die Unvollständigkeit des Protokolls bemerkt. Seit dem 21. Oktober 2015 befinden sich die Akten wieder beim Landgericht zur Nachholung der Unterschriften und erneuten Zustellung des Urteils. Wegen der Erkrankung einer dafür benötigten Protokollführerin wird dies frühestens am 28. Oktober 2015 veranlasst werden; ein Verhinderungsvermerk soll erst im Fall der Fortdauer der Erkrankung angebracht werden.“

Sicherlich nicht alltäglich, aber sicherlich „unschön“. Das KG hat dann im KG, Beschl. v. 03.11.2015 – 3 Ws 532/15 – aufgehoben. Gründe/Begründung u.a.:

  • Mit dem Beschleunigungsgrundsatz „ist es nicht zu vereinbaren, dass das Urteil acht Monate nach Verkündung bzw. über sechs Monate nach Vorliegen der schriftlichen Urteilsgründe wegen der Verletzung der zwingenden Verfahrensvorschrift des § 273 Abs. 4 StPO noch nicht wirksam zugestellt war (vgl. dazu BGH, NStZ 2014, 420, 421). Auch bei größtmöglicher Beschleunigung wird eine Vorlage an den Bundesgerichtshof unter Berücksichtigung der zu beachtenden Fristen und Verfahrensschritte nicht vor Mitte Dezember 2015 möglich sein (vgl. OLG Saarbrücken, Beschluss vom 16. Februar 2007 – 1 Ws 31/07 –, juris Rn. 13, wo eine sieben Monaten nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist unterbliebene Vorlage an das Revisionsgericht beanstandet wurde). Die erstinstanzlich verhängte Freiheitsstrafe von nur 18 Monaten wird durch Anrechnung der dann bereits seit 16 Monaten andauernden Untersuchungshaft weitgehend verbüßt und eine sinnvolle Gestaltung des Strafvollzugs in der verbleibenden Zeit kaum mehr möglich sein. Auch eine Anschlussvollstreckung nach dem etwaigen Widerruf der Reststrafenaussetzung erscheint damit ausgeschlossen.“
  • Bereits die (vermeintliche) Fertigstellung des Protokolls erst 14 Wochen nach Urteilsverkündung wird dem Beschleunigungsgrundsatz nicht gerecht. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts muss in Haftsachen das Protokoll parallel mit den schriftlichen Urteilsgründen erstellt werden. Die Anfertigung eines – wie hier – nicht außergewöhnlich umfangreichen Protokolls darf grundsätzlich nicht länger dauern als die Niederschrift des Urteils (BVerfG, NJW 2006, 1336, 1339; NJW 2006, 677, 679).
  • Auch für die erst fünf Wochen nach dem (vermeintlichen) Ablauf der Revisionsbegründungsfrist ausgeführte Zustellung an die Staatsanwaltschaft lässt sich weder den Akten noch den dienstlichen Stellungnahmen ein ausreichender Grund entnehmen (vgl. die in BVerfG, NJW 2006, 1336, 1339 und NStZ 2005, 456, 457 beanstandeten Verzögerungen von fünf Wochen bzw. eineinhalb Monaten). Der vom Vorsitzenden als Verfahrensbesonderheit hervorgehobene, ohnehin erst nach vier Wochen eingegangene Wiedereinsetzungsantrag des Mitangeklagten musste vom Landgericht nicht inhaltlich geprüft werden (§ 46 Abs. 1 StPO). Soweit die Geschäftsstellenverwalterin in ihrer dienstlichen Stellungnahme auf eine zwischenzeitliche personelle Unterbesetzung der Geschäftsstelle hinweist, handelt es sich um einen Umstand aus dem Verantwortungsbereich der Justiz, dem die Gerichtsverwaltung gegebenenfalls durch geeignete organisatorische Maßnahmen hätte begegnen müssen (BVerfG, Beschluss vom 4. Mai 2011 – 2 BvR 2781/10 –, juris Rn. 17; NJW 2006, 1336, 1339; NJW 2006, 677, 679).“

Terminierungstheater, oder: Nichts anderes zu tun?

© psdesign1 - Fotolia.com

© psdesign1 – Fotolia.com

Unverständlich – jedenfalls für mich – ist das Verhalten des Amtsrichters in einem Verfahren, in dem jetzt betreffend die Entpflichtung des Rechtsanwalts als Pflichtverteidiger das LG Lüneburg das letzte Wort gesprochen hat.

Es geht um den Vorwurf des sexuellen Missbrauchs von Kindern. Am 27.05.2015 wird ein Strafbefehl erlassen, am 30.06.2015 legt der damalige Wahlanwalt das Mandat nieder. Der neue Verteidiger beantragt als Pflichtverteidiger beigeordnet zu werden, was abgelehnt wird. Das AG bittet den (neuen) Verteidiger dann um Mitteilung von freien Terminen im November, Dezember bzw. Januar. Der teilt daraufhin mit, dass er als frühest möglichen Termin Freitag, den 05.02.2016, anbieten könne. Zuvor sei er aufgrund anderer Terminierungen sowie aufgrund Urlaubsabwesenheit nicht verfügbar. Das AG terminiert daraufhin jedoch auf den 24./25. und 27.11.2015 und beruft sich auf den Beschleunigungsgrundsatz.

Der Verteidiger legt dann namens des Angeklagten gegen den die Beiordnung ablehnenden Beschluss Beschwerde ein, der das AG abhilft und den Recchtanwalt beiordnet. Mit Schreiben vom 19.10.2015 beantragt der Verteidiger dann, die bereits anberaumten Termine aufzuheben und für den 05.02.2016, ggfs. zusätzlich für Freitag, den 12.02.2106, zu terminieren. Das AG fordert den Pflichtverteidiger erneut auf, Termine im Zeitraum November 2015 bis Januar 2016 anzubieten. Andernfalls stehe eine Entpflichtung im Raum. Zusätzlich zu den bereits genannten Terminen bietet der Pflichtverteidiger nunmehr Termine am Freitag, den 29.01.2016 und am Mittwoch, den 02.03.2016, an. Es wird dann der Rechtsanwalt als Pflichtverteidiger entpflichtet und ein anderer Rechtsanwalt zum Verteidiger bestellt.

Auf die Beschwerde des Angeklagten sagt das LG Lüneburg im LG Lüneburg, Beschl. v. 10.11.2015 – 31 Qs 19/15: So nicht, und zwar mit folgender Begründung:

„Die Verhinderung des Verteidigers in Terminen vor Ende Januar 2016 vermag im konkreten Fall eine Ausnahme nicht zu rechtfertigen.

Der Verteidiger hat Verhandlungstermine zwar erst für Ende Januar, noch dazu vorwiegend an Freitagen benannt. Es ist aber im konkreten Fall nicht erkennbar, dass diese Termine für sich genommen nicht ausreichen würden, um das Verfahren ordnungsgemäß zu fördern. Dabei muss die Kammer berücksichtigen, dass das Amtsgericht für die Vernehmung der Zeugen einen Zeitraum von etwa 5 Stunden als ausreichend angesehen hat wie sich aus der Ladung ergibt. Der Verteidiger hat mittlerweile immerhin vier Termine benannt, so dass nicht erkennbar ist, dass die Verhandlung binnen dieser Termine nicht gemessen an der eigenen Planung des Amtsgerichts zum Abschluss gebracht werden könnte.

Diese Termine kommen auch nicht zu spät, so dass der Beschleunigungsgrundsatz eine Entpflichtung des Verteidigers rechtfertigen könnte. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist das Recht des Angeklagten auf den Verteidiger seiner Wahl mit dem verfassungsrechtlichen Beschleunigungsgebot abzuwägen. Danach kommt eine Entpflichtung gerade in den Fällen in Betracht, wo die Rücksichtnahme auf Terminierungsschwierigkeiten des Verteidigers mit dem Recht eines inhaftierten Mitangeklagten auf eine beschleunigte Verfahrensdurchführung kollidiert (BVerfG, Beschl. v. 24.07.2008, 2 BOR 1146/08, juris). Hier handelt es sich aber weder um eine Haftsache, noch gibt es Mitangeklagte, deren Verfahrensrechte zu berücksichtigen sind. Zwar gilt das Beschleunigungsgebot auch ohne derartige Umstände. Im konkreten Fall vermag die Kammer aber nicht zu erkennen, dass das Beschleunigungsgebot eine Verhandlung noch beginnend am 24.11.2015, statt – wie vom Verteidiger angeboten – am 29.01.2016, also knapp zwei Monate später gebietet.

Dabei ist zu berücksichtigen, dass das Ermittlungsverfahren bereits im Mai 2014 begann und der Strafbefehl bereits vom Mai 2015 datiert. Das Amtsgericht selbst hat dann den Verteidiger um Mitteilung von Terminen bis einschließlich Januar 2016 gebeten D.h. es hat selbst die Möglichkeit einkalkuliert, dass das Verfahren erst im nächsten Jahr begonnen werden kann. Damit hat es auch zu erkennen gegeben, dass eine besondere Eilbedürftigkeit nicht vorliegt. Vor diesem Hintergrund ist eine Entpflichtung um den Preis eines Zeitgewinns von nur zwei Monaten nicht zu rechtfertigen.

Die Kammer hat auch geprüft, ob besondere Umstände in der Person der Zeugen begründet sein können (baldige Verhinderung für einen längeren Zeitraum, abnehmendes Erinnerungsvermögen durch-Zeitablauf), solche aber nicht erkennen können.

Es liegen auch keine zureichenden Anhaltspunkte dafür vor, dass ein Vertrauensverhältnis zwischen dem Angeklagten und seinem früheren Pflichtverteidiger nicht besteht. Dem steht auch nicht entgegen, dass sich der Angeklagte auf ein Gespräch mit der ihm vom Gericht beigeordneten neuen Pflichtverteidigerin eingelassen hat. Er konnte nicht davon ausgehen, dass es ihm noch auf ein Rechtsmittel hin ermöglicht wird, sich von seinem Verteidiger seiner Wahl vertreten zu lassen. Er war daher gehalten, mit seiner neuen Verteidigerin den bald anberaumten Hauptverhandlungstermin vorzubereiten. Daraus lässt sich nicht ableiten, dass der Angeklagte den Wunsch, sich von dem von ihm selbst ursprünglich ausgewählten Pflichtverteidiger vertreten zu lassen, aufgegeben hätte.“

Wenn man den Verfahrensablauf sieht, fragt man sich – jedenfalls frage ich mich das – was das „Terminierungstheater“ eigentlich soll und/oder, ob der Amtsrichter eigentlich nichts anderes zu tun hat, als mit dem Verteidiger um den Hauptverhandlungstermin zu streiten. Einen nachvollziehbaren Grund für das Prozedere kann ich nicht erkennen. Außer vielleicht, dass der Amtsrichter den Verteidiger nicht mag. Aber das ist kein – nachvollziehbarer – Grund für das Verhalten. Aber vielleicht hat ja der ein oder andere Leser eine Erklärung…..