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StGB II: Beleidigung der Polizei bei der Kontrolle, oder: „Zum Kotzen eure Scheiß-Arbeit… so eine Lappalie…“

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Und als zweite Entscheidung zum StGB mal wieder etwas zur Beleidigung, und zwar der OLG Dresden, Beschl. v. 05.12.2022 – 1 OLG 22 Ss 550_22. In der Entscheidung nimmt das OLG zur Beleidigung von zwei Polizeibeamten Stellung. Das AG hatte den Angeklagten wegen Beleidigung in zwei tateinheitlichen Fällen zu einer Geldstrafe von 15 Tagessätzen zu je 60,00 € verurteilt worden.

Das AG hatte folgende Feststellungen getroffen: Der mit einem Fahrzeug im Straßenverkehr fahrende Angeklagte sei infolge der Verwendung eines Mobiltelefons einer Kontrolle unterzogen worden und habe, nachdem er aus seinem Fahrzeug ausgestiegen sei, in Richtung der ihn kontrollierenden Polizeibeamten unter anderen geäußert „Zum Kotzen eure Scheiß-Arbeit, das alles wegen so einer Lappalie, was ist euer Scheiß-Problem“, um seine Missachtung auszudrücken. Da ein Gespräch mit dem Angeklagten nicht möglich gewesen sei, hätten die Polizeibeamten schließlich die Kontrolle beendet.

Das OLG sagt/meint: Das reicht nicht für § 185 StGB:

„Die Feststellung einer Strafbarkeit nach § 185 StGB erfordert daher regelmäßig eine fallbezogene Gewichtung der Beeinträchtigungen, die der persönlichen Ehre auf der einen und der Meinungsfreiheit auf der anderen Seite drohen (BVerfGE 93, 266, 292). Ausgangspunkt dieser Abwägung ist die zutreffende Deutung des Aussageinhalts. Da schon auf der Deutungsebene Vorentscheidungen über die Zulässigkeit oder Unzulässigkeit von Äußerungen fallen, ergeben sich aus dem Grundrecht der Meinungsfreiheit nicht nur Anforderungen an die Auslegung und Anwendung des § 185 StGB, sondern auch an die Deutung der inkriminierten Äußerung. Bei dieser Deutung ist vom Wortlaut auszugehen. Zusätzlich bestimmt sich der Sinn einer Äußerung nach ihrem sprachlichen Kontext und den erkennbaren Begleitumständen, unter denen sie fällt. Ein Gericht verstößt bei der Anwendung des § 185 StGB insbesondere auch dann gegen das Grundrecht auf Meinungsfreiheit, wenn es bei einer mehrdeutigen Äußerung die zur Verurteilung führende Deutung zugrundelegt, ohne vorher andere mögliche Deutungen, die nicht völlig fernliegen, mit schlüssigen Argumenten ausgeschlossen zu haben (BVerfGE 93, 266, 295).

Zwar tritt die Meinungsfreiheit bei Äußerungen, die sich als Schmähung erweisen, regelmäßig hinter den Ehrschutz zurück (BVerfGE 93, 266, 303). Wegen seines die Meinungsfreiheit ver-drängenden Effekts ist der Begriff der Schmähkritik jedoch eng zu definieren. Danach macht auch eine überzogene oder gar ausfällige ehrverletzende Kritik eine Äußerung für sich genom-men noch nicht zur Schmähung. Eine Äußerung nimmt diesen Charakter erst dann an, wenn nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern – jenseits auch von polemischer oder überspitzter Kritik – die Diffamierung der Person im Vordergrund steht (BVerfGE 93, 266, 303). Das kann etwa bei der Verwendung besonders schwerwiegender Schimpfwörter der Fall sein (BVerfG, NJW 2009, 3016, 3017).

b) Bereits die Wertung des Amtsgerichts, die Äußerungen des Angeklagten seien Ausdruck (personenbezogenen) Miss- und Nichtachtung der beiden handelnden Polizeibeamten, hält der Nachprüfung anhand der vorgenannten Maßstäbe nicht stand. Die Generalstaatsanwaltschaft Dresden hat dazu in ihrer Antragsschrift vom 26. August 2022 unter anderem Folgendes aus-geführt:

„Zwar hat das Gericht festgestellt, dass in der Äußerung des Angeklagten auch eine Unzufriedenheit mit der Polizeikontrolle insgesamt zu erkennen sei, ging aber nachfolgend ausschließlich von einer personenbezogenen, herabsetzenden Äußerung aus. Dabei setzt es sich jedoch nicht mit dem gesamten Wortlaut der in Rede stehenden Äußerung auseinander, in deren Mittelteil ausschließlich auf die Maßnahme als solche abgestellt wird („das alles wegen so einer Lappalie“) und der insoweit die vor- und nachfolgenden Begriffe „Scheiß-Arbeit“ und „Scheiß-Problem“ diesem Kontext unterstellt. Auch findet sich in der Äußerung keine direkte Bezeichnung der handelnden Polizeibeamten, so dass die alleinige Sinnermittlung des Gerichts, im Rahmen der Äußerung sei eine Auseinandersetzung des Angeklagten in der Sache insgesamt nicht erkennbar, nicht haltbar ist“.

 

Dieser Auffassung schließt sich der Senat an.“

StGB III: Äußerungen in einem Online-Kondolenzbuch, oder: „Wieder ein Grüner weniger… “ als Beleidigung

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Und dann noch einmal – der Beitrag war gestern schon – aufgrund eines technischen Versehens – online. 🙂

Als dritte StGB-Entscheidung dann noch der LG Verden, Beschl. v. 07.02.2022 – 4 Qs 101/21 – zur Strafbarkeit einer Äußerung über eine verstorbene Politikerin in einem Online-Kondolenzbuch als Beleidigung.

Die Staatsanwaltschaft hat beim AG den Erlass eines Strafbefehls beantragt. Vorgeworfen wird wird dem, am 17.05.2021 in N. das Andenken eines Verstorbenen verunglimpft zu haben, indem er auf dem – online-basierten – Trauerportal der Zeitung „XXX“ unter den Nachrufen der verstorbenen Sprecherin des Ortsverbandes R.-L. der Partei Bündnis 90/Die Grünen, B. N., einen Kommentar mit dem folgenden Inhalt verfasst haben soll: „WIEDER EIN GRÜNER WENIGER.HERRGOTT WIR DANKEN DIR.“.

Der Beschuldigte bestreitet den Tatvorwurf aus tatsächlichen Gründen. Das AG hat den Erlass des Strafbefehls aus rechtlichen Gründen abgelehnt. Dagegen die sofortige Beschwerde der StA, die Erfolg hatte:

2. Nach Maßgabe dieser Grundsätze ist vorliegend ein hinreichender Tatverdacht gegen den Beschuldigten wegen der in dem von der Staatsanwaltschaft Verden beantragten Strafbefehl bezeichneten Tat gegeben.

…..

Ausgangspunkt für die Prüfung, ob eine Äußerung eine Beleidigung i.S.v. § 185 StGB darstellt, ist die Ermittlung ihres objektiven Sinnes. Maßgeblich ist insofern weder wie der Erklärende seine Äußerung subjektiv verstanden haben wollte noch wie sie sein Kommunikationspartner tatsächlich verstanden hat (vgl. Valerius, in BeckOK/StGB, 46. Edition 2020, § 185 Rn. 21 m.w.N.), sondern der Sinn, den die Äußerung nach dem Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums hat. Der tatsächliche Gehalt der Äußerung ist im Wege der Auslegung zu ermitteln. Es ist vom Wortlaut der Äußerung auszugehen, wobei dieser den Sinn der Äußerung nicht abschließend festlegt. Er wird vielmehr auch durch den sprachlichen Kontext, in dem die umstrittene Äußerung steht, und den Begleitumständen, unter denen sie fällt, bestimmt, soweit diese für die Empfänger erkennbar sind (BVerfG, Nichtannahmebeschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 12.07.2005, Az.: 1 BvR 2097/02).

Bereits auf der einfachen Sinn- und Deutungsebene trägt der durch die schriftliche Erklärung „WIEDER EIN GRÜNER WENIGER.HERRGOTT WIR DANKEN DIR.“ zur Schau getragene Dank über den Tod eines Menschen ehrherabsetzenden Charakter. Jedoch verstößt nicht jede ehrherabsetzende Äußerung gegen § 185 StGB.

Der Ehrenschutz des Opfers einer Beleidigung steht nämlich regelmäßig im Widerstreit mit der Äußerungsfreiheit des Täters, die ihrerseits dem besonderen Schutz des Art. 5 Abs. 1 GG unterliegen kann. Zwar findet die dadurch geschützte Meinungsfreiheit seine Schranke schon nach Art. 5 Abs. 2 GG im Recht der persönlichen Ehre. Dies führt jedoch aufgrund der besonderen Bedeutung des Grundrechts aus Art. 5 Abs. 1 GG für eine pluralistische Demokratie nicht dazu, dass per se jede ehrangreifende Äußerung der Strafandrohung der §§ 185 ff. StGB unterliegt (OLG Celle, a.a.O., Rn. 33). Vielmehr müssen beide Rechtspositionen bei der Anwendung des einfachen Rechts in einen verhältnismäßigen Ausgleich gebracht werden. Dies erfolgt über eine Gesamtabwägung aller Umstände.

Dabei kommt es entscheidend darauf an, ob die Äußerung eine Tatsachenbehauptung oder die Kundgabe eines Werturteils, einer Meinung, darstellt. Während bei Tatsachenbehauptungen die objektive Beziehung zwischen der Äußerung und der Realität im Vordergrund steht, sind Meinungen durch die subjektive Beziehung des Einzelnen zum Inhalt seiner Aussage und durch die Elemente der Stellungnahme und des Dafürhaltens geprägt (BVerfG, Beschluss vom 13.04.1994, Az.: 1 BvR 23/94). Der Grundrechtsschutz des Art. 5 Abs. 1 GG bezieht sich grundsätzlich auf letzteres (vgl. OLG Celle, a.a.O., Rn. 33 – 34).

Bei der schriftlichen Erklärung „WIEDER EIN GRÜNER WENIGER.HERRGOTT WIR DANKEN DIR.“ handelt sich nicht um eine Tatsachenbehauptung, sondern um ein Werturteil. Zwar lässt sich die Äußerung auch als Behauptung über die – dem Beweis zugänglichen – Tatsache begreifen, es gäbe nunmehr ein Mitglied der Partei Bündnis 90/Die Grünen weniger. Eine solche Würdigung griffe indes zu kurz. Der Schwerpunkt der Äußerung ist – gemessen am Auslegungsmaßstab eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums – indes in der Missachtung, Geringschätzung bzw. Nichtachtung der Verstorbenen zu sehen. Dies ergibt sich bereits aus der Äußerung als solcher, die den Dank und somit die Freude über das Ableben eines Mitmenschen zum Ausdruck bringt. Verstärkt wird die zum Ausdruck kommende Missachtung, Geringschätzung und Nichtachtung noch durch den Kontext der Äußerung in einem online abrufbaren Kondolenzbuch der Verstorbenen. Durch die vorstehende Äußerung wird der Verstorbenen, derer sowohl im privaten, beruflichen und politischen Umfeld gedacht wird, der ethische, personale und soziale Geltungswert ganz oder teilweise abgesprochen, indem der Dank über ihr Ableben allein aufgrund ihrer Parteizugehörigkeit bekundet wird. Hierdurch wird ihr grundsätzlich uneingeschränkter Achtungsanspruch verletzt.

Die Äußerung ist mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auch nicht durch die Wahrnehmung berechtigter Interessen gemäß § 193 StGB gerechtfertigt.

Werturteile unterfallen als Meinungsäußerungen dem Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG, ohne dass es darauf ankommt, ob die Äußerung begründet oder grundlos, emotional oder rational ist, als wertvoll oder wertlos, gefährlich oder harmlos eingeschätzt wird (BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 28.09.2015, Az.: 1 BvR 3217/14 Rn. 13). Auch eine polemische oder verletzende Formulierung entzieht die Äußerung nicht dem Schutz des Grundrechts (u.a. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 08.02.2017, Az.: 1 BvR 2973/14 Rn. 14). Wo der Grenzbereich von der Unhöflichkeit zur Beleidigung überschritten ist, ist nicht immer eindeutig (Regge/Pegel, in: MüKoStGB, 4. Aufl. 2021, § 185 Rn. 13).

Eine Formalbeleidigung, welche sich dadurch auszeichnet, dass sich die Kränkung bereits aus der Form der Äußerung ohne Rücksicht auf deren Inhalt ergibt, ist vorliegend nicht gegeben. Aber auch eine Schmähkritik liegt nach vorläufiger Würdigung der Sach- und Rechtslage nicht vor. Wegen seines die Meinungsfreiheit verdrängenden Effekts ist der Begriff der Schmähkritik von Verfassungs wegen eng zu verstehen. Schmähung im verfassungsrechtlichen Sinn ist gegeben, wenn eine Äußerung keinen irgendwie nachvollziehbaren Bezug mehr zu einer sachlichen Auseinandersetzung hat und es bei ihr im Grunde nur um das grundlose Verächtlichmachen der betroffenen Person als solcher geht. Es sind dies Fälle, in denen eine vorherige Auseinandersetzung erkennbar nur äußerlich zum Anlass genommen wird, um über andere Personen herzuziehen oder sie niederzumachen, etwa in Fällen der Privatfehde (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 19. Mai 2020, Az.: 1 BvR 2397/19 Rn.19 m.w.N.). Davon abzugrenzen sind Fälle, in denen die Äußerung, auch wenn sie gravierend ehrverletzend und damit unsachlich ist, letztlich als (überschießendes) Mittel zum Zweck der Kritik eines Sachverhaltes dient. Dann geht es dem Äußernden nicht allein darum, den Betroffenen als solchen zu diffamieren, sondern stellt sich die Äußerung als Teil einer anlassbezogenen Auseinandersetzung dar (BVerfG, ebd., Rn. 20). Die Wahl des Benutzernamens „DIE ANTIGRÜNEN“ und die Bezeichnung der Verstorbenen als „EIN GRÜNER“ lässt einen politischen Kontext zumindest erkennen, sodass eine Abwägung zwischen der Schwere der Persönlichkeitsbeeinträchtigung bzw. dem Pietätsempfinden der Angehörigen und die Menschenwürde der Verstorbenen einerseits und der Einbuße an Meinungsfreiheit durch das Verbot der Äußerung andererseits vorzunehmen ist. Das Ergebnis der Abwägung ist von den konkreten Umständen des Einzelfalls abhängig.

Das bei der Abwägung anzusetzende Gewicht der Meinungsfreiheit ist umso höher, je mehr die Äußerung darauf zielt, einen Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung zu leisten, und umso geringer, je mehr es hiervon unabhängig lediglich um die emotionalisierende Verbreitung von Stimmungen gegen einzelne Personen geht (vgl. BVerfG, ebd., Rn. 29 m.w.N.). Allein die Wahl der Plattform, die online abrufbare Kondolenzseite einer Zeitung, zeigt, dass es dem Verfasser lediglich nachrangig – wenn überhaupt – um den öffentlichen Diskurs einer parteikritischen Äußerung geht. So lässt die Äußerung zwar einen Bezug zum politischen Kontext erkennen, sie setzt sich aber inhaltlich nicht argumentativ mit der Politik auseinander, sondern behandelt die Verstorbene aufgrund ihrer politischen Zugehörigkeit zu einer Partei als unterwertiges Wesen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 04.02.2010, Az.: 1 BvR 369/04, Rn 31).

Wenn das Amtsgericht im Rahmen der zu treffenden Abwägung mit der grundrechtlich geschützten Meinungsfreiheit darauf abstellt, dass die Äußerung im virtuell-öffentlichen Raum einer Zeitung im unmittelbaren Zusammenhang zu einer öffentlichen Erklärung eines politischen Verbands vorgebracht wurde und die vom Verfasser verfolgte Zielrichtung darüber hinaus auch durch die Wahl seines Benutzernamens „DIE ANTIGRÜNEN“ deutlich gemacht worden sei, stellt dies eine Verkürzung der nach Aktenlage vorliegenden Tatsachen dar. Die Homepage XXX enthält ausweislich des Screenshots vom heutigen Tage bereits seit dem 15.05.2021 insgesamt drei Traueranzeigen. Die oberste Traueranzeige wurde gestellt von „T., S. und Su.“. Es ist davon auszugehen, dass es sich bei „T.“ um den Witwer der Verstorbenen und Antragsteller T. F. N. handelt. Bei der mittleren Traueranzeige handelt es sich um diejenige des R.-L. Ortsverbands der Partei Bündnis 90/Die Grünen. Bei der untersten Traueranzeige handelt es sich um eine der Schulgemeinschaft der Grundschule M., an der die Verstorbene seit 2012 gearbeitet hatte. Der Kontext des hinterlassenen Kommentars ist hiernach keineswegs allein im Politischen zu suchen. Selbst wenn dies so wäre, änderte es nichts an der Beurteilung seiner Strafbarkeit. Im Gegenteil:

In der zu treffenden Abwägung sind die Besonderheiten digitaler Kommunikation zu berücksichtigen (vgl. hierzu auch die Beschlüsse des BVerfG vom 19.05.2020 zu den Az.:1 BvR 2397/19, 1 BvR 1094/19 und 1 BvR 362/18). Mit Blick auf Form und Begleitumstände einer Äußerung kann insbesondere erheblich sein, ob sie unvermittelt in einer hitzigen Situation oder im Gegenteil mit längerem Vorbedacht gefallen ist. Denn für die Freiheit der Meinungsäußerung wäre es besonders abträglich, wenn vor einer mündlichen Äußerung jedes Wort auf die Waagschale gelegt werden müsste. Der grundrechtliche Schutz der Meinungsfreiheit als unmittelbarer Ausdruck der Persönlichkeit impliziert – in den Grenzen zumutbarer Selbstbeherrschung – die rechtliche Anerkennung menschlicher Subjektivität und damit auch von Emotionalität und Erregbarkeit. Demgegenüber kann bei schriftlichen Äußerungen im Allgemeinen ein höheres Maß an Bedacht und Zurückhaltung erwartet werden. Dies gilt – unter Berücksichtigung der konkreten Kommunikationsumstände – grundsätzlich auch für textliche Äußerungen in den „sozialen Netzwerken“ im Internet (BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 19.12.2021 – 1 BvR 1073/20 Rn. 36 m.w.N.). Ebenfalls erheblich kann sein, ob und inwieweit für die betreffende Äußerung ein konkreter und nachvollziehbarer Anlass bestand und welche konkrete Verbreitung und Wirkung sie entfaltet. Erhält nur ein kleiner Kreis von Personen von einer ehrbeeinträchtigenden Äußerung Kenntnis oder handelt es sich um eine nicht schriftlich oder anderweitig perpetuierte Äußerung, ist die damit verbundene Beeinträchtigung der persönlichen Ehre geringfügiger und flüchtiger als im gegenteiligen Fall. Demgegenüber ist die beeinträchtigende Wirkung einer Äußerung beispielsweise gesteigert, wenn sie besonders sichtbar in einem der allgemeinen Öffentlichkeit zugänglichen Medium getätigt wird. Ein solches die ehrbeeinträchtigende Wirkung einer Äußerung verstärkendes Medium kann insbesondere das Internet sein, wobei hier nicht allgemein auf das Medium als solches, sondern auf die konkrete Breitenwirkung abzustellen ist (BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 19.12.2021 – 1 BvR 1073/20 Rn. 37 m.w.N.).

Die Breitenwirkung eines online abrufbaren Kondolenzbuches einer lokalen Tageszeitung ist groß. So weisen die Traueranzeigen für die Verstorbene N. bereits 1.407 Besuche (Stand: 07.02.2022) auf. Die auf der Homepage veröffentlichten Statistiken: „12.860 Trauerfälle online, 26.061 Traueranzeigen online, 30.507 Kerzen angezündet, 3.268 Kondolenzeinträge verfasst“ (Stand: 07.02.2022) sprechen ihr übriges.

In die Abwägung sind darüber hinaus auch aktuelle Bestrebungen des Gesetzgebers einzustellen. So hat er mit dem Gesetz zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität vom 30.03.2021 (BGBl. 2021 I 441) eine Qualifikation des § 185 StGB für die öffentliche – somit auch im Internet – begangene Beleidigung eingeführt. Richtet sich die Beleidigung gegen eine Person des politischen Lebens, welches bis hin zur kommunalen Ebene reicht, so ist sie gemäß § 188 StGB sogar mit einer im Mindestmaß erhöhten Strafe zu sanktionieren, wenn die Tat geeignet ist, das öffentliche Wirken der Person des politischen Lebens erheblich zu erschweren. Der Gesetzgeber reagierte hiermit auf das aktuelle Kriminalitätsphänomen öffentlich ehrverletzender Herabsetzungen in digitalen Medien und stellt klar, dass Beleidigungen, die unter dem Deckmantel vermeintlicher Anonymität im Internet begangen werden, keineswegs weniger schlimm wiegen, als solche in persona.

Die Verschärfung der vorgenannten Normen zum 01.07.2021 hat der Gesetzgeber nicht mit der Notwendigkeit eines besseren Ehrschutzes, sondern mit der bestehenden Gefahr für den freien Meinungsaustausch begründet. Er führt dazu aus: „Die eigene Meinung frei, unbeeinflusst und offen sagen und sich darüber austauschen zu können, stellt einen wesentlichen Grundpfeiler der demokratischen pluralistischen Gesellschaft dar, die der Staat mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln zu verteidigen hat.“ (BT-Drs. 19/17741, S. 1). Schutzgut des § 185 StGB ist somit nicht mehr nur die individuelle Ehre im Spannungsverhältnis zur Meinungsfreiheit, sondern die Meinungsfreiheit selbst und der Schutz demokratischer Institutionen (Hoven/Wittig, in: NJW 2021, 2397). Der wirksame Schutz der Persönlichkeitsrechte von Amtsträgern und Politikern liegt im öffentlichen Interesse und ist auch gewichtig (so zuletzt wieder: BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 19.12.2021 – 1 BvR 1073/20 Rn. 47 m.w.N.). Denn eine Bereitschaft zur Mitwirkung in Staat und Gesellschaft kann nur erwartet werden, wenn für diejenigen, die sich engagieren und öffentlich einbringen, ein hinreichender Schutz ihrer Persönlichkeitsrechte gewährleistet ist (BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 19.05.2020 – 1 BvR 1094/19 Rn. 32 m.w.N.)……“a.O., § 473 Rn. 7).“

StGB II: „Wer braucht den Nazi in pp?“ auf Instagram, oder: Strafbare Beleidigung?

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Und dann noch eine Entscheidung vom OLG Stuttgart, und zwar der OLG Stuttgart, Beschl. v. 19.07.2022 – 4 Rv 26 Ss 366/22. Das OLG hat in der Entscheidung Stellung genommen zur Frage der Beleidigung im politischen Bereich.

Das AG hatte den Angeklagten wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe verurteilt. Die Verurteilung beruhte auf folgenden Sachverhaltsfeststellungen:

,,Am 29.07.2021 beleidigte der Angeklagte über einen Kommentar auf der Plattform Instagram – vermutlich von seiner Wohnanschrift pp. unter Achalm aus – den Landtagsabgeordneten der Partei AfD pp. mit den Worten „Wer braucht den Nazi in pp.???“, um seine Missachtung auszudrücken. Der Post des Angeklagten erfolgte unter einem von pp. geposteten Bildbeitrag samt Text, welcher den Geschädigten pp. mit dem Bürgermeister der Stadt pp. Herrn pp.  vor einer Luftbildaufnahme der Gemeinde pp. zeigte. Das pp. zeigende Bild wurde durch einen Text wie folgt ergänzt: „Unterwegs im Wahlkreis: Heute war ich im Rahmen meines Antrittsbesuchs bei pp. Bürgermeister pp. zu Gast. Thema war dabei vor dem Hintergrund der aktuellen Ereignisse u.a. die Vorbereitung auf den Katastrophenfall. In diesem Zusammenhang habe ich Herrn pp. auch meine anstehende parlamentarische Initiative zur Förderung von Regenwassernutzungsanlagen vorgestellt, mit welchen — neben anderen Effekten — die Auswirkungen örtlich extrem starker Niederschläge abgemildert werden können. Über seine positive Rückmeldung hierzu habe ich mich sehr gefreut. Auch ansonsten war das Gespräch höchst interessant und ich war beeindruckt, wie gut pp. industriell aufgestellt ist. Ich bedanke mich für die Möglichkeit, tiefe Eindrücke in die Lage der Gemeinde gewinnen zu können und Herrn pp. kennenlernen zu dürfen.“ pp. #AfD

Direkt unter diesem Eintrag bzw. Post des Bildes war die Äußerung des Angeklagten gepostet. Hierunter befindet sich ein Icon mit einem Herzsymbol und der Unterschrift „gefällt 21 Mal“.

Dagegen die Revision des Angeklagten. Das OLG hat das Vorliegen einer Beleidigung verneint und frei gesprochen. Das OLG nimmt zunächst allgemein zum Vorliegen einer Beleidigung Stellung und führt dann aus:

„2. Daran gemessen begegnet das angefochtene Urteil durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

a) Im Ansatz zutreffend ist das Amtsgericht davon ausgegangen, dass es sich bei der verfahrensgegenständlichen Äußerung „Wer braucht den Nazi in pp.??“ um ein Werturteil handelt. Eine Tatsachenbehauptung scheidet demgegenüber aus, da der Begriff „Nazi“ keine Verbindung zu einer genau definierten Personengruppe ermöglicht und konkretisierende Informationen fehlen, die auf ihre Wahrheit hin überprüft werden könnten (OLG Dresden, Beschluss vom 26. März 2019 — 4 U 184/19, juris Rn. 10).

b) Eine von der Meinungsfreiheit nicht gedeckte Schmähung oder Formalbeleidigung ist mit der Äußerung jedoch nicht verbunden. Der Begriff „Nazi“ lässt schon wegen der Weite seines Bedeutungsgehalt verschiedenste Verwendungsweisen zu, die von einer streng historischen Terminologie bis zum substanzlosen Schimpfwort reichen können (BVerfG, NJW 1992, 2013, 2014); inzwischen handelt es sich gewöhnlich um eine schlagwortartige Qualifizierung der politischen Einstellung oder Geisteshaltung (OLG Stuttgart, Urteil vom 23. September 2015 — 4 U 101/15, juris Rn. 107; LG Kassel, Urteil vom 28. Oktober 2021 — 16 0 181/21, juris Rn. 34). Entscheidend ist jedoch stets der Einzelfall.

Es verbieten sich daher allgemeine Aussagen dahingehend, dass die Bezeichnung einer anderen Person als „Nazi“ stets oder niemals den Tatbestand der       erfülle. Vielmehr ist der Aussagegehalt des Begriffs abhängig von dem jeweiligen Gebrauch, insbesondere vom Gesamtzusammenhang des Textes, in dessen Rahmen er verwendet wird.

c) Vorliegend hat das Amtsgericht vorliegend schon nicht hinreichend berücksichtigt, dass die Äußerung nicht allein auf eine persönliche Diffamierung des Anzeigeerstatters abzielte, sondern jedenfalls auch eine Bewertung seiner politischen Haltung und Gesinnung enthielt vor dem Hintergrund seiner Zugehörigkeit zu einer von nicht unerheblichen Teilen der Bevölkerung im rechten Spektrum verorteten Partei, die zudem jedenfalls in Teilen bereits zum Zeitpunkt der verfahrensgegenständlichen Äußerung in mehreren Bundesländern von den Verfassungsschutzbehörden als extremistischer Verdachtsfall eingestuft wurde. Denn die Äußerung erfolgte gerade nicht im Rahmen einer privaten Auseinandersetzung, sondern vor dem Hintergrund der politischen Tätigkeit des Anzeigeerstatters, die dieser, womit sich das Amtsgericht ebenfalls hätte auseinandersetzen müssen, durch das Hochladen seines Beitrags auf Instagram zudem selbst öffentlich machte.

Der gesamte Beitrag bezog sich ersichtlich auf die politische Arbeit des Anzeigeerstatters als Landtagsabgeordneter, handelt es sich doch bei Wahlkreisbereisungen um eine klassische Abgeordnetentätigkeit. Überdies hat der Anzeigeerstatter in seinem Beitrag ausdrücklich auf eine von ihm vorbereitete parlamentarische Initiative hingewiesen und zudem durch die Verwendung des Hashtags „#AfD“ einen unmittelbaren Bezug zu seiner Partei hergestellt. Mithin hatte die Äußerung des Angeklagten keinen Bezug zur Intimsphäre oder Privatsphäre, sondern betraf das politische Leben, also lediglich die Sozialsphäre.

Zudem hat das Amtsgericht nicht hinreichend in seine Erwägungen einbezogen, dass sich die Situation von Politikern, die bewusst in die Öffentlichkeit treten, von derjenigen staatlicher Amtswalter, denen ohne ihr besonderes Zutun im Rahmen ihrer Berufsausübung eine Aufgabe mit Bürgerkontakten übertragen wurde, unterscheidet (vgl. BVerfG, Nichtannahme-beschluss vom 19. Mai 2020 – 1 11./R 2397/19, juris Rn. 31). Einem im öffentlichen Meinungskampf stehenden Politiker sind grundsätzlich härtere Äußerungen zuzumuten, auch wenn er kein Regierungsamt bekleidet.

d) Weiter hat das Amtsgericht die Äußerung des Angeklagten zu sehr auf den Begriff „Nazi“ verengt und dabei außer Acht gelassen, dass die vollständige Formulierung „Wer braucht den Nazi intimer“ auch als Kritik sowohl an der Wahlkreisbereisung selbst als auch daran, dass der Anzeigeerstatter vom Bürgermeister der Gemeinde pp. empfangen wurde, verstanden werden kann, was ebenfalls gegen eine reine Schmähung spricht.

e) Soweit das Amtsgericht meint, dass auch bei einer Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit des Angeklagten und dem Persönlichkeitsrecht des Anzeigeerstatters „klar und deutlich“ eine strafbare Beleidigung gegeben sei, kann dem ebenfalls nicht gefolgt werden.

aa) Wie bereits dargelegt bezog sich die verfahrensgegenständliche Äußerung auf politische Aktivitäten des Anzeigeerstatters, die dieser bewusst öffentlich gemacht hat, und nicht auf dessen Privatleben. Dass zwischen ihm und dem Angeklagten keine persönliche oder emotionale Beziehung bestand, vermag eine Strafbarkeit der verfahrensgegenständlichen Äußerung nicht zu begründen.

Soweit das Amtsgericht auf das Fehlen einer solchen Beziehung abstellt, verkennt es die Bedeutung und die Reichweite der Meinungsfreiheit. Verlangte man nämlich eine derartige Verbindung, würde dies die Grenzen zulässiger Kritik an Amts- und Mandatsträgern in verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigender Weise einschränken, dürften doch die wenigsten Bürger in einer persönlichen oder emotionalen Beziehung zu der kritisierten Person stehen. Den Bürgern muss es aber möglich sein, straflos und ohne Furcht vor Strafe zum Ausdruck zu bringen, dass sie eine bestimmte Person für ungeeignet zur Führung der von ihr bekleideten politischen Ämter halten (BVerfG, NJW 2020, 2631, 2635). Dies gilt unabhängig von einer persönlichen Verbindung zwischen den beteiligten Personen.

bb) Auch der Umstand, dass der Beitrag des Anzeigeerstatters sich nicht mit politisch besonders umstrittenen Themen, sondern mit eher alltäglichen kommunalpolitischen Angelegenheiten befasste, begründet eine Strafbarkeit des Angeklagten nicht. Denn auch im Zusammenhang mit solchen politischen Aktivitäten sind polemische und überspitzte Äußerungen von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG gedeckt, zumal sich Kritik an Politikern auch generell gegen deren Zugehörigkeit zu einer Partei, die der Äußernde für nicht demokratisch oder gar für extremistisch hält, richten kann und darf, ohne dass eine solche Einschätzung einer gerichtlichen Richtigkeitskontrolle unterworfen wäre. Der Umstand, dass das Amtsgericht keine Anhaltspunkte für eine Verortung des Anzeigeerstatters im rechten politischen Spektrum zu erkennen vermochte, schränkt daher die Meinungsfreiheit des Angeklagten nicht ein.

cc) Zu keiner anderen rechtlichen Bewertung führt schließlich auch, dass der Kommentar des Angeklagten zu dem Instagram-Beitrag des Anzeigeerstatters keine politische Diskussion in Gang setzte. Das Grundrecht der Meinungsfreiheit greift unabhängig davon, ob eine Äußerung wertvoll oder wertlos, richtig oder falsch, emotional oder rational begründet ist (OLG Karlsruhe aa0). Ob der Äußernde eine inhaltliche Debatte zu bestimmten Themen oder auch Personen anstoßen oder lediglich seinen Unmut äußern will, spielt daher keine Rolle.

Zu beachten ist ferner, dass Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG nicht nur sachlich differenzierte Äußerungen schützt, sondern Kritik gerade auch pointiert, polemisch und überspitzt erfolgen darf; insoweit liegt die Grenze zulässiger Meinungsäußerungen nicht schon da, wo eine polemische Zuspitzung für die Äußerung sachlicher Kritik nicht erforderlich ist (BVerfG, NJW 1992, 1439). Überdies dürfen Bürger gegenüber Amtsträgern auch harsche Fundamentalkritik üben, und zwar unabhängig davon, ob sie dieses negative Urteil näher begründen können und ob es weniger drastische Ausdrucksformen gegeben hätte (vgl. BVerfG, NJW 2020, 2631, 2635).“

StGB III: Zur Beleidigung eines Polizeibeamten, oder: „Du Opfer.“

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Und als dritte Entscheidung aus dem Kompelx „StGB“ stelle ich den KG, Beschl. v. 11.02.2022 – (3) 121 Ss 170/21 (62/21) vor. Das KG nimmt umfangreich zu Bewährungsfragen Stellung, insoweit komme ich auf die Entscheidung noch mal zurück. Heute geht es um Ausführungen des KG zur Frage der Beleidigung eines Polizeibeamten.

Das AG hat den Angeklagten u.a. wegen Beleidigung (§ 185 StGB) verurteilt. Diese Veruretilung hat beim KG „gehalten“. Der Angeklagte hatte u.a. geltend gemacht, dass die Bezeichnung eines Polizeibeamten als „Opfer“ nicht den Tatbestand der Beleidigung erfülle. Das sieht das KG anders:

„1. Die Feststellungen tragen den Schuldspruch, insbesondere auch die Feststellungen zu der Tat vom 25. September 2020 im Hinblick auf den Schuldspruch der Beleidigung gemäß § 185 StGB.

Die Beleidigung setzt einen rechtswidrigen Angriff auf die Ehre einer anderen Person durch vorsätzliche Kundgabe der Missachtung voraus (BGHSt 1, 288).

Das Landgericht hat festgestellt, dass der Angeklagte am 25. September 2020 den Kontaktbereichsbeamten PK A im Rahmen der Ahndung einer Verkehrsordnungswidrigkeit als „Opfer“, „Schwanzlutscher“ und „Hurensohn“ beschimpft habe (UA S. 4).

Soweit der Revisionsführer beanstandet, die von ihm getätigte Bezeichnung des Polizeibeamten als „Opfer“ sei nicht als Beleidigung, sondern als bloße Meinungsäußerung zu werten, kann er damit nicht durchdringen.

Selbst wenn der Begriff „Opfer“ in der juristischen Fachsprache eine neutrale und in der Jugendsprache eine scherzhafte Bedeutung hat bzw. haben kann (vgl. Pohlreich, JA 2020, 744), so ist der Äußerungsinhalt unter Berücksichtigung der Begleitumstände (vgl. Fischer, StGB 69. Aufl., § 185 Rn. 8) – hier die Äußerung eines Bürgers gegenüber einem Polizeibeamten im Rahmen der Ahndung einer Verkehrsordnungswidrigkeit – als tatbestandsrelevante Kundgabe der Miss- und Nichtachtung zu interpretieren. Dies gilt umso mehr, als der Angeklagte neben der Bezeichnung „Opfer“ zugleich die Beschimpfungen „Schwanzlutscher“ und „Hurensohn“ geäußert hat.“

StGB II: Die „Lachnummer auf der Kippenschachtel“, oder: Beleidigung oder noch „meinungsfrei“?

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Die zweite Entscheidung kommt auch vom BayObLG. Es geht mal wieder um die Frage der Beleidigung

Das AG hat den Angeklagten wegen Beleidigung in drei tateinheitlichen Fällen zu einer Geldstrafe verurteilt. Hiergegen haben der Angeklagte sowie die Staatsanwaltschaft – letztere beschränkt auf den Rechtsfolgenausspruch –  Berufung eingelegt. Das LG Nürnberg-Fürth hat die Berufung des Angeklagten als unbegründet verworfen und auf die Berufung der Staatsanwaltschaft den Rechtsfolgenausspruch des AG-Urteils abgeändert.

Dagegen hat der Angeklagte Revision eingelegt. Die hatte insoweit Erfolg, als das Verfahren hinsichtlich eines Falles der Beleidigung eingestellt worden ist, weil nach Auffassung des BayObLG ein Strafantrag fehlte. Im Übrigen hatte die Revision soweit sie sich gegen den Schuldspruch der Beleidigung in dann noch zwei tateinheitlichen Fällen richtete, keinen Erfolg.

Das LG hatte folgende Feststellungen getroffen, die dann auch das BayObLG seiner Entscheidung zugrunde legt:

„a) Danach hat der Angeklagte am 29.05.2020 auf seinem YouTube-Kanal ein Video hochgeladen mit dem Titel:

„Es ist Wahnsinn. Hier wird eine Volkswirtschaft kaputt gemacht und alle schauen zu.“

Im Rahmen dieses Videos erscheint ab Minute 6.51 ein Bild, auf dem fünf Personen, unter anderem die Strafantragsteller pp.  zu sehen sind, wobei im Hintergrund ein Plakat der Partei „die Grünen“ zu sehen ist. Über dem Bild befindet sich folgender Text:

„Und ich dachte immer, die Schockbilder auf den Kippenschachteln wären schlimm“ (smiley). „Das sind die Grünen im bayerischen Landtag…..und nein: Das ist KEIN Scherz.“

Der Angeklagte kommentierte dieses Foto mündlich mit folgenden Worten:

„Ja und wenn ihr euch das anschaut, das sind welche, die sind im bayerischen Landtag. Das ist jetzt kein Witz und das ist auch kein Scherz. Also wenn ich mir die Figuren anschaue und die bestimmen über unsere Zukunft und solche Leute sind gewählt, also das sind ja Lachnummern, das sind absolute Lachnummern, diese Figuren. Das ist wirklich, das kannste normalerweise, wie es heißt, das kannste auf ne Kippenschachtel tun als Warnhinweis.“

Das Berufungsgericht hat weiter festgestellt, dass es sich bei sämtlichen auf dem Foto abgebildeten Personen um Menschen mit transsexuellem Hintergrund handelt, wobei (Anm.: zum Tatzeitpunkt) lediglich eine dieser Personen und Strafantragstellerin ein Mitglied der Grünen im bayerischen Landtag ist, eine weitere Person weder Mitglied der Grünen noch im bayerischen Landtag vertreten ist und über die drei anderen Personen nichts Näheres bekannt ist.

Das LG war beweiswürdigend davon ausgegangen, „dass das verfahrensgegenständliche Bild, das der Angeklagte seiner Einlassung nach bereits mit der oben bezeichneten Überschrift aus den sozialen Netzwerken kopiert habe, ca. Anfang 2019 mit Einverständnis der fotografierten Personen im bayerischen Landtag gefertigt wurde, es sich lediglich bei einer fotografierten Person um ein Mitglied des bayerischen Landtags handelte, sämtliche Personen der Partei der Grünen nahestanden und dem Angeklagten weder der Anlass der Anfertigung des Fotos bekannt war noch er wusste, um wen es sich bei den abgebildeten Personen gehandelt habe, er aber aufgrund von ihm nicht geprüfter Angaben in den sozialen Netzwerken davon ausgegangen sei, dass es sich bei allen Personen um Politikerinnen der Grünen im bayerischen Landtag gehandelt habe, und dass der transsexuelle Hintergrund ihm nicht bekannt bzw. eine diesbezügliche Kenntnis nicht nachzuweisen gewesen sei.“

Es hatte „zum übrigen Inhalt des Videos festgestellt, dass zu dessen Beginn der Untertitel „der politische Wochenrückblick von Hallo Meinung“ eingeblendet ist. Der Angeklagte leitet das Video mit den Worten ein „diese Woche ist viel passiert“, wobei er sich kritisch über die Finanztransfers der europäischen Nordländer an die europäischen Südländer, die jahrelang Misswirtschaft getrieben hätten, äußert. Es folgt ein Ausschnitt aus der Sendung von Markus Lanz, in der der SPD-Politiker Ralf Stegner auftritt, den der Angeklagte mit den Worten „Hirnis wie Stegner“ kommentiert. Die nächste Sequenz befasst sich mit einem Artikel über milliardenschwere Coronahilfen, die mit Steuern finanziert werden, wobei der Angeklagte zum einen Ursula von der Leyen kritisiert und zum anderen den eingeblendeten europäischen Politiker Manfred Weber unter anderem mit den Worten charakterisiert „solche Leute sind für mich Waschlappen“, „jetzt ist er nur ein Hinternkriecher“, „solche Orgelpfeifen bestimmen über unsere Zukunft“. Es folgt eine Sequenz, in der darüber berichtet wird, dass die Grünenpolitikerin Baerbock in einer Sendung von Anne Will die Bundesrepublik Deutschland als größte Volkswirtschaft der Welt bezeichnet hat, was der Angeklagte richtig stellt und kritisiert, dass diesen Fehler niemand bemerkt habe.

In zeitlicher Abfolge danach enthält das Video die unter II.1.a. dargestellte Sequenz ab Minute 6.51. Nach dieser wird ein Bild, auf dem die (Anm.: ehemalige) deutsche Bundeskanzlerin Merkel und der französische Präsident Macron zu sehen sind, gezeigt mit der Unterschrift „Enkel-Trick: Smarter Betrüger klaut verwirrter Seniorin 135 Milliarden Euro. Die Polizei bitte um Mithilfe.“

Schließlich kommentiert der Angeklagte ein Bild der Firma B + I, zugehörig zur Baumüller-Gruppe in Nürnberg, damit, dass die Frau des bayerischen Ministerpräsidenten Söder etwas mit dieser Firma, die Face-Shields vertreibe, zu tun habe, wozu er ironisch bemerkt, dass er selbstverständlich keinen Zusammenhang mit der Politik herstellen wolle, „ein Schelm, wer Böses dabei denkt.“

Das Video endet mit einem Bild, das die These aufstellt, wir seien auf dem besten Weg, ein gleichgeschaltetes Volk zu werden und das ebenfalls vom Angeklagten kommentiert wird.“

Das BayObLG hat die Auffassung des LG, dass der Angeklagte sich damit der Beleidigung gemäß § 185 StGB in zwei tateinheitlichen Fällen schuldig gemacht hat, bestätigt.

Ich erspare mir das Einstellen der umfangreichen Begründung im BayObLG, Beschl. v. 31.01.2022 – 204 StRR 574/21 – und ordne das Selbstleseverfahren an.