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Pflicht I: Nichterscheinen des Pflichtverteidigers in der HV, oder: Auswechselung?

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Heute dann mal wieder ein Pflichtverteidigungstag. Und den eröffne ich mit dem OLG Dresden, Beschl. v. 11.05.2020 – 1 Ws 120/20. Er behandelt eine Problematik, mit der man es in der Praxis i.d.R. nicht so häufig zu tun hat. Nämlich Maßnahmen nach § 145 Abs. 1 StPO.

Gegen die Angeklagte ist beim LG Görlitz ein Verfahren u.a. wegen Raubes anhängig. Die (Pflicht)Verteidigerin der Angeklagten hatte beantragt, „zur Absicherung des Verfahrens und der Verteidigung der Angeklagten als zweiten Pflichtverteidiger Herrn Rechtsanwalt pp2 zu bestellen“. Der Vorsitzende der Strafkammer hat den Antrag abgelehnt. Hiergegen hat die Angeklagte Beschwerde eingelegt.

Am ersten Hauptverhandlungstag am 03.04.2020 ist die Verteidigerin nicht erschienen. Mit Schriftsatz vom gleichen Tage hat sie mitgeteilt, dass sie bis einschließlich 06.042020 arbeitsunfähig krankgeschrieben sei und deshalb an der Hauptverhandlung krankheitsbedingt nicht teilnehmen könne. Sie beantrage jedoch aufgrund der geänderten Umstände die Beiordnung von Rechtsanwalt pp2 „als zusätzlichen Verteidiger zur Absicherung des Verfahrens“. Zum Hauptverhandlungstermin vom 03.04.2020 war Rechtsanwalt pp2 als Verteidiger der Angeklagten erschienen. Auf Frage des Vorsitzenden erklärte er, als Wahlverteidiger der Angeklagten tätig zu sein. Darüber hinaus sei er vorbereitet und könne zur Sache verhandeln.

Gleichzeitig hat Rechtsanwalt pp2 beantragt, ihn der Angeklagten als weiteren Verteidiger beizuordnen. Das LG hat dann unter Abberufung der Verteidigerin Pp1 Rechtsanwalt pp2 als Verteidiger beigeordnet. Dagegen die Beschwerde der Angeklagten, die beim OLG Erfolg hatte:

„Die Aufhebung der Beiordnung von Rechtsanwältin Pp1 konnte nicht auf § 145 Abs. 1 StPO gestützt werden. Maßnahmen nach § 145 Abs. 1 StPO können nur angeordnet werden, wenn der Angeklagte in der Hauptverhandlung nicht verteidigt ist. Hat der Angeklagte mehrere Verteidiger, genügt es, wenn einer von ihnen die Verteidigung in der Hauptverhandlung führt (Lüderssen/Jahn in LR, StPO, 26. Aufl., § 145 Rdnr. 6; Wohlers in SK-StPO. 4. Aufl., § 145 Rdnr. 5; Beulke in Satzger/Schluckebier/Widmaier, StPO, 4. Aufl., § 145 Rdnr. 6). Von einem Ausbleiben im Sinne des § 145 Abs. 1 StPO ist deshalb nur dann auszugehen, wenn entweder sämtliche Verteidiger nicht zum Termin erscheinen oder die erschienenen Verteidiger ohne den Fehlenden nicht zu einer Verteidigung fähig oder willig sind.

Vorliegend ist zwar die bisherige Pflichtverteidigerin, Rechtsanwältin pp1., zum Hauptverhandlungstermin am 03. April 2020 nicht erschienen, weil sie erkrankt war. Im Hauptverhandlungstermin anwesend war jedoch Rechtsanwalt pp2, der erklärte, er sei Wahlverteidiger der Angeklagten und könne, da er vorbereitet sei, „heute zur Sache verhandeln“. Dass er erklärt habe, er werde für den Fall, dass er nicht beigeordnet werde, sein Wahlmandat niederlegen, lässt sich weder der angefochtenen Verfügung noch dem Hauptverhandlungsprotokoll entnehmen. Damit war die Angeklagte am 3. April 2020 durch Rechtsanwalt pp2 ausreichend verteidigt. Ein Fall des § 145 Abs. 1 Satz 1 StPO, der die Beiordnung eines Verteidigers erforderlich machte, lag damit nicht vor.

Die Aufhebung der Beiordnung von Rechtsanwältin pp1 unter gleichzeitiger Beiordnung von Rechtsanwalt pp2 richtete sich somit nach den Vorschriften des § 143a n.F. StPO. Nach Abs. 1 dieser Vorschrift könnte zwar die Bestellung des Pflichtverteidigers aufzuheben sein, wenn der Beschuldigte einen anderen Verteidiger gewählt hat und dieser die Wahl angenommen hat. Dies gilt jedoch nicht, wenn zu besorgen ist, dass der neue Verteidiger das Mandat demnächst niederlegen und seine Beiordnung als Pflichtverteidiger beantragen wird, oder soweit die Aufrechterhaltung der Bestellung aus den Gründen des § 144 StPO (zusätzliche Pflichtverteidiger) erforderlich ist. Vorliegend hat Rechtsanwalt pp2 in der Hauptverhandlung vom 03. April 2020 seine Beiordnung als weiterer Verteidiger – neben Rechtsanwältin pp1 – beantragt. Die Aufhebung der Bestellung von Rechtsanwältin pp1 war somit von Rechtsanwalt pp2 nicht beabsichtigt. Sie konnte deshalb nicht auf § 143a Abs. 1 StPO n. F. gestützt werden. Dass andere Gründe vorliegen, die die Aufhebung der Beiordnung von Rechtsanwältin pp1, zu der sie im Übrigen auch zuvor hätte angehört werden müssen, rechtfertigen könnten, lässt sich weder der angefochtenen Verfügung entnehmen noch ist dies sonst ersichtlich. Insbesondere werden in der Verfügung des Vorsitzenden Richters keinerlei Gründe im Sinne des § 143a Abs. 2 StPO n. F., die eine Auswechslung des Pflichtverteidigers begründen könnten, angegeben.

Da somit kein Grund für die Aufhebung der Beiordnung von Rechtsanwältin pp1i vorlag, ist die Verfügung des Vorsitzenden vom 03. April 2020 insoweit aufzuheben. Dies hat zwar zur Folge, dass der Angeklagten nunmehr zwei Verteidiger beigeordnet sind, obwohl der Senat die Auffassung des Landgerichts teilt, dass hier ein Fall für die Bestellung eines zweiten Verteidigers nicht vorgelegen hat. Da die mit Verfügung des Vorsitzenden Richters angeordnete Beiordnung von Rechtsanwalt jedoch nicht angefochten ist, sah sich der Senat nicht in der Lage dessen Beiordnung aufzuheben.“

Pflichti II: Erschüttertes Vertrauensverhältnis? oder: Egal, hier wird weiter verteidigt

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Die zweite Pflichtverteidigungsentscheidung kommt mit dem BGH, Beschl. v. 05.03.2020 – StB 6/20 – vom BGH. In meinen Augen zumindest fraglich/diskussionswürdig.

Es geht um die Auswechselung des Pflichtverteidigers wegen Erschütterung des Vertrauensverhältnisses.

Das OLG Celle führt u.a. gegen den Angeklagten eine Hauptverhandlung wegen des Vorwurfs einer bzw. mehrerer Taten der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Ausland. Die Pflichtverteidiger des Angeklagten haben beantragt, ihre Bestellung zu Pflichtverteidigern zurückzunehmen, weil das Vertrauensverhältnis zu dem Angeklagten vollständig zerrüttet sei. Diesen Antrag hat der Vorsitzende des mit der Sache befassten Strafsenats des OLG nach vorheriger Anhörung des Angeklagten, der erklärt hat, er gehe nicht von einem zerrütteten Vertrauensverhältnis aus, abgelehnt. Hiergegen wenden sich die Pflichtverteidiger des Angeklagten mit ihren (sofortigen) Beschwerden, die sie im Wesentlichen damit begründen, dass der Angeklagte ohne Absprache mit ihnen seine Verteidigungsstrategie geändert und nach einer bestreitenden Einlassung im April 2018 am 180. Hauptverhandlungstag, am 11.02.2020, nunmehr ein Geständnis abgelegt habe. Anfragen der Verteidiger, dies vorher zu besprechen, habe er abschlägig beschieden und dadurch zum Ausdruck gebracht, dass er nicht bereit sei, mit den bestellten Pflichtverteidigern zusammenzuarbeiten, deren Rechtsrat nicht annehmen werde und eine „wirkliche“ Verteidigertätigkeit nicht gewünscht sei. Damit sei der Verteidigung „jede Basis entzogen“.

Der BGH hat die sofortigen Beschwerden zwar als zulässig, in der Sache jedoch als unbegründet angesehen.

Hier die Leitsätze der Entscheidung des BGH:

1. Der Pflichtverteidiger, der sich gegen die Ablehnung der von ihm beantragten Rücknahme seiner Beiordnung wendet, ist beschwerdeberechtigt im Sinne von § 304 Abs.2 StPO.

2. Das Vertrauensverhältnis zwischen einem Beschuldigten und seinem Pflichtverteidiger wird nicht allein dadurch nachhaltig und endgültig erschüttert, dass sich der Beschuldigte in Abkehr von der bisherigen Verteidigungsstrategie dazu entschließt, ein Geständnis abzulegen.

Nach dem BGH, Besschl. v. 26.02.2020 – StB 4/20, – ist das innerhalb kurzer Zeit die nächste Entscheidung des BGH, die sich mit dem durch das „Gesetz zur Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung“ v. 10.12.2019 (BGBl I. S. 2128) eingefügten § 143 StPO, der die Auswechselung des Pflichtverteidigers regelt, befasst.

Auch hier: Der BGH schreibt die Rechtsprechung zum „alten Recht“ der Auswechselung des Pflichtverteidigers fort. Dem kann man ist grundsätzlich zustimmen. Allerdings und da steckte m.E. die Brisanz der Entscheiunf: Man hätte sich vielleicht doch ein paar Worte des BGH zu dem Dilemma gewünscht, in dem die Pflichtverteidiger stecken, die einen Angeklagten verteidigen müssen, der ihrem Rat nicht folgt. Warum und wieso bei dem Angeklagten nach drei Jahren der Meinungsumschwung gekommen ist, bleibt im Dunkeln. Die Pflichtverteidiger können und dürfen dazu – wenn sie überhaupt etwas wissen – nichts vortragen. Dem steht ihre Verschwiegenheitspflicht entgegen. Aber weiter verteidigen sollen/müssen sie. Na ja, das könnte man auch anders sehen. Vielleicht hätte man es auch anders sehen müssen.

StPO I: Auswechselung des Pflichtverteidigers, oder: BGH legt die Hürden hoch….

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Heute dann ein verfahrensrechtlicher Tag. In dem Zusammenhang vorab:: Man darf gespannt sein, wie es wegen der Coronakrise weiter geht bei den Gerichten. Ich denke man wird/muss den Betrieb zurückfahren. Denn man kann nicht einerseits den Menschen Verbote auferlegen (Restaurants, Geschäfte pp) und dann andererseits bei der Justiz normal weiter machen. Ein deutliches Zeichen hat da ja auch schon das BVerfG gesetzt, das einen Verkündungstermin verlegt hat. Wenn man aber schon Verkündungstermine verlegt, muss das erst recht für Verhandlungstermin gelten. Ausnahmen müssen und werden m.E. natürlich bei Haftsachen gelten und man wird wahrscheinlich auch „Umfangsverfahren“ auf „Sparflamme“ in den Grenzen des § 229 StPO fortführen Gerichten.

Und: Ich werde hier weiter machen – warum auch nicht. Allerdings nur so lange, wie ich Material = Entscheidungen habe. Im Moment sieht es zwar noch ganz gut aus, aber ich habe immer Interesse an neuen Entscheidungen. Also bitte ggf. schicken.

So, und dann in medias res, und zwar zunächst mit dem BGH, Beschl. v. 26.02.2020 – StB 4/20 – zur Frage der Auswechselung des Pflichtverteidigers. Zu entscheiden war über folgenden Sachverhalt:

„Das Oberlandesgericht [Hamburg] führt gegen den Angeklagten eine Hauptverhandlung wegen des Vorwurfs der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland in zwei Fällen, dabei in einem Fall in Tateinheit mit der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat, im anderen Fall in Tateinheit mit Beihilfe zu einer solchen Vorbereitung. Der Angeklagte hat beantragt, die Bestellung des ihm auf seinen Antrag am 17. April 2019 bestellten Pflichtverteidigers Dr. E. aufzuheben und ihm Rechtsanwalt G. als neuen Pflichtverteidiger zu bestellen, da das Vertrauensverhältnis zu dem bisherigen Pflichtverteidiger unheilbar zerrüttet sei. Diesen Antrag hat der Vorsitzende des mit der Sache befassten Strafsenats des Oberlandesgerichts abgelehnt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner sofortigen Beschwerde, die er im Wesentlichen damit begründet, dass fortlaufend nicht nur die abstrakte, sondern die konkrete Gefahr einer Interessenkollision in der Person des Pflichtverteidigers bestehe. Diese beruhe darauf, dass der Verteidiger zuvor einen in der Anklageschrift benannten Zeugen verteidigt habe. Hierfür sei unerheblich, dass sich der Zeuge bislang auf ein Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 StPO berufen habe.“

der BGh hat die sofortige Beschwerde des Angeklagten verworfen:

„Die nach § 143a Abs. 4, § 304 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 Nr. 1 StPO zulässige sofortige Beschwerde ist unbegründet. Das Oberlandesgericht hat den Antrag auf Verteidigerwechsel zu Recht abgelehnt.

1. Der Vorsitzende des Oberlandesgerichtssenats hat seine Zuständigkeit zutreffend gemäß § 142 Abs. 3 Nr. 3 StPO angenommen. Da es sich hierbei um eine allgemeine Regelung über die Zuständigkeit handelt, gilt sie auch für Entscheidungen über den Pflichtverteidigerwechsel. Hierfür spricht zudem, dass die Norm inhaltlich an § 141 Abs. 4 StPO aF angeknüpft und insofern die Zuständigkeit des Vorsitzenden auch für Entpflichtungsanträge anerkannt war (vgl. BGH, Beschluss vom 18. November 2003 – 1 StR 481/03, NStZ 2004, 632 Rn. 5; BT-Drucks. 19/13829 S. 41).

2. Die Voraussetzungen für eine Aufhebung der Pflichtverteidigerbestellung von Rechtsanwalt Dr. E. liegen nicht vor.

Weder ist das Vertrauensverhältnis zwischen dem Pflichtverteidiger und dem Angeklagten endgültig zerstört, noch ist aus einem sonstigen Grund keine angemessene Verteidigung des Angeklagten gewährleistet (s. § 143a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StPO). Auch im Übrigen bestehen keine Gründe zur Aufhebung der Verteidigerbestellung.

a) Nach § 143a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StPO ist die Bestellung des Pflichtverteidigers aufzuheben und ein neuer Pflichtverteidiger zu bestellen, wenn das Vertrauensverhältnis zwischen Verteidiger und Beschuldigtem endgültig zerstört oder aus einem sonstigen Grund keine angemessene Verteidigung des Beschuldigten gewährleistet ist. Der Gesetzgeber verfolgt mit dieser Vorschrift, die am 13. Dezember 2019 in Kraft getreten ist (BGBl. I S. 2128, 2130, 2134), das Ziel, zwei von der ständigen obergerichtlichen Rechtsprechung anerkannte Fälle des Rechts auf Verteidigerwechsel zu normieren. Insofern kann für die Frage, wann im Einzelnen eine endgültige Zerstörung des Vertrauensverhältnisses zu bejahen ist, auf die in dieser Rechtsprechung dargelegten Grundsätze zurückgegriffen werden (s. BT-Drucks. 19/13829 S. 48).

Danach ist anerkannt, dass Maßstab für die Störung des Vertrauensverhältnisses die Sicht eines verständigen Angeklagten und eine solche von diesem oder seinem Verteidiger substantiiert darzulegen ist (vgl. BGH, Urteile vom 26. August 1993 – 4 StR 364/93, BGHSt 39, 310, 314 f.; vom 24. Februar 2016 – 2 StR 319/15, NStZ 2017, 59, 61; KG, Beschluss vom 9. August 2017 – 4 Ws 101/17, juris Rn. 10 mwN; s. auch BVerfG, Beschluss vom 25. September 2001 – 2 BvR 1152/01, NJW 2001, 3695, 3697 mwN).

Unabhängig davon kann ein konkret manifestierter Interessenkonflikt einen Grund dafür bieten, die bestehende Bestellung aufzuheben, wenn ansonsten die mindere Effektivität des Einsatzes dieses Verteidigers für seinen Mandanten zu befürchten ist (s. BGH, Urteil vom 11. Juni 2014 – 2 StR 489/13, BGHR StPO § 142 Abs. 1 Auswahl 11 Rn. 33 mwN; Beschluss vom 15. Januar 2003 – 5 StR 251/02, BGHSt 48, 170, 173). Mit Blick auf die Ausgestaltung des Verbots der Mehrfachverteidigung nach § 146 StPO hat der Gesetzgeber in der sukzessiven Verteidigung von mehreren derselben Tat beschuldigten Personen keine die Verteidigung im Allgemeinen hindernde Interessenkollision gesehen (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Januar 2003 – 5 StR 251/02, BGHSt 48, 170, 173 f.; BT-Drucks. 10/1313 S. 22). Indes steht eine Mandatsbeendigung einem etwaigen Interessenkonflikt nicht grundsätzlich entgegen (vgl. BGH, Urteil vom 11. Juni 2014 – 2 StR 489/13, NStZ 2014, 660 Rn. 38; Beschluss vom 15. November 2005 – 3 StR 327/05, BGHR StPO § 142 Abs. 1 Auswahl 10). Ob ein solcher vorliegt, ist unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls zu prüfen und objektiv zu bestimmen (BGH, Urteile vom 11. Juni 2014 – 2 StR 489/13, BGHR StPO § 142 Abs. 1 Auswahl 11 Rn. 35; vom 23. April 2012 – AnwZ (Brfg) 35/11, NJW 2012, 3039, 3040).

b) Daran gemessen ist ein Verteidigerwechsel auf der Grundlage des derzeitigen Sachstandes nicht erforderlich.

aa) Ein konkreter Interessenkonflikt in Bezug auf die bereits beendete Verteidigung des Zeugen W. und die Verteidigung des Angeklagten be- steht nicht.

(1) Die Verteidigung des Zeugen einerseits und des Angeklagten andererseits hatte nicht denselben Sachverhalt als maßgeblichen Verfahrensgegenstand (vgl. – zu § 356 StGB – BGH, Urteil vom 25. Juni 2008 – 5 StR 109/07, BGHSt 52, 307 Rn. 20).

Dem Angeklagten wird die mitgliedschaftliche Beteiligung am „Islamischen Staat [im Irak und Syrien]“ seit November 2013 in zwei Fällen in Tateinheit mit weiteren Delikten zur Last gelegt. Im Anklagesatz sind insoweit eine Ausreise des Angeklagten nach Syrien am 21. November 2013, seine anschließende Ausbildung als Kämpfer in Syrien sowie eine Vermittlung im April 2014 bei der Ausreise von M. aufgeführt. Demgegenüber wurde der Zeu- ge am 15. Februar 2018, rechtskräftig seit dem 7. Juni 2018, wegen Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat und wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung verurteilt. Das Urteil hatte – entsprechend der zugrundeliegenden Anklage – Widerstandshandlungen am 3. März 2017 und eine Ausreise auf dem Landweg Richtung Syrien am 7. April 2017 zum Gegenstand. Der Angeklagte findet weder in der den Zeugen betreffenden Anklageschrift noch im schriftlichen Urteil Erwähnung.

(2) Das frühere Verteidigerverhältnis überschneidet sich auch nicht in anderer Weise mit der Zeugenaussage.

Der Zeuge wurde im gegen den jetzigen Angeklagten geführten Ermittlungsverfahren am 8. Mai 2019 vernommen, mithin zu einem Zeitpunkt, als das gegen ihn geführte Strafverfahren seit beinahe einem Jahr rechtskräftig abgeschlossen war. Die Vernehmung befasste sich unter anderem mit der gemeinsamen Zugehörigkeit zu einer islamistischen („Daula-„)Gruppe in den Jahren 2016 und 2017. Die Angaben des Zeugen werden im wesentlichen Ergebnis der gegen den Angeklagten erhobenen Anklageschrift als ein Beleg neben anderen Beweismitteln für das Bestehen der Gruppe und die Bezeichnung des Angeklagten als “ “ angeführt.

Bei der etwaigen gemeinsamen Gruppenzugehörigkeit handelte es sich für den Zeugen um einen vor oder nach dem eigentlichen Tatgeschehen liegenden Aspekt, nicht aber um den Kern der damals unterbreiteten Lebensverhältnisse. Diese sind, wie dargelegt, ihrerseits nicht Gegenstand der hiesigen Anklagevorwürfe.

Etwas anderes ergibt sich nicht daraus, dass in der Hauptverhandlung ein umfassendes Auskunftsverweigerungsrecht des Zeugen (§ 55 Abs. 1 StPO) angenommen worden ist; denn ein solches setzt allgemein die Gefahr der Strafverfolgung voraus. Grundsätzlich kann es nur in dem Umfang greifen, in welchem die Befragung sich auf Vorgänge richtet, die im Verhältnis zu den abgeurteilten Geschehen andere Taten im verfahrensrechtlichen Sinn darstellen würden (s. im Einzelnen BGH, Urteile vom 19. Dezember 2006 – 1 StR 326/06, NStZ 2007, 278 Rn. 6; vom 6. April 2017 – 3 StR 5/17, NStZ 2017, 546, 547). Mithin beinhaltet die Annahme eines Auskunftsverweigerungsrechts gerade keinen Hinweis darauf, dass die abgeurteilten Taten des Zeugen mit den nunmehr angeklagten in verfahrensrechtlichem Zusammenhang stehen.

(3) Im Übrigen ist nicht ohne Weiteres ersichtlich, dass die frühere Verteidigung des Zeugen und die nunmehrige Verteidigung des Angeklagten gegenläufige Interessen berühren. Im Verfahren gegen den jetzigen Zeugen bestand kein Tatvorwurf gegen den hiesigen Angeklagten; dieser war für die vor allem auf geständigen Einlassungen beruhende Verurteilung des Zeugen ohne Belang.

Das frühere Mandatsverhältnis hindert den Pflichtverteidiger nicht daran, sich unter Beachtung seiner Verschwiegenheitspflicht mit der den Angeklagten potentiell belastenden Aussage des Zeugen kritisch auseinanderzusetzen. Dies gilt sowohl dann, wenn der Zeuge in der Hauptverhandlung Angaben machen sollte, als auch für den Fall, dass seine frühere Aussage anderweitig in die Hauptverhandlung eingeführt wird. Besondere Umstände, nach denen sich konkret anderes ergibt (so etwa für das im Wesentlichen einzige Beweismittel, das für die Überführung des Angeklagten von ausschlaggebender Bedeutung ist, BGH, Beschlüsse vom 15. November 2005 – 3 StR 327/05, BGHR StPO § 142 Abs. 1 Auswahl 10; vom 15. Januar 2003 – 5 StR 251/02, BGHSt 48, 170, 176), sind nicht gegeben.

bb) Das Vertrauensverhältnis zwischen Rechtsanwalt Dr. E. und dem Angeklagten ist, wie bereits vom Oberlandesgericht im Einzelnen zutreffend dargelegt, aus Sicht eines verständigen Angeklagten nicht endgültig zerstört.

Da die frühere Verteidigung des Zeugen aus den zuvor erörterten Gründen keinen konkreten Interessenkonflikt zur Folge hat, besteht für einen verständigen Angeklagten insofern kein Anlass, dem Pflichtverteidiger das Vertrauen zu entziehen.

Soweit der Angeklagte einen Vertrauensbruch darin sieht, dass ihm Rechtsanwalt Dr. E. den Ausgang des gegen den Zeugen geführten Ver- fahrens verschwiegen habe, reicht dies für eine Entpflichtung ebenfalls nicht aus. Die Verurteilung des Zeugen ist bereits aus der Anklageschrift zu entnehmen, die dem Angeklagten im September 2019 übersandt worden ist. Angesichts der eher nachrangigen Bedeutung des Zeugen für die gegen den Angeklagten erhobenen Vorwürfe und der im angefochtenen Beschluss näher aufgezeigten Bezüge des Angeklagten zu dem gegen den Zeugen geführten Strafverfahren ergibt sich selbst dann keine endgültige Zerstörung des Vertrauensverhältnisses, wenn der Verteidiger den Angeklagten nicht von sich aus über Einzelheiten des damaligen Verfahrens, insbesondere die Hintergründe einer Verständigung (§ 257c StPO), sowie das vorangegangene Mandat in Kenntnis gesetzt hat.

cc) Da kein Grund für eine Aufhebung der Bestellung von Rechtsanwalt Dr. E. besteht, bedarf es keiner weiteren Ausführungen dazu, dass der beantragten Bestellung von Rechtsanwalt G. gemäß § 143a Abs. 2 Satz 2, § 142 Abs. 5 Satz 3 Halbsatz 2 StPO die von ihm mitgeteilten Terminkollisionen entgegenstehen könnten.“

Die Hürden für den Pflichtverteidigerwechsel liegen also nach wie vor hoch bzw. es muss schon einiges passieren bzw. passiert sein, bevor ausgewechselt wird. Hier reichte dann noch nicht einmal, dass der Verteidiger zuvor einen potentiellen Belastungszeugen vertreten hat.

Pflichti I: Auswechselung des Pflichtverteidigers, oder: Vertrauensverhältnis ist nicht erforderlich

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Heute dann mal wieder drei Pflichtverteidigungsentscheidungen.

Zunächst stelle ich den OLG Koblenz, Beschl. v. 10.12.2018 – 2 Ws 698/18 – vor, den mir der Kollege Scheffler aus Bad Kreuznach vor einiger Zeit übersandt hat. Das OLG hat über die Auswechselung des dem Angeklagaten beigeordneten Pflichtverteidiger gegen seinen (neuen) Wahlverteidiger entschieden und hat die – mit dem LG – abgelehnt. Begründung:

„2. Eine Entpflichtung des Pflichtverteidigers käme nur in Betracht, wenn Umstände vorlägen, die den Zweck der Pflichtverteidigung, dem Untergebrachten einen geeigneten Beistand zu sichern und einen ordnungsgemäßen Verfahrensablauf zu gewährleisten, ernsthaft gefährden wür­den (vgl. BVerfGE 39, 238, 244), insbesondere wenn das Vertrauensverhältnis zwischen dem Un­tergebrachten und dem Verteidiger endgültig und nachhaltig erschüttert und deshalb zu besorgen ist, dass die Verteidigung objektiv nicht (mehr) sachgerecht geführt werden kann (BVerfG NJW 2001, 3695, 3697; BGH NStZ 2004, 632, 633; Senat aa0.). Einen wichtigen Grund in diesem Sin­ne hat das Landgericht zu Recht verneint und dieser ergibt sich weder aus dem Beschwerdevor­bringen noch aus der Stellungnahme auf das Votum der Generalstaatsanwaltschaft.

Soweit die Beschwerde rügt, dass ein Vertrauensverhältnis zwischen dem Angeklagten und dem Pflichtverteidiger nicht entstehen konnte, ist dies unerheblich, da für die Bestellung eines Pflicht­verteidigers ein solches keine Voraussetzung ist. Erst das Vorliegen von Gründen, die ein Vertrauensverhältnis ausschließen oder es endgültig und nachhaltig erschüttern, kann die Entbindung rechtfertigen, da in diesem Fall eine sachgerechte Verteidigung nicht gewährleistet wäre. Derartige Gründe sind indes nicht ersichtlich. Allein die Kontaktaufnahme und die Bestellung des Wahlverteidigers und dessen vorgetragener Kontakt mit dem Angeklagten schließt ein Vertrauensverhältnis zwischen dem Angeklagten und dem Pflichtverteidiger nicht aus. Die Gründe für die unterbliebene Kontaktaufnahme vor der erstinstanzlichen Verhandlung beruhten, wie das Landge­richt mit zutreffender Begründung dargelegt hat und worauf der Senat Bezug nimmt, nicht auf ei­nem Verschulden des Pflichtverteidigers. Das rechtmäßige Verhalten kann einen Vertrauensverlust nicht begründen. Auch für den Zeitraum zwischen dem erstinstanzlichen Urteil und der zunächst für den 29. November 2018 anberaumten Berufungsverhandlung ist kein Fehlverhalten des Pflichtverteidigers ersichtlich, welches seine Abberufung begründen könnte. Ein Kontakt mit dem Angeklagten war nach der Stellungnahme des Pflichtverteidigers vom 12. Oktober 2018 (BI. 206 d. A.) rechtzeitig geplant und durchaus möglich. Zudem ist ein vorheriges Beratungsbedürfnis des Angeklagten weder dargetan noch ersichtlich. Eine vorherige Übersendung des Urteils an den Angeklagten war entgegen dem Beschwerdevorbringen nicht erforderlich, da das Amtsgericht dem Angeklagten bereits eine Ausfertigung übermittelt hatte (BI. 124 d. A.).

Ferner stellt die Empfehlung und Entscheidung für eine Berufung, auch im Hinblick auf eine ver­meintlich begründete Verfahrensrüge, keine Fehlberatung dar. Tragende Tatsachen für die ange­deutete Rüge eines Verstoßes gegen den Unmittelbarkeitsgrundsatz (§ 250 StPO) sind nicht dargelegt, soweit lediglich unter Bezugnahme auf das Protokoll zitiert wird: „Die polizeiliche Verneh­mung des Zeugen G. vom 11.1.18 soll gem.§ 251 Abs. 1 Nr. 2 StPO verlesen werden …“.

Zudem findet in der Berufung eine vollständige Überprüfung in tatsächlicher Hinsicht statt und die Möglichkeit einer Revision gegen die Berufungsentscheidung bleibt erhalten….“.

Insoweit und auch wegen der weiteren Begründung – Stichwort: Nur ausnahmsweise zwei Verteidiger – nichts Besonderes und das Übliche. Na ja. Wirklich? Nun m.E. nicht so ganz. Denn den Satz: „Soweit die Beschwerde rügt, dass ein Vertrauensverhältnis zwischen dem Angeklagten und dem Pflichtverteidiger nicht entstehen konnte, ist dies unerheblich, da für die Bestellung eines Pflicht­verteidigers ein solches keine Voraussetzung ist. Erst das Vorliegen von Gründen, die ein Vertrauensverhältnis ausschließen oder es endgültig und nachhaltig erschüttern, kann die Entbindung rechtfertigen, da in diesem Fall eine sachgerechte Verteidigung nicht gewährleistet wäre.“ ist m.E. – gelinde ausgedrückt – schon bemerkenswert. Abgesehen davon, dass er m.E. einen Zirkelschluss enthält – aber Zirkelschlüsse interessieren die OLG nicht – halte ich die Ansicht des OLG zum Vertrauensverhältnis zwischen dem Angeklagten und dem (Pflicht)Verteidiger schon für „bemerkenswert“. Aber auch das interessiert die OLG nicht.

Gebührenverzicht des Pflichtverteidigers? – ja, das geht….

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Ich habe schon häufiger über die mit der Auswechselung/Umbeiordnung des Pflichtverteidigers zusammen hängenden Fragen berichtet. Die Auswechselung wird von der h.M. nur dann als zulässig angesehen, wenn beide Verteidiger damit einverstanden sind, dadurch keine Verfahrensverzögerung eintritt und – der Staatskasse – keine Mehrkosten entstehen. In dem Zusammenhang spilet dann auch die Frage eine Rolle, ob ein Gebührenverzicht des neuen Pflichtverteidigers wirksam ist, oder ob dem § 49b BRAO entgegensteht. Dazu hat sich jetzt auch noch einmal das OLG Saarbrücken im OLG Saarbrücken, Beschl. v. 10.10.2016 – 1 Ws 113/16 – geäußert. Es sieht – mit der zutreffenden h.M. – den Gebührenverzicht als zulässig an:

„Beide Verteidiger haben sich mit der Auswechselung des Pflichtverteidigers einverstanden erklärt, eine Verfahrensverzögerung ist hierdurch nicht zu besorgen. Durch einen Wechsel des bestellten Verteidigers entstehen für die Landeskasse auch keine Mehrkosten. Zwar hat Rechtsanwalt F. bereits die Grundgebühr nach Nr. 4100 VV RVG und im Hinblick auf die nach Einlegung der Revision gewährte Akteneinsicht auch die Verfahrensgebühr für das Revisionsverfahren gemäß Nr. 4130 VV RVG (zum Abgeltungsbereich der Verfahrensgebühr vgl. nur Senatsbeschlüsse vom 6. März 2013 – 1 Ws 235/12 – und 16. Januar 2014 – 1 Ws 254/13-; Gerold/Schmidt-Burhoff, RVG, 22. Aufl., Vorb. 4 VV Rn. 10 ff., 14) verdient und stünde auch Rechtsanwalt M.-M1. im Falle seiner Bestellung grundsätzlich ein diese Gebühren umfassender Vergütungsanspruch zu, nachdem er die Revision des Angeklagten mit Schriftsatz vom 22. Mai 2016 begründet hat. Ein zweifacher Anfall der Grundgebühr nach Nr. 4100 VV RVG und der Verfahrensgebühr nach Nr. 4130 VV RVG ist vorliegend jedoch – worauf die Generalstaatsanwaltschaft mit Recht hinweist – ausgeschlossen, nachdem Rechtsanwalt M.-M1. nach Erlass des angefochtenen Beschlusses erklärt hat, für den Fall der Umbeiordnung auf die Geltendmachung solcher Gebühren zu verzichten, die bereits bei Rechtsanwalt F. entstanden sind.

Dieser Gebührenverzicht ist nach überwiegender, vom Senat geteilter Auffassung in der obergerichtlichen Rechtsprechung und Kommentarliteratur auch wirksam (vgl. OLG Bamberg NStZ 2006, 467; OLG Frankfurt NStZ-RR 2008, 47; OLG Braunschweig StraFo 2008, 428; OLG Oldenburg NStZ-RR 2010, 210; OLG Karlsruhe NStZ 2016, 305; Hartmann, Kostengesetze, VV 4100, 4101 Rn. 9; Volpert in: Burhoff, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 3. Aufl., Teil A Rn. 1392). Der abweichenden Ansicht, die im Hinblick auf § 49 b Abs. 1 Satz 1 BRAO, wonach es unzulässig ist, geringere Gebühren und Auslagen zu vereinbaren oder zu fordern, als das Rechtsanwaltsvergütungsgesetz vorsieht, soweit dieses nichts anderes bestimmt, einen derartigen Gebührenverzicht als unzulässig erachtet (vgl. Thüring. OLG, Beschluss vom 29.11.2005 – 1 Ws 440/05 -, juris; OLG des Landes Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 14.04.2010 – 2 Ws 52/10 -, juris; OLG Köln NStZ 2011, 654 f.; Hanseat. OLG Bremen NStZ 2014, 358 f.), vermag sich der Senat nicht anzuschließen. Insoweit wird nämlich von der herrschenden Meinung zu Recht darauf hingewiesen, dass dem von § 49b BRAO verfolgten Zweck, einen Preiswettbewerb um Mandate zu verhindern (vgl. z. B. Hartung/Römermann, Berufs- und Fachanwaltsordnung, 4. Aufl., § 49 b BRAO Rn. 17; Feuerich/Weyland, BRAO, 9. Aufl., § 49 b Rn. 7), in der vorliegenden Fallkonstellation ausreichend dadurch begegnet wird, dass ein Wechsel nur bei Einverständnis beider beteiligter Rechtsanwälte möglich ist (vgl. OLG Frankfurt; OLG Oldenburg; OLG Karlsruhe, jew. a. a. O.).“

Wie gesagt: Zutreffend.