Schlagwort-Archive: Auswechselung

StPO I: Durchsuchungsbeschluss im Kipo-Verfahren, oder: Nachbesserung durch das Beschwerdegericht

Bild von Peggy und Marco Lachmann-Anke auf Pixabay

Und dann stelle ich heute StPO-Entscheidungen aus der Instanz vor.

Na ja, nicht ganz/nur aus der Instanz, denn die erste Entscheidung stammt vom VerfGH Sachsen. Der hat im VerfGH Sachsen, Beschl. v. 24.10.2024 – Vf. 24-IV-23 – erneut zu den Voraussetzungen einer ordnungsgemäßen Durchsuchungsanordnung Stellung genommen. Folgender Sachverhalt:

Die Staatsanwaltschaft Chemnitz gegen den Beschuldigten ein Ermittlungsverfahren wegen Verbreitung, Erwerbs und Besitzes kinderpornographischer Inhalte. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft erließ das AG den mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Durchsuchungsbeschluss In der Begründung heißt es, der Beschuldigte sei Mitglied einer Gruppe des Messengers „WhatsApp“ gewesen, in der kinderpornographische Inhalte versandt worden seien und habe in der Zeit, in der er Mitglied gewesen sei, Dateien (Bilder und Videos) mit kinder- und jugendpornographischen Inhalten empfangen. Der Beschwerdeführer habe sich aktiv an der Gruppe beteiligt. Dagegen die Beschwerde des Beschuldigten. Das LG hat die  Beschwerde mit der Maßgabe als unbegründet verworfen, dass dem Beschwerdeführer der Tatverdacht des Sichverschaffens kinder- und jugendpornographischer Inhalte gemäß § 184b Abs. 3, § 184c Abs. 3 StGB zur Last liege.

Die dagegen gerichtete Verfassungsbeschwerde hatte keinen Erfolg:

„…..

b) Diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen werden der angegriffene Beschluss des Amtsgerichts und der diesen abändernde Beschluss des Landgerichts gerecht. Der Durchsuchungsbeschluss begegnet in der Gestalt, den er durch den landgerichtlichen Beschluss erhalten hat, in formeller Hinsicht keinen verfassungsrechtlichen Bedenken (aa). Die fachgerichtliche Annahme eines Anfangsverdachts ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (bb). Zudem hält die angegriffene Maßnahme einer Prüfung am Maßstab des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes stand (cc).

aa) Der Durchsuchungsbeschluss in der Gestalt, den er durch die landgerichtliche Entscheidung erhalten hat, beschreibt den dem Beschwerdeführer zur Last gelegten Tatvorwurf hinreichend und bezeichnet das zu durchsuchende Objekt und die Art und den vorgestellten Inhalt derjenigen Beweismittel, nach denen gesucht werden soll, so, wie es nach Lage der Dinge geschehen konnte. Die vorgenommene Umschreibung reicht aus, um den mit dem Vollzug des Beschlusses betrauten Beamten aufzuzeigen, worauf sie ihr Augenmerk richten sollten, und damit den Zweck der Durchsuchungsanordnung – die Begrenzung des Zugriffs auf Beweisgegenstände bei der Vollziehung der Durchsuchung– zu erfüllen (vgl. SächsVerfGH, Beschluss vom 20. Oktober 2023 – Vf.56-IV-23 [HS]/Vf. 57-IV-23 [e.A.]; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 24. März 2003 – 2 BvR 180/03 – juris Rn. 2).

bb) In der Gestalt der Beschwerdeentscheidung des Landgerichts liegt dem Durchsuchungsbeschluss auch eine verfassungsrechtlich tragfähige Begründung des Anfangsverdachts zugrunde.

Notwendiger und grundsätzlich auch hinreichender Eingriffsanlass für Zwangsmaßnahmen im Strafverfahren ist der Verdacht einer Straftat. Für die Annahme eines solchen Anfangsverdachts genügen konkrete, tatsächliche Anhaltspunkte, die es nach den kriminalistischen Erfahrungen als möglich erscheinen lassen, dass eine verfolgbare Straftat begangen wurde (vgl. Peters in: Münchener Kommentar zur StPO, 2. Aufl., § 152 Rn. 35, 38; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 18. Januar 1994 – 2 BvR 1912/93 – juris Rn. 4; Beschluss vom 23. Juli 1982, NStZ 1982, 430). Auch in Anbetracht der Eingriffsintensität einer Wohnungsdurchsuchung ist es verfassungsrechtlich nicht geboten, die Maßnahme vom Vorliegen eines erhöhten Verdachtsgrads abhängig zu machen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 1. August 2014 – 2 BvR 200/14 – juris Rn. 15; Beschluss vom 20. April 2004 – 2 BvR 2043/03 – juris Rn. 5). Diesen Verdacht hat der für die vorherige Gestattung des behördlichen Eingriffs oder dessen nachträgliche Kontrolle zuständige Richter zu prüfen. Hierzu gehört eine umfassende Abwägung zur Feststellung der Angemessenheit des Eingriffs im konkreten Einzelfall (vgl. BVerfG, Beschluss vom 1. August 2014 – 2 BvR 200/14 – juris Rn. 18; Beschluss vom 28. April 2003, BVerfGK 1, 126 [131]). Eine ins Einzelne gehende Nachprüfung des vom Fachgericht angenommenen Anfangsverdachts ist hingegen nicht Aufgabe des Verfassungsgerichtshofes. Sein Eingreifen ist nur geboten, wenn die Auslegung und Anwendung der einfachrechtlichen Bestimmungen über die prozessualen Voraussetzungen des Verdachts als Anlass für die strafprozessuale Zwangsmaßnahme und die strafrechtliche Bewertung der Verdachtsgründe objektiv willkürlich sind oder Fehler erkennen lassen, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung der Grundrechte des Beschwerdeführers beruhen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 29. Juli 2020 – 2 BvR 1188/18 – juris Rn. 43; Beschluss vom 20. November 2019 – 2 BvR 31/19 – juris Rn. 24; Beschluss vom 8. Januar 2015 – 2 BvR 2419/13 – juris Rn. 17).

Es kann dahinstehen, ob die rechtliche Bewertung des Amtsgerichts, der dem Durchsuchungsbeschluss zugrundeliegende Lebenssachverhalt sei als Verbreitung kinderpornographischer Inhalte gemäß § 184b Abs. 1 StGB strafbar, zutreffend war. Jedenfalls ist es nicht objektiv willkürlich, dass das Landgericht in seiner Beschwerdeentscheidung diese rechtliche Bewertung abänderte und annahm, es liege ein Anfangsverdacht für ein Sichverschaffen von kinder- und jugendpornographischen Inhalten gemäß § 184b Abs. 3, § 184c Abs. 3 StGB vor. Im Beschwerdeverfahren sind zwar Prüfungsmaßstab und die Heilungsmöglichkeit des Beschwerdegerichts bei der Überprüfung einer durch Vollzug erledigten Durchsuchung beschränkt, weil dieses keine eigene Entscheidung über die Durchsuchungsanordnung trifft. So können Mängel bei der ermittlungsrichterlich zu verantwortenden Umschreibung des Tatvorwurfs und der zu suchenden Beweismittel im Beschwerdeverfahren nicht geheilt werden. Die Funktion des Richtervorbehalts, eine vorbeugende Kontrolle der Durchsuchung durch eine unabhängige und neutrale Instanz zu gewährleisten, würde andernfalls unterlaufen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. April 2023 – 2 BvR 2180/20 – juris Rn. 29; Beschluss vom 20. April 2004 – 2 BvR 2043/03 – juris Rn. 4). Doch kann das Beschwerdegericht Defizite in der Begründung des zugrundeliegenden Tatverdachts und der Verhältnismäßigkeit der Maßnahme nachbessern (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. April 2023 – 2 BvR 2180/20 – juris Rn. 29 m.w.N.). Dies umfasst auch Indiztatsachen, die den Anfangsverdacht belegen, weil diese für Zwecke der Begrenzung der Vollziehung der Maßnahme nicht immer erforderlich sind und folglich im Durchsuchungsbeschluss selbst nicht notwendigerweise genannt werden müssen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 28. April 2003, BVerfGK 1, 126 [131]). Die vom Landgericht für seine abweichende rechtliche Bewertung angeführten tatsächlichen Umstände – das Einstellen derartiger Inhalte in den Gruppenchat und die aktive Beteiligung des Beschwerdeführers an diesem Chat – sind bereits im Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts wiedergegeben. Indem das Landgericht den der Verdachtsannahme zugrundliegenden Lebenssachverhalt lediglich einer anderen rechtlichen Würdigung unterzog, hat es die Grenzen der Heilungsmöglichkeiten im Beschwerdeverfahren nicht überschritten.

Auch in der Sache sind die angegriffenen fachgerichtlichen Entscheidungen verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Bei der landgerichtlichen Bewertung der Tatsachenbasis ist ein willkürliches Überspannen der Anforderungen an einen Anfangsverdacht, der gerade noch nicht einen die Anklageerhebung rechtfertigenden Verdachtsgrad erreicht haben muss (vgl. Peters in: Münchener Kommentar zur StPO, 2. Aufl., § 152 Rn. 35), nicht festzustellen. Die Annahme des Landgerichts, es liege im Bereich des Möglichen, dass der Beschwerdeführer von den inkriminierten Dateien Kenntnis erlangt und diese gebilligt habe, ist nicht schlechterdings unhaltbar. Rein spekulativen Charakter hat diese Annahme angesichts der aktiven Beteiligung des Beschwerdeführers am Chat, nachdem bereits inkriminierte Dateien geteilt worden waren, nicht.

cc) Die fachgerichtliche Bewertung, die angeordnete Durchsuchung stehe in angemessenem Verhältnis zu der Schwere der Straftat sowie zu der Stärke des Tatverdachts und sei für die Ermittlungen notwendig, widerspricht ebenfalls nicht verfassungsrechtlichen Anforderungen.“

Pflichti I: Auswechseln des „Pflichti“ in der Revision, oder: Begründung des Antrags und Verfahren

Bild von Gerd Altmann auf Pixabay

Und dann heute mal wieder eine Tag mit Pflichtverteidigungsentscheidungen. So ganz viele sind es aber nicht, immerhin aber insgesamt fünf Stück.

Ich beginne hier mit zwei Entscheidungen zur Auswechselung des Pflichtverteidigers, und zwar:

Zu den Fragen der Auswechselung hat noch einmal der BGH im BGH, Beschl. v. 15.01.2024 – 2 StR 124/23 – Stellung genommen. Das LG hat die Angeklagte u.a. wegen Brandstiftung verurteilt. Der im Ermittlungsverfahren bestellte Pflichtverteidiger der Angeklagten hat gegen dieses Urteil Revision eingelegt und das Rechtsmittel mit Verfahrensbeanstandungen und der allgemeinen Sachrüge begründet. dann ist um die Formwirksamkeit gestritten worden (dazu der BGH, Beschl. v. 01.08.2023 – 2 StR 124/23). Der BGH hat Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vor Ablauf der Frist zur Einlegung der Revision gewährt. Der Beschluss ist dem Verteidiger am 13.09.2023 zugestellt worden.

Mit Schreiben vom 22.07.2023 hat die Angeklagte vorgetragen, „sie vertraue ihrem Verteidiger nicht mehr. Sie habe die Revisionsbegründungsschrift erst zwei Tage vor dem Abgabetermin zur Ansicht erhalten, ein vom Landgericht vernommener Zeuge und „eigentliche[r] Täter S. aber schon vierzehn Tage“ vor ihr. S. habe ihrem Verteidiger „am ersten Gerichtstag […] einen gut gefüllten Briefumschlag im Gerichtssaal übergeben“ wollen. Ihr Verteidiger habe erwidert, er solle „den Brief doch bitte an die Kanzlei senden“. Die Revisionsbegründungsschrift des Verteidigers beanstande „nur das zur Gefälligkeit erstellte Brandschutzgutachten […], obwohl das ganze Urteil nur aus Mutmaßungen und Spekulationen“ bestehe. Ein anderer „Strafanwalt“ habe ihr erklärt, „[s]eine Revisionsbegründung auf dieses Urteil wäre dreißig[-] bis vierzigseitig ausgefallen“. Damit konfrontiert habe ihr Verteidiger erklärt, dafür habe er als Pflichtverteidiger keine Zeit. Mit weiterem Schreiben vom 2. September 2023 hat die Angeklagte geäußert, das Vertrauensverhältnis zu ihrem Verteidiger sei „zerstört“. Sie hat gebeten, den Verteidiger „aus dem Verfahren zu entbinden“ und ihr einen „renommierten Anwalt aus L. “ beizuordnen.“ Mit Schreiben vom 30.11.2023 hat sie diese Bitte schließlich dahin präzisiert, sie beantrage nunmehr, ihr Rechtsanwalt L. aus L. beizuordnen.

Der Verteidiger der Angeklagten ist den gegen ihn erhobenen Vorwürfen entgegengetreten. Der BGH hat den Antrag abgelehnt:

„Der Antrag ist unbegründet, da die Voraussetzungen für einen Pflichtverteidigerwechsel gemäß § 143a Abs. 3 und 2 StPO nicht vorliegen.

1. § 143a Abs. 3 StPO, der eine vereinfachte Regelung für den Pflichtverteidigerwechsel im Revisionsverfahren trifft, greift nicht ein. Die Angeklagte hat den Antrag auf Verteidigerwechsel weder bei dem Gericht gestellt, dessen Urteil angefochten ist, § 143a Abs. 3 Satz 2 StPO, noch hat sie innerhalb der Wochenfrist des § 143a Abs. 3 Satz 1 StPO den neu zu bestellenden Verteidiger bezeichnet (vgl. BT-Drucks. 19/13829 S. 49; LR-StPO/Jahn, 27. Aufl., § 143a Rn. 42).

2. Die Voraussetzungen für einen Wechsel des Pflichtverteidigers gemäß § 143a Abs. 2 StPO liegen ebenfalls nicht vor.

Eine endgültige Zerstörung des Vertrauensverhältnisses zum bisherigen Pflichtverteidiger, § 143a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Fall 1 StPO, ist nicht glaubhaft gemacht. Den von der Angeklagten erhobenen Vorwürfen ist der Verteidiger entgegengetreten. Sonstige Belege für die Behauptungen der Angeklagten sind weder vorgetragen noch sonst erkennbar.

Auch sonst ist kein Grund ersichtlich, der einer angemessenen Verteidigung der Angeklagten entgegenstünde und einen Wechsel in der Person des Pflichtverteidigers geböte, § 143a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Fall 2 StPO. Eine angemessene Verteidigung der Angeklagten ist gewährleistet. Der Verteidiger hat auf den Formfehler bei der Übersendung der Revisionsschrift innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist reagiert. Ein über die Kostenentscheidung nach § 473 Abs. 7 StPO hinausgehender Nachteil ist der Angeklagten durch die ursprüngliche Versäumung der Einlegungsfrist nicht entstanden.“

Und die zweite Entscheidung zu der Problematik „Auswechselung“ kommt vom KG. Das hat im KG, Beschl. v.13.12.2023 – 2 Ws 146/23 – auch noch einmal zu den Voraussetzungen Stellung genommen. Die Entscheidung stelle ich aber hier nur mit den Leitsätzen vor, das das KG die Fragen bereits (mehrfach) entschieden hat(te), und zwar:

1. Die Bezeichnung eines neuen Verteidigers ist Voraussetzung für einen Verteidigerwechsels nach § 143a Abs. 3 StPO (vgl. KG, Beschl. v. 09.052023 – 4 Ws 23/23).
2. Die pauschale Begründung des Entpflichtungsantrags eines Beschuldigten mit der Zerstörung des Vertrauensverhältnisses und bereits zuvor unternommenen Versuchen der Entpflichtung des Verteidigers ist nicht geeignet, einen Verteidigerwechsel nach § 143a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StPO zu rechtfertigen. Voraussetzung der Annahme eines wichtigen Grundes für die Ersetzung des Pflichtverteidigers ist vielmehr, dass konkrete Tatsachen vorgetragen und gegebenenfalls nachgewiesen werden, aus denen sich ergibt, dass eine nachhaltige und nicht zu beseitigende Erschütterung des Vertrauensverhältnisses vorliegt und daher zu besorgen ist, dass die Verteidigung objektiv nicht (mehr) sachgerecht geführt werden kann.

 

Pflichti III: Spätere Umbeiordnung/Auswechselung, oder: „Bekanntmachung“ und „Belehrung“ erfolgt?

© santi_ Fotolia.com

Und als letzte Entscheidung des Tages zum Komplex „Pflichtverteidigung“ dann noch der LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 09.03.2022 – 13 Qs 16/22, den mir der Kollege Lößel aus Alsdorf geschickt hat. Es geht um eine Umbeiordnung/Entpflichtung des anlässlich eines Vorführungstermin beigeordneten Rechtsanwalt.

Das AG hat die Entpflichtung und die Beiordnung des Kollegen Lößel abgelehnt. Auf die Beschwerde sieht das LG das anders und äußert sich zu zwei Fragen, nämlich zum Beginn der Frist des § 143a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StPO und dazu, dass hier diese Frist überhaupt noch nicht zu laufen begonnen hatte wegen des Verstoßes gegen die Belehrungspflicht im Hinblick auf die Auswechslungsmöglichkeit und die Frist. In dem Zusammenhang positioniert sich die Kamamer gegen die Auffassung des Ermittlungsrichters beim BGH:

„(2) Jedoch handelt es sich bei den Anträgen des Angeklagten vom 19.01.2022 und 01.02.2022 durch Rechtsanwalt pp. um Anträge auf Auswechslung des Pflichtverteidigers im hiesigen Verfahren.

Diese sind im Ergebnis fristgerecht i.S.d § 143a Abs. 2 S. 1 Nr. 1 StPO gestellt.

(a) Die Frist des § 143a Abs. 2 S. 1 Nr. 1 StPO beginnt mit der Bekanntgabe der Bestellung des Pflichtverteidigers.

Zwar wurde Rechtsanwalt pp. am 27.12.2021 durch Verfügung des Amtsgerichts Nürnberg im schriftlichen Verfahren bestellt, sodass der Angeklagte spätestens im Termin zur Anhörung nach vorläufiger Festnahme davon Kenntnis erlangte.

Maßgeblich für den Fristbeginn nach § 143a Abs. 2 S. 1 Nr. 1 StPO ist jedoch nicht die tatsächliche Kenntnis, sondern die „Bekanntmachung“. Mit diesem Begriff wird ausweislich des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung zum „Gesetz zur Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung vom 10.12.2019″ auf § 35 StPO Bezug genommen, der die Bekanntgabe regelt (BT-Drs. 19/13829, S. 47, wobei hier noch von einer zweiwöchigen Frist ausgegangen wird).

Ausweislich § 35 Abs. 1 StPO werden Entscheidungen, die in Anwesenheit der davon betroffenen Person ergehen, durch Verkündung bekannt gemacht und auf Verlangen eine Abschrift erteilt, und andere Entscheidungen gem. § 35 Abs. 2 StPO durch Zustellung bekannt gemacht, wobei nur dann eine formlose Mitteilung genügt, wenn die Bekanntmachung der Entscheidung keine Frist in Lauf setzt.

(b) Die Verfügung des Ermittlungsrichters vorn 27.12.2021, mit der Rechtsanwalt pp. zum Pflichtverteidiger bestellt wurde, wurde dem Angeklagten und Rechtsanwalt pp. formlos mitgeteilt. Eine Verkündung der Entscheidung im Anhörungstermin am 27.12.2021 erfolgte nicht. Ausweislich des Protokolls wurde lediglich festgestellt, dass der Angeklagte einen Verteidiger hat.

Da die Bekanntgabe der Pflichtverteidigerbestellung jedoch die Frist des § 143a Abs. 2 S. 1 Nr. 1 StPO in Gang setzt, wäre eine Zustellung der Entscheidung gem. § 35 Abs. 2 S. 1 StPO erforderlich gewesen (so auch OLG Koblenz, Beschluss vom 28.10.2020 – 4 Ws 639/20; im Übrigen heißt es auch im Gesetzesentwurf der Bundesregierung bereits wörtlich: „Mit dem Begriff der Bekanntmachung wird auf § 35 StPO Bezug genommen, so dass sowohl Verkündungen als auch — wegen des lnlaufsetzens der Frist zur Stellung des Antrags künftig erforderliche — Zustellungen hiervon erfasst sind.“).

Für dieses Zustellungserfordernis streitet nach Auffassung der Kammer auch noch ein weiterer Gesichtspunkt.

Unstreitig sind gem. § 35 Abs. 2 StPO insbesondere solche Beschlüsse zuzustellen, die mit der sofortigen Beschwerde angefochten werden können (vgl. MüKoStPOValerius, 1. Aufl. 2014, StPO, § 35 Rn. 25). § 142 Abs. 7 S. 1 StPO regelt die Anfechtbarkeit von gerichtlichen Entscheidungen über die Bestellung eines Pflichtverteidigers mit der sofortigen Beschwerde. § 142 Abs. 7 S. 2 StPO schließt dabei die sofortige Beschwerde aus, wenn der Beschuldigte einen Antrag nach § 143a Abs. 2 S. 1 Nr. 1 StPO stellen kann.

Die Möglichkeit zur Stellung eines solchen Antrages lässt also die grundsätzlich bestehende Möglichkeit der sofortigen Beschwerde entfallen. Die gerichtliche Entscheidung ist mit dem Ziel der Auswechslung des Pflichtverteidigers nach Maßgabe des § 143a Abs. 2 S. 1 Nr. 1 StPO nicht mehr mit der sofortigen Beschwerde anfechtbar, das Ziel der Auswechslung des Pflichtverteidigers kann in diesem Fall (nur) durch den Antrag gem. § 143a Abs. 2 S. 1 Nr. 1 StPO, der ebenfalls fristgebunden ist, erreicht werden. Aus diesem Ausschlussverhältnis zwischen sofortiger Beschwerde und Antrag nach § 143a Abs. 2 S. 1 Nr. 1 StPO ist nach Auffassung der Kammer ebenfalls zu folgem, dass die Entscheidung über die Pflichtverteidigerbestellung gleichermaßen wie bei der Anfechtbarkeit mit der sofortigen Beschwerde gem. § 35 Abs. 2 StPO zuzustellen ist, wenn als einzige Korrekturmöglichkeit der Antrag nach § 143a Abs. 2 S. 1 Nr. 1 StPO statthaft ist.

Bereits aus diesem Grund begann in Ermangelung einer fristauslösenden Zustellung die Drei-Wochen-Frist bislang nicht zu laufen.

(c) Überdies begann die Drei-Wochen-Frist des § 143a Abs. 2 S. 1 Nr. 1 StPO deshalb nicht zu laufen, weil der Angeklagte nicht auf die Möglichkeit der Auswechslung des Pflichtverteidigers und die dabei einzuhaltende Frist hingewiesen wurde.

Die Pflicht, auf dieses Recht hinzuweisen, ergibt sich für die Kammer aus einer entsprechenden Anwendung des § 35a Abs. 1 StPO, die auf gesetzessystematischen Erwägungen beruht.

Aus dem oben dargestellten Verhältnis der sofortigen Beschwerde nach § 142 Abs. 7 S. 1 StPO und dem Antrag nach § 143a Abs. 2 S. 1 Nr. 1 StPO folgt, dass einem Beschuldigten statt der Möglichkeit eines Rechtsmittels mit Devolutiveffekt die Möglichkeit gegeben wird, instanzwahrend einen Antrag auf Auswechslung des Pflichtverteidigers zu stellen. Wenn aber über die Möglichkeit eines befristeten Rechtsmittels gem. § 35a S. 1 StPO belehrt werden muss, dann muss dies auch für den dieses Rechtsmittel ausschließenden, instanzwahrenden befristeten Antrag gem. § 143a Abs. 2 S. 1 Nr. 1 StPO gelten. Denn nur dann, wenn er den entsprechenden Antrag und seine Frist kennt, kann es gerechtfertigt sein, dem Beschuldigten die grundsätzlich bestehende Möglichkeit eines Rechtsmittels zu verwehren (im Ergebnis auch OLG Koblenz, Beschluss vom 28.10.2020 – 4 Ws 639/20, Rn. 15-18).

Demgegenüber kann die Begründung des Ermittlungsrichters am BGH im Beschluss vom 14.09.2020 – Az. 2 BGs 619/20, nicht überzeugen, soweit dieser im Rahmen der Ablehnung eines Antrags auf Wiedereinsetzung in die Frist des § 143a Abs. 2 S. 1 Nr. 1 StPO ausführt, es entstünde bei Ablauf der Frist des § 143a Abs. 2 S. 1 Nr. 1 StPO insoweit kein Rechtsnachteil für den Beschuldigten, als er weiterhin über § 143a Abs. 2 S. 1 Nr. 3 StPO die Auswechslung verlangen könne.

Dies erscheint bereits deshalb unzutreffend, weil § 143a Abs. 2 S. 1 Nr. 3 StPO die substantiierte Darlegung von Tatsachen für das zerrüttete Vertrauensverhältnis/die Unmöglichkeit einer angemessenen Verteidigung zwischen Beschuldigtem und Verteidiger und ggf. deren Glaubhaftmachung erfordert (vgl. BeckOK StPO/Krawczyk, 42. Ed. 1.1.2022, StPO § 143a Rn. 22) und damit deutlich andere und strengere Voraussetzungen hat als der lediglich an den zeitlichen Ablauf bzw. die Benennung eines anderen als den bestellten Pflichtverteidiger anknüpfende § 143a Abs. 2 S. 1 Nr. 1 StPO.

Zudem entfällt mit der Möglichkeit, einen Antrag nach § 143a Abs. 2 S. 1 Nr. 1 StPO zu stellen, auch die Beschwerdemöglichkeit nach § 142 Abs. 7 S. 2 StPO, sodass bei Versäumung der Antragsfrist bereits hierin ein Rechtsnachteil für den Beschuldigten liegt.“

Pflicht III: Rechtsmittel gegen Verteidigerbestellung, oder: Ist die sofortige Beschwerde ausgeschlossen??

© fotomek – Fotolia.com

Und zum Schluss dann noch der OLG Saarbrücken, Beschl. v. 08.07.2021 – 4 Ws 97/21 – zur Frage des Ausschlusses der sofortigen Beschwerde gegen die Beiordnung eines Pflichtverteidigers gem. § 142 Abs. 7 Satz 2 StPO.

Der Untergebrachte wendet sich gegen die Bestellung eines Pflichtverteidigers, er erstrebt quasi die Auswechselung des bestellten Pflichtverteidigers. Das hat die StVK abgelehnt. Dazu dann das OLG:

1. Das Rechtsmittel ist zulässig erhoben.

a) Die sofortige Beschwerde ist zunächst vorliegend nicht gem. § 142 Abs. 7 Satz 2 StPO ausgeschlossen, weil der Untergebrachte einen Antrag nach 143a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StPO stellen könnte.

Nach der letztgenannten Vorschrift ist die Bestellung eines Pflichtverteidigers – durch das mit der Sache befasste Gericht bzw. dessen Vorsitzenden – aufzuheben und ein neuer Pflichtverteidiger u.a. dann zu bestellen, wenn dem Beschuldigten zur Auswahl des Verteidigers nur eine kurze Frist gesetzt wurde, er innerhalb von drei Wochen seit der Bekanntmachung der Beiordnung einen entsprechenden Antrag stellt und dem kein wichtiger Grund entgegensteht. Dabei steht dem Setzen einer kurzen Frist der Fall gleich, dass dem Beschuldigten – wie hier – überhaupt keine Gelegenheit zur Benennung eines zu bestellenden Verteidigers gegeben wurde (Krawczyck, in: BeckOK StPO, 39. Edition, Stand: 01.01.2021, Rn. 10, 11 m.w.N.). Kann der Beschuldigte einen solchen Antrag stellen, ist in § 142 Abs. 7 Satz 2 der Ausschluss der sofortigen Beschwerde bestimmt.

Fraglich erscheint allerdings, wann der Beschuldigte einen solchen Antrag im Sinne der Vorschrift stellen „kann“. Nach Auffassung des Senats ist das nur in denjenigen Konstellationen der Fall, in denen das Rechtsschutzziel des Beschuldigten auf Auswechslung eines bestellten Verteidigers gegen einen bestimmten anderen Verteidiger gerichtet ist (in diesem Sinne wohl auch Hanseatisches OLG Hamburg, Beschluss vom 4. Mai 2021 – 2 Ws 37/21 – Rn. 16 –juris), d.h. er auch mit der sofortigen Beschwerde einen konkreten Verteidigerwechsel begehrt; denn nur in diesen Fällen ist die vom Gesetzgeber ohne nähere Begründung bei der Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/1919 über Prozesskostenhilfe für Verdächtige und beschuldigte Personen in Strafverfahren sowie für gesuchte Personen in Verfahren der Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls (sog. „PKH-Richtlinie“), durch die eigentlich eine Effektivierung des Rechtsschutzes im Bereich der Pflichtverteidigung angestrebt war, vorgesehene Ausnahme unter dem Gesichtspunkt des dann zumindest zunächst fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses zu rechtfertigen (vgl. dazu Jahn, in: Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Aufl., § 140 Rn. 133). Würde man die Ausnahme auch in Fällen wie dem vorliegenden, in denen sich der Beschwerdeführer lediglich gegen die Beiordnung eines bestimmten Verteidigers wendet, ohne jedoch einen anderen Verteidiger konkret zu benennen, der an dessen Stelle treten soll, ebenfalls der Ausnahme des § 142 Abs. 7 S. 2 StPO unterwerfen, so wäre dem Beschuldigten damit faktisch eine Pflicht zur Benennung eines Verteidigers aufgebürdet, die mit § 142 Abs. 5 Satz 1 StPO, der lediglich vorsieht, dass der Beschuldigte hierzu Gelegenheit erhalten muss, nicht in Einklang stünde.

…..

2. Die sofortige Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg, weil das Landgericht dem Untergebrachten keine Gelegenheit gegeben hat, vor der Bestellung des Pflichtverteidigers selbst einen solchen zu bezeichnen, und damit gegen § 142 Abs. 5 StPO verstoßen hat. Dass Rechtsanwalt G. dem Untergebrachten bereits in den letzten beiden Überprüfungsverfahren nach § 67e StGB beigeordnet war, ohne dass dem – soweit für den Senat ersichtlich – ausdrücklich widersprochen worden war, ließ die Verpflichtung des Gerichts, dem Untergebrachten das Bezeichnungsrecht erneut zu gewähren, nicht entfallen (zur Ausgestaltung der früheren Soll-Vorschrift als nunmehr zwingende Regelung durch das Gesetz zur Reform des Rechts der notwendigen Verteidigung vom 10.12.2019 (BGBl. I S. 2128) vgl. Jahn, a.a.O., § 142 Rn. 34 -). beruht auf analoger Anwendung von § 467 Abs. 1 StPO.

Pflichti I: Zweimal BGH, oder: Auswechselung und/oder weiterer Pflichverteidiger

© eyetronic Fotolia.com

Heute dann ein weiterer Tag mit Pflichtverteidigungsentscheidung. Da hat sich mal wieder einiges angesammelt. Das ist so viel, dass ich es thematisch wieder zusammen fassen muss.

Ich beginne den Tag mit zwei BGH-Beschlüssen zum Recht der Pflichtverteidigung. Und zwar einmal zur Frage eines weiteren Verteidigers und einmal zur Auswechselung.

Mit der Frage des weiteren Pflichtverteidigers befasst sich der BGH, Beschl. v. 13.04.2021 – StB 12/21. Das OLG hatte abgelehnt. Der BGH meint dazu:

„Daran gemessen ist der angefochtene Beschluss nicht zu beanstanden. Das Oberlandesgericht ist unter Beachtung der gesetzlichen Voraussetzungen davon ausgegangen, dass zur Sicherung der zügigen Durchführung des Verfahrens die Hinzuziehung eines weiteren Verteidigers nicht erforderlich sei. Es handele sich um einen überschaubaren Verfahrensgegenstand mit in der Rechtsprechung vielfach entschiedenen Problemstellungen, dessen Bearbeitung durch einen Pflichtverteidiger ohne qualitative Einbußen für die Verteidigung der Angeklagten gewährleistet werden könne. Eine Überschreitung des dem Vorsitzenden des Tatgerichts zustehenden Beurteilungsspielraums oder etwaige Ermessensfehler sind weder nach der Aktenlage noch aufgrund des Beschwerdevorbringens ersichtlich.

Etwas anderes folgt nicht aus seinem Schreiben an die Angeklagte vom 10. Februar 2021, in dem er im Rahmen der ausstehenden Entscheidung, „ob […] ein weiterer (zweiter) Pflichtverteidiger beigeordnet werden soll“, um entsprechende Benennung gebeten hat. Vielmehr wird daraus deutlich, dass über die grundsätzliche Erforderlichkeit noch zu befinden ist. Soweit in der Beschwerdebegründung Bedenken gegen die bestellte Pflichtverteidigerin vorgebracht werden, betreffen diese im Ergebnis nicht die Notwendigkeit eines zusätzlichen Pflichtverteidigers, sondern die – bereits abschlägig beschiedene (vgl. BGH, Beschluss vom 24. März 2021 – StB 9/21) – Frage nach einem Verteidigerwechsel gemäß § 143a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StPO. Schließlich ist die Hinzuziehung eines Ergänzungsrichters (§ 192 Abs. 2 GVG) für die hier in Rede stehende Entscheidung ebenfalls nicht maßgeblich, da für die Wahrscheinlichkeit des Eintritts eines Ergänzungsfalls (s. dazu BGH, Beschluss vom 2. November 2010 – 1 StR 544/09, juris Rn. 42) insbesondere in der Person eines beteiligten Richters liegende, für die Sicherung der Verteidigung indes nicht erhebliche Umstände in den Blick zu nehmen sein können, wie beispielsweise bevorstehender Ruhestand, Schwangerschaft, zu erwartende Versetzung oder Erkrankung (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 29. November 2005 – 2 BvR 1737/05, BVerfGK 6, 384, 394; vom 5. Oktober 2006 – 2 BvR 1815/06, BVerfGK 9, 306, 313; OLG Hamm, Beschluss vom 11. August 2016 – III-3 Ws 304-305/16, juris Rn. 36 mwN).“

Und dann der BGH, Beschl. v. 24.03.2021 – StB 9/21 – zur Auswechselung des Pflichtverteidigers. Auch der Antrag hatte keinen Erfolg:

„a) Eine Störung des Vertrauensverhältnisses ist aus Sicht eines verständigen Angeklagten zu beurteilen und von diesem oder seinem Verteidiger substantiiert darzulegen (vgl. BGH, Beschluss vom 26. Februar 2020 – StB 4/20, NStZ 2021, 60 Rn. 6 f. mwN). Insoweit kann zwar von Bedeutung sein, wenn ein Pflichtverteidiger zu seinem inhaftierten Mandanten über einen längeren Zeitraum überhaupt nicht in Verbindung tritt (vgl. etwa OLG Düsseldorf, Beschluss vom 11. November 2010 – III-1 Ws 290/10, NStZ-RR 2011, 48; OLG Braunschweig, Beschluss vom 6. September 2012 – Ws 268/12, StV 2012, 719; HansOLG Hamburg, Beschluss vom 2. Juni 1972 – 2 Ws 195/72, MDR 1972, 799; weitergehend für eine Jugendliche OLG Köln, Beschluss vom 2. Februar 2007 – 2 Ws 51/07, StraFo 2007, 157). Allerdings liegt es grundsätzlich im pflichtgemäßen Ermessen des Verteidigers, in welchem Umfang und auf welche Weise er mit dem Beschuldigten Kontakt hält (KG, Beschluss vom 9. August 2017 – 4 Ws 101/17, juris Rn. 12; vgl. auch SächsVerfGH, Beschluss vom 21. Februar 2013 – Vf. 107-IV-12 [HS], juris Rn. 11, 32 f.). Die unverzichtbaren Mindeststandards müssen jedenfalls gewahrt sein (s. BGH, Beschlüsse vom 30. September 2008 – 5 StR 251/08, NStZ 2009, 465; vom 18. Januar 2018 – 4 StR 610/17, NStZ-RR 2018, 84 mwN).

Daran gemessen ist nicht von einem endgültigen Vertrauensverlust auszugehen. Nach dem Vorbringen der Angeklagten hat die Pflichtverteidigerin sie nach der Festnahme am 28. Juli 2020 bis zum 16. Februar 2021 drei Mal – im August, September und Dezember 2020 – in der Untersuchungshaft besucht. Hinzu kommt, dass die Angeklagte selbst keinen weitergehenden Kontakt zu ihrer Verteidigerin aufgenommen oder einen solchen erbeten hat. Dass die Verteidigerin nach Zustellung der Anklageschrift im Januar 2021 nicht sofort von sich aus das Gespräch mit der Angeklagten gesucht hat, führt nach den konkreten Umständen zu keinem anderen Ergebnis. Zum einen entspricht die Anklageschrift im Wesentlichen dem im Haftbefehl ausgeführten Tatvorwurf (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Februar 2021 – AK 7/21, juris Rn. 2). Zum anderen hat die Angeklagte unabhängig davon bereits im Januar 2021 bei Gericht um einen Pflichtverteidigerwechsel gebeten. Soweit sie im Folgenden erklärt hat, keine Besuche mehr durch ihre Pflichtverteidigerin zu wünschen, kann sie deren Austausch hierdurch nicht einseitig erzwingen (s. allgemein OLG Hamm, Beschluss vom 31. März 2009 – 2 Ws 89/09, juris Rn. 16 mwN). Im Übrigen berührt es das Vertrauensverhältnis zwischen der Angeklagten und der Pflichtverteidigerin nicht, dass ein weiterer Verteidiger mit dieser zusammen eine Verteidigung für „unmöglich“ hält.“