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Strafzumessung I: Generalpräventive Erwägungen, oder: Erhebliche sexuelle Handlung

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Und heute dann zum ersten Mal in 2024 Entscheidungen zu Strafzumessungsfragen. Da haben sich einige Entscheidungen angesammelt, die ich gerne vorstellen möchte. Ich nehme aber mal wieder nur die Leitsätze, und zwar.

1. Nach § 125 Abs. 1 StGB macht sich nur derjenige strafbar, der sich an den Gewalttätigkeiten bzw. Bedrohungen als Täter oder Teilnehmer aktiv beteiligt; eine bloße Anwesenheit am Ort des Tatgeschehens genügt hierfür nicht.
2. Die strafschärfenden Wertungen des Tatgerichts, dass die Tat aus „absolut nichtigem Anlass“ begangen wurde und „keine Provokation“ seitens der Opfer vorangegangen war, sind rechtsfehlerhaft, weil hierdurch dem Angeklagten in unzulässiger Weise das Fehlen eines Strafmilderungsgrund angelastet wird.
3. Generalpräventive Erwägungen können – im Rahmen der Schuldangemessenheit – die Verhängung einer höheren als der sonst angemessenen Strafe nur rechtfertigen, wenn eine gemeinschaftsgefährliche, außergewöhnliche Zunahme von Straftaten, wie sie zur Aburteilung stehen, festgestellt wird, wobei regelmäßig erforderlich ist, dass das Tatgericht dies unter Darstellung statistischen Materials belegt.

1. Die strafschärfende Berücksichtigung von Umständen (hier: Ausnutzung eines besonderen Vertrauensverhältnisses) ist nur dann rechtsfehlerfrei, wenn diese von den getroffenen Feststellungen getragen werden.

2. Kurze, flüchtige oder aus anderen Gründen unbedeutende Berührungen, insbesondere auch der bekleideten Brust (hier: Griff an die rechte Brust eines 10-jährigen Kindes), genügen grundsätzlich nicht für die Annahme einer sexuellen Handlung von einiger Erheblichkeit.

StPO III: Wirksame Berufungsbeschränkung?, oder: Landfriedensbruch, sexueller Missbrauch, BtM-Delikt

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Und dann zum Schluss des Tages hier noch einige Entscheidungen zur Frage der Wirksamkeit der Berufungsbeschränkung. Dazu hatte sich in der letzten Zeit einiges angesammelt, das ich hier heute mit den Leitsätzen vorstelle. Es handelt sich um folgende Entscheidungen:

    1. Die Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch ist unwirksam, wenn sich im Falle einer Verurteilung wegen Betrugs aus dem amtsgerichtlichen Urteil nicht ergibt, ob dem Getäuschten ein Schaden im Sinne des § 263 Abs. 1 StGB entstanden ist.
    2. Im Falle der wirksamen Berufungsbeschränkung auf den Rechtsfolgenausspruch besteht keine Bindung des Berufungsgerichts gemäß § 327 StPO an die amtsgerichtlichen Feststellungen zum gewerbsmäßigen Handeln im Sinne von § 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 1. Alt. StGB. Vielmehr hat das die Berufungskammer insoweit eigene Feststellungen zu treffen.
    1. Die Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch ist unwirksam, wenn im Falle einer Verurteilung wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern aufgrund unzulänglicher Feststellungen des Erstgerichts nicht beurteilt werden kann, ob die Erheblichkeitsschwelle des § 184h Nr. 1 StGB überschritten ist.
    2. Die strafschärfende Berücksichtigung von Umständen (hier: Ausnutzung eines besonderen Vertrauensverhältnisses) ist nur dann rechtsfehlerfrei, wenn diese von den getroffenen Feststellungen getragen werden.

Die Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch ist unter anderem dann unwirksam, wenn aufgrund der unzulänglichen Feststellungen im amtsgerichtlichen Urteil unklar bleibt, ob sich der Angeklagte überhaupt strafbar gemacht.

Fehlende Feststellungen zum Wirkstoffgehalt der Betäubungsmittel stehen bei einer Verurteilung wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln nach § 29a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BtMG der Wirksamkeit der Berufungsbeschränkung auch dann nicht entgegen, wenn die Bruttomenge der Betäubungsmittel die Grenze zur nicht geringen Menge i.S.d. § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG übersteigt.

OWI III: Ein Bisschen was zum Fahrverbot aus Bayern, oder: Nachtatverhalten, Trunkenheit, Kindesumgang

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Und zum Tagesschluss dann noch drei Entscheidungen zum Fahrverbot (§ 25 StVG). Alle drei stammen vom BayObLG und alle drei für die Betroffenen negativ, was mich beim BayObLG nicht überrascht.

Hier sind die Leitsätze der Entscheidungen:

    1. Das Absehen von der Verhängung eines Regelfahrverbots, das an die an die Außerachtlassung besonderer Rücksichtnahmepflichten und die bloße Gefährdung eines Verkehrsteilnehmers anknüpft (hier: lfd.Nr. 41 BKat) mit der Begründung, der Betroffene habe nicht rücksichtslos gehandelt und der Geschädigte sei nicht schwerwiegend verletzt worden, ist rechtsfehlerhaft.
    2. Das Verhalten eines Betroffenen nach einem von ihm verschuldeten Verkehrsunfall rechtfertigt regelmäßig nicht das Absehen von der Verhängung eines an seinen Verkehrsverstoß anknüpfenden Regelfahrverbots.
    1. Ist ein konkreter Rechtsmittelantrag nicht gestellt, ist der Umfang der Anfechtung einer gerichtlichen Entscheidung seitens der Staatsanwaltschaft durch Auslegung des der Rechtsmittelbegründung zu entnehmenden Angriffsziels zu ermitteln.
    2. Die mit einem Fahrverbot verbundenen Einschränkungen des Kindesumgangsrechts sind, will das Tatgericht in ihnen eine außergewöhnliche Härte sehen und deshalb von einem an sich verwirkten Regelfahrverbot absehen, positiv festzustellen.
    1. Ein Absehen vom gesetzlichen Regelfahrverbot nach den §§ 24a Abs. 1 (i.V.m. Abs. 3), 25 Abs. 1 Satz 2 StVG i.V.m. § 4 Abs. 3 BKatV kann nur in einem Härtefall ganz außergewöhnlicher Art in Betracht kommen, oder dann, wenn wegen besonderer Umstände äußerer oder innerer Art das Tatgeschehen ausnahmsweise derart aus dem Rahmen einer typischen Ordnungswidrigkeit nach § 24 a Abs. 1 StVG herausfällt, dass die Anordnung des Regelfahrverbots als offensichtlich unpassend anzusehen wäre.
    2. Die Indizwirkung des Regelbeispiels nach den §§ 25 Abs. 1 Satz 2, 24a StVG wird nicht allein dadurch entkräftet, dass bei einer nur wenige Minuten andauernden Alkoholfahrt eine Wegstrecke von lediglich 200 m zurückgelegt wurde. Dies gilt erst recht, wenn der Atemluftgrenzwert nach § 24a Abs. 1 StVG von 0,25 mg/l nicht nur geringfügig überschritten, sondern die Alkoholkonzentration nahe zum Grenzwert der (absoluten) Fahruntüchtigkeit i.S.v. § 316 Abs. 1 StGB lag.

OWi III: Zwei Entscheidungen zur OWiG-Geldbuße, oder: Abwesender Betroffener/mathematische Berechnung

Und im letzten Posting des Tages zwei Entscheidungen zur Geldbuße, und zwar wie folgt, wobei m.E. auch die Leitsätze genügen:

    1. Äußert sich der den abwesenden Betroffenen vertretende Rechtsanwalt nicht zu dessen Vermögensverhältnissen, so begibt er sich der Möglichkeit, für den Betroffenen Umstände vorzutragen, die ein Abweichen vom Regelfall hätten begründen können.
    2. Bei dieser Sachlage ist die Bußgeldbemessung auch dann nicht zu beanstanden, wenn das Tatgericht den Regelsatz des Bußgeldkatalogs wegen einer Vorbelastung um einen moderaten Betrag erhöht hat.
    1. Bei der Bemessung der Geldbuße sind verwaltungsinterne Bußgeldrichtlinien für die Gerichte nicht von maßgeblicher Bedeutung.
    2. Eine mathematische Berechnung der Bußgeldhöhe sieht das geltende Recht nicht vor. Vielmehr hat das Tatgericht die Bußgeldhöhe aufgrund einer wertenden Gesamtbetrachtung aller hierfür maßgeblichen Gesichtspunkte zu bestimmen.
    3. Die Berücksichtigung des wirtschaftlichen Vorteils im Sinne des § 17 Abs. 4 Satz 1 OWiG bei der Bemessung der Bußgeldhöhe setzt voraus, dass das Tatgericht konkrete Feststellungen dazu trifft, welche Vorteile der Täter durch die Begehung der Ordnungswidrigkeit tatsächlich gezogen hat.

OWi I: Pflicht zur Bildung einer Rettungsgasse, oder: Nur auf „Autobahnen“ i.e.S.

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Und dann auf in den Dienstag und an dem gibt es heute (endlich) mal wieder OWi-Enscheidungen. Ein paar haben sich angesammelt.

Ich starte mit dem BayObLG, Beschl. v. 26.09.2023 – 201 ObOWi 971/23. Das AG hatte den Betroffenen wegen eines Verstoßes gegen § 11 Abs. 2 StVO verurteilt, begangen worden sein sollte der Verstoß auf einer innerörtlichen Straße, die autobahnänhlich ausgebaut war.

Das geht nicht, sagt das BayObLG:

„1. Die Urteilsfeststellungen tragen die Verurteilung wegen eines Verstoßes gegen §§ 11 Abs. 2, 49 Abs. 1 Nr. 11 StVO nicht, da auch bei Befahren einer autobahnähnlich ausgebauten Straße innerorts der Tatbestand nicht erfüllt ist.

a) Maßgebend für die Auslegung einer Norm ist in erster Linie der Wortlaut (vgl. BGH, Urt. v. 31.10.1986 – 2 StR 33/86 = BGHSt 34, 211 = NJW 1987, 1280 = NStZ 1987, 323 = StV 1987, 151), wobei der Wortsinn einerseits die Grenze der Auslegung bestimmt, andererseits aber bei der Auslegung zwischen den möglichen Wortbedeutungen bis zur „äußersten sprachlichen Sinngrenze“ gewählt werden darf, jenseits dieser beginnt der Bereich der Analogie (vgl. KK-OWiG/Rogall 5. Aufl. § 3 Rn. 76, 53 m.w.N.). Eine verfassungsrechtlich unzulässige richterliche Rechtsfortbildung ist dadurch gekennzeichnet, dass sie, ausgehend von einer teleologischen Interpretation, den klaren Wortlaut des Gesetzes hintanstellt, ihren Widerhall nicht im Gesetz findet und vom Gesetzgeber nicht ausdrücklich oder – bei Vorliegen einer erkennbar planwidrigen Gesetzeslücke – stillschweigend gebilligt wird. Richterliche Rechtsfortbildung überschreitet die verfassungsrechtlichen Grenzen, wenn sie deutlich erkennbare, möglicherweise sogar ausdrücklich im Wortlaut dokumentierte gesetzliche Entscheidungen abändert oder ohne ausreichende Rückbindung an gesetzliche Aussagen neue Regelungen schafft (BVerfG NJW 2012, 669, 671 m.w.N.). Dies gilt für die Auslegung von Verordnungen in gleicher Weise (vgl. BayObLG, Beschl. v. 10.1.2022 – 201 ObOWi 1507/21, BeckRS 2022, 149 = NStZ 2022, 495 = DAR 2022, 156).

b) Die Pflicht zur Bildung einer Rettungsgasse gilt dem eindeutigen Wortlaut des § 11 Abs. 2 StVO nach nicht für den innerstädtischen Verkehr auf einer Bundesstraße (vgl. auch LG Hamburg, Urt. v. 18.02.2022 – 306 O 471/20 = BeckRS 2022, 3593). Der autobahnähnliche Ausbau ändert daran nichts.

§ 11 Abs. 2 StVO benennt lediglich Autobahnen sowie Außerortsstraßen mit mindestens zwei Fahrstreifen für eine Richtung. Eine Autobahn kann zwar auch innerstädtisch verlaufen, dies ist hier aber nicht festgestellt. Die Eigenschaft einer Straße als Autobahn wird nicht durch begriffliche Merkmale oder ihren Ausbau, sondern durch die rechtsgestaltende Wirkung des Verkehrszeichens Z 330.1 der Anlage 3 zur StVO begründet (Heß in: Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke, Straßenverkehrsrecht, 27. Aufl. § 18 StVO Rn. 1 unter Verweis auf OLG Hamm VRS 48, 65 und OLG Karlsruhe VRS 60, 227). Hier handelte es sich nach den Feststellungen bei der von dem Betroffenen befahrenen Straße um eine Bundesstraße mit baulich getrennten, zweistreifigen Richtungsfahrbahnen im Bereich einer geschlossenen Ortschaft. Damit lag weder das Befahren einer Autobahn noch einer Außerortsstraße vor.

c) Für dieses Ergebnis sprechen auch Sinn und Zweck der Regelung des § 11 Abs. 2 StVO. Die Vorschrift des § 11 Abs. 2 StVO dient dazu, bei Unfällen auf der Autobahn oder Außerortsstraßen den Sicherungs- und Rettungskräften einen schnellen und möglichst sicheren Zugang zu ermöglichen, um einerseits schneller bei Verletzungen tätig werden zu können und andererseits auch sicherzustellen, dass der Unfall und seine Auswirkungen auf den Verkehr schnell beseitigt werden können (Müther in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 2. Aufl. § 11 StVO Rn. 8). Der Seitenstreifen außerorts muss für Pannenfahrzeuge freigehalten werden und ist teilweise zu schmal für Einsatzfahrzeuge. Innerorts und auf einspurigen Straßen wird für die Rettungs- und Polizeifahrzeuge die Fahrt regelmäßig dadurch geschaffen, dass die Fahrzeuge an den rechten Rand fahren (Müther a.a.O. Rn. 19). Somit gebietet es auch der Zweck des § 11 Abs. 2 StVO nicht, die Bildung einer Rettungsgasse innerorts verpflichtend anzunehmen.

d) Soweit das Tatgericht darauf abgestellt hat, dass eine Rettungsgasse auch innerorts auf einer autobahnähnlich ausgebauten Kraftfahrstraße zu bilden sei, überschreitet eine derartige Auslegung des § 11 Abs. 2 StVO die Grenze des möglichen Wortsinns, so dass ein Verstoß gegen den in Art. 103 Abs. 2 GG und § 3 OWiG geregelten Bestimmtheitsgrundsatz bzw. gegen das Analogieverbot (vgl. BeckOK-OWiG/Gerhold [39. Ed.-Stand: 01.07.2023] § 3 Rn. 30) durch die bußgeldrechtliche Ahndung vorliegt.“

Aber:

„2. Nachdem im Urteil festgestellt ist, dass der Betroffene ein aufgrund eines Verkehrsunfalls zum Einsatz gekommenes Polizeifahrzeug für mindestens fünf Minuten an der Weiterfahrt gehindert hat, kommt aber die Begehung einer Ordnungswidrigkeit des Betroffenen nach §§ 38 Abs. 1 Satz 2, 49 Abs. 3 Nr. 3 StVO in Betracht. Dazu, ob das Einsatzfahrzeug mit blauem Blinklicht zusammen mit dem Einsatzhorn fuhr, und zum konkreten Verhalten des Betroffenen zum Zeitpunkt der Wahrnehmung des Einsatzfahrzeugs im Sinne eines ‚sofort freie Bahn-Schaffens‘ nach § 38 Abs. 1 Satz 2 StVO, verhält sich das Urteil nicht. Eine eigene Sachentscheidung ist dem Senat verwehrt, da in der neuen Verhandlung ergänzende Feststellungen zu dieser Frage zu treffen sein werden, ebenso dazu, ob der Betroffene noch die Möglichkeit gehabt hätte, sein Fahrzeug so zu stellen, dass eine sofortige freie Durchfahrt durch das Einsatzfahrzeug möglich gewesen wäre.“